Community-Reaktion #1: Worüber wollen wir diskutieren?

Johanna Seiferle hat via Instagram die Kolumne „Jetzt mal im Ernst, was soll die linke Überheblichkeit?“ kritisiert. Das karla Magazin hat sie zu einem partizipativen Beitrag eingeladen. Hier folgt ihre ausformulierte Reaktion.

Partizipativer Beitrag von Johanna Seiferle

Johanna Seiferle ist zum Studium an den See gekommen und wohnt inzwischen fast die Hälfte ihres Lebens in Konstanz. Momentan ist die Buchhändlerin in Elternzeit und arbeitet in Teilzeit als Social Media Managerin während sie auf einen Krippenplatz für das jüngste Kind wartet. Ihre drei Kinder fährt sie mit dem Lastenrad zum Kindergarten und zu Nachmittagsterminen.

Dieser Text ist eine Antwort auf die Kolumne „Jetzt mal im Ernst, was soll die linke Überheblichkeit?“ von Benjamin Brumm und mein Versuch, das Gespräch weg von Polemik und hin zu relevanten Fragen zu bringen. Veganismus, Gendern und Verzicht aufs Autofahren beschreibt Benjamin Brumm in der Kolumne als Merkmale eines elitären Lifestyles, dessen Anhänger gleichzeitig all jene verurteilen, die sich daran nicht anpassen wollen oder können. Abgesehen davon, dass seine polemische Darstellung voller klischeehafter Verurteilungen ist, bringt sie die Diskussion keinen Schritt weiter.

Grabenkämpfe um Veggiedays oder Gendern finden meinem Empfinden nach eher in den sozialen Medien als auf dem Wochenmarkt, im Linienbus oder im Café statt. Lassen wir sie doch dort und tragen sie nicht in unseren Alltag. Für die meisten Konstanzer:innen sind ohnehin ganz andere Fragen wesentlich.

Was ich in meinem Umfeld als viel bestimmender erlebe, ist ein Unmut darüber, dass Herausforderungen einer sich wandelnden Welt von der konservativ geprägten Lokalpolitik nicht bedacht werden. Mein soziales Umfeld besteht hauptsächlich aus Familien. Familien, die Zukunftsfragen beschäftigen. Im Großen und Globalen genauso wie im Kleinen, im Regionalen und Lokalen. Was tut Politik für uns? Werden wir mit unseren Bedürfnissen und Sorgen gesehen? Der Klimawandel, der zu Lasten unserer Kinder weiter ausgesessen wird, eine Bildungspolitik, die seit Jahren reformbedürftig ist, der Gender Pay Gap oder die Aussicht auf noch mehr Jahre Arbeit bis zu einer immer unsichereren Rente.

Daraus folgen Fragen und Forderungen an die Lokalpolitik: Wie kann die Stadt soziale Ungleichheiten ausgleichen? Ein Beispiel: Es braucht angesichts steigender Geburtenraten mehr Betreuungsplätze für Kinder. Leider werden jedoch gerade in vielen Einrichtungen die Betreuungszeiten gekürzt, weil akuter Personalmangel herrscht. Es braucht nicht nur die Räumlichkeiten, sondern am dringendsten gut ausgebildetes Personal. Dafür wiederum muss Konstanz als Wohnort für Erzieher:innen attraktiv sein. Wohnungen hier sind allerdings kaum noch mit einem Erzieher:innengehalt bezahlbar. Nicht nur bei der Kinderbetreuung oder beim Thema Wohnen – an so vielen Stellen entsteht der Eindruck, dass die Lokalpolitik in den letzten Jahrzehnten wichtige Entwicklungen verschlafen hat.

Es geht nun darum, wie Konstanz in Zukunft für Menschen aller Einkommensklassen lebenswert sein kann. Das beeinflusst früher oder später das Leben aller Konstanzer:innen. Worüber wollen wir also öffentliche Diskussionen führen? Über das, was uns trennt oder über das, was uns alle betrifft? Die Stadtgesellschaft kann nur gewinnen, wenn wir die Polemik beiseitelassen und mit gegenseitigem Respekt über die drängenden Fragen diskutieren.

Beiträge die unter karla Partizipation erscheinen werden nicht redaktionell redigiert. Sie geben originäre Einblicke in die Perspektiven der bürgerlichen Autor:innen.

Danke fürs Mitmachen!