Jetzt mal im Ernst, was soll die linke Überheblichkeit? 

Wer noch Fleisch isst, ist moralisch verloren? Unser Autor stellt in Konstanz eine zunehmende Verächtlichkeit gegenüber politisch Andersdenkenden fest.

Jetzt mal im Ernst, mir geht die Herablassung der Linksliberalen gegenüber jeder:m einen Fußbreit rechts der Mitte zunehmend gegen den Strich. Diese, nennen wir sie, „Blase“ hat schon immer den Hang, alle spüren und hören zu lassen, dass sie es besser wissen und können. Meinem Eindruck nach mehr, als es Konservative auch auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs je taten. Vielleicht, weil sie nie den süßen Duft der politischen Macht rochen? 

Neu hinzu kommt seit einigen Jahren eine Form der moralisierenden, großkotzigen Verächtlichmachung gegenüber politisch Andersdenkenden. Wer nicht gendert, hasst alle Frauen; wer noch Auto fährt, hat den Finger schon am Abzug; wer noch Fleisch isst, ist moralisch verloren. 

Man muss es sich leisten können

Konstanz war, ist und bleibt ein gutes Beispiel für die Abgehobenheit einer linksliberalen Elite (looking at you, urban-hipsteriges Paradies und Professoren-Bastion Litzelstetten). Sich den enormen Herausforderungen unserer Zeit anzupassen – sie reichen von Petitessen wie geschlechtergerechter Sprache bis zur auf den Kopf gestellten Energiefrage – muss man sich leisten können. Hier am See können das überdurchschnittlich viele Menschen. 

Das passende Einkommen, Bildung und Status verschaffen allerdings niemandem das Recht, die oder den gegenüber als falsch, dumm oder lächerlich zu verurteilen. Anders gesagt: Mila-Zoe und Lennox-Finn mit dem 4000-Euro-Lastenrad in die Kita zu gondeln, im Café 40 Cent extra für Hafermilch zu bezahlen und auf garantiert nachhaltige Fair-Trade-Mode zu achten, macht mich nicht zu einem besseren Menschen. 

Es zeigt zunächst nur, dass es mir möglich ist, mich dem schnellen Wandel anzupassen, aus welchen Gründen auch immer. Wer so drauf ist, darf sich nicht wundern, wenn ihr:ihm im Gegenzug „Cancel Culture“ und „Biobürgertum“ vorgeworfen wird. Und sei es nur als natürlicher Beißreflex. 

Es gibt Nachholbedarf

Klar fällt es leichter denn je, über konservative Politik und ihre Vertreter:innen die Nase zu rümpfen. Erstens hat der Konservativismus im Jahr 2023 ein Problem mit seiner Grundidee: Mit allenfalls sanften Neuerungen am Bewährten festhalten ohne knallharte Veränderungen. Wem soll heute noch glaubhaft gemacht werden, dass es mit der lange gepflegten Energie-, Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik weitergehen kann, ohne dass uns der gesamte Laden um die Ohren fliegt? 

Gerade in Deutschland haben CDU/CSU als einst stolze Vertreterinnen konservativer Politik noch ein zweites Defizit: respektable Außnahmekönner:innen, von Nachwuchstalenten ganz zu schweigen. 

Schauen wir einmal auf zwei davon, denen man kürzlich vieles, wenn nicht alles zugetraut hat, mindestens aber die Leitung der Bundesregierung. Der eine war bis vor kurzem Gesundheitsminister, hat in der Zeit nicht alles falsch und wenig richtig gemacht. Kaum aus dem Amt geschieden, ist sich Jens Spahn nicht zu schade, eine neunteilige „Politik-Doku“ über sich drehen und diese in der Streaming-Nische von RTL zeigen zu lassen. 

Der andere war mal Wirtschafts- und Verteidigungsminister, galt trotz oder wegen seiner rund drei Dutzend Vornamen und der frappierenden Ähnlichkeit zu Lothar Matthäus zeitweise als größter Stern am politischen Himmel seit Willy Brandt. Danach war Karl-Theodor zu Guttenberg länger im Sabbatical in den USA (aus Gründen) und gibt inzwischen den Sidekick für Thomas Gottschalk als Nachfolger im Jahresrückblick auf – ja, schon wieder – RTL. 

Gespräch statt Verurteilung

Ein reformbedürftiges Wertesysteme samt reformunwilliger Führung und fehlende persönliche Strahlkraft – das alles lädt zur Polemik ein. Mich juckt es ja offensichtlich selbst in den Fingern. Dennoch tun wir gut daran, die Beherrschung zu wahren, statt verächtlich abzuurteilen. Wer konservativ Denkende zu „dummen Rechten“ verallgemeinert, verschließt die Tür zum Gespräch dauerhaft.