Vincentius und Laubenhof: Die Geschichte eines Ortes 

Vom Kloster zum Wohnquartier: Teil 1 der Serie über das Vincentius-Areal beleuchtet Geschichte, Konflikte und Bürger:innenproteste – und wie das umstrittene Projekt Konstanz prägte.
  • Das Vincentius-Areal hat eine bewegte Geschichte, die vom Benediktinerkloster über ein Krankenhaus bis hin zum modernen Wohnquartier Laubenhof reicht und den Wandel der Stadt widerspiegelt.
  • Nach langen Streitigkeiten und einer kontroversen Debatte über die Zukunft des Grundstücks wurde das Krankenhaus 2008 endgültig verlegt.
  • Zahlreiche Nutzungsvorschläge wurden diskutiert – von Parkhaus bis Konzertsaal –, bevor die Stadt schließlich die Schaffung von Wohnraum und Gewerbeflächen beschloss.
  • Kritik gab es vor allem an der mangelnden Bürger:innenbeteiligung und der aus Sicht vieler unzureichenden Prüfung der Konzertsaal-Idee.
  • Seit 2023 sind die neuen Gebäude des Laubenhofs bezogen, während das denkmalgeschützte Stiftsgebäude weiterhin auf seine Sanierung wartet.
  • Das Projekt steht exemplarisch für die städtebaulichen Herausforderungen in Konstanz und die drängende Frage nach bezahlbarem Wohnraum in der Innenstadt.

Der Laubenhof steht seit Anfang 2023 auf dem Gelände des ehemaligen Vincentius-Krankenhauses zwischen Unterer Laube und Schottenstraße. Während das denkmalgeschützte Stiftsgebäude an der Gartenstraße noch auf seine Sanierung wartet, ist in den benachbarten Neubau bereits Leben eingezogen.  Doch wie sah der Weg von der Idee über die Planung bis zur Umsetzung dieses Neubaus aus? Welche Entscheidungen wurden von wem getroffen? Welche Alternativen hätten gewählt werden können? Und welche Erkenntnisse lassen sich daraus ableiten? 

Blick vom Münsterturm auf das Areal des Vincentius Krankenhauses im Jahr 1950. Hier bereits zu sehen: Der erste Anbau des Krankenhauses. | Foto: Lala Aufsberg / Bildarchiv Foto Marburg

Ein weiter Blick zurück 

Um die Gegenwart zu verstehen, lohnt sich oft der Blick in die Vergangenheit – besonders, wenn die Geschichte eines Ortes so weit zurückreicht wie hier. Die Namen Schottenstraße und Schottenplatz sind Hinweise auf die ersten Bewohner:innen: Bereits im 7. Jahrhundert gründeten schottische Mönche hier ein Benediktinerkloster. Im Zuge der Reformation wurde das Kloster aufgelöst.  

Durch den zunehmenden Platzmangel verlegte die Stadt im 16. Jahrhundert die Begräbnisstätten vor die Stadttore und kaufte das verfallene Kloster. An seiner Stelle entstand der Schottenfriedhof, der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts mehrmals erweitert wurde. Aber der Boden war sumpfig und die Stadtbevölkerung wuchs. Die Gräber mussten erneut verlegt werden. 1870 wurde der Friedhof aufgegeben, doch die Kapelle an der Schottenstraße blieb – bis heute – erhalten. 

Auf dem Gelände des ehemaligen Friedhofs wurden 1898 die Schottenturnhalle und wenig später das heutige Humboldt-Gymnasium errichtet. Südlich davon erwarb der Vincentius-Verein im Jahr 1885 ein Grundstück zum Bau eines Krankenhauses. Gegründet im Jahr 1863 von Ordensschwestern aus Hegne, widmete sich der Verein der Pflege kranker und bedürftiger Menschen. Dieser erste Bau – im Jahr 1888 eingeweiht – steht bis heute an der Ecke Untere Laube/Gartenstraße. 

Zunächst richtete sich das Krankenhaus nur an Bedürftige. Doch 1922 öffnete es seine Türen für alle Menschen. Das führte schnell zur Überlastung. Ein Erweiterungsbau wurde nötig, der bereits 1935 eingeweiht wurde. Mit moderner Ausstattung und mehr Betten erlebte das Krankenhaus einen weiteren Aufschwung.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde es vorübergehend zu Privatklinik und Lazarett, später von den französischen Besatzer:innen genutzt. Ab 1950 lief der Betrieb wieder regulär an, doch erneut wurde über eine Verlegung an einen ruhigeren Standort nachgedacht. Warum? Die zunehmend autozentrierte Stadtplanung der 1960er Jahre machte sich bemerkbar. 

Als 1963 die Schottenturnhalle abbrannte, erwarb die Vincentius AG das Grundstück und konnte dort den nächsten großen Erweiterungsbau planen, der 1975 fertiggestellt wurde, Dieser prägte das Erscheinungsbild des „Vince“ über Jahrzehnte. Neben dem historischen Stiftsgebäude und den schlichten Anbauten der 1930er Jahre stand nun ein typischer Betonbau der 1970er Jahre an der Unteren Laube.  

Von der Gründung zur Übernahme 

Das Vincentius war lange ein bedeutendes Allgemeinkrankenhaus für die Stadt und die ganze Region. Entscheidend in der Entwicklung des Vincentius waren auch die Eigentümer:innenwechsel: Die Schwestern aus Hegne, die den Verein gründeten, wandelten diesen bereits 1885 in eine Aktiengesellschaft um.

Über viele Jahre hielten sie gemeinsam mit einem Aufsichtsrat die Mehrheit der Anteile. 1994 verkauften sie diese an die Deutsche Ordens-Hospitalwerk GmbH. 2003 kaufte wiederum die Spitalstiftung der Stadt Konstanz 95 Prozent der Anteile und damit die Verantwortung für die weitere Entwicklung des Hauses. Ein kleiner Teil blieb bei Kleinaktionär:innen. 

Neue Pläne und Widerstand 

Nach der Übernahme der Vincentius AG durch die städtische Spitalstiftung im Jahr 2003 entstanden schnell Pläne, das Vincentius und das Konstanzer Klinikum an einem Ort zu bündeln. Man wollte Doppelstrukturen vermeiden, die anfallenden Investitionen in die Gebäude an der Unteren Laube umgehen und durch die räumliche Nähe von Allgemeinklinik und Orthopädie kürzere Wege und bessere Zusammenarbeit schaffen.  

Doch diese Pläne sorgten für heftigen Widerstand. Mitarbeitende befürchteten den Verlust ihrer Arbeitsplätze und die Eigenständigkeit des Hauses. Viele Konstanzer:innen sahen die spezialisierte Versorgung im Vincentius gefährdet. Für viele war das Krankenhaus ein Ort persönlicher Erinnerungen, da sie oder ihre Kinder dort zur Welt gekommen waren. Auch die Kleinaktionär:innen fühlten sich übergangen und fürchteten um ihren Einfluss. Durch die kurzzeitige Entlassung des Chefarztes Martin Lukoschek – auch er hatte sich gegen die Verlegung ausgesprochen – und eine anschließende Demonstration in der Altstadt, kam es im Herbst 2006 zum Höhepunkt der Auseinandersetzung.  

Vom alten Krankenhaus zum neuen Quartier: Was passiert mit dem Grundstück? 

Im August 2008 einigten sich Stadt und Kleinaktionär:innen nach jahrelangem Streit auf die Verlegung des Krankenhauses. Die Neubaukosten wurden auf 27,5 Millionen Euro geschätzt, mit Aussicht auf hohe Landesförderung. Doch kaum war der Konflikt beigelegt, entbrannte die nächste Debatte: Wie sollte das begehrte Innenstadtgrundstück genutzt werden? Vorschläge reichten von Schul- und Parkhauserweiterungen bis zu einer Veranstaltungshalle.

Horst Frank war von 1996 bis 2012 Oberbürgermeister von Konstanz. | Foto: Stadt Konstanz

Im November 2008 sprach Oberbürgermeister Horst Frank erstmals von der Möglichkeit, auf dem Gelände Wohnraum zu schaffen. Gleichzeitig verschlechterte sich die finanzielle Lage des Klinikums drastisch: Im November wurde bekannt, dass dem Klinikum 50 Millionen Euro fehlten und der geplante Neubau teurer würde. Die Höhe der Landesförderung war immer noch ungewiss. 

Von der geplanten Veräußerung des Vincentius-Areals war im Februar 2009 erstmals die Rede. Sozialbürgermeister Claus Boldt sprach von einem schnellen Verkauf und einem erwarteten Erlös von drei Millionen Euro. Doch das Jahr 2009 verlief ohne klare Entscheidungen, während die Kostenfrage weiter ungelöst blieb. 

Konkrete Pläne und neue Debatten 

Die Gespräche über die Kosten und die Förderung des Neubaus starteten im Januar 2010 zwischen Stadt und Land. Im Mai forderte der Gemeinderat, ein städtebauliches Konzept für das Vincentius-Areal zu entwickeln. Im Dezember waren die Gespräche über die Finanzierungslücken und die Landesförderung abgeschlossen. Die Spitalstiftung gab bekannt, dass die Kosten für den Neubau bei acht Millionen Euro liegen würden, abzüglich der erwarteten drei Millionen Euro aus dem Grundstücksverkauf. 

Gleichzeitig erreichte die Debatte um ein neues Veranstaltungshaus ihren Höhepunkt: Bei einem Bürgerentscheid im März 2010 sprach sich die Mehrheit gegen den Bau eines Konzerthauses auf dem Klein Venedig aus. Doch im Dezember brachte der pensionierte Architekt Edgar Kießling frischen Wind in die Diskussion. Er schlug ein Veranstaltungshaus auf dem Vincentius-Areal vor und legte detaillierte Pläne vor. Während viele Fraktionen im Gemeinderat den Vorschlag prüfenswert fanden, wies Oberbürgermeister Horst Frank das Vorhaben entschieden zurück. Für ihn war das Thema „Konzerthaus“ fürs erste Geschichte.  

Das ehemalige Vincentius-Krankenhaus: Einst zentraler Bestandteil der Gesundheitsversorgung in Konstanz. | Foto: Anton Bambusch

Eine Entscheidung für Wohnraum? 

Im Jahr 2011 gewann die Debatte um bezahlbaren Wohnraum in Konstanz an Fahrt. Dabei wurde nun auch breiter über die Entwicklung von Wohnungen auf dem Vincentius-Areal gesprochen. Um weitestgehend freie Hand bei der Entwicklung des Areals zu haben, kaufte die Spitalstiftung im August die verbliebenen Anteile. Offen blieb jedoch, wie es danach weitergehen soll.

Im September brachte der Gemeinderat einen interfraktionellen Antrag ein, der ein umfassendes Konzept für das Vincentius-Areal forderte. Dabei standen zwei Varianten zur Debatte: Eine Kombination aus Wohn- und Parknutzung oder die Schaffung eines Veranstaltungsortes. Doch als die Verwaltung im November ihre bisherigen Planungen vorstellte, schien die Entscheidung schon gefallen:

Die „künftige Nutzung des Vincentius-Areals soll die Umgebungsnutzungen reflektieren“ – das bedeutet vor allem Wohnnutzung mit Gewerbeflächen in den Erdgeschosszonen. 

Zudem wurden bereits Varianten für die Bebauung präsentiert. Die Verwaltung plante damals, diese Konzepte weiter auszuarbeiten, neue Wünsche der HTWG und des Humboldt-Gymnasiums zu berücksichtigen und einen Wettbewerb vorzubereiten. Die Entscheidung wurde jedoch vertagt und in den Technischen und Umweltausschuss (TUA) verwiesen. 

Auch im Jahr 2012 blieb der Fortschritt aus. Im Januar erfuhr der TUA, dass der Stadt die bisher notwendigen Kapazitäten fehlten, um die bereits 2010 in Auftrag gegebenen Prüfungen abzuschließen. Der TUA drängte darauf, das Thema Vincentius-Areal zur Priorität zu machen, auch mit Blick auf eine mögliche Veranstaltungshalle.  

Im Juni sollte im Gemeinderat endlich eine Entscheidung fallen. Zwei Optionen standen zur Abstimmung: Die Fortsetzung der Planungen für ein Geschäfts- und Wohnquartier mit Tiefgarage oder die Prüfung eines Veranstaltungshauses. Die Verwaltung betonte, dass nur ein Verkauf des Grundstücks als Wohn- und Geschäftshaus den notwendigen Erlös bringen würde. Andernfalls müsse die Stadt die fehlenden Mittel selbst aufbringen. Doch die Entscheidung wurde erneut verschoben – diesmal mit Hinweis auf die nahende Oberbürgermeister-Wahl. 

Neubeginn und wachsende Kritik 

Auch 2013 wurde das Vincentius-Areal wieder relevant. Die Grundsteinlegung für den Klinikneubau an der Mainaustraße war erfolgt, und die Freie Grüne Liste (FGL) forderte im TUA Klarheit über den weiteren Zeitplan für das Gelände. Die Stadtverwaltung kündigte an, im zweiten Halbjahr 2013 den städtebaulichen Wettbewerb vorzubereiten. Zuvor sollten studentische Entwürfe der HTWG neue Ideen liefern. Das Ziel blieb ein gemischt genutztes Quartier, vorwiegend mit Wohnbebauung und einem Anteil an bezahlbarem Wohnraum. 

Im Mai kochte die Kritik im Gemeinderat hoch: Fraktionen warfen der Verwaltung vor, die Konzertsaal-Idee voreilig verworfen, Wohnnutzung übereilt priorisiert und die Bürger:innen kaum einbezogen zu haben. Auch die mangelnde Einbindung der Vincentius-Krankenhaus AG sorgte für Unmut.

Im September behandelte der TUA erneut die Anträge aus den Jahren zuvor. Die Verwaltung schlug vor, den städtebaulichen Wettbewerb vorzubereiten und eine Bürger:innenbeteiligung zu organisieren. Die Idee einer Veranstaltungshalle wurde nahezu verworfen – die begrenzte Fläche und das zu erwartende Autoverkehrsaufkommen sprachen laut dem damaligen Baubürgermeister Kurt Werner dagegen.

„Die Lage des Grundstücks lässt eigentlich nur Wohnbebauung zu“, so seine Einschätzung. 

Der Architekt Edgar Kießling äußerte sich enttäuscht: „Es soll ein Vorschlag sein, mehr nicht.  Aber ich erwarte, dass er diskutiert wird, denn ich habe nachgewiesen, dass ich mit dem zur Verfügung stehenden Platz für das Konzerthaus tatsächlich hinkomme.“ Der Chefredakteur der Südkurier-Lokalredaktion Jörg-Peter Rau prophezeite bereits damals, in welche Richtung sich die Sache entwickelt:

„Es sollte niemand der Illusion erliegen, in zweiter Reihe am Seerhein entstünden wirklich bezahlbare Bleiben.“

Und weiter: „Nun drängt die Zeit und es wird am Ende alles wieder ganz schnell gehen müssen. Dennoch wird es bis zum Umzug des Vincentius trotz des jahrelangen Vorlaufs keine klare Perspektive geben. Und das in einer Stadt, wo das Freiwerden einer Fläche dieser Größe eine fast historische Chance ist.“ 

Ein langer Weg zu klaren Entscheidungen 

Über fünf Jahre waren zu diesem Zeitpunkt seit dem Beschluss zur Verlegung des Vincentius vergangen. Während der Bau des neuen Krankenhauses immer mehr voran schritt, wurde die Zeit knapp eine gute Lösung für das Areal zu finden. Dennoch sollte es noch weitere zehn Jahre dauern, bis das Projekt seinen vorläufigen Abschluss findet und die ersten Menschen in den neuen Laubenhof einziehen. 

Der Abriss des Vincentius-Krankenhauses 2019 markiert das Ende einer Ära und den Beginn eines neuen Kapitels für das historische Areal in Konstanz. | Foto: Anton Bambusch

Im zweiten und dritten Teil begleiten wir den Wandel vom Vincentius-Krankenhaus zum Laubenhof weiter und lassen Expert:innen zu Wort kommen, um zentrale Fragen zu klären: Welche Versprechen wurden gehalten? Welche Erkenntnisse lassen sich aus diesem Projekt gewinnen? Abschließend widmen wir uns dem Thema „Bezahlbares Wohnen“ und beleuchten, welche Perspektiven und Ideen es gibt – und wie sie auf Konstanz übertragen werden können.