- Anna Fesenko, einst PR-Managerin beim ukrainischen Fußballverein Schachtar Donezk, musste 2022 wegen des Krieges mit ihrem Sohn aus ihrer Heimat fliehen und fand schließlich in Konstanz eine neue Zuflucht.
- Der Einstieg in Deutschland gestaltete sich für sie schwierig, vor allem die komplexe Bürokratie stellte eine große Hürde dar, die sie jedoch mit der Unterstützung ihrer bereits in Konstanz lebenden Schwester und einer gut vernetzten ukrainischen Community meisterte.
- Ihr Engagement für interkulturelle Kommunikation spiegelt sich in zahlreichen Projekten wider, darunter die Organisation eines großen ukrainischen Festes in Konstanz, das Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenbrachte.
- Mit ihrem beruflichen Hintergrund setzt sie sich heute dafür ein, kulturelle Barrieren zu überwinden und die Integration von Migrant:innen durch ehrenamtliche Tätigkeiten zu fördern.
- Besonders am Herzen liegt ihr die Förderung von Gleichbehandlung und Chancengleichheit für alle Geflüchteten, unabhängig von ihrer Herkunft, sowie die stärkere Berücksichtigung kultureller Vielfalt in Schulen und Behörden.
- Anna Fesenko sieht die Vielfalt in der Gesellschaft als eine Bereicherung und wünscht sich eine gerechtere Anerkennung ausländischer Qualifikationen sowie mehr gesellschaftliches Bewusstsein für die Potenziale, die Migrant:innen mitbringen.
Anna Fesenko hat eine weite Reise hinter sich. Geboren in Russland und aufgewachsen in der Ukraine, arbeitete sie als PR-Managerin im internationalen Fußball oder bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), bevor der russische Angriffskrieg sie nach Deutschland führte. Ihre Geschichte ist geprägt von beruflichem Wandel, persönlichen Herausforderungen und dem Wunsch, ihre neue Heimat mitzugestalten. Im Gespräch gibt sie Einblicke in ihre Erlebnisse, Erfahrungen und Visionen für die Zukunft.
Du hast in der Ukraine in verschiedenen Bereichen gearbeitet, unter anderem Schachtar Donezk und der OSZE. Was hat dich dazu bewegt, deine Heimat zu verlassen und nach Deutschland zu kommen?
Der Krieg hat letztlich meine Entscheidung geprägt, die Ukraine zu verlassen. Obwohl der Krieg in der Ostukraine schon 2014 begonnen hat, war 2022 ein besonders schwerer Moment. Mein Sohn, damals sechs Jahre alt, hatte nachts einen Albtraum. Er schrie und hatte Angst. Da wurde mir klar, dass ich für seine Sicherheit sorgen musste. Wir haben in einer zunehmend gefährlichen Umgebung gelebt. Es ging nicht nur um mich, sondern vor allem um ihn. Das war der Wendepunkt.
Es muss sehr schwierig gewesen sein, diese Entscheidung zu treffen. Wie hast du die Flucht nach Deutschland erlebt?
Es war eine unsichere und emotionale Zeit. Wir flüchteten über Rumänien. Die Reise war körperlich anstrengend und mental erschöpfend. Wir mussten uns neu orientieren und wussten vieles nicht. Ich hoffte, es wäre nur vorübergehend, ein paar Wochen, vielleicht Monate. Doch schnell wurde klar, dass es viel länger dauern würde. Als wir in Konstanz ankamen, waren wir erschöpft, aber dankbar, sicher zu sein.
Wie hast du dich in Konstanz eingelebt? Was war dabei die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung war die Bürokratie. Nicht nur die Sprache, sondern auch das System hat uns zu schaffen gemacht. In Deutschland gibt es viele bürokratische Hürden, die überwältigend sind. Anfangs hat mir meine Schwester sehr geholfen. Sie war schon länger in Konstanz und kannte sich besser aus. Auch die Kinder mussten sich an eine neue Schule gewöhnen, was für meinen Sohn nicht immer einfach war. Es war eine große Umstellung, aber mittlerweile habe ich mich gut in die Gemeinschaft eingelebt.
Die ukrainische Community macht in Konstanz etwa 40 Prozent der Geflüchteten aus. Wie geht es der Community hier?
Die ukrainische Community ist gut vernetzt. Wir haben eine Telegram-Gruppe mit etwa 2.500 Mitgliedern, die sehr aktiv ist. Aber es gibt auch andere Migrantengruppen, mit denen wir zusammenarbeiten, zum Beispiel für Afghanen oder Syrer. Ich bin in einem interkulturellen Netzwerk in Konstanz tätig, das verschiedene Gruppen zusammenbringt. Es ist wichtig, dass diese Communitys sich gegenseitig unterstützen, und ich fühle mich hier gut eingebunden.
Wie gelingt euch die gegenseitige Unterstützung und das Kennenlernen?
Wir organisieren viele Veranstaltungen. Ein großer Erfolg war das Івана Купала Fest (Iwan-Kupala-Fest), das wir im letzten Jahr am Tannenhof organisiert haben. Es war ein riesiges Event mit Musik, Tanz und traditionellem Essen aus der Ukraine. Etwa 150 bis 200 Menschen waren da. Das ganze Event wurde ehrenamtlich organisiert. Es war eine großartige Gelegenheit, die ukrainische Kultur in Konstanz vorzustellen und die Menschen zusammenzubringen.
Das klingt, als hättet ihr schon viel erreicht. Was wünschst du dir für die Zukunft der ukrainischen Community und für die Gesellschaft in Konstanz?
Ich wünsche mir mehr Gerechtigkeit in der Unterstützung von Geflüchteten. Die Ukraine hat viel Hilfe bekommen, aber auch andere Geflüchtete verdienen die gleiche Unterstützung. Ich hoffe, dass es zu einer Gleichbehandlung kommt und die Bedürfnisse aller Migranten anerkannt werden. Es geht nicht nur um die Ukraine, sondern auch um andere Gruppen, die hier leben. Außerdem wünsche ich mir mehr Unterstützung für die interkulturelle Sensibilisierung, vor allem in Schulen und Behörden. Es muss ein besseres Verständnis für die verschiedenen Kulturen entwickelt werden, um die Integration wirklich zu fördern.
Du hast deinen beruflichen Hintergrund erwähnt. Welche Art von Arbeit hast du hier in Deutschland gesucht?
Nach der Ankunft habe ich nach Möglichkeiten gesucht, meine Erfahrungen einzubringen. Ich wusste, dass die Anerkennung meiner Qualifikationen ein Problem sein könnte, aber ich war bereit, mich darauf einzulassen. Zuerst war ich ehrenamtlich bei der Caritas, wo ich mit Geflüchteten und Migrant:innen gearbeitet habe. Es ging darum, kulturelle Barrieren abzubauen und Brücken zu bauen, und das half mir, selbst einen Platz in dieser Stadt zu finden.
In deiner Zeit bei der Caritas hast du dich auch mit interkultureller Kommunikation beschäftigt. Warum ist dieses Thema für dich so wichtig?
Interkulturelle Kommunikation ist sehr wichtig, besonders in einer globalisierten Welt. Als Migrantin erlebte ich selbst, wie schwierig es sein kann, sich in einer neuen Kultur zurechtzufinden. Viele Missverständnisse entstehen durch unterschiedliche kulturelle Normen. Es geht nicht nur um Sprache, sondern auch um kulturelle Perspektiven. In meiner Arbeit bei der Caritas habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, diese Unterschiede zu verstehen, um Konflikte zu vermeiden und den interkulturellen Dialog zu fördern. Oft sind es kleine Dinge, die großen Einfluss haben – wie man sich begrüßt oder wie man mit Zeit umgeht.
Du hast auch erzählt, dass du dich für den Fußball in Konstanz, genauer beim TVK engagierst. Wie bist du dazu gekommen?
Fußball war immer ein wichtiger Teil meines Lebens, besonders durch meine Arbeit bei Schachtar Donezk. Als ich dann nach Konstanz gekommen bin, wollte ich, dass mein Sohn eine Sportart findet, die ihm gefällt. Also meldete ich ihn beim TVK an, einem lokalen Fußballverein. Es war der ideale Ort für ihn, neue Freunde zu finden und Teil einer Gemeinschaft zu werden. Und dann wurde auch ich Teil der Gemeinschaft. Ich habe mich ehrenamtlich engagiert, indem ich bei Veranstaltungen und Trainings ausgeholfen habe.
Jetzt hast du sozusagen von der Champions League in die Kreisliga gewechselt. Kannst du erzählen, was deine Aufgaben bei Schachtar Donezk waren?
Ich arbeitete im Pressebüro, hauptsächlich in Public Relations (Öffentlichkeitsarbeit) und im Marketing. Ich war auch für die Medienbeziehungen zuständig und die Ansprechpartnerin für die UEFA. Ich habe den Club bei Interviews vertreten und verschiedene Promo-Aktionen organisiert.
Also hast du die Spiele selbst auch miterlebt?
Ja, auf jeden Fall. Das war ein großer Teil meiner Aufgaben. Ich musste Medienvertreter zu den offenen Trainings einladen, die einen Tag vor den Spielen stattfanden, und nach den Spielen die obligatorischen Interviews organisieren, was manchmal gar nicht so einfach war. Besonders nach einer Niederlage wollten viele Spieler nicht vor der Kamera sein. Aber insgesamt war es eine aufregende Zeit, ich hatte Zugang zu einer Welt, von der viele träumen.
Du hast also viele Jahre im Fußballbereich gearbeitet, aber was kam dann? Wann hast du dich entschieden, etwas zu verändern?
Im Dezember 2018 habe ich entschieden, dass ich etwas anderes machen will. Ich habe angefangen, für die OSZE zu arbeiten. Genauer gesagt für die diplomatische Mission als Outreach Officer, also als Beauftrage für Öffentlichkeitsarbeit. Wir haben viel Medienarbeit gemacht und Veranstaltungen für die Bevölkerung organisiert, um das Verständnis über den Konflikt in der Ukraine und den russischen Angriffskrieg zu fördern und gegen Desinformationen vorzugehen.
Outreach Officer/Beauftragte für die Öffentlichkeitsarbeit bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation der Organisation.
Sie sollen Kommunikationsstrategien und Informationsmaterialien entwickeln oder Veranstaltungen organisieren, um die Arbeit der OSZE einem breiten Publikum bekannt zu machen. Outreach Officer arbeiten eng mit lokalen Akteuren, politischen Entscheidungsträger:innen und NGOs zusammen, um den Dialog zu fördern und die Sichtbarkeit von OSZE-Initiativen in Bereichen wie Menschenrechten, Demokratie und Sicherheit zu erhöhen.
Es scheint, als ob du deine Leidenschaften auch in dein neues Leben in Deutschland übertragen hast. Welche Aspekte deines früheren Lebens vermisst du am meisten?
Am meisten vermisse ich den direkten Kontakt zu den Menschen, den ich in meiner früheren Arbeit in der Ukraine hatte. Die Kommunikation mit den Spielern und die Organisation von internationalen Events bei Schachtar haben mir sehr gefallen. In Deutschland ist das Arbeitsumfeld sehr anders, und oft habe ich das Gefühl, dass hier die Wertschätzung für PR und Medienarbeit nicht dieselbe Bedeutung hat wie in der Ukraine. Aber trotz der Unterschiede habe ich inzwischen meine eigene Nische gefunden, vor allem im Bereich der interkulturellen Sensibilisierung und Ehrenamtskoordination.
Du hast auch erwähnt, dass du aufgrund deines Namens und deiner Herkunft bei der Wohnungssuche und in beruflichen Kontexten auf Hindernisse gestoßen bist. Kannst du mehr darüber erzählen?
Es war eine schwierige Erfahrung, vor allem bei der Wohnungssuche. Ich hatte oft das Gefühl, dass der Name „Fesenko“ mich benachteiligt hat. Studien belegen, dass Menschen mit ausländischen Namen mehr Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu finden, und das habe ich am eigenen Leib erfahren. Auch bei der Arbeit: Es ist frustrierend, wenn man als Migrantin immer wieder das Gefühl hat, dass einem weniger zugetraut wird, obwohl man jahrelange internationale Erfahrung hat.
Was sind deine Wünsche für die Zukunft, sowohl für dich persönlich als auch für Konstanz?
Ich hoffe, dass ich meine Erfahrungen auch in Deutschland richtig einbringen kann. Die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen ist ein großes Thema, und ich hoffe, dass sich da etwas bewegt. Für Konstanz wünsche ich mir mehr Verständnis und Akzeptanz für Migranten und Migrantinnen. Es geht nicht nur um Sprache oder kulturelle Unterschiede, sondern darum, wie wir als Gesellschaft zusammenwachsen können. Es braucht mehr interkulturelle Sensibilisierung, nicht nur in den Behörden, sondern auch in den Schulen. Kinder müssen schon früh lernen, dass Vielfalt eine Stärke ist, keine Herausforderung. Ich hoffe, dass meine Geschichte anderen Mut macht und zeigt, wie wichtig es ist, Brücken zu bauen und die Vielfalt zu schätzen. Es ist nicht immer einfach, aber es lohnt sich.
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