- Die Musikschule Konstanz sieht sich als Bildungsinstitution, nicht nur als Freizeiteinrichtung.
- Seit 2018 wurde die Schülerzahl durch den Ausbau der Angebote in Kitas und Schulen deutlich gesteigert.
- Die Schule stößt finanziell und personell an Grenzen, während neue Wohngebiete zusätzlichen Bedarf erzeugen.
- Die Kommunikation bleibt eine Herausforderung, besonders während der Sommerpause und aufgrund der Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitenden.
- Wartelisten und lange Wartezeiten bestehen vor allem bei beliebten Instrumenten wie Klavier und Gitarre.
- Durch den Ganztagesbetreuungsanspruch ab 2026 werden die Lehrkräfte der Musikschule mehr als heute in Schulen, Kitas etc. präsent sein.
Herr Dörrenbächer, Sie sind seit 2018 Leiter der Musikschule Konstanz, das heißt, Sie sind für die gesamte Organisation und das pädagogische Konzept verantwortlich. Was ist Ihnen bei der Leitung besonders wichtig?
Als ich anfing, gab es einen Trägerverein. Seit 2021 sind wir mit der Südwestdeutschen Philharmonie – jetzt Bodensee Philharmonie – in einem gemeinsamen Eigenbetrieb als kommunale Einrichtung verankert. Das heißt, wir sind im Besitz der Stadt Konstanz. Im Mai haben wir unser 40-jähriges Jubiläum gefeiert. Mir ist besonders wichtig, dass sich die Musikschule als Bildungspartner etabliert und wir Ansprechpartner für alle musikalischen Themen werden – also zum Beispiel auch für Chöre und Vereine. Wir sehen uns auch als Bildungsinstitution und nicht nur als Freizeiteinrichtung. Wir haben einen klaren Bildungsauftrag, der von der musikalischen Früherziehung für Kleinkinder bis zur Seniorenarbeit reicht.
Wobei die Erwachsenen eher die Minderheit sind, richtig?
Ja, wir machen etwa zehn Prozent Erwachsenenarbeit. Dazu muss man wissen, dass das Jugendbildungsgesetz des Landes Baden-Württemberg Jugendliche zum vollendeten 27. Lebensjahr definiert. Der Großteil sind also schon Kinder und Jugendliche. Derzeit haben wir etwa 1.900 so genannte Belegungen, über das Jahr verteilt können es bis zu 2.300 werden. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass wir die Zahl seit 2018 deutlich steigern konnten – von knapp 1.500 auf deutlich mehr als 2.000 Schüler:innen pro Schuljahr.
Wie ist Ihnen das gelungen?
Wir haben den Elementarbereich stark ausgebaut. Ich denke da insbesondere an die Musikspatzen, die musikalische Früherziehung und die Bewegungsangebote. Damit sind wir verstärkt in die Kindertagesstätten gegangen, weil immer mehr Eltern Vollzeit arbeiten. Das heißt, die Kinder werden ganztags betreut und schaffen es zeitlich nicht mehr, zu uns in die Einrichtung zu kommen. Wir müssen also verstärkt dorthin gehen. Gleichzeitig haben wir unsere Angebote in den Schulen ausgebaut.
Gibt es so etwas wie eine Zielmarke, die Sie erreichen wollen? Zum Beispiel in den nächsten drei Jahren eine Steigerung auf bis zu 2.800 Schüler:innen?
Um ehrlich zu sein, stoßen wir langsam an unsere Kapazitätsgrenzen. Wir sind ein Zuschussbetrieb, das heißt, wir sind auf städtische Zuschüsse angewiesen. Sie machen knapp 40 Prozent unseres Gesamtbudgets aus. Aber wie wir alle wissen, sind die Kommunen in einer schwierigen Haushaltssituation, so dass man nicht mit mehr Geld rechnen kann, sondern immer nur hoffen kann, dass es nicht weniger wird. Wir alle wissen, dass in den nächsten Jahren der Ausbau des Hafner ansteht, also ein Wohngebiet mit 6.000 Einwohner:innen. Das heißt, wir machen uns Gedanken, wie wir dort präsent sein können. Aber zur Wahrheit gehört auch: Mit den vorhandenen Mitteln könnten wir diesen zusätzlichen Bedarf im Moment überhaupt nicht abdecken.
Ich habe im Juli meinen Sohn Henri für den Gitarrenunterricht ab September 2024 online angemeldet. Dabei habe ich auch meine Kontodaten angegeben. Befremdlich finde ich, dass ich seit zwei Monaten nichts mehr gehört habe. Ist das normal?
Bei uns gibt es einen Anmeldeschluss – und das ist der 30. Juni. Das heißt, wer sich danach anmeldet, hat keine Priorität im Einteilungsverfahren. Die Einteilung machen wir mit den Schüler:innen, die sich vorher angemeldet haben. Konkret stimmen sich die Fachbereichsleiter mit den Kolleg:innen ab und vereinbaren Termine, die für die Unterrichtenden passen. Es gibt auch immer wieder Wartelisten. Wir können also nicht immer alle Wünsche und Anmeldungen berücksichtigen. Eigentlich hätten Sie eine E-Mail vom Fachbereichsleiter bekommen müssen, in der Ihnen dieses Verfahren erklärt wird. Das ist wohl in Ihrem Fall nicht geschehen.
Ich bin sicher kein Einzelfall. Ich könnte mir vorstellen, dass es vielen Eltern so geht. Sie möchten, dass ihr Kind die Musikschule besucht – bekommen aber weder Zu- noch Absage.
Die Musikschule – und damit auch die Verwaltung – hat in den Sommerferien Pause. Es gibt also sechs Wochen lang keine Kommunikation. Aber sobald die Schule wieder anfängt, beginnt auch der Musikunterricht wieder. Bis Ende September wird die Einteilung vorgenommen und bis dahin melden sich auch mit Sicherheit alle Lehrkräfte bei den betroffenen Familien.
Könnte man das nicht besser regeln? Wenn ich nicht nachgehakt hätte, hätte ich insgesamt drei Monate nichts von der Musikschule Konstanz gehört… das ist ziemlich unbefriedigend.
Wir arbeiten mit rund 60 freien Mitarbeitenden zusammen. Auch bei Ihrem Sohn handelt es sich um eine Person, die Gitarrenunterricht gibt und die frei bei uns beschäftigt ist. Das heißt, wir sind diesen Personen gegenüber nicht weisungsbefugt. Wir können ihnen sagen, wie wir es gerne hätten und immer mal wieder nachfragen. Ob sie es genau so umsetzen, steht auf einem anderen Blatt. Ab September werden wir hoffentlich 47 festangestellte Lehrkräfte haben. Da klappt die Kommunikation natürlich besser.
Wieso seit dem 1. September? Wie viele Festangestellt hatten Sie denn früher?
Seit einem Urteil des Bundessozialgerichts, das von den Sozialversicherungsträgern ab Juli 2023 umgesetzt wird, ist der Rahmen für die Beschäftigung von Honorarkräften an Musikschulen nur noch in sehr ausgewählten Fällen möglich. Das bedeutet, dass zur Aufrechterhaltung des Betriebes viele fest angestellt werden müssen.
Noch einmal kritisch nachgefragt: Ich habe im Vorfeld auch mit Musiklehrer gesprochen, die bestätigt haben, dass es immer wieder zu Chaos kommt bei der Zuteilung der Gruppen. Warum bekommen Sie das nicht besser hin?
Das eine sind die freien Mitarbeitenden. Das andere sind Krankheiten im Büro. Das heißt, das eine oder andere bleibt auch liegen. Bei uns läuft es tatsächlich anders als beispielsweise in der Schweiz.
Interessant, dass Sie das ansprechen. Könnte man sich nicht sogar etwas bei der Optimierung der Organisation von der Schweiz abschauen? Ich höre immer wieder, dass es zum Beispiel in Winterthur viel besser mit der Kommunikation und mit der Zuteilung der Musikstunden läuft.
Das Schweizer System unterscheidet sich in einigen Punkten vom deutschen System. Schweizer Musikschulen müssen ihren Bedarf bis zu einem festgesetzten Termin vor den Sommerferien – das ist in jedem Kanton anders – anmelden. Die Schweizer Eltern sind dann aber auch an den Vertrag gebunden und können nicht zwischendurch kündigen. Bei uns gibt es auch unterjährige Kündigungen, wenn man merkt, dass es einfach nicht passt. Unsere Zuschüsse von der Stadt Konstanz sind stabil, so dass wir deutlich mehr Flexibilität haben als in der Schweiz. Hinzu kommt, dass alle Schweizer Schüler:innen schon vor den Ferien ihren Stundenplan fürs nächste Schuljahr bekommen. Das ist bei uns in Konstanz nicht der Fall.
Wie ist es überhaupt möglich, alle Bedürfnisse unter einen Hut zu bekommen? Die einen haben Fußballtraining, die anderen gehen in den Hort… wie schafft man es, allen gerecht zu werden?
Die unterschiedlichen Bedürfnisse machen die Planung immer schwieriger. Da sind zum einen Hobbys wie Fußballtraining, aber auch der Nachmittagsunterricht in den weiterführenden Schulen. Da ist es für die Lehrer gar nicht so einfach, passende Zeitfenster zu vereinbaren. Wir sagen immer, ihr müsst Tetris spielen. Es ist mit einem hohen Aufwand verbunden, bis alle Bedürfnisse halbwegs befriedigt werden können. Aber klar ist auch, dass man niemals 100 Prozent erreichen kann und mitunter Kompromisse finden muss.
Gibt es denn Instrumente, die besonders beliebt sind und bei denen es schwierig ist, berücksichtigt zu werden?
Beim Klavierunterricht haben wir eine Warteliste von 40 Personen, ebenso bei der Gitarre. Früher hatten wir traditionell eine größere Nachfrage nach Blasinstrumenten wie Klarinette. Diese Nachfrage ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Dafür gibt es bei anderen Instrumenten wie Schlagzeug ein höheres Interesse. Natürlich wünschen wir uns mehr Jugendliche, die Kontrabass, Tuba, Oboe oder Fagott spielen wollen. Aber das sind die „Exoten“, die eher unter dem Radar fliegen. Für diese Instrumente kann ich einen Platz garantieren. Bei anderen Instrumenten wie Klavier oder Gitarre kann es durchaus sein, dass man sechs bis zwölf Monate auf einen Platz warten muss.
Wie viele kündigen denn im Jahr?
Im März haben wir etwa 140 Kündigungen, weil im Elementarmusikbereich Kurse wie die „Musikspatzen“ Halbjahreskurse sind, die dann enden. Im Sommer sind es dann in der Regel um die 400 Kündigungen – die meisten davon im Elementarmusikbereich. Da herrscht schon eine große Fluktuation.
Wie sorgen Sie dafür, dass zum Beispiel Ausfälle von Musiklehr:innen kommuniziert werden?
Wir haben unsere eigene App entwickelt. Die wird auch von unseren Lehrkräften rege genutzt. Dort wird das eingetragen und natürlich bekommen die Schüler:innen E-Mails, wenn Personal krankheitsbedingt ausfällt.
Gibt es eigentlich so etwas wie regelmäßige Evaluierungen von Lehrkräften und der Unterrichtsorganisation?
Wenn wir neue Lehrer einstellen, testen wir sie auf Herz und Nieren. Das heißt, sie spielen vor und wir machen auch Unterrichtsproben. Ansonsten ist ein guter Indikator, wie viele Schüler:innen kündigen. Bei der Kündigung kann man auch Gründe angeben und so detaillierteres Feedback geben. Und dann gibt es als weiteren Indikator das regelmäßige Vorspielen. Das heißt, wir werten aus, wie oft Schüler:innen bei Konzerten zu hören sind und auch wie gut die Begabtenförderung funktioniert, also wie viele zum Beispiel bei „Jugend musiziert“ mitmachen.
Den Beitrag von mindestens 50,00 Euro im Monat für einen Gruppenunterricht mit bis zu vier Schüler:innen können sich gerade sozial schwache Kinder nicht leisten. Wie sorgen Sie dafür, dass auch diese Kinder die Möglichkeit haben, ihre Musikschule zu besuchen?
Darüber diskutieren wir immer wieder. Kinder aus sozial schwachen Familien, die einen Sozialpass haben, sind in einer recht komfortablen Situation. Da übernimmt die Stadt 80 Prozent der Kosten und wenn man dann noch den Gutschein für Bildung und Teilhabe von der Agentur für Arbeit dazu nimmt, ist das Angebot der Musikschule nahezu kostenlos. Das Problem sind die Menschen, die etwas mehr verdienen und deshalb keinen Anspruch auf den Sozialpass haben. Deshalb versuchen wir, diese Familien zum Beispiel mit Gitarren-AGs in den Schulen zu erreichen. Aber klar, das ist ein Problem – wir sind mit unseren Gebühren eigentlich zu teuer für diese Klientel.
Wie könnte man dieses Problem lösen?
Man könnte, wie bei den Kindergärten, gestaffelte Elternbeiträge veranschlagen. Das heißt, wer mehr verdient, zahlt auch mehr. Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob wir uns diesen zusätzlichen Verwaltungsaufwand leisten könnten. Da müssten auch die verantwortlichen Politiker:innen entscheiden, ob und wie sie das möchten. Das heißt, die Politik müsste entscheiden, was sie bereit ist, dafür in die Waagschale zu werfen.
Haben Sie aktuell auch geflüchtete Kinder im Unterricht? Wie läuft da die Kommunikation?
Wir haben Flüchtlingskinder aus der Ukraine. Die Verständigung ist unterschiedlich. Einige wenige Lehrerinnen und Lehrer können Ukrainisch. Aber meistens geht es mit Deutsch, Englisch – oder manchmal auch mit Händen und Füßen.
Was sind zwei konkrete Meilensteine, die Sie bis Ende 2024 erreichen wollen?
Wir haben für den 12. Oktober einen speziellen Tag geplant, an dem wir mit allen Lehrkräften über Kommunikation, aber auch über Regeln, Abläufe, Umgang mit der App etc. sprechen werden. Ziel ist es, dass die Anmeldung noch reibungsloser funktioniert und auch die allgemeine Kommunikation, die an der einen oder anderen Stelle – und auch in Ihrem speziellen Fall – zu wünschen übrig lässt. Und dann werden wir uns verstärkt dem Thema Ganztagsbetreuung widmen. Ab 2026 gibt es einen Rechtsanspruch von Schulkindern auf eine Ganztagestreuung. Erste Pilotprojekte dazu laufen bereits an der Berchenschule und an der Grundschule Petershausen. Gleiches gilt für die Kinderkrippen. Wir glauben, dass es das Ziel sein muss, dass die Pädagog:innen mehr und mehr in die Einrichtungen gehen – und nicht darauf warten, dass die Menschen zu uns kommen. Derzeit finden etwa 25 Prozent des Unterrichts außerhalb der Musikschulräume statt. In den nächsten Jahren wird dieser Anteil, so meine Prognose, auf bis zu 40 Prozent steigen.