Grenzkontrollen: Schutz oder Gefahr für die Gesellschaft? 

Die Kontrollen an der Schweizer Grenze werden verlängert. Der Ortsvorstand der Grünen in Konstanz warnt: Racial Profiling könnte dadurch zunehmen.
  • Die Grenzkontrollen zur Schweiz wurden verlängert, was zu Bedenken über vermehrtes Racial Profiling führt.
  • „Smarte Kontrollen“ sollen laut Innenministerin Faeser den Pendler:innenverkehr nicht beeinträchtigen, sind jedoch rechtlich nicht klar definiert.
  • Rechtswissenschaftler Johannes Siegel warnt, dass Erfahrungswissen der Polizei implizit zu rassistischen Kontrollen führen könnte.
  • Verdachtsunabhängige Kontrollen verstärken laut Studien diskriminierende Muster, auch ohne böse Absicht der Polizist:innen.
  • Siegel fordert strengere Kontrollstandards und Kontrollquittungen zur Reflexion polizeilichen Handelns.
  • Betroffene von Racial Profiling scheuen oft davor zurück, Hilfe zu suchen.

Das Thema Grenzkontrollen ist derzeit in aller Munde: Sind sie rechtlich zulässig? Sind sie effektiv? Und wie wirken sie sich auf Menschen aus, die täglich die Grenze überqueren müssen? Besonders für Grenzstädte wie Konstanz, die stark vom wirtschaftlichen und kulturellen Austausch mit der Schweiz profitieren, ist diese Frage von zentraler Bedeutung.

Samuel Hofer sieht die Grenzkontrollen kritisch. | Foto: Inka Reiter

Innenministerin Faeser kündigte deshalb „smarte Kontrollen“ an, die den Pendlerverkehr nicht beeinträchtigen sollen. Doch Samuel Hofer, Vorstandsmitglied des Ortsverbands der Grünen in Konstanz, zeigt sich besorgt: “Die Zielsetzung der Grenzkontrollen, nämlich die Reduzierung von Migration, verstärkt die Anwendung von Racial Profiling, also die polizeiliche Kontrolle von Personen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes. Wie sonst soll dieser politische Auftrag von der Bundespolizei in der Praxis umgesetzt werden?“ 

Wie funktionieren die Grenzkontrollen an der Schweizer Grenze? 

In den Medien wurde viel über die Grenzkontrollen berichtet. Für Pendler:innen und Grenzgänger:innen in Konstanz ändert sich jedoch derzeit nichts. Die Grenzkontrollen, die am 16. September 2024 an der West- und Nordgrenze Deutschlands eingeführt wurden, bestehen an der baden-württembergischen Grenze zur Schweiz bereits seit Oktober 2023. Doch wie genau kontrolliert die Bundespolizei seither an der Schweizer Grenze?

Fakt ist, dass nicht jede:r kontrolliert wird. Eine vollständige Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs findet nicht statt, erklärt die Bundespolizei Konstanz auf Anfrage. Welche Kriterien der Auswahl zugrunde liegen, verrät die Polizei jedoch nicht. „Die Entscheidung zur Kontrolle von Personen und/oder Fahrzeugen erfolgt aufgrund von Lageerkenntnissen sowie grenzpolizeilicher Erfahrung.“

Smarte Grenzkontrollen: Vage Vorgaben und große Spielräume für die Polizei 

Smarte Kontrollen?  Die Auswahl von Personen aufgrund von Erfahrungswissen? Alles sehr schwammige Begrifflichkeiten, bei denen beim Rechtswissenschaftler Johannes Siegel die Alarmglocken läuten: „Der Begriff ‚smarte Kontrollen‘ hat keine rechtliche Grundlage.

Es gibt zwar Forschungsprojekte zu datenbasierten Kontrollmethoden, aber dass diese derzeit angewendet werden, halte ich für unwahrscheinlich. Und beim Erfahrungswissen der Polizei stellt sich die Frage: Was weiß die Bundespolizei über Deutschsein? Anhand welcher Merkmale will sie Menschen identifizieren, die illegal die Grenze überschreiten wollen?“ 

Hinter dem Zaun: Grenzkontrollen werfen Fragen zur Fairness und Diskriminierung auf, insbesondere im Hinblick auf rassistische Vorurteile. | Foto: Phil Botha

Siegel arbeitet am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht der Universität Konstanz an einer Doktorarbeit zu Racial Profiling. Er kombiniert in seiner Forschung rechtliche und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse und beschäftigt sich unter anderem damit, in welchen rechtlichen Rahmenbedingungen Polizist:innen Personen kontrollieren dürfen. „Es gibt zwei gesetzliche Regelungen, die im Zusammenhang mit Racial Profiling immer wieder auftauchen: die Schleierfahndung und die Personenkontrolle an sogenannten gefährlichen Orten.“

Beide Vorschriften ermöglichen es der Polizei, an kriminalitätsbelasteten Orten sowie im Grenzgebiet Personen ohne konkreten Verdacht zu kontrollieren. In Städten wie Konstanz durfte die Polizei bereits vor den Grenzkontrollen verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchführen, etwa in Zügen oder Fernbussen.

„Was sich im Oktober 2023 geändert hat, ist, dass diese Kontrollen nun systematisch an der Grenze durchgeführt werden.“

Für die Einführung von Grenzkontrollen im Schengenraum, auch an der Grenze zur Schweiz, gelten klare Regeln. Temporäre Kontrollen sind laut dem Schengener Grenzkodex erlaubt, wenn eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt. Diese Kontrollen können für eine begrenzte Zeit (bis zu 6 Monate, in Ausnahmen bis zu 2 Jahre) wiedereingeführt werden.

Vorgesehen ist derzeit, die bis zum 15. Dezember 2024 angeordneten vorübergehenden Kontrollen an den Landgrenzen zur Republik Polen, zur Tschechischen Republik und zur Schweiz (bzw. landseitig für Österreich bis zum 11. November 2024) nach ihrem Ablauf zu verlängern.

Rechtlich hat die Polizei großen Spielraum, nach welchen Kriterien sie Menschen für Kontrollen auswählt. Einzig untersagt ist, Personen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischer Merkmale zu kontrollieren – das wäre Racial Profiling. Dennoch besteht die Gefahr, dass genau diese Merkmale in der Praxis herangezogen werden. „Das rechtlich nachzuweisen, ist schwierig. Man kann den Polizistinnen und Polizisten ja nicht in den Kopf schauen“, erklärt Siegel.

Rechtlich hat die Polizei großen Spielraum, nach welchen Kriterien sie Menschen für Kontrollen auswählt. Einzig untersagt ist, Personen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischer Merkmale zu kontrollieren – das wäre Racial Profiling. Dennoch besteht die Gefahr, dass genau diese Merkmale in der Praxis herangezogen werden. „Das rechtlich nachzuweisen, ist schwierig. Man kann den Polizistinnen und Polizisten ja nicht in den Kopf schauen“, erklärt Siegel.

Johannes Siegel forscht zu Racial Profiling. | Foto: Privat

In seiner Forschung geht es jedoch nicht darum, ob Racial Profiling bei bestimmten Einzelfälle passierte, sondern um die institutionellen Mechanismen, die das Handeln der gesamten Polizei prägen. Dabei stellt er die Frage: Welches Wissen wird im polizeilichen Alltag über Kriminalität erlernt? Welche rassistischen Stereotype werden dabei vielleicht unterbewusst verfestigt und kommen bei Personenkontrollen zur Anwendung? 

Racial Profiling bezeichnet eine diskriminierende Praxis, bei der Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ethnischen Herkunft oder Religion von Sicherheitsbehörden wie der Polizei verstärkt kontrolliert, durchsucht oder verdächtigt werden. Laut deutschen Grundgesetz ist Diskriminierung aufgrund der Herkunft oder des Aussehens verboten. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt Menschen vor Ungleichbehandlung, allerdings gilt es nicht direkt für das staatliche Handeln von Polizei oder Justiz. Hier kommt das Grundgesetz (Art. 3 GG) zur Anwendung. Daneben verbieten auch geltendes Europarecht und internationales Recht diskriminierendes staatliches Handeln (z. B. Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention oder das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung. Weitere Informationen findest du auf der Webseite der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Rassistische Auswahlkriterien sind nicht immer böse Absicht  

Genau an diesem Punkt wird die Sozialforschung für den Juristen relevant. Die jüngste soziologische Studie zu Racial Profiling, die von Dr. Astrid Jacobsen und Dr. Jens Bergmann an der Polizeiakademie Niedersachsen veröffentlicht wurde, zeigt: Verdachtsunabhängige Personenkontrollen begünstigen rassistische Diskriminierung. Dies geschieht jedoch nicht, weil Polizist:innen von Grund auf rassistisch seien, sondern weil das Umfeld und die gemachten Erfahrungen zu falschen Verknüpfungen führen.

Werden beispielsweise bei der Fahndung nach Drogendealer:innen häufig Schwarze Männer kontrolliert, findet die Polizei unter diesen auch öfter Kriminelle, was das Vorurteil verstärkt, es gäbe einen Zusammenhang zwischen Schwarz-Sein und Kriminalität. Selbsterfüllende Prophezeihung wird dieses Phänomen in den Sozialwissenschaften genannt.  

Rassismus ist immer einfach, aber nicht richtig und nicht effizient  

Was steckt nun hinter dem Erfahrungswissen, das die Bundespolizei anwendet, um potentiell illegale Migrant:innen an den Grenzen zurückzuweisen? Genau kann das Siegel natürlich nicht beantworten. „Es gibt legitime Kontrollkriterien, etwa nach bestimmten Automarken Ausschau zu halten. Aber sobald Deutschsein mit Weißsein gleichgesetzt wird, besteht die Gefahr, dass Hautfarbe als Kriterium verwendet wird. Dies geschieht jedoch nicht offiziell oder bewusst, sondern implizit“, erklärt Siegel.

Das Foto zeigt eine Black Lives Matter Demo in Konstanz.
Bei der Black Lives Matter Kundgebung im Juni 2020 machen Demstrierende auch in Konstanz auf die Folgen und Gefahren von Rassismus aufmerksam. | Foto: Sophie Tichonenko

Der Wissenschaftler warnt davor, dass rassistische Kontrollen innerhalb der Gesellschaft hinter vorgehaltener Hand oft als eine vermeintlich einfache und effiziente Lösung dargestellt werden. Frei nach dem Motto: Sei doch klar, dass bei der Abwehr von illegaler Migration nach der Hautfarbe geguckt werde. Das ginge am besten.

„Ja, Rassismus ist einfach“, weiß Siegel, „aber entgegen des weitverbreiteten Glaubens ist er auch wahnsinnig ineffizient. Die Erfolgsquote von verdachtsunabhängigen Kontrollen liegt im niedrigen einstelligen Prozentbereich, oft unter einem Prozent“, so Siegel. Stattdessen plädiert er dafür, dass sich die Gesellschaft die Frage stellt:

„Können wir es uns leisten, eine Maßnahme zu unterstützen, die ein hohes diskriminierendes Potenzial hat, die Betroffene stigmatisiert und gleichzeitig so wenig erfolgreich ist?“ 

Was kann helfen? Kontrollstandards anheben 

Wie könnte die Polizei also besser arbeiten? Siegel hält die vollständige Abschaffung verdachtsunabhängiger Kontrollen nicht für sinnvoll, rät aber zu höheren Kontrollstandards. „Forschung aus den USA zeigt, dass eine Erhöhung der Kontrollmaßstäbe die Erfolgsquote steigern und das diskriminierende Potenzial der Kontrollen senken kann.“

Strengere Vorgaben, welche Kontextinformationen Polizist:innen vor einer Kontrolle beachten müssen, könnten dazu führen, dass Personen eher aufgrund ihres Verhaltens als ihres Aussehens kontrolliert werden und gleichzeitig die polizeiliche Arbeit effizienter wird. Eine Maßnahme, um dies in Deutschland umzusetzen, wären Kontrollquittungen, auf denen Polizist:innen ihre Gründe für die Kontrolle angeben.

„Die Polizistinnen und Polizisten müssen sich dann fragen: Lohnt es sich hier, eine Quittung auszustellen? Sie würden ihre Gründe für die Kontrolle so nochmals reflektieren.“

Diese Kontrollquittungen gibt es bereits in Bremen, jedoch nur auf Nachfrage. Siegel fordert, dass Kontrollquittungen bundesweit und verpflichtend eingeführt werden. 

Sicherheitskräfte im Einsatz: Die Diskussion um Racial Profiling wirft Fragen über den alltäglichen Umgang der Polizei mit Minderheiten auf. | Foto: Markus Spiske

Betroffene von Racial Profiling holen sich oft keine Hilfe  

Noch gibt es keine verlässlichen Statistiken zur Erfolgsquote der Grenzkontrollen an der Schweizer Grenze. Zwar hat der SWR Statistiken der Bundespolizei Stuttgart veröffentlicht, die zeigen, dass die Zahl unerlaubter Einreisen seit Einführung der Grenzkontrollen sinken, doch bleibt die tatsächliche Erfolgsrate weiterhin unklar. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels hat die Stuttgarter Bundespolizei keine Auskunft darüber gegeben, wie viele Personen täglich an der Schweizer Grenze kontrolliert werden.

Siegels Forschung deutet jedoch darauf hin, dass ein rassistisches Potenzial in den Grenzkontrollen liege: Vage formulierte Ziele, wie die Eindämmung irregulärer Migration, gepaart mit fehlenden spezifischen Vorgaben zur Identifizierung von Personen, führen dazu, dass zahlreiche Menschen und Fahrzeuge gescannt und dabei viele Entscheidungen getroffen werden müssen, wer kontrolliert wird. In einem solchen Umfeld ist die Sorge, dass einfache Kontrollraster wie Hautfarbe zum Einsatz kommen, durchaus berechtigt. 

Die Antidiskriminierungsstelle Konstanz meldet auf Anfrage zwar keinen Anstieg von Hilfegesuchen aufgrund von Racial Profiling seit Einführung der Grenzkontrollen an der Schweizer Grenze, jedoch überrascht das die Diskriminierungsexpert:innen nicht: „Das liegt nicht daran, dass kein Racial Profiling stattfindet, sondern vielmehr daran, dass viele Menschen keinen Begriff für die diskriminierende Erfahrung haben, die sie durchmachen, und daher schweigen. Es erfordert viel Kraft, Mut und oft auch sprachliche Kenntnisse, um Schritte gegen Diskriminierung zu unternehmen.“

Auch Siegel betont in seiner Forschung, dass nur sehr wenige Betroffene von Racial Profiling über die emotionalen, finanziellen und zeitlichen Ressourcen verfügen, um gegen diese Diskriminierung vorzugehen:

„Es sollte nicht die Aufgabe der Betroffenen sein, sich selbst Hilfe suchen zu müssen. Vielmehr ist es die Aufgabe der Gesellschaft, Menschen vor Diskriminierung zu schützen.“ 

Die Beratungsstelle des AWO Kreisverband Konstanz (adib) unterstützt Menschen aus dem Landkreis Konstanz und dem Bodenseekreis in Fragen der Diskriminierung. Die Arbeit der Beratungsstelle basiert auf dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), jedoch wird auch in Fällen, die nicht direkt unter das AGG fallen, wie beispielsweise Racial Profiling, Beratung angeboten.

Die Beratungen sind anonym und kostenlos, wobei die individuellen Bedürfnisse der Ratsuchenden stets im Mittelpunkt stehen. Erlebst du Diskriminierung im Alltag und suchst Hilfe? Dann melde dich bei der Antidiskriminierungsberatung Konstanz.  

Community Aufruf

Hast du persönlich Erfahrungen mit Racial Profiling gemacht? Wurdest du aufgrund deiner Herkunft, Hautfarbe oder Religion von Sicherheitsbehörden kontrolliert oder benachteiligt? Wir vom karla Magazin möchten deine Geschichten hören, um dieses wichtige Thema sichtbar zu machen und das Bewusstsein dafür zu schärfen. Wenn du bereit bist, deine Erfahrungen zu teilen und damit einen Beitrag zu einer gesellschaftlichen Debatte zu leisten, dann melde dich bei uns. Deine Berichte können anonym veröffentlicht werden. Kontaktiere uns per E-Mail unter redaktion@karla-magazin.de.

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