Warum engagierst du dich in der Bildungspolitik?
Petra Rietzler: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die frühe Trennung von Kindern Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft manifestiert. Das fängt schon bei der frühkindlichen Bildung an – Baden-Württemberg ist da übrigens besonders schlimm – weil der Bildungserfolg der Kinder ganz wesentlich von den Eltern abhängt. Also wie viel verdienen die, welche Berufe haben die, welchen Bildungshintergrund haben die. Das finde ich einfach falsch.
Du hast dich in den letzten Jahren als sachkundige Einwohnerin im Bildungsausschuss engagiert. Was hast du da konkret gemacht?
Petra Rietzler: Ich habe mich für die Einrichtung der Gemeinschaftsschule in Petershausen eingesetzt – und die haben wir ja bekanntlich seit einigen Jahren. Aber damit ist es nicht getan, wir müssen die Bildungsgerechtigkeit insgesamt weiter vorantreiben. Das wird nicht einfach sein, weil das Geld – und am Ende hängt sehr viel am Geld – eher weniger als mehr wird. Ich möchte, dass Kinder gute Lernbedingungen vorfinden und dass sie schon im frühkindlichen Bereich gefördert werden. Gerade da haben die Eltern zu wenig Lobby, weil sie mit anderen Dingen beschäftigt sind, und deshalb müssen wir stellvertretend ihr Sprachrohr sein.
Gerade wenn Frauen Kinder bekommen, haben sie wenig Zeit, sich politisch oder anderweitig zu engagieren. Was würde helfen, damit mehr Frauen – auch mehr Mütter – politisch aktiv werden?
Petra Rietzler: Ein Problem sind auf jeden Fall die Sitzungszeiten – die meisten beginnen um 16 Uhr, manche schon um 14 Uhr – die sind schwer mit Kinderbetreuung, aber auch mit Berufstätigkeit zu vereinbaren. Ich habe drei Kinder und war immer berufstätig. Da bleibt wenig Zeit, sich zu engagieren, die muss man sich dann wirklich „aus den Rippen schneiden.Für Alleinerziehende macht es das noch schwieriger. Mittlerweile bin ich auch alleinerziehend, aber meine Kinder sind erwachsen, meine jüngste Tochter ist 18 Jahre alt. Da braucht man weniger Präsenz als mit kleinen Kindern. Allein deshalb ist es für mich im Moment überhaupt leichter machbar, mich im Gemeinderat zu engagieren, neben einer Vollzeitstelle
Und was ich auch beobachte, ist, dass die Frauen immer noch den größten Teile der Care Arbeit übernehmen und dann schnell in eine Überforderung rutschen.. Ich finde, die Männer könnten einen guten Teil der mentalen Last übernehmen. Wo steht denn geschrieben, dass immer die Frauen wissen müssen, wo das Winkelmaß ist und wann der nächste Kindergeburtstag ist? Das geht nur in beide Richtungen: Frauen müssen mehr abgeben und Männer müssen – freiwillig – mehr übernehmen. Wir Frauen sollten unsere traditionellen Rollen stärker hinterfragen und überdenken: Muss ich wirklich alles alleine machen?
Heißt das jetzt, dass du weniger arbeitest, weil du Gemeinderätin bist?
Petra Rietzler: Das kann ich mir gar nicht leisten! Man muss dann eben abends noch mal ran – manche Sitzungen gehen bis in die Nacht. Man muss vorarbeiten, nacharbeiten, Urlaub nehmen. Man muss zwischen den Sitzungen viel lesen. Ich habe einen Riesenrespekt davor, aber ich habe auch Lust mitzugestalten und meine Ideen einzubringen.
Das ist deine dritte Kampagne. Was hast du im Vergleich zu den vorherigen anders gemacht?
Petra Rietzler: Ich bin viel offensiver aufgetreten, weil ich etwas kann und etwas zu sagen habe. Das war ein längerer Prozess, vielleicht auch speziell als Frau, sich mehr zuzutrauen, ehrlich gesagt. Ich bin Jahrgang 1964, das heißt, ich bin konservativ aufgewachsen. Dieses Selbstbewusstsein ist mir nicht in die Wiege gelegt. Das habe ich mir hart erarbeitet. Ich erinnere mich an meine ersten Sitzungen im Bildungsausschuss vor zwölf Jahren, da war ich total verwirrt und habe 400-mal überprüft, ob alles richtig ist.
Aber ich habe auch gemerkt, dass die anderen auch nicht viel besser waren als ich. Viele waren sogar weniger informiert als ich und haben sich mit breiter Brust hingestellt und ihre Positionen vertreten. Das müssen viele Frauen erst lernen und sich trauen zu sagen: „Moment, ich habe auch was zu sagen.“ Und zur Wahrheit gehört auch, dass man mal eine Abstimmung verliert. Männer sehen das eher als sportlichen Wettkampf. Frauen hingegen verfallen oft in Selbstzweifel und fragen sich die ganze Zeit: „Was habe ich falsch gemacht?“
Könnte man da früher ansetzen und Frauen eher für den politischen Schlagabtausch wappnen?
Petra Rietzler: Ich glaube, es ist anerzogen, dass Mädchen mehr gefallen wollen und Jungs sich mehr reiben dürfen. Generell wäre es aber auch eine Aufgabe in der Schule, sie mehr präsentieren zu lassen und damit auch Feedback und Kritik aushalten zu lernen. Konstruktives Feedback ist ein Riesenthema – das können manche Erwachsene weder geben noch ertragen. Aber genau das sollten wir alle lernen, um sachlich weiterzukommen und nicht jede Kritik persönlich zu nehmen.
Blicken wir konstruktiv auf Frauen in der Politik: Wo war es von Vorteil, eine Frau zu sein oder in welcher Situation hatten Frauen das bessere Händchen?
Petra Rietzler: Frauen brauchen jedenfalls keine Hahnenkämpfe. Das heißt, da sparen wir viel Energie. Manchmal redet man bei Frauen über Stutenbissigkeit und Zickenkrieg, aber das wird immer weniger. Grundsätzlich ist es ein großer Vorteil, wenn man in der Sache klar bleibt und sich weniger von ‚Wer ist der Größere / Stärkere / Bessere?‘ ablenken lässt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen, wenn sie für etwas brennen, sich sehr gut absprechen können und man gemeinsam in eine Richtung marschiert. Gerade als SPD-Frau möchte ich betonen, dass wir mehr Frauen in der Politik brauchen, denn nur so können wir die Gesellschaft adäquat abbilden. Frauen stellen die Hälfte der Bevölkerung. In der Kommunalpolitik sind es aber nur 25 Prozent. Da ist noch viel Luft nach oben!
Wenn du den Menschen erklären müsstest, warum es mehr Frauen braucht, wie würdest du argumentieren?
Petra Rietzler: Neben der Repräsentanz geht es natürlich auch um die Bedürfnisse von Frauen. Wenn Frauen nicht mit am Tisch sitzen, fehlt der weibliche Blick. Wenn wir zum Beispiel darüber sprechen, wo Straßenlaternen aufgestellt werden sollen, dann favorisieren Frauen – mit Blick auf ihre persönliche Sicherheit in der Nacht – andere Standorte als Männer.
Darum geht es zum Beispiel auch in der feministischen Entwicklungspolitik, die Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze auf den Weg gebracht hat. Dass man Frauen in Ländern des Globalen Südens beispielsweise stärker in die Planung von Brunnen einbeziehen muss, damit das Ergebnis auch für sie passt und sie nicht etwas ganz anderes brauchen…
Petra Rietzler: Genau! Und das geht weiter über Sitzungszeiten, die mit Kindergartenöffnungszeiten, Schulbetreuung etc. abgestimmt werden müssen. Wie müssen Häuser aussehen, um eine gute Wohnatmosphäre für Frauen zu schaffen? Wie sieht es mit weiblicher Pflegearchitektur aus? Ich lebe in einer Wohnung, in der alles auf Männer zugeschnitten ist. Mit meinen 1,58 Metern muss ich auf die Badewanne steigen, um das Fenster zu öffnen. Alles schick, aber blöd. Es geht um eine andere Perspektive auf wesentliche Dinge, die das Leben aller betreffen.
Udo Jürgens hat einmal gesungen, mit 66 fängt das Leben erst richtig an. Bis dahin hättest du noch sechs Jahre… Welche Träume hast du noch? Willst du noch einmal für den Landtag kandidieren?
Petra Rietzler: Ich bin jetzt erst einmal fünf Jahre im Gemeinderat von Konstanz. Ich habe einmal für den Landtag kandidiert, wohl wissend, dass das als SPD-Vertreterin hier im Landkreis Konstanz fast aussichtsslos war. Das war ein unglaublich anstrengender Wahlkampf – und am Ende umsonst. Ich bin danach in ein richtiges Loch gefallen, das brauche ich nicht noch einmal. Allerdings habe ich sehr viel gelernt, auch positives. Ich sehe das nicht als „Krönung meiner Karriere“. Wenn mir die Arbeit im Gemeinderat Spaß macht, könnte ich mir vorstellen, noch einmal anzutreten. Aber jetzt geht es erst einmal darum, einen guten Job zu machen.
Das heißt für mich, zur Bäckerin zu gehen und zu fragen: Wie geht es dir? Was fehlt dir? Oder dass Frauen, die in einer toxischen Beziehung sind, diese beenden und ausziehen können. Das funktioniert aber nur, wenn es viel mehr sozialen Wohnungsbau gibt. Das heißt, wir müssen aus meiner Sicht die Wohnungsbaugesellschaft, die WOBAK, in Konstanz stärken. Am Ende möchte ich eine Politik machen, die dazu führt, dass es den Menschen besser geht. Und wichtig wäre mir auch, dass Zeit bleibt, mit Freund:innen immer mal wieder ein Glas Sekt zu trinken – und einfach nur dazusitzen und zu plaudern.
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