- Die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ zeigt, dass viele junge Menschen in Deutschland unter Stress, Erschöpfung und Zukunftsängsten leiden.
- Mehr als die Hälfte der Jugendlichen berichtet von anhaltendem Stress und Erschöpfung, elf Prozent sind in psychischer Behandlung.
- Die Studie zeigt, dass von den 14-bis 29-Jährigen, die wissen, wen sie wählen sollen, 22 Prozent die AfD wählen würden, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre.
- Finanzielle Unsicherheiten belasten viele Jugendliche: 65 Prozent sorgen sich um die Inflation, 54 Prozent empfinden hohe Wohnkosten als Belastung.
- Kilian Hampel fordert mehr Unterstützung und Anlaufstellen für psychische Gesundheit in Schulen, Universitäten und Gemeinden.
Stress, Erschöpfung, Selbstzweifel, Hilflosigkeit oder sogar Suizidgedanken – eine erschreckende Kombination, die für viele junge Menschen in Deutschland zum Alltag gehört. Zu diesem Schluss kommen Simon Schnetzer, Klaus Hurrelmann und Kilian Hampel in ihrer Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“. Sie haben die Einstellungen, Ansichten und Zukunftsperspektiven der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland untersucht, der sogenannten „Generation Z“ oder „Gen Z“.
„Die Zahlen sind alarmierend: Mehr als die Hälfte der Jugendlichen berichten von anhaltendem Stress und Erschöpfung. Das ist ein klarer Hilferuf“, erklärt Kilian Hampel.
Wir haben ihn in Konstanz getroffen und mit ihm über die Hintergründe und Ergebnisse der Studie gesprochen. Der Jugend- und Organisationsforscher hat selbst an der Universität Konstanz studiert und will schon lange verstehen, was Menschen und vor allem Jugendliche bewegt. Durch seine jahrelange Mitarbeit an der Studie „Jugend in Deutschland“ mit, seit 2023 auch als offizieller Mitautor.
Generation Silent: Geboren zwischen 1928 und 1945
Babyboomer: Geboren zwischen 1946 und 1964
Generation X: Geboren 1965 bis 1979
Generation Y / Millenials: Geboren 1980 bis 1995
Generation Z: Geboren ab 1996 bis 2010
Generation Alpha: Geboren ab 2011
Politische Einstellungen
Besondere Aufmerksamkeit erlangte die Studie kurz nach ihrer Veröffentlichung Ende April. Sie fragte die Jugendlichen nach ihrer Parteipräferenz. Das vielzitierte Ergebnis: 22 Prozent der befragten 14- bis 29-Jährigen würden die AfD wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre. Doch die Schlagzeilen verzerren das Bild.
Diese 22 Prozent gehören zu den Befragten, die wissen, wen sie wählen sollen. Hampel erklärt, dass 25 Prozent der Befragten unsicher waren und mit „Ich weiß es nicht“ antworteten. Weitere zehn Prozent gaben an, überhaupt nicht wählen zu wollen. Damit hat mehr als ein Drittel der insgesamt 2042 befragten Personen keine Parteipräferenz geäußert, was mehr als 700 Personen entspricht.
Die Untersuchung „Jugend in Deutschland 2024“ beruht auf einer Online-Umfrage unter 2.042 Personen im Alter von 14 bis 29 Jahren. Der Befragungszeitraum erstreckte sich vom 8. Januar bis zum 12. Februar 2024. Seit 2020 wird diese Studie regelmäßig durchgeführt.
Die 22 Prozent für die AfD und die Werte der anderen Parteien beziehen sich daher nur auf diejenigen, die eine Partei benannt haben. Berücksichtigt man alle Befragten, sinkt der Anteil der potenziellen AfD-Wähler:innen auf etwa 14,5 Prozent. Ein Blick auf die Ergebnisse der Europawahl am 9. Juni zeigt: 16 Prozent der 14- bis 24-Jährigen stimmten für die AfD. Damit holte die AfD in dieser Altersgruppe elf Prozent mehr Stimmen als noch bei der Europawahl 2019.
Kilian Hampel betont, dass die Frage nach der Parteipräferenz der Jugendlichen nicht das Ziel der Befragung war. Vielmehr sieht er in der Beliebtheit der AfD unter Jugendlichen ein Symptom dafür, dass die jungen Menschen sich abgehängt und nicht gesehen fühlen.
„Es geht eigentlich um etwas ganz anderes. Nämlich junge Menschen zu beteiligen, ihnen eine Stimme zu geben. Und dafür zu sorgen, dass Jung und Alt besser zusammenfinden. Das ist eigentlich das Hauptziel der ganzen Studie. “
Psychische Gesundheit im Fokus
Ein besonders besorgniserregendes Ergebnis betrifft die psychische Gesundheit der jungen Menschen. Viele Jugendliche leiden unter Stress, Erschöpfung und Hilflosigkeit. „Elf Prozent der Befragten sind in psychischer Behandlung“, sagt Hampel. Diese Belastungen seien teilweise auf die Nachwirkungen der Corona-Pandemie zurückzuführen, die das soziale Leben und die Bildungswege vieler junger Menschen erheblich beeinflusst hätten.
Der Leistungsdruck in Schule und Beruf sowie der Vergleichsdruck in den sozialen Medien verstärkten diese Probleme zusätzlich. Die Studie zeige, dass viele Jugendliche sich mit ihren psychischen Problemen alleingelassen fühlen und sich mehr Unterstützung wünschen. Hampel betont die Notwendigkeit, dass Schulen und Arbeitgeber:innen sensibler auf diese Themen reagieren und entsprechende Hilfsangebote bereitstellen.
Finanzielle Unsicherheit
Ein weiterer zentraler Aspekt der Studie ist die finanzielle Unsicherheit. 65 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich Sorgen um die Inflation machen, und 54 Prozent empfinden hohe Wohnkosten als Belastung.
„Finanzielle Unsicherheiten und die Angst vor Altersarmut sind immense Stressfaktoren. Viele Jugendliche haben das Gefühl, dass ihre Zukunft auf einem unsicheren Fundament steht“, berichtet Hampel.
Jugendliche, die sich finanziell unsicher fühlen oder Angst vor Altersarmut haben, sind deutlich stärker psychisch belastet. Dies gilt auch für junge Menschen, die befürchten, in Zukunft in Armut abzurutschen, obwohl sie derzeit noch nicht direkt betroffen sind. Hampel fasst zusammen, dass an dieser Stelle positiv Beispiele fehlten, um die Jugend mit ihren Sorgen abzuholen.
Was nun?
Angesichts der erschreckenden Zahlen zur psychischen Gesundheit empfiehlt Hampel, Anlaufstellen für psychische Gesundheit in Städten, Gemeinden oder Dörfern einzurichten. Sie könnten als niedrigschwellige Angebote in Jugendzentren integriert werden und einen unkomplizierten Zugang zu psychologischer Beratung und Unterstützung bieten.
Auch an Schulen und Universitäten sollte es mehr Angebote geben. Hampel schlägt Programme zur Förderung der psychischen Gesundheit vor, wie Workshops zu Stressbewältigung, Resilienztraining und Achtsamkeit.
„Wir müssen dringend mehr Ressourcen in die psychische Gesundheitsversorgung investieren. Besonders Online-Therapien bieten hier eine niedrigschwellige Möglichkeit, Jugendlichen schnell und unkompliziert Hilfe anzubieten.“
Seit der Veröffentlichung der Studie wird Kilian Hampel oft gefragt, ob alle Lokalpolitiker:innen jetzt TikTok und Instagram bräuchten. Das allein reiche nicht aus, erklärt Hampel, auch wenn er den Diskurs darüber begrüße und Bewegungen wie #ReclaimTikTok für sinnvoll halte.
#ReclaimTikTok ist eine Social-Media-Bewegung, die TikTok von Hassreden, Desinformation und toxischen Inhalten befreien will.
- Ziele: Förderung positiver Inhalte, Schaffung eines sicheren und integrativen Raums auf TikTok.
- Strategien: Nutzung von Hashtags wie #ReclaimTikTok zur Verbreitung positiver Botschaften, Melden und Blockieren problematischer Inhalte.
- Community Engagement: Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gemeinschaften, Unterstützung und Ermächtigung der Nutzer:innen.
- Wirkung: Weltweite Aufmerksamkeit und breite Unterstützung, Förderung des Bewusstseins für eine sicherere Online-Umgebung.
- Beispiele für Inhalte: Bildungsinhalte zu sozialen Themen, Persönliche Geschichten über Diskriminierung, Aufklärung über Falschinformationen, Aufrufe zur Solidarität und gegenseitigen Unterstützung.
Er richtet deutliche Appelle an die Politik, insbesondere an die Lokalpolitik, um die Lebenssituation junger Menschen zu verbessern. Es müssten Türen geöffnet, Selbstwirksamkeit geschaffen und die sozialen Medien endlich sinnvoll genutzt werden. Und das auch außerhalb des Wahlkampfes. Er betont:
„Junge Leute müssen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, damit ihre Perspektiven und Bedürfnisse ernst genommen werden.“
Wie das aussehen könnte? Hampel schlägt ein Bürger:innenforum vor, in dem politische Teilhabe aus verschiedenen Generationen und Gesellschaftsschichten ermöglicht wird. In Konstanz gibt es Grund zur Hoffnung, dass das in die Tat umgesetzt wird. Am 16. Mai 2024 hat der Konstanzer Gemeinderat beschlossen, Bürger:innenräte zu Themen von allgemeinem Interesse zuzulassen. Diese können vom Gemeinderat oder der Verwaltung einberufen werden. Aber auch Bürger:innen – und damit auch interessierte Jugendliche – können mit 800 Unterschriften die Einberufung beantragen. Konstanz ist damit die erste deutsche Gemeinde, die diese Möglichkeit bietet.
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