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Schwangerschaftsabbrüche bleiben ein Tabu. Wie Aktivist:innen in Konstanz für Aufklärung und bessere Versorgung kämpfen.
  • Aktivist:innen in Konstanz demonstrieren am 28. September für Aufklärung über Schwangerschaftsabbrüche.
  • Gruppen wie „Catcalls of Konstanz“ und „Amnesty International Konstanz“ fordern die Abschaffung von §218 StGB.
  • Trotz hoher Nachfrage fehlen in Konstanz ausreichende Anlaufstellen für Beratung und medizinische Versorgung.
  • 2023 gab es in Deutschland über 106.000 Schwangerschaftsabbrüche, viele Hürden bestehen weiterhin.
  • Tabuisierung und Stigmatisierung erschweren den Zugang zu Informationen und Unterstützung.
  • Die Aktivist:innen fordern eine Entkriminalisierung und bessere medizinische Ausbildung.

Am 28. September wird in Konstanz demonstriert. Im Fokus steht, was oft im Stillen verhandelt wird: Schwangerschaftsabbrüche. Die beiden Gruppen „Catcalls of Konstanz“ und „Amnesty International Konstanz“ haben sich zusammengeschlossen, um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen. Ihr Ziel: Aufklärung, Sensibilisierung, die Abschaffung von Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch (StGB) und die Forderung nach einer besseren Unterstützung für Frauen in der Region, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen. Warum ist das auch in Konstanz so wichtig? Und was erhoffen sich die Aktivist:innen von der Veranstaltung?

Deborah Wiegand setzt sich aktiv für die Abschaffung von §218 StGB ein. | Foto: Sophie Tichonenko

Deborah Wiegand und Hannah Kimmig sind zwei der treibenden Kräfte hinter der geplanten Demonstration. Deborah ist seit rund vier Jahren bei „Catcalls of Konstanz“ aktiv. Ihre Gruppe macht sich vor allem dafür stark, sexualisierte Belästigung im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Dabei sammeln die Mitglieder anonyme Berichte von Betroffenen, die mit Kreide an den Tatorten auf die Straße geschrieben werden. Die Belästigungen reichen von Hinterherpfeifen über anzügliche Kommentare bis zu körperlichen und sexuellen Übergriffen. 

Ziel der Kreide-Aktionen ist es, den Betroffenen ihre Stimme zurückzugeben und das Thema ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. „Mit der Kreide-Aktion zeigen wir, was tagtäglich passiert – auf den Straßen, die jede:r von uns kennt.“ Doch bei der geplanten Demonstration geht es um mehr als nur Belästigungen im öffentlichen Raum. Für den Samstag steht das Thema Schwangerschaftsabbrüche im Fokus.

Ein Blick auf die Zahlen

Bei pro familia Konstanz gab es nach eigenen Angaben im Jahr 2023 insgesamt über 1.500 Beratungen. Davon waren 525 psychosoziale und finanzielle Beratungen zu Schwangerschaften und Geburt und 205 Schwangerschaftskonfliktberatungen nach §219 StGB mit Ausstellung eines Beratungsscheins. Nicht jede Frau, die einen Beratungsschein mitnimmt, entschließe sich dazu, einen Abbruch zu machen. 

In Deutschland wurden 2023 rund 106.000 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet – das sind 2,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit setzt sich der Aufwärtstrend fort, der bereits 2022 mit einem Anstieg von fast zehn Prozent im Vergleich zu 2021 begonnen hatte. Hier fällt auf: Ein Großteil der Abbrüche (96 Prozent) wurde nach der gesetzlich vorgeschriebenen Beratungsregelung vorgenommen. 

Bundesweit war die Mehrheit der betroffenen Frauen zwischen 18 und 34 Jahre alt, und die Eingriffe erfolgten in der Regel ambulant, meist in Arztpraxen oder spezialisierten OP-Zentren. Diese Zahlen verdeutlichen, wie präsent das Thema Schwangerschaftsabbruch in Deutschland weiterhin ist – und wie wichtig es bleibt, über die rechtlichen und medizinischen Rahmenbedingungen aufzuklären.

Auch Hannah Kimmig, die seit über vier Jahren bei der Konstanzer Ortsgruppe von „Amnesty International“ aktiv ist, sieht die Dringlichkeit, das Thema Schwangerschaftsabbruch aus der Tabuzone zu holen. Für sie geht es nicht nur um Menschenrechte im allgemeinen Sinne, sondern auch um die konkrete Situation vor Ort. „In Deutschland haben wir zwar eine gewisse Freiheit, aber beim Thema Schwangerschaftsabbruch gibt es immer noch enorme Hürden“, betont sie. Und das, obwohl auch Expert:innen für eine Entkriminalisierung von Abbrüchen plädieren.

Hannah Kimmig ist schon seit ihrem 14. Lebensjahr bei Amnesty International aktiv. | Foto: Sophie Tichonenko

Empfehlungen & Entkriminalisierung


Die von der Bundesregierung eingesetzte Expert:innenkommission hat im März 2023 eine klare Empfehlung ausgesprochen: Abbrüche sollen in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft vollständig entkriminalisiert werden. Ein längst überfälliger Schritt, sagen Fachleute aus Ethik, Medizin und Recht. Denn aktuell regelt Paragraf 218 des Strafgesetzbuches, dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich rechtswidrig sind. Straffrei bleiben sie nur, wenn sie in den ersten zwölf Wochen nach einer Beratung durchgeführt werden. Doch die Kommission sieht hier keinen haltbaren Kompromiss mehr.

Dieser Vorstoß entfachte für einen kurzen Zeitraum die Abtreibungsdebatte in Deutschland. Während Linke und Grüne das Selbstbestimmungsrecht der Frauen stärken wollen, sehen konservative Kräfte wie die Union im Schutz des ungeborenen Lebens eine Grundverpflichtung. Die Unionsfraktion drohte bereits mit einer Verfassungsklage, sollte die Ampelregierung den Empfehlungen folgen. Auch die katholische Kirche hält weiter an der Strafbarkeit fest, während die Evangelische Kirche zumindest eine gewisse Entkriminalisierung befürwortet.

Was ist mit Konstanz?

Wer in Konstanz eine Schwangerschaft abbrechen möchte, stößt schnell auf Hindernisse. Die wenigen Einrichtungen, die diese Leistung anbieten, sind kaum bekannt, die Suche ist zäh.

„In der Klinik in Konstanz werden Abbrüche durchgeführt, aber das erfährt man erst in einem Beratungsgespräch“, berichten die Aktivistinnen Wiegand und Kimmig.

Auch Leo Lensing wünscht sich die Abschaffung von Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch. | Foto: pro familia Konstanz

Diplompsychologe Leo Lensing führt Lebens-, Paar- und Sexualberatung bei pro familia Konstanz durch. Auch er bestätigt: „Die Wege sind nicht einfach, vor allem, wenn man über Suchmaschinen geht. Es gibt kaum Internetseiten mit aufklärenden und faktenbasierten Inhalten. Meistens sind sie ideologisch geprägt oder verbreiten sogar Falschinformationen.“

Die „Beratung nach §219“ soll diese Lücke laut Lensing füllen. Sie fällt in die Kategorie Schwangerenberatung und resultiert aus der Beratungspflicht, die vom Gesetzgeber festgeschrieben ist. Ist eine Person schwanger und möchte diese Schwangerschaft abbrechen, benötigt sie einen Beratungsschein. Innerhalb der Beratung gebe es – anders als im Internet – ausführliche Informationen darüber, welche Möglichkeiten und Rechte die Klientin in ihrer individuellen Situation hat. Er selbst führe die Beratungen schon seit 1990 durch und habe dabei erlebt, wie individuell die Gründe der Beratung sind. „Dazu kommt, dass sie mit dem Entschluss oft alleine sind. Nur in unter zehn Prozent der Fälle kommen die Erzeuger mit zur Beratung.“


Auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung findet sich in der Region nur eine Praxis – in Radolfzell – die laut eigener Angabe medikamentöse Abtreibungen anbietet. Auch das deutet darauf hin, dass Betroffene, die in Konstanz oder den umliegenden ländlichen Gebieten leben, oft weite Wege und zusätzliche Hürden auf sich nehmen müssen. „Es ist absurd, dass es in einer so großen Stadt wie Konstanz nicht mehr Anlaufstellen gibt“, sagt Wiegand. „Personen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen möchten, werden auch hier allein gelassen, wenn sie in einer ohnehin schon schwierigen Situation sind.“

Stigmatisierung und Tabus

Die gesellschaftliche Stigmatisierung rund um das Thema Schwangerschaftsabbrüche verschärft die Situation zusätzlich. Viele Frauen sprechen nicht darüber, selbst wenn sie bereits einen Abbruch hinter sich haben. Diese Tabuisierung führt dazu, dass auch viele Menschen, die sich als aufgeklärt und fortschrittlich betrachten, oft unsensibel auf das Thema reagieren. „Selbst in unserer sogenannten aufgeklärten Bubble fehlt oft das nötige Wissen“, sagt Deborah Wiegand.

„Es gibt viele Menschen, die glauben, dass ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland kein Problem sei. Aber das ist weit von der Realität entfernt.“

Genau deswegen sieht sie die Notwendigkeit, das Thema immer wieder öffentlich zu machen und aufzuklären. Hannah Kimmig fügt hinzu: „Es ist ein Thema, über das viel zu wenig gesprochen wird. So bleibt das Problem unsichtbar. Dabei betrifft es so viele Menschen.“ Die Stigmatisierung trifft nicht nur die Frauen selbst, sondern auch jene, die sie unterstützen könnten – sei es medizinisch oder emotional.

Bei den jüngsten Protesten gegen das Abtreibungsurteil in den USA wurde auch der Kleiderbügel als Symbol verwendet. Der Alltagsgegenstand steht für das Recht auf Abtreibung und erinnert an vergangene Zeiten, als Frauen versuchten, ungewollte Schwangerschaften durch den Einsatz von spitzen Gegenständen wie Kleiderbügeln zu beenden. | Foto: Gayatri Malhota

Aktivismus als Aufklärung

Für die Aktivistinnen ist die geplante Demonstration am 28. September nicht nur ein Aufruf zum Handeln, sondern auch ein wichtiges Mittel zur Aufklärung. Im vergangenen Jahr organisierten sie bereits eine ähnliche Veranstaltung, die großen Zuspruch erhielt. Wiegand erinnert sich: „Viele Menschen haben uns nach der Demo angesprochen und gesagt, dass sie vorher gar nicht wussten, wie schwierig es ist, in Deutschland einen sicheren Schwangerschaftsabbruch durchzuführen.“

Diese positive Resonanz motiviert die beiden, weiterzumachen. Sie hoffen, dass auch in diesem Jahr Menschen erreicht werden, die bisher nur wenig Berührung mit dem Thema hatten. „Es geht uns nicht nur darum, laut zu sein. Wir wollen, dass die Menschen verstehen, warum wir auf die Straße gehen“, erklärt Wiegand.

„Und wir wollen, dass die Betroffenen wissen, dass sie nicht alleine sind.“

Für Hannah Kimmig ist es besonders wichtig, dass Demonstrationen wie diese ein Bewusstsein schaffen, das über die eigentliche Veranstaltung hinausreicht. „Die Wut, die viele Betroffene fühlen, muss sichtbar werden. Nur so können wir etwas verändern. Es geht darum, dass das Thema auch nach der Demo im Gespräch bleibt und sich etwas bewegt.“

„Paragraf 218 muss weg“

Die zentralen Forderungen der Aktivistinnen sind klar: Schwangerschaftsabbrüche müssen entkriminalisiert werden und es muss mehr Anlaufstellen in Konstanz geben, die Betroffenen Beratung und medizinische Versorgung bieten. „Wir brauchen nicht nur mehr Ärzt:innen und Kliniken, die Abbrüche durchführen, sondern auch mehr Aufklärung“, sagt Wiegand. „Viele wissen einfach nicht, welche Rechte sie haben oder welche Optionen ihnen offenstehen.“ Auch Leo Lensing betont:

„Statt Kriminalisierung und Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen braucht es mehr Aufklärung, Beratung und gute Präventionsarbeit. Wir haben das Wissen und die Methoden dafür, aber wir brauchen mehr Rückhalt und Geld von Bund, Land oder Kommune.“

Nur so könne Aufklärung zu selbstbestimmter Sexualität umgesetzt werden. Ein weiteres großes Anliegen ist die Verbesserung der medizinischen Ausbildung in diesem Bereich. „Es gibt immer noch viel zu wenige Ärztinnen und Ärzte, die ausreichend ausgebildet sind, um Abtreibungen sicher durchzuführen“, erklärt Wiegand. „Sie müssen sich im Medizinstudium selbst beibringen, wie Abtreibungen funktionieren. Das führt dazu, dass Frauen oft lange suchen müssen, bis sie eine passende Anlaufstelle finden.“

Wie geht es weiter?

Die Demonstration am 28. September ist ein wichtiger Schritt, um das Thema Schwangerschaftsabbruch in Konstanz in die Öffentlichkeit zu bringen. Doch für die Aktivistinnen ist klar. Dies ist nur der Anfang. „Wir planen, auch nach der Demo weiterhin aktiv zu bleiben“, sagt Deborah Wiegand. „Es braucht kontinuierliche Aufklärung und politischen Druck, um langfristig etwas zu verändern.“

Beide hoffen, dass sich immer mehr Menschen dem Thema annehmen und aktiv werden. „Es ist wichtig, dass nicht nur Betroffene laut werden“, betont Hannah Kimmig. „Jede:r kann dazu beitragen, dass sich die Situation verbessert – sei es durch Teilnahme an der Demo, durch Gespräche im eigenen Umfeld oder durch Unterstützung von Initiativen wie unserer.“

Mit Kreide schreiben die Aktivist:innen auf die Straße, was ihnen anonym zugeschickt wurde. | Foto: Catcalls of Konstanz