So hat Konstanz gewählt: eine Analyse

Bundesweit ist die Union klare Wahlsiegerin. Auch im Wahlkreis Konstanz liegt sie auf Platz eins. Aber welche Unterschiede gibt es innerhalb des Wahlkreises und warum? Erklärungen hierfür konnte uns der Politik- und Verwaltungswissenschaftler Adrian Bidlingmaier geben.

In einer ausführlichen Datenanalyse von ZEIT ONLINE wurden die Ergebnisse aller Wahlkreise dargestellt, analysiert und verglichen. Wir haben uns die Ergebnisse im Wahlkreis Konstanz genauer angeschaut. Welche Stimmen sind in Konstanz anders als im Kreis und im Bund?

Die Ergebnisse der Zweitstimmen im Wahlkreis Konstanz. | Grafik: Screenshot ZEIT ONLINE/Bundeswahlleiterin

Bundesweit hat die SPD mit 16,4 Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1949 erzielt. So auch im Wahlkreis Konstanz, wo noch weniger Menschen den Sozialdemokraten ihre Stimme gaben (13,3 Prozent). Hier ist sie nur viertstärkste Kraft. Auch die AfD schneidet in Deutschland besser ab als im Wahlkreis Konstanz. 20,8 Prozent im Wahlkreis, 18,3 Prozent in ganz Deutschland und nur 10,7 Prozent in der Stadt Konstanz. Die CDU kann, im Gegensatz zur SPD und AfD, noch mehr Stimmen generieren als auf Bundesebene. Und auch die Grünen erhalten mit 16,8 Prozent im Wahlkreis Konstanz deutlich mehr Stimmen als bundesweit (11,6 Prozent). 

Adrian Bidlingmaier arbeitet zudem im „Future of Work Lab“ an der Uni Konstanz | Foto: Inka Reiter

Adrian Bidlingmaier, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Konstanz erklärt: „Die Erfahrung aus vergangenen Wahlen hat gezeigt, dass auch in anderen Universitätsstädten und ihrem Umland die Zustimmung zur AfD geringer ist als im bundesdeutschen Durchschnitt. Sie bekommt besonders in Regionen Unterstützung, welche vom Strukturwandel und Abwanderung betroffen sind. Die wirtschaftliche Situation ist in Konstanz besser als im bundesweiten Durchschnitt. So lag etwa die Arbeitslosenquote im Kreis Konstanz im Januar bei 4,6 Prozent während diese im Bund bei 6,4 Prozent lag“.

Außerdem seien die Menschen hier einen internationalen Austausch durch die Grenze zur Schweiz und die Universität gewohnt.

„Fremdenfeindliche oder nationalistische Narrative der AfD haben es in einem solchen Umfeld schwerer, Akzeptanz zu finden“.

Von diesen Faktoren profitieren wiederum die Grünen in Konstanz. Diese sprechen laut Bidlingmaier besonders junge Menschen und Akademiker:innen an. Sie beschäftigen sich mit Themen, die ihnen besonders wichtig sind. Außerdem wählen die Menschen in Konstanz und Baden-Württemberg schon immer häufiger die Grünen als andere Bundesländer. So hatte Konstanz 1996 als erste Stadt in Konstanz einen grünen Oberbürgermeister.

Demografische Faktoren und ihre Auswirkungen auf das Wahlergebnis


Konstanz wählt also anders als der Bund. Aber auch innerhalb des Wahlkreises Konstanz sind die Ergebnisse sehr unterschiedlich: Während die Grünen in Singen, Tengen und Engen das niedrigste Ergebnis mit 9,6 Prozent haben, kommen sie in Radolfzell auf 17,3 Prozent und in Konstanz sogar auf 25,5 Prozent und erhalten somit am meisten Stimmen von allen Parteien. Damit sind sie noch vor der CDU, die in Konstanz auf „nur“ 25,3 Prozent kommt. Diese schneidet im übrigen Wahlkreis zwischen 30,5 Prozent in Singen und 38,1 Prozent in Tengen ab.

Stimmverteilung der Zweitstimmen in der Stadt Konstanz. | Grafik: Screenshot ZEIT ONLINE/Bundeswahlleiterin

Auch das Ergebnis der AfD ist innerhalb des Kreises sehr unterschiedlich. In der Stadt Konstanz können sie am wenigsten Wähler:innen mobilisieren und erhalten 10,7 Prozent. In Singen erhält sie dagegen 26,7 Prozent der Stimmen, was fast 6 Prozent mehr ist als im bundesweiten Durchschnitt. Auch die Linke erhält am meisten Stimmen direkt in Konstanz. Sie punktet hier aber deutlich mit 10,6 Prozent im Gegensatz zu 4,6 Prozent in Tengen. 

Bei der SPD gibt es keinen signifikanten Unterschied zu den restlichen Gemeinden im Wahlkreis Konstanz. Die Linke erhält im Kreis Konstanz 7,5 Prozent, die FDP 5,8 Prozent. In jeder Gemeinde in Konstanz, bis auf Tengen (4,7 Prozent), erhält die FDP mehr als 5 Prozent der Stimmen und übertrifft damit deutlich den Durchschnitt in Deutschland (4,3 Prozent).

Demografische Unterschiede können die unterschiedlichen Wahlergebnisse teilweise erklären, so Bidlingmaier. Er sagt, dass ländlichere Regionen sowohl durch eine ältere Bevölkerung, als auch durch Strukturen wie Vereine, Kirchengemeinden und die lokale Wirtschaft konservativer wählen, sodass etwa die CDU dort besonders stark abschneidet. Auch die Tendenz eines Protestwahlverhaltens ist in ländlichen  Regionen höher als in der Stadt. Das kann laut Bidlingmaier daran liegen, dass eine wirtschaftliche Herausforderung die Menschen dort stärker betrifft.

Erst- und Zweitstimme: Ein Blick auf das Wahlverhalten

Die CDU erhält durchweg ein höheres Ergebnis in den Erststimmen als in den Zweitstimmen. In Hilzingen und Stockach kommt sie auf über 44 Prozent, in Tengen sogar auf 46,7 Prozent. In den Zweitstimmen erreicht sie höchstens 38,1 Prozent. Die SPD kann, wie die CDU, besser mit ihrer Direktkandidatin punkten und erhält mehr Stimmen in der Erststimme als in der Zweitstimme. Bei der AfD dreht sich dieser Trend. Die Zahl der Zweitstimmen ist in allen Gemeinden höher als die der Erststimmen, wenn auch nicht ganz so drastisch. Auch die Zweitstimmen der Grünen liegen über denen der Erststimme. Die FDP und Linke schließen sich dem an. 

Hier werden die Ergebnisse der Zweitstimme im Wahlkreis Konstanz mit den bundesweiten Zahlen verglichen. | Grafik: Screenshot ZEIT ONLINE/Bundeswahlleiterin

Wer zieht in den Bundestag?

Die Kandidierenden des Wahlkreises können sich nicht alle auf den Einzug in den Bundestag freuen, denn anstatt drei Sitzen wie bisher sind künftig nur noch zwei Kandidierende aus Konstanz dabei. Nur Andreas Jung von der CDU und Lina Seitzl von der SPD werden in den Bundestag einziehen. Jung erreichte mit 37,7 Prozent der Erststimmen den Sieg im Wahlkreis Konstanz und lag damit weit vor Bernhard Eisenhut von der AfD, der mit 17,5 Prozent die zweitmeisten Stimmen erhielt. 

Andreas Jung (CDU)
Lina Seitzl (SPD)

Dritte wurde Seitzl mit 15,6 Prozent. Sie erhält ihr Mandat im Bundestag über die Landesliste der SPD. Nur circa 1.000 Stimmen weniger erhielt Rosa Buss von den Grünen und erreichte 15,0 Prozent, obwohl sie 2025 zum ersten Mal als Kandidatin antrat. Im Gegensatz zu 2021 erhielt Jung mehr Stimmanteile (2021: 34,1 Prozent), Seitzl verlor deutlich (20,1 Prozent). Andreas Jung ist bereits seit 2005 Mitglied des Bundestags. Lina Seitzl und Ann-Veruschka Jurisch zogen 2021 ein. 2025 sind es nur noch zwei Kandidierende aus Konstanz, die einen Sitz im Bundestag in Berlin bekommen werden.


Und was machen diejenigen, die nun keinen Sitz im Bundestag erhalten haben?
Trotz des Wahlkampfes in Konstanz und im Kreis, reichten die Stimmen für die Kandidierenden der AfD, der Grünen, der FPD und der Linken nicht für ein Mandat im Bundestag. Einige meldeten sich bereits auf den sozialen Medien zum Ausgang der Wahl oder haben auf Nachfrage von karla berichtet, wie es jetzt bei ihnen weitergeht. 

Ann-Veruschka Jurisch (FDP)

Ann-Veruschka Jurisch (FDP), die aus dem Bundestag ausscheidet, bedankt sich über Instagram bei ihren Wähler:innen und wird in Zukunft weiter im Kreistag Konstanz vertreten sein. Sie ist überrascht von den vielen Stimmen, die sowohl die Linke, als auch die AfD bekommen haben. Besonders darüber, dass die AfD mit Zweit- und Erststimmen über der FDP liegt. Sie selbst wurde abgewählt, aber nimmt das Ergebnis an und betont, das sei der Kern einer Demokratie. Nun müsse sie ihr Büro und ihre Wohnung in Berlin aufgeben, wird sich aber weiterhin ehrenamtlich in der FDP-Kreistagsfraktion, dem Ortsverein und dem Landesvorstand engagieren.

Rosa Buss von den Grünen bedankt sich und appelliert an die CDU, nun in der Verantwortung zu stehen, für das ganze Land zu regieren. Sie empfand den Diskurs während des Wahlkampfs als „verroht“ und ist besorgt über den großen Einfluss rechtsextremer Stimmen. Sie habe viel Frustration und Unsicherheiten von Menschen gespürt. Daher solle die Politik niemanden zurücklassen. Trotzdem freut sie sich über jeden Prozentpunkt und ist motiviert, den Kampfgeist weiterzuführen. Sie selbst möchte beharrlich weiter dafür kämpfen, die Gesellschaft demokratisch, sozial und nachhaltig zu gestalten. Sie engagiert sich weiter im Kreistag und in den Bündnissen vor Ort.

Rosa Buss (Grüne)
Lars Hofmann (Linke)

Der Kandidat der Linken Lars Hofmann fordert via Instagram, jetzt nicht mit dem „Schwung des Wahlkampfes“ aufzuhören. Er war überwältigt, von dem rasanten Anstieg an Zuspruch und auch an Mitgliederzahlen der Linken. Diese Entwicklung während des Wahlkampfes lässt Hofmann sehr zufrieden auf das Ergebnis blicken. Er bedankt sich bei allen, die ihn im Wahlkampf unterstützt haben. Nach einer Auszeit von diesem intensiven Wahlkampf, wolle er sich weiterhin im Kreisverband engagieren und sich für seine Themen starkmachen.

Die hohe Wahlbeteiligung und was hinter den Zahlen steckt

Die Bundestagswahl motivierte so viele Wahlberechtigte wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Die Wahlbeteiligung lag bei 82,4 Prozent. Im Kreis Konstanz lag die Beteiligung größtenteils noch darüber. Auf der Höri wählten 86,5 Prozent, in Konstanz 84,2 Prozent. Nur Singen (77,1 Prozent) und Gottmadingen (80,8 Prozent) lagen unter dem bundesweiten Durchschnitt. 

Die hohe Wahlbeteiligung erklärte Jasmin Riedl, Politikwissenschaftlerin an der Bundeswehr-Universität München, dem BR gegenüber mit verschiedenen Faktoren. Die emotionale Gefasstheit der Menschen bewegte viele dazu, wählen zu gehen. Auch das Gefühl einer „Schicksalswahl“, durch den Wunsch sich nach dem Entschließungsantrag zu positionieren, mobilisierte viele. Außerdem fange die AfD viele Nicht-Wähler:innen auf, die sonst frustriert von den etablierten Parteien seien. Gleichzeitig dürften die Demonstrationen und die Angst vor einem Rechtsruck auch viele Bürger:innen mobilisiert haben. Laut einer Analyse von tagesschau.de wählten bisherige Nicht-Wähler:innen vor allem die CDU und AfD.

Wer sind die Menschen, die im Wahlkreis Konstanz leben? Wie unterscheiden sich die Region und die Einwohner:innen im Vergleich zum Rest von Deutschland? Das zeigt dieser Überblick aktueller soziodemografischer Daten von ZEIT ONLINE. | Grafik: Screenshot ZEIT ONLINE

Die unterschiedliche Beteiligung innerhalb des Wahlkreises könne durch ein engeres soziales Umfeld und eine längerfristige Bindung an die Region erklärt werden, sagt Adrian Bidlingmaier. Es lohne sich für die Menschen mehr, sich zu engagieren oder zu wählen, wenn sie längerfristig in der Region blieben und von der Wahlentscheidung beeinflusst würden. Trotzdem seien auch verschiedene soziale Herausforderungen der einzelnen Gemeinden ausschlaggebend für ihre Wahlbeteiligung. Generell sei die Wahlbeteiligung in wohlhabenden und stabilen Regionen aber grundsätzlich höher.


Die sehr hohe Wahlbeteiligung zeigt, dass die Menschen interessiert und politisiert sind. Das sollte Grund zur Hoffnung geben und bestärken, sich vor Ort zu engagieren, um die Situation vor der eigenen Haustür zu verändern. Die Anzahl an gemeinnützigen Vereinen und Organisationen in Konstanz ist groß. Der Bedarf an motivierten Personen, die sich in der Stadt für Zusammenhalt und Wandel einsetzen, auch.