Es duftet nach warmer Butter und würzigem Spinat: In der kleinen Backstube hinter dem Verkaufstresen in der Münzgasse knetet Eugen Bücheler mit wenigen starken Handgriffen den Teig für eine Quiche. Hinter ihm steht Mara Schamberger, eine junge Konditorin, sie bereitet den Teig für die Croissants zu. Am späten Nachmittag werden in Eugens Bio-Patisserie die letzten Vorbereitungen getroffen, sodass für den nächsten Morgen zum Backen alles vorbereitet ist.
Die letzten Monate waren für den gelernten Koch, der auch Soziologie und Politikwissenschaft studiert hat und heute Unternehmer ist, eine turbulente Zeit. Eugen Bücheler zeigt auf eine Packung Butter, der Preis dafür sei um bis zu 20 Prozent gestiegen. Jeder Lieferant verlange mittlerweile eine Transportpauschale, um die gestiegenen Kosten decken zu können.
Die Folgen der Inflation werden in 2023 deutlich spürbar
Als im vergangenen Jahr die Konstanzer Stadtwerke deutlich höhere Preise für Strom verlangten, war für den 58-Jährigen die Entscheidung schnell klar. Nur wenige Meter von seiner Patisserie hat er bis Ende des Jahres knapp zehn Jahre lang ein Bio-Restaurant betrieben, beste Innenstadtlage, eigentlich gut besucht, auch Personal war da – dennoch fiel im vergangenen Sommer der Entschluss, das Eugens zu schließen. „Die Auswirkungen der Inflation werden den meisten Menschen erst in 2023 offensichtlich“, vermutet Eugen Bücheler.
Nachdem er sein Restaurant über die zehrenden Coronajahre gebracht hatte, war die durch den Ukrainekrieg ausgelöste Energie- und Rohstoffkrise eine Schippe zu viel. „Ich bin erleichtert, dass ich mich jetzt auf das Wesentliche, die Produktion von Backwaren, Tartes und Torten konzentrieren kann.“
Kuchenangebot um die Hälfte reduziert
Doch auch in seiner Patisserie musste er Federn lassen: Das Kuchenangebot hat er fast um die Hälfte reduziert. Die Preise der Croissants habe er um 20 Cent erhöht, von Kostendeckung sei man damit weit entfernt. „Als Produzent am Ende der Kette können wir nicht drei Euro für ein Croissant verlangen“, sagt Eugen Bücheler. Er versuche mit seinem Team weniger rohstoff- und energieintensiv zu produzieren.
Dass die Energiekostensteigerungen besonders das Lebensmittelhandwerk hart treffen, hat eine Sonderumfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks im November unter mehr als 3.000 deutschlandweit tätigen Betrieben ergeben. Demnach sind 44 Prozent der befragten Betriebe im Lebensmittelhandwerk von liquiditätsgefährdenden Energiekostensteigerungen betroffen.
Viele Handwerksbetriebe können Kostensteigerung gar nicht weiterreichen
Auch die Zahlungsfähigkeit von privaten Dienstleistungsbetrieben wie Friseur:innen, Fotograf:innen oder Kosmetiker:innen ist deutlich angespannt. Gerade mal drei Prozent der mehr als 3.000 befragten Betriebe können die Kostenanstiege unmittelbar und umfassend an ihre Kund:innen weitergeben. Zwei Drittel der Betriebe konnten ihre gestiegenen Kosten nur zum Teil auf die Absatzpreise übertragen, ein Drittel kann aktuell gar nichts weiterreichen. „Wir schätzen, dass Bürger dort weniger bereit sind, höhere Preise zu zahlen, wo es Alternativen gibt“, sagt Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der Konstanzer Handwerkskammer. Grundsätzlich sei das davon abhängig, wie die Kunden individuell ihre Schwerpunkte legen.
Auch fehlendes Material und hohe Beschaffungspreise wirken sich bundesweit laut Sonderumfrage des Handwerksverbands insbesondere in den Kfz- (20 Prozent), den gewerblichen Zulieferer- (19 Prozent) und den Ausbaugewerken (18 Prozent) liquiditätsmindernd aus. „Das deckt sich auch mit unseren Einschätzungen für die Stadt Konstanz“, so Georg Hiltner.
In der Konstanzer Handwerkskammer hofft man, dass die Betriebe im Kammerbezirk dank der staatlichen Unterstützung gut über den Winter kommen – „trotz der schwierigen Gemengelage“, so der Hauptgeschäftsführer der Konstanzer Handwerkskammer, zu dessen Kammerbezirk insgesamt mehr als 12.000 Betriebe gehören, die auf fünf Landkreise im Südwesten verteilt sind.
Die schwierige Situation ergebe sich aktuell gleich aus mehreren Krisen, vor allem aber aus den Folgen des Ukrainekriegs sowie nach wie vor aus der Pandemie. Es kommt zu Lieferengpässen, enormen Preissteigerungen für Energie, Rohstoffe und Materialien, die Inflation steigt, die Konsumenten kaufen weniger.
„Die ersten Monate in 2023 werden hart für das Handwerk.“
Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der Konstanzer Handwerkskammer
Selbst im Ausbauhandwerk, das aktuell noch gut gefüllte Auftragsbücher hat, rechnet man im kommenden Jahr mit weniger Arbeit, sagt Georg Hiltner und prognostiziert, dass die ersten Monate im kommenden Jahr für das Handwerk „hart und schwierig“ werden. Wie es bei knappen öffentlichen Kassen und sinkender Kaufkraft für das Handwerk im Bau-/Ausbaubereich weitergehe, sei schwer abzusehen. „Die Unsicherheit der Betriebe diesbezüglich zeigt sich allerdings deutlich in unseren Umfragen.“
Wie unsicher die Lage ist, beschreibt Sprecherin Carolin Deggelmann der BDS Universal-Bau GmbH: „Aufgrund gestiegener Bau- und Finanzierungskosten muss die Realisierung vieler Projekte auf den Prüfstand gestellt werden.“ Der Konstanzer Bauträger rechne zwar im Jahresverlauf mit einer Konsolidierung auf niedrigem Niveau, denn Wohnungen würden grundsätzlich benötigt und daher auch weiterhin gebaut werden. Jedoch wird aufgrund vieler Faktoren, derzeit insbesondere durch die aktuelle Rohstoffkrise, der Neubau von Wohnungen deutlich teurer.
Neben der bundesweiten Gas- und Strompreisbremse, die rückwirkend ab dem 1. Januar 2023 greifen soll, wird auch auf Landesebene versucht, den Betrieben unter die Arme zu greifen. So unterstützt Baden-Württemberg kleine und mittlere Unternehmen durch einen Liquiditätskredit mit vergünstigtem Zinssatz von 2,1 Prozent. Ein weiterer Baustein, den das Land ebenfalls auf den Weg gebracht hat, sind Krisenberatungen zur Energiekostenentlastung.
Konstanzer Handwerkskammer fordert nicht rückzahlbare Hilfen
In einer viertägigen Intensivberatung wird Betrieben bei der Beschaffung von Krediten und Förderungen geholfen. Das soll besonders für Soloselbstständige oder kleinere Unternehmen, die im Tagesgeschäft wenig Zeit haben, sich durch Förderrichtlinien und Hilfsprogramme zu lesen, hilfreich sein. Aus Sicht von Georg Hiltner reicht das aber noch nicht aus: Nötig seien rückwirkende, nicht rückzahlbare Hilfen. Denn die Betriebe sind wirtschaftlich zum Teil so stark belastet, dass sie gar nicht wissen, wie sie einen Kredit tilgen sollen.
„Es ist sehr schmerzhaft, wenn Familienbetriebe in der 4. oder 5. Generation kurz davor sind, aufzugeben – und das ohne Eigenverschulden.“
Georg Hiltner
79 Betriebsaufgaben im Jahr 2022
Wie sehr das Konstanzer Handwerk leidet, zeigen auch die Zahlen: Ende des Jahres zählte die Stadt 948 Handwerksunternehmen, zu Beginn des Jahres waren es noch 1.027. Besonders betroffen von Betriebsschließungen waren laut Handwerkskammerstatistik Fotograf:innen (neun Betriebe), Gebäudereiniger:innen, Kosmetiker:innen (jeweils sieben Betriebe), Fliesenleger:innen (sechs Betriebe) und Friseur:innen (fünf Betriebe). „Die Gründe für die Betriebsaufgabe werden uns leider meist nicht genannt, aber häufig ist die Suche nach Nachfolgern schwierig“, sagt Georg Hiltner.
Der Fachkräftemangel verstärke die derzeitige schwierige Lage dramatisch: „Dass Menschen teilweise mehrere Wochen auf Bau- und Ausbauhandwerker warten müssen, ist nicht erst seit der Energiekrise der Fall, sondern aufgrund einer knappen Personaldecke schon vorher ein großes Thema gewesen“, heißt es von der Konstanzer Handwerkskammer. Auch der Fachkräftemangel sei einer von mehreren Faktoren, der zu deutlichen Preisanstiegen bei den Handwerksleistungen führen würde.
Wie schwierig es ist, geeignete Auszubildende zu finden, weiß Andreas Mayer aus leidvoller Erfahrung. Der Installateur- und Heizungsbaumeister hat zusammen mit seinem Geschäftspartner Markus Müller vor 31 Jahren seinen eigenen Betrieb gegründet. Die Firma Müller und Meyer im Konstanzer Industriegebiet baut unter anderem Wärmepumpen und thermische Solaranlagen ein. „Uns fehlt es an qualifizierten Schülern, die Interesse an unserem Handwerk haben.“
Energetische Gebäudesanierung wird trotz steigender Preise nachgefragt
Der Einbau von Wärmepumpen sei komplex, da benötige man ein großes Fachwissen und ein gutes Verständnis der vielen Faktoren, die man als Handwerker beim Einbau mitbedenken sollte, sagt Andreas Mayer. Geeigneten Nachwuchs zu finden, sei auch deshalb so schwer, weil der Beruf des Anlagenmechanikers zu wenig beworben werde. Die Zukunft für seine Branche sieht indes gut aus: „Auch wenn man aufgrund von Lieferengpässen in China aktuell bis zu einem halben Jahr auf eine Wärmepumpe warten muss, wird alles rund um die energetische Gebäudesanierung trotz steigender Preise weiter nachgefragt werden“, so Andreas Mayer.
Anstieg der Azubis in „Energie-Berufen“ – außer in Konstanz
Um die Energiewende umzusetzen, sind Handwerker notwendig: Besonders die Bereiche Elektro und Sanitär, Heizung, Klima werden gefordert sein, heißt es von der Konstanzer Handwerkskammer. Tatsächlich zeigt sich kammerweit ein klarer Anstieg bei den Auszubildendenzahlen in den „Energie-Berufen“. In Konstanz stellt sich die Situation indes ganz anders dar: Die Zahl der Auszubildenden sinkt generell, die Tendenz gehe eher hin zum Studium, sagt der Hauptgeschäftsführer der Konstanzer Handwerkskammer.
Den Trend zum Studium junger Menschen bekommt Eugen Bücheler bisher nicht zu spüren. Im Gegenteil: Er hat aktuell einen Interessenten, der sich gerne bei ihm als Konditor ausbilden lassen möchte. Neben seinen zwei weiteren Konditoren ist „durch einen glücklichen Zufall“ die 27-jährige angehende Konditormeisterin Mara Schamberger wieder zurück in seiner Backstube. Sie hatte einst ein Praktikum bei ihm gemacht, das hat ihr so gut gefallen, dass sie danach eine Ausbildung zur Konditorin machte.
Nach mehreren Stationen in der Sterneküche – unter anderem im Adlon in Berlin oder im Konstanzer Restaurant Ophelia – beschloss sie, bei Eugen Bücheler einzusteigen. Derzeit baut das Team um den Koch und Unternehmer eine weitere Backstube aus, sie soll im Frühjahr in der Theodor-Heuss-Straße eröffnet werden. Vielleicht wird die junge Konditorin sie eines Tages übernehmen. Ein Lichtblick sei das, sagt Eugen Bücheler, „so lebt das Handwerk weiter“.
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