Im Minutentakt klingelt das Telefon. Ebenso häufig hört man das Klingeln der Tür, weil sie geöffnet wird. Kurz vor der Fasnacht herrscht im Fasnetmarkt Ideenreich in der Niederburg Hochbetrieb. „Das ist Normalität“, sagt Thorsten Friedrich entspannt – der Hektik der Geräusche zum Trotz. Dann reicht er einer Kundin Pins für den Fastnachtsumzug und geht kurz danach ans Telefon. „Das ist kein Problem. Hemdglonker haben wir von 104 bis 3XL da. Ich habe das ganze Lager voll damit“, sagt er zum Anrufer – und dann zu mir: „Die Hemdglonker werden uns nie ausgehen, solche Klassiker haben wir immer da.“
Die Fasnachtsvorbereitungen sind im Laden schon lange abgeschlossen. Bereits im Sommer 2022 haben die ersten Vereine Vorbestellungen aufgegeben, im Januar war dann der Startpunkt der alemannischen Fasnacht. Nach zwei mauen Corona-Jahren, in denen es dem Laden beinahe an den Kragen gegangen wäre – „es war echt schwierig“ –, läuft es dieses Jahr umso besser: „Es ist so viel los, wie noch nie“, sagt Friedrich, der den Laden in der Inselgasse bereits seit 15 Jahren führt.
Klinikum: „Wir rechnen mit einem noch höheren Aufkommen.“
Viel los ist rund um Fasnacht auch beim Konstanzer Klinikum: 30 Prozent mehr Patient:innen gab es am Schmotzigen Dunschtig vor Corona als an normalen Tagen. Die Hauptgründe für den Besuch in der Notaufnahme: Alkoholvergiftung, Stürze unter Alkohol und körperliche Auseinandersetzungen. Vor der Pandemie sorgte die Notfallpraxis am Klinikum für Abhilfe; in diesem Jahr entfällt die Unterstützung. „Wir rechnen daher also mit einem noch höheren Aufkommen“, erklärt Ivo Quack, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme am Klinikum Konstanz.
Mehr Patient:innen und das in einer Zeit, in der das Klinikum ohnehin mit personellen Engpässen zu kämpfen hat. „Für diese Tage werden alle Reserven mobilisiert“, sagt Quack. Über Fasnacht sind mehr Pfleger:innen und Ärzt:innen im Einsatz, auch ein Sicherheitsdienst wird engagiert. Der Chef der Notaufnahme ist selbst mit der Fasnacht aufgewachsen. Er stammt aus Weil am Rhein, hat dann auch Erfahrungen beim Kölner Karneval gesammelt. „Hier besuche ich gerne die lokalen Sitzungen und ab und zu einen Umzug“, sagt er.
Beruflich steht Quack und dem Klinikumsteam mit der Fasnacht nun eine Herausforderung bevor – nicht nur im Hinblick auf kurzfristige Verletzungen, „wir sehen mitunter schwere Verletzungen, die die Patient:innen auch lange nach Fasnacht beschäftigen.“ Für Fasnacht wünscht sich der Arzt, dass die Konstanzer:innen „viel Spaß haben, aber trotzdem verantwortungsvoll mit Alkohol umgehen.“ Sein Tipp: genug essen und zwischendurch auch mal Wasser trinken.
JuZe: „Prävention und Aufklärung bringen an dem Tag nichts.“
Bewaffnet mit 1500 Brezeln, 30 Kisten Wasser, 20 Kisten Apfelschorle und 20 Kisten Cola und Fanta ist das Team des Jugendzentrums (JuZe) am Schmotzigen Dunschtig in der Konstanzer Altstadt unterwegs. Die Aktion mit dem sperrigen Namen „Notfallprävention“ hat genau ein Ziel: Notfälle vermeiden. „Prävention und Aufklärung bringt an dem Tag nichts. Deshalb belehren wir niemanden und werten nicht, was da passiert“, sagt René Grüßer, Leiter des Jugendzentrums am Petershauser Bahnhof. Stattdessen soll mit Essen und Trinken eine gute Grundlage geschaffen werden.
Von neun bis 14.30 Uhr ist das Notfallpräventions-Team auf unterschiedlichen Routen unterwegs, die Rucksäcke voll mit Brezeln und Getränken. „Wenn das Erste, was der Magen an dem Donnerstag bekommt, Alkohol ist, dann geht schnell etwas schief“, sagt Grüßer. Das siebenköpfige Team des JuZe wird dabei von 13 ehrenamtlichen Helfer:innen und dem Team des Jugendtreff Berchen unterstützt. „Das ist auch die Aufgabe, die wir leisten können. Sich aus der Fasnacht komplett rauszuhalten, wäre nicht sozialraumorientiert“, sagt Grüßer. Seit 2017 ist das Team in dieser Form an Fasnacht unterwegs.
Dabei konzentriert sich das Notfallpräventions-Team vor allem auf die Nebenschauplätze, erklärt Grüßer: „Der Stephansplatz ist zum Beispiel sehr gut versorgt, ich finde die Zugänge deshalb wichtiger.“ Hier findet sich immer mal wieder jemand, der im Hauseingang liegen würde – und Hilfe benötige. Meist könne man mit etwas zu trinken und einer Brezel schon einige wieder aufpäppeln. „Man sieht auch die Entwicklungen, wenn man jemanden morgens versorgt und der gegen Mittag wieder munter auf den Beinen ist.“ In wirklichen Notfällen werden Sanitäter:innen zur Hilfe gerufen. Um 14.30 Uhr endet die Schicht des Teams, dann folgt der Familiennachmittag. Abends nochmal unterwegs sein, hält Grüßer nicht für sinnvoll: „Ab 18 Uhr ist der Pegel dann so hoch, da sind es sowieso nicht mehr wir.“
Polizei: „Jedes Jahr die gleichen Auswirkungen auf die Polizei“
Streitigkeiten aller Art – vor allem in Beziehungen, aber auch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Körperverletzungen und Raub oder Diebstahl – das sind die Delikte, mit denen die Konstanzer Polizei an Fasnacht rechnet. „Im Grunde hat die Fasnacht jedes Jahr die gleichen Auswirkungen auf die Polizei“, heißt es von Katrin Rosenthal, Pressesprecherin der Polizei Konstanz. Sie geht davon aus, dass nach der coronabedingten Pause mit einem erhöhten Andrang zu rechnen ist. „Und dementsprechend verstärkt auch mit den typischen, insbesondere durch reichlich Alkohol geförderten, Vorfällen.“
Um auf Fasnacht vorbereitet zu sein, gab es im Vorfeld Sicherheitsbesprechungen mit der Stadt, der Feuerwehr, dem Rettungsdienst und den Narrenvereinen. Wie in den vergangenen Jahren gibt es auch dieses Jahr wieder eine Videoüberwachung im Bereich Marktstätte und Stephansplatz. Die Polizei appelliert an einen maßvollen Konsum von Alkohol, um Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. „Alkohol schafft oft Streitlust – am besten hält man sich von sichtlich betrunkenen, aggressiven Menschen fern“, sagt Rosenthal. Lieber in Gruppen unterwegs sein statt alleine und aufeinander achten, damit man „vielleicht mal den angetrunkenen, streitlustigen Kumpel auf die Seite nehmen kann, ehe die Situation eskaliert.“
Blätzlebuebe: „Fasnacht lebt vor allem im Kleinen.“
Wenn Roland Scherer am Schmotzigen Dunschtig um sechs Uhr mit seiner Zunft, den Konstanzer Blätzlebuebe, am Stephansplatz losläuft, geht für ihn die Fasnacht so richtig los. Wenn die rund 80 Musiker:innen des Fanfarenzugs zu spielen beginnen – und damit das Wecken in der Stadt einläuten. „Das ist einfach ein Urknall, dieser Moment da loszulaufen ist etwas ganz Besonderes“, sagt der Zunftmeister.
Scherer ist in die Fasnacht hineingeboren, mit ihr aufgewachsen. Von der anderen Seeseite, aus Markdorf, stammend kam er für sein Studium nach Konstanz, ist seit 2007 bei den Blätz. Für ihn, wie auch die Zunft, spielt dabei das Brauchtum der traditionellen Fasnacht eine große Rolle: „Zusammen mit den Konstanzer Hansen sind wir die Brauchtumszunft in Konstanz, für uns ist es ein zentrales Element.“ Die Zunft ist mit rund 1.500 Mitgliedern die größte in Konstanz. „Im Gegensatz zu Junggesellenabschieden und dem Oktoberfest, wo man sich auch verkleidet, hat Fasnacht eine lange Tradition“, sagt Scherer.
Und diese Tradition bringt die Zunft vor allem an Fasnacht in die Stadt – nicht zuletzt mit dem traditionellen Blätz. Eine Verkleidung mit Tradition.
„Für viele Konstanzer Kinder ist es einfach wichtig, ein Blätz zu haben“, sagt Scherer. Wenn sie beim Blätzmarkt ihr erstes Blätz bekommen, „sieht man riesige strahlende Augen. Am liebsten würden sie es sofort anziehen.“ Das Häs bleibt bei Scherer bis zum Start der alemannischen Fasnacht am Dreikönigstag im Schrank. Wenn es nach dem Zunftmeister geht, dann soll nicht nur das Blätz, sondern auch die Haube dazu getragen werden. Zwar könne das geschulte Auge die Person darunter trotzdem erkennen – denn kein Blätz ist wie das andere –, dennoch gebe es einen anderen Umgang mit Leuten unter der Haube.
„Ein Narr darf auch mal was sagen, wenn etwas nicht passt. Ich bin zwar unkenntlich, das darf mich aber nicht zu Blödsinn verleiten. Der Narr hat auch eine Verantwortung“, sagt Scherer – und zitiert das Fasnachtsmotto: „Allen wohl und niemals weh.“
In diesem Jahr organisieren die Blätz gemeinsam mit der freien Narrengruppe, Konstanzer Keiler, die Fasnacht auf der Marktstätte. Als klar wurde, dass der Südkurier das nicht mehr übernehmen will, haben sich die Narren zusammengetan: „Es ist wichtig, dass dort Programm angeboten wird. Wir wollen die Fasnacht für die Familien auf der Marktstätte aufrechterhalten“, sagt Scherer. Dementsprechend mehr Planung stand für die Zunft in diesem Jahr auf dem Plan.
Überhaupt hat die Zunft für die Fasnachtstage viel Programm geplant: Wecken, Schulbefreiung, Familienfasnacht auf der Marktstätte, Jugendparty auf dem Stephansplatz, der Umzug am Sonntag, das Wurstschnappen am Montag, die Verbrennung am Dienstag – um nur ein paar zu nennen. „Das ist manchmal auch anstrengend, aber da sind wir selber schuld“, sagt Scherer.
Trotzdem, sagt Scherer, wollen sie dieses Jahr etwas langsamer machen, sich mehr Zeit zwischen den Programmpunkten nehmen: „Das haben wir aus unserer Fasnacht während Corona gelernt: Wir wollen weniger Programm machen und mehr mit den Leuten ins Gespräch kommen“, sagt er. Deshalb solle sich jede:r aus der Zunft auch die Zeit nehmen, um nicht nur bei den großen Veranstaltungen dabei zu sein, sondern abseits davon. Denn Scherer findet: „Fasnacht lebt vor allem im Kleinen.“
Ideenreich: „Wenn alle vernünftig sind und das Miteinander funktioniert, haben wir eine schöne Fasnacht.“
Zurück im Fasnetmarkt Ideenreich: Thorsten Friedrich ist Fasnachter durch und durch. Von klein auf immer dabei gewesen, seit 30 Jahren aktiv im Narrenverein. Wenn man ihn fragt, wie sich die Fasnacht seitdem verändert hat, dann sagt er: „Es ist immer mehr Mallorca.“ Und meint damit vor allem das Fasnachtstreiben auf der Marktstätte. Geht es um die Veranstaltungen der Vereine und Zünfte in den Kellern und Besenwirtschaften hingegen, hätte sich nicht so viel verändert. Er wünscht sich: „Wenn alle vernünftig sind und das Miteinander funktioniert, haben wir eine schöne Fasnacht.“
Als Friedrich sich vor 15 Jahren aus Liebe zur Fasnacht für die Eröffnung des Geschäfts entschieden hat, hat er sich dabei auf eins verlassen: sein Bauchgefühl. Das steht ihm auch heute noch zur Seite, wenn es darum geht, welche Kostüme er wohl für das nächste Jahr bestellen muss. Was die Kostüme angeht, gibt es in diesem Jahr keine klassischen Renner: „Es wird alles durch die Bank gekauft.“
Und wenn es ein Kostüm in seinem Laden mal nicht mehr geben sollte, macht Friedrich es meist doch noch möglich – auch kurz vor knapp. Kurz vor Fasnacht hat er seine Öffnungszeiten auf 11 bis 19 Uhr verlängert, der Laden ist auch am Schmotzigen, am Freitag und Samstag geöffnet. Jede:n seiner Kund:innen verabschiedet er dabei mit den Worten „Glückselige Fasnacht“ – egal ob im Laden, am Telefon oder beidem gleichzeitig.
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