Wohnraum für alle

Eine Wohnung in Konstanz zu suchen, ist für viele ein Graus. Denn bezahlbarer Wohnraum ist am Bodensee rar und begehrt. In den nächsten Wochen widmen wir uns einem neuen Schwerpunktthema: Wohnen.
  • In Konstanz ist bezahlbarer Wohnraum knapp und schwer zu finden. 
    • Architekt Fabian Ziltz kritisiert die langweilige Bauweise in Deutschland und lobt die Schweiz für ihre experimentellen Ansätze. 
    • Das Konzept des genossenschaftlichen Wohnens könnte die Wohnraumproblematik in Konstanz lindern. 
    • Wien wird als Vorbild im sozialen Wohnungsbau genannt, mit traditionellem, durchmischtem und qualitativem Ansatz. 
    • Konstanz plant diverse Bauprojekte, unter anderem das Grenzbachareal, den Stephansplatz und das Döbele-Areal, um mehr Wohnraum zu schaffen. 
    • Beteiligung der Bürgerschaft ist ein wichtiger Bestandteil der Stadtentwicklung, um den Bedürfnissen der Einwohner:innen gerecht zu werden. 

    Viele von uns kennen das: Wer in Konstanz eine Wohnung sucht, sucht lange. Und man muss schnell sein. Sehr schnell. Der 42-jährige Architekt Fabian Ziltz ist mit seiner Frau aus Berlin nach Konstanz gekommen und hat neun Monate gesucht. Er sagt:

    „Wir haben letztlich was Passendes zu finden nur über Vitamin B geschafft – über Empfehlungen von Freund:innen und Bekannten“.

    Wohnungen, wie hier im Paradies, sind in Konstanz Mangelware. I Fotos: Pauline Tillmann

    Am schlimmsten ist es, wenn man eine 4- oder 5-Zimmer-Wohnung für eine Familie mit zwei oder drei Kindern sucht. Denn die Nachfrage ist größer als der Markt hergibt. Ziltz lebte zehn Jahre in Berlin, seit Schwerpunkt als Architekt liegt auf dem Bau von Wohnungen. Seiner Meinung nach wird in Deutschland – im Vergleich zur Schweiz, Niederlande und Skandinavien – langweilig und eintönig gebaut. Am Ende gehe das auch auf Kosten der folgenden Generationen. Es fehle der Mut, guten Standard in zeitgemäßer, ökologischer Bauweise umzusetzen.

    „Die Schweiz, vor allem Zürich und Basel, sind da viel experimentierfreudiger – da wird auch mal was gewagt“,

    so Ziltz.

    Die zentrale Frage sei: In welche Richtung entwickelt sich eine Stadt nachhaltig und wie entstehen generationenübergreifende Räume?  In der Schweiz gebe es da schon gute Ansätze, weil viel mehr genossenschaftlich organisiert sei und damit das Potenzial besser genutzt werde: Was passiert, wenn die Kinder aus dem Haus sind und weniger Wohnraum benötigt wird?

    In Konstanz fällt es vielen schwer, ihre Wohnung aufzugeben, weil sie in zentraler Lage oft nichts Günstigeres finden. Gleichzeitig besteht ein großer Bedarf an bezahlbarem Wohnraum, insbesondere für Familien. Kurzum: ein Dilemma.  

    Was den sozialen Wohnbau betrifft, nennt der Architekt Wien als leuchtendes Vorbild. Die Gründe dafür sind vielfältig. Wir haben die wichtigsten gesammelt:  

    1. Lange Tradition: Wien hat eine lange Tradition im sozialen Wohnungsbau, die bis in die Zwischenkriegszeit zurückreicht. Bereits in den 1920er Jahren begann die Stadt mit dem Bau von Gemeindebauten, um die Wohnverhältnisse der Bevölkerung zu verbessern.  

    2. Hoher Anteil an sozialem Wohnungsbau: Etwa 60 Prozent der Wiener Bevölkerung lebt in geförderten Wohnungen. Dies umfasst sowohl Gemeindebauten (von der Stadt Wien verwaltete Wohnungen) als auch geförderte Genossenschaftswohnungen.  

    3. Architektonische Qualität: Der soziale Wohnungsbau in Wien legt großen Wert auf hohe architektonische und städtebauliche Qualität. Viele Gemeindebauten sind architektonisch ansprechend gestaltet und tragen zur Lebensqualität bei.  

    4. Soziale Durchmischung: Wien verfolgt das Prinzip der sozialen Durchmischung. Die geförderten Wohnungen sind über die ganze Stadt verteilt, wodurch Ghettobildung vermieden wird und unterschiedliche Bevölkerungsgruppen miteinander leben.  

    5. Leistbarkeit und Mieter:innenschutz: Die Mieten im sozialen Wohnungsbau sind im Vergleich zum freien Markt deutlich günstiger. Zusätzlich gibt es einen starken Miteter:innenschutz, der die Bewohner:innen vor extremen Mietsteigerungen und willkürlichen Kündigungen schützt.  

    6. Kontinuierliche Investitionen: Die Stadt Wien investiert kontinuierlich in den Bau und die Renovierung von sozialen Wohnungen. Dies stellt sicher, dass der Bestand an Wohnraum sowohl qualitativ hochwertig bleibt als auch den Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht.  

    7. Vielfältige Wohnformen: Wien bietet eine Vielzahl von Wohnformen im sozialen Wohnungsbau, einschließlich spezieller Angebote für ältere Menschen, junge Familien, Alleinerziehende und Menschen mit besonderen Bedürfnissen.  

    8. Umwelt- und Energieeffizienz: Viele soziale Wohnbauten in Wien sind energieeffizient und umweltfreundlich gestaltet. Dies trägt nicht nur zur Nachhaltigkeit bei, sondern senkt auch die Betriebskosten für die Bewohner:innen.  

    Wir in Konstanz können uns mit den gut 80.000 Einwohner:innen durchaus etwas von der österreichischen Hauptstadt Wien abschauen. Mit der steigenden Bevölkerungsanzahl und der wachsenden Nachfrage nach Wohnraum stehen die Stadtplaner:innen vor der Herausforderung, bezahlbaren und modernen Wohnraum zu schaffen. Wohnbauentwicklung ist daher ein zentrales Thema, dem sich eine Reihe aktueller Bauprojekte widmet.  

    Überblick über aktuelle Bauprojekte in Konstanz 

     1. Grenzbachareal  

    Das Grenzbachareal, das ehemalige Technologiezentrum, wird umgestaltet. Das Ziel ist es, einen kreativen und vielfältigen Ort zum Wohnen, Leben und Arbeiten zu schaffen. Von April bis Juli 2021 gab es ein Planungsverfahren mit drei Planungsbüros, örtlichen Fachleuten, Nachbar:innen und interessierten Bürger:innen.  

    Das Ergebnis: ein Konzept, das unterschiedliche Aspekte einbezieht und seit 2022 für eine Zwischennutzung von unterschiedlichen Einrichtungen genutzt wird: darunter eine städtische Kindertageseinrichtung, das Café Mondial, die Kunstschule Konstanz sowie Büro- und Lagerflächen. In den nächsten Jahren soll sich das Areal sukzessive mit Wohn-, Arbeits-, Gewerbe- und Kulturflächen füllen. Geplant sind 400 Wohneinheiten, darunter auch sozialer Wohnungsbau.  

    2. Neugestaltung des Stephansplatzes 

    Die Stadt Konstanz plant für den Stephansplatz umfangreiche Umgestaltungsmaßnahmen. Ziel ist es, den Platz attraktiver und funktionaler zu gestalten und dabei historische bzw. städtebauliche Aspekte zu berücksichtigen. Geplant sind neue Sitzgelegenheiten, Grünflächen und eine verbesserte Verkehrsanbindung, um den Platz zu einem lebendigen Treffpunkt zu machen.  

    Ende April wurde der aktuelle Planungsstand und das weitere Vorgehen im Technischen Ausschuss und Umweltausschuss vorgestellt. Die Umsetzung beginnt 2025, wie in hier zu lesen ist. Der Prozess läuft seit 2021. Mit dem fertiggestellten Fernbusbahnhof Europabrücke ist es unter anderem möglich, 60 Stellplätze vom Stephansplatz an den Döbele zu verlagern.  

    3. Bahnhofsplatz  

    Der Bahnhofsplatz ist seit Monaten eine riesige Baustelle.

    Der Bahnhofplatz in Konstanz wird umfassend umgestaltet, um die Aufenthaltsqualität zu verbessern und die Verkehrsführung zu optimieren. Geplant sind ein neuer zentraler Busbahnhof, bessere Fahrradabstellmöglichkeiten sowie neue Grünflächen. Das Projekt will den öffentlichen Raum attraktiver machen.

    Zentral ist dabei: den Verkehr zu optimieren und die Mobilität von Fußgänger:innen und Radfahrer:innen zu fördern. Dabei spielt ein sogenannter Mobilpunkt eine besondere Rolle, der unter anderem Fahrradabstellanlagen, Fahrradverleihstationen und Carsharing-Stellplätze berücksichtigen soll.  Der Umbau erfolgt in sieben Bauabschnitten und beginnt mit dem Kreisverkehr vor dem Lago-Center.

    Der gesamte Umbauprozess erstreckt sich über mindestens zweieinhalb Jahre. Ein zentrales Element ist die fast vollständige Barrierefreiheit am Haupteingang des Bahnhofsgebäudes. Besonders ältere und gesundheitlich eingeschränkte Menschen werden von der Einebnung des Platzes profitieren. Das ganze Areal umfasst. 7.500 Quadratmeter.  

    4. Döbele-Areal 

    Die heiße Phase in puncto Umgestaltung am Döbele startet erst 2026.

    Auf dem heutigen Döbele-Parkplatz entsteht ein neues Wohnquartier. Das Projekt umfasst nicht nur Wohnraum, sondern auch Bereiche für Erholung und Freizeit. Ziel ist es, ein lebenswertes Stadtviertel zu schaffen, das den aktuellen und zukünftigen Anforderungen gerecht wird. Die Neugestaltung des Döbele läuft bereits seit 2013.  

    Wir haben 2023 im karla Magazin darüber berichtet, wie der aktuelle Stand des Projekts ist. Der Bau soll 2026 endlich beginnen. Geplant sind Wohnanlagen mit Grünflächen und ein Mobilitätshaus. Allerdings gibt es Bedenken aufgrund seiner Größe. Insgesamt sollen 250 Wohneinheiten entstehen, wobei die Hälfte für geförderten Wohnungsbau vorgesehen ist. 

    Verbesserte Infrastruktur  

    Neben den großen Bauprojekten investiert die Stadt Konstanz kontinuierlich in die Verbesserung der städtischen Infrastruktur. Dazu gehören der Ausbau von Verkehrswegen, die Modernisierung öffentlicher Einrichtungen und die Förderung nachhaltiger Mobilität. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf umweltfreundlichen Verkehrsangeboten wie Radwegen und Car-Sharing-Systemen, um den Autoverkehr zu reduzieren und die Lebensqualität zu erhöhen. 

    Ein wichtiger Bestandteil der Stadtentwicklung in Konstanz ist die Beteiligung der Bürgerschaft. Dies war unter anderem beim Grenzbachareal, aber auch beim Döbele der Fall. Grundsätzlich ist dieser Ansatz begrüßenswert, weil sich die Stadtentwicklung zentral an den Bedürfnissen und Wünschen der Einwohner:innen orientieren sollte. Nur so ist es überhaupt möglich herauszufinden: Was brauchen die Menschen in Konstanz? Wie möchten sie in Zukunft leben?  

    Als interessantes Beispiel von Konzeptverfahren bei Grundstücksvergaben empfiehlt Architekt Fabian Ziltz das Modellquartier „Am Horn“. 60 Prozent der geplanten Wohnungen sollen für Baugemeinschaften zur Verfügung stehen. Bei den Bewerbungen haben solche Konzepte die besten Aussichten, die sich eng an den nachhaltigen Qualitäten des Planungshandbuchs orientieren. Bis Ende August widmen wir uns weiteren Facetten des Schwerpunktthemas Wohnen und wollen auch das „Handlungsprogramm Wohnen“ der Stadt Konstanz genauer unter die Lupe nehmen. 

    Beim karla Magazin sind wir eine kleine Redaktion mit drei Teilzeit-Mitarbeiter:innen. Das heißt, wir haben begrenzte Ressourcen. Sehr viel größer ist die Redaktion von ZEIT ONLINE mit 150 Journalist:innen. Immer wieder sorgt die Redaktion mit ihren datenjournalistischen Projekten unter der Leitung von Julius Tröger für Aufsehen, wurde dafür auch schon zahlreich ausgezeichnet.  

    Ein Projekt wurde kürzlich veröffentlicht und passt extrem gut zu unserem Wohn-Schwerpunkt. Die Analyse ist zwar nur für Bezahlkund:innen einsehbar, aber vielleicht trotzdem interessant für die eine oder den anderen. Es geht um den Vergleich von Mieten in ganz Deutschland – und auch wie diese Mieten in den vergangenen Jahren gestiegen sind. Große Leseempfehlung!