Fahrradfahrer:innen biegen in die Schützenstraße, während die Buslinie 1 über den Döbelekreisel fährt. Paradiesler:innen sind auf der Suche nach einem Anwohner:innenparkplatz, der Flixbus steht bereit zur Reise Richtung München und Wohnmobilurlauber:innen aus Norddeutschland machen noch einen Halt, bevor es in die Schweiz geht. Der Döbeleplatz ist ein zentraler Ort in Konstanz. Schon 1905 gab es bereits Pläne der Stadt zur Bebauung des Platzes. Paul Jordan hatte damals dem Gemeinderat vorgeschlagen, zwei Baublöcke auf dem Platz zu bauen. Und heute, knapp 120 Jahre später, ist der Platz nach wie vor ein Knotenpunkt der Stadt, bestückt mit einer riesigen Asphaltfläche mit Parkplätzen, obwohl Konstanz autoarm sein will. Allein wegen seiner Lage ist der Döbeleplatz ein attraktiver Ort, um dort zu leben: nah an der Innenstadt und damit nah an Einkaufsmöglichkeiten, Apotheken, Ärzt:innen und Gastronomie.
Die Idee
„Aufgrund seiner zentralen Lage und seiner Größe stellt das Döbele im Handlungsprogramm Wohnen eine wichtige Fläche mit hohem Entwicklungspotential dar. Neben der Schaffung des in Konstanz dringend benötigten Wohnraums trägt die Entwicklung des Döbele zur Erreichung des Ziels einer autoarmen Innenstadt bei“,
so heißt es in der Beschlussvorlage der Stadt zur Bebauung des Döbele.
So weit so gut. Die Idee der Stadt ist es, den Döbeleplatz in das Wohngebiet Paradies einzugliedern und einen Wohnraum zu schaffen, der soziales Miteinander fördert. Als Paul Jordan, Architekt, Stadtplaner und kommunaler Baubeamter die zwei Baublöcke vorschlug 1905 die zwei Baublöcke vorschlug, war seine Idee gar nicht so weit von dem entfernt, was heute gebaut werden soll: Im aktuellen Lageplan sind mehrere Wohnanlagen vorgesehen, dazwischen Grünflächen und ein Parkhaus.
Wann geht’s endlich los?
„Die Bebauung am Döbele zieht sich wie Kaugummi. Den ersten Workshop gab es vor zehn Jahren und damals wurde der Eindruck erweckt, dass es bald schon losgeht“,
berichtet Peter Müller-Neff, der sich bei der Freien Grünen Liste im Ausschuss für Technik und Umwelt engagiert.
Dass sich die Bebauung am Döbele zieht, hat unterschiedliche Gründe. Die Beschaffung des Bodens ist zum Bauen nicht so leicht, Anliegen von Anwohner:innen müssen berücksichtigt werden und lange Zeit war nicht klar, inwiefern durch den Grenzbach Hochwassergefahr besteht. Der Artenschutzbericht wurde erneuert und zur Freude vieler können die Bäume am Döbele erhalten bleiben.
Bis Mitte dieses Jahres soll der neue ZOB im Brückenviertel fertiggestellt werden, sodass dann beispielsweise Flixbusse nicht mehr den Döbele anfahren. Wann die Bebauung am Döbele selbst dann tatsächlich startet, hängt vom Straßenbau ab, der als Nächstes ansteht.
Mit den Hochbauten könne laut Jochen Friedrichs, der von der Stadt für das Projekt zuständig ist, frühestens 2026 begonnen werden. Die Stadt versuche, die Vergabe des geförderten Wohnungsbaus und der Flächen für Baugemeinschaften so zu koordinieren, dass sie eng aufeinanderfolgen und dass die Bauzeit möglichst kurz gehalten werden könne. Die Vergabe der Grundstücke ist für nächstes Jahr geplant.
Das neue Mobilitätshaus
Momentan bietet der Döbeleplatz eine der wichtigsten Parkmöglichkeiten in Konstanz und das soll auch so bleiben. Mit einem sogenannten Mobilitätshaus können Tourist:innen und auch Anwohner:innen weiterhin parken. Hier beginnen die ersten Bauchschmerzen der Anwohner:innen, denn das Mobilitätshaus ist mit 25 Metern Höhe, 53 Metern Breite und 33 Metern Tiefe geplant. Harald Kühl, der seit 2004 direkt am Döbelekreisel wohnt, ist für die Bebauung des Platzes und steckt viel Hoffnung in das Projekt. Allerdings empfindet er das Mobilitätshaus als eine Frechheit.
„Mich hat es echt geschüttelt, als ich von den Ausmaßen des Parkhauses gehört habe. Das ganze Mobilitätshaus zu nennen, nur weil da ein paar E-Lastenräder Platz haben, das finde ich, gelinde gesagt, frech.“
Harald Kühl
Die Verkehrssituation zwischen Döbele und Grenzbach soll in Zukunft mit einer Ampel gelöst werden. Dem stehen einige skeptisch gegenüber, zum Beispiel Mitglieder der Freien Grüne Liste. „Kreisverkehre versagen in Überlastungssituationen. Das kann man mit einer Ampel besser regeln. Wir haben die zukünftige T-Kreuzung auf Leistungsfähigkeit geprüft“, entgegnet Jochen Friedrichs.
Eine soziale Nachbarschaft
Neben dem Parkhaus soll vor allen Dingen neuer Wohnraum entstehen.
„Mir ist wichtig, dass dort eine schöne Nachbarschaft entstehen kann. Es stecken riesige Chancen in diesem Projekt, aber am Ende reden wir leider immer über die Parkplätze“,
sagt Friedrichs.
Er wünscht sich eine soziale Nachbarschaft und setzt sich aktiv damit auseinander, was jungen Menschen wichtig ist. Friedrichs strebt Gemeinschaftsflächen und gegenseitige Unterstützung zwischen Jung und Alt und zwischen Familien an. „Leider fällt das in vielen Diskussionen hinten runter.“ Um jungen Menschen und Familien gemeinschaftliches Wohnen zu ermöglichen, ist in den meisten Fällen erst einmal eine bezahlbare Miete das A und O.
Die leidige Frage nach bezahlbarem Wohnraum
Geht das in Konstanz, in dieser Lage überhaupt noch? „Eine junge Familie kann sich das Wohnen am Döbele nicht leisten, nein. Schauen Sie sich den Laubenhof an, das ist absurd. Bei der WOBAK kostet der Quadratmeter maximal 10 Euro. Da fangen private Eigentümer gar nicht erst an. Da geht’s ab 15 Euro los“, bringt Anne Mühlhäußer der Freien Grünen Liste an. Die Stadt möchte überteuerten Mietpreisen entgegentreten: Baugemeinschaften, die ein Konzept vorlegen, das nachvollziehbar Spekulationsfreiheit nachweist, sollen Vorteile bei der Vergabe der Grundstücke haben. „Das hat zwar keinen Einfluss auf die Baupreise am Döbele, wohl aber langfristig auf die Preise für Wohnen in Konstanz“, erklärt Friedrichs.
Die Stadt Konstanz sieht für die Wohnflächen am Döbele spekulationsfreien Wohnraum vor. Das bedeutet, dass aus den Mieten der Wohnungen niemand Profit schlagen darf. Anders als bei Baufirmen und Hausverwaltungen fließen Investitionen in Form von Geld wieder an die Mitglieder der Genossenschaft und Bewohner:innen zurück.
Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum wird voraussichtlich auch in Kooperation mit der WOBAK geregelt. 50 Prozent der Wohnungen sind für geförderten Wohnungsbau vorgesehen. „Die restlichen Flächen werden in kooperativer Entwicklung mit und für Baugemeinschaften, Baugenossenschaften oder anderen sozial- und gemeinwohlorientierten Bauträgern unter Anwendung des offenen Konzeptvergabeverfahrens entwickelt“, heißt es in der Beschlussvorlage der Stadt. Insgesamt sollen am Döbele 250 Wohneinheiten entstehen.
Klimawandel und Bauen
Durch den Klimawandel wachsen die Anforderungen an den Bausektor. Das führt zu steigenden Preisen – noch größere Preistreiber sind aber die steigenden Rohstoffpreise für Bauholz und Betonstahl. In Kombination mit Lieferengpässen werden heutige Baustellen nicht nur teurer, sie ziehen sich auch in die Länge. Als Stadt, die den Klimanotstand ausgerufen hat, drängt sich die Frage auf, wie sich das Projekt mit der Klimapolitik vereinbaren lässt.
Dafür hat die Stadt 10 Handlungsfelder definiert, um „smart“ zu wachsen. Suffizienz ist eines der Konzepte, das sich die Stadt für den Wohnbau wünscht. Es geht dabei darum, dass Baukosten reduziert werden sollen, das Nutzungsangebot aber gleich bleibt. Die Idee ist ähnlich wie bei Genossenschaften: geringere Privatflächen, mehr Gemeinschaftsräume und dadurch auch insgesamt ein geringerer Flächenverbrauch. So entstehen flexible Grundrisse und die Wohnfläche kann entweder durch Umbau oder Mobilität genutzt werden.
Das kommt letztlich auch dem Klima zugute, auch wenn Bauen ganz generell gesehen nie klimafreundlich sein kann. Die momentane Asphaltfläche macht es der Stadt leicht, sich zu verbessern. Durch Solaranlagen auf den Dächern und grüne Zwischenflächen können zumindest klimafreundlichere Areale entstehen.
Die Bedeutung für die Anwohner:innen
Die Anwohner:innen rund um Harald Kühl sind zuversichtlich, dass sich die neuen Wohnungen und deren Mieter:innen in die Nachbarschaft eingliedern können. Aber: „Was mir Bauchschmerzen bereitet, sind der Baulärm und der Baustellenverkehr, die sich sicher hinziehen werden. Hinzu kommt die Beschaffenheit des Bodens am Döbele: Wir bemerken heute selbst bei kleinen Bauarbeiten – zum Beispiel bei der Ausbesserung der Gehwege – schon Erschütterungen. Wenn unsere Häuser Schaden nehmen: Wer kommt dafür auf?“, sagt Harald Kühl.
Die Stadt hat den Anwohner:innen die Bezahlung von möglichen Schäden zugesagt. Nur, bei so vielen unterschiedlichen Baugemeinschaften und Grundstückseigentümern – wer fühlt sich dann tatsächlich verantwortlich und übernimmt die Kosten?
Die Baugemeinschaft Wohnwerkstatt entscheidet sich gegen eine Bewerbung
Eine Konstanzer Baugemeinschaft ist die Wohnwerkstatt. Ihr Konzept hat viele Übereinstimmungen mit den Planungen der Stadt, nämlich kleinere Privaträume, dafür Platz für Gemeinschaftsflächen, soziale Durchmischung, Begegnungsräume wie ein Café, in dem auch Veranstaltungen stattfinden können. Warum bewerben sie sich dann nicht für das neue Döbele-Quartier? „Wir haben uns für die Christiani-Wiesen beworben, weil die Planungen für das Projekt schon viel weiter fortgeschritten sind. Wir finden das Gebiet mit der Nähe zum Lorettowald, Hörnle und Therme interessanter. Deshalb haben wir dort ein Konzept eingereicht und möchten uns auch auf dieses Projekt fokussieren“, sagt Ralf Hartmann, Mitglied der Wohnwerkstatt.
Grundsätzlich findet Vorstandsmitglied Gregor Gaffga, dass das Projekt eine richtige Richtung einschlägt. Wenn auf dieser Fläche attraktiver und vor allem bezahlbarer Wohnraum entstehe, dann sei das eine gute Sache. Interesse am Döbele-Quartier hat im Gegenzug die Genossenschaft Wohnprojekt Konstanz angemeldet. „Wir möchten Stadtentwicklung mitgestalten. Unser Ziel ist es, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und den Spekulationsobjekten wirklich nachhaltige Lösungen entgegenzusetzen. Das Wohnen der Zukunft könnte auf dem Döbeleareal ein Gesicht bekommen“, erklärt Sylvia Machler aus der Projektentwicklung ihre Intention. Welche Konzepte am Döbele tatsächlich umgesetzt werden, entscheidet sich nach den aktuellen Plänen erst im Jahr 2025.
Der Kaugummi ist noch nicht durchgekaut
Bis Mitte April 2023 konnten Anwohner:innen Wünsche und Sorgen zum Projekt der Stadt mitteilen. Diese sollen in der nächsten Phase nun angehört und berücksichtigt werden. „Je länger wir daran planen, desto besser wird’s. Auch für die Umwelt ist das gut“, sagt Friedrichs und merkt an, dass sich die aktuellen Pläne möglicherweise noch nach hinten verschieben könnten. Eins ist aber klar: Das neue Döbele-Quartier wird kommen und dürfte, nach aktuellem Kenntnisstand, eine Bereicherung für die Stadt werden. Nochmal 10 Jahre sollte es allerdings nicht dauern.
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