Als das Stadlerhaus in der Konstanzer Altstadt vor mehr als einem Jahr fast abbrannte, war das ein Schock für viele Konstanzer:innen. Weil das Jugendstilgebäude, erbaut Anfang des 20. Jahrhunderts, eines der prachtvollsten Häuser in einer an prachtvollen Häusern nicht armen Konstanzer Altstadt ist. Und weil die Zollernstraße, in der das Gebäude liegt, als beliebter Rückzugsort für Konstanzer:innen gilt, wenn sie sich vom Altstadtansturm der Tourist:innen im Sommer kurz erholen wollen. Nicht wenige haben das Gefühl, dass die Stadt zumindest hier noch ein bisschen ihnen gehört.
Wobei das wahrscheinlich eher eine gefühlte als eine faktische Wahrheit ist. Denn das Stadlerhaus ist auch deshalb über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, weil hier ein nobles Einrichtungshaus seine exquisiten Waren anbot – zumindest bis zum Brand am 25. Juli 2024. Aktuell ist das Gebäude eine große Baustelle. Das Feuer, verursacht durch einen technischen Defekt an einem Kabel, zerstörte das Hinterhaus und den Verbindungsbau vollständig. Das denkmalgeschützte Vorderhaus wurde schwer beschädigt, konnte aber dank einer inneren Brandwand und eines viertägigen Einsatzes der Feuerwehr vor der vollständigen Zerstörung bewahrt werden.

Kurz nach dem Brand war der Fotograf im Haus
Markus Brenner, Fotograf, Licht- und Videokünstler aus Konstanz, hat das Geschehen damals mit eigenen Augen beobachtet:
„Direkt nach dem Feuer stand ich fassungslos vor dem einstigen Verlagsgebäude“, erinnert sich Brenner.
Durch einen glücklichen Zufall konnte er nach dem Ende der Löscharbeiten in das Haus. „Als Versicherungsfotograf“, sagt Brenner. Die Szenen, die sich vor ihm ausbreiteten, nennt er „schrecklich und schön zugleich. Paradox, faszinierend“. Ihm sei gleich aufgefallen, welche Gegensätze hier visuell aufeinandertrafen: „Totaler Verlust, verbrannter Alltag hier, poetische Szenen und filmisch anmutende Inszenierungen da, wie für die Kamera gemacht.“
This is Not the End: Die Ausstellung von Markus Brenner und Jörg Hundertpfund ist noch bis zum 16. November 2025 in der Kunstbaustelle Stadlerhaus in Konstanz zu sehen. Der Ausstellungsort liegt in der Zollernstrasse 10. Eingang durch die Baustelle, zirka drei Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt.
Öffnungszeiten:
Do & Fr: 17-20 Uhr
Sa, So & Feiertag: 11-17 Uhr
Eintritt:
5 Euro, Kinder unter 12 Jahren frei; weitere Details auch über die Website der Ausstellung.
Dass aus seinen Aufnahmen nun ein Kunstprojekt wurde, hat wiederum mit glücklichen Fügungen zu tun. Dem Hauseigentümer, der Verlegerfamilie Stadler, ist daran gelegen, dass bald wieder Leben ins Haus zieht. Die Konstanzer Crescere Stiftung interessiert sich für Kunst und Kultur und stellte Mittel für die Realisierung einer Ausstellung bereit. Markus Brenner schließlich, der sich schon seit Jahren für mehr zeitgenössische Kunst in seiner Heimatstadt einsetzt, nutzte die Chance, um nach vielen theoretischen Überlegungen, wie mehr aktuelle Kunst in Konstanz gezeigt werden könnte, nun ein praktisches Beispiel liefern zu können.

Die Ausstellungsreihe soll durch die Stadt wandern
Unter dem etwas sperrigen Titel „constance contemporary“ erdachte Markus Brenner eine Ausstellungsreihe, die künftig verschiedene Orte in Konstanz bespielen soll. Der Auftakt mit den eigenen Fotos in dem beinahe verlorenen Gebäude drängte sich quasi von selbst auf. „This is Not the End“ heisst die Ausstellung, die Brenner aber nicht alleine bestreitet, sondern gemeinsam mit dem Gestalter und Professor für Produktdesign Jörg Hundertpfund. Der stammt ebenfalls aus Konstanz, ist inzwischen aber Professor an der Fachhochschule Potsdam und lebt in Berlin. Im Stadlerhaus zeigt er jetzt Studien von Stühlen, auf denen man nur schwer sitzen kann – ziemlich passend in einem ehemaligen Möbelhaus.
Aber natürlich sind Brenners Fotografien zunächst die Zugpferde dieser Ausstellung. Die Lust an der Katastrophe und die Neugier auf die beinahe vom Feuer vernichteten Räume sollen die Menschen in Scharen auf die Baustelle bringen. Und bei allen Vorbehalten, die man haben kann – zum Beispiel die Frage, ob es nicht irgendwie pietätlos ist, den Ort einer Beinahe-Katastrophe zum Kunstort zu stilisieren –, muss man schon auch sagen: Markus Brenners Fotografien sind so fantastisch, dass es schade gewesen wäre, sie nicht einer größeren Öffentlichkeit zu zeigen.

Ist es pietätlos, einen Brandort in einen Kunstort zu verwandeln?
Er habe bewusst keine verkohlten Möbelgerippe in ausgebrannten Zimmern fotografiert, sagt Brenner, wenn man ihn auf einen Voyeurismusverdacht anspricht. „Mich haben vielmehr jene Räume interessiert, in denen das Feuer nicht direkt gewütet hat, in denen die Katastrophe, das Unheil jedoch spürbar wird“, so der Fotograf. Er habe den Brandgeruch sichtbar machen wollen, sagt er noch. Das gelingt ihm in seiner Ausstellung ziemlich gut.
Die Aschepigmente in der Luft, die das Licht trüben; eine beinahe impressionistische Detailaufnahme aus rostig-orangenen bis braunfarbenen Tönen; die zerrissenen Folien vor einem Fensteroberlicht, die wie gemalt wirken. Interessant ist die Schau auch, weil Brenner sie so aufgebaut hat, dass sich Besucher:innen-Perspektive und Fotografen-Perspektive teilweise decken. Das erlaubt den Betrachter:innen eine kleine Zeitreise in ein Davor und ein Danach.

Kurz vor kitschig noch mal abgebogen
Läuft man jetzt durch die Ausstellung, merkt man, was für ein gutes Auge Brenner für seine Motive hatte und wie meisterhaft er die Stimmungslage vor Ort eingefangen hat: ein Möbelausstellungsraum, der irgendwie unberührt und doch gleichzeitig total verwüstet aussieht; eine kunstvoll geschmolzene Lego-Installation auf einer Kommode; sowie ein golden schimmernder Spiegel über einer mystischen Dunkelheit aus verrußten Fliesen, kalten Schwarzblautönen und einem kleinen Stahlwaschbecken, aus dem jederzeit das Grauen herausgekrochen kommen könnte. Brenner zeigt das Porträt eines Horrorszenarios, durchbrochen vom goldenen Schimmer des Spiegels – ganz kurz vor kitschig, aber eben rechtzeitig abgebogen in Richtung kunstvoll.
Das Foto steht gewissermaßen prototypisch für den Ausstellungstitel „This is Not the End“. Selbst in einem verheerenden Feuer kann ein Neuanfang stecken. Wenn man so will, ist Brenners Serie auch eine Durchhalteparole an uns alle in diesen manchmal schwer zu ertragenden Zeiten voller Krisen und Katastrophen: „Gebt nicht auf, glaubt an das Gute – auch aus der Düsternis kann neues Licht entstehen!“

Stühle gegen das Pathos
Um jetzt nicht vollkommen dem Pathos zu erliegen, erweist es sich als kluge Entscheidung der Ausstellungsmacher:innen, Brenners Fotografien nicht alleine stehenzulassen, sondern sie mit Arbeiten des Künstlers und Produktdesigners Jörg Hundertpfund zu ergänzen.
So konkret, poetisch und wimmelbildartig Brenners Aufnahmen sind, so abstrakt, kühl und clean sind die Studien des Wahlberliners über Stühle. Alle Stühle sind schwarz, haben vier Beine und eine Lehne. Aus diesem Grundrezept kreiert Hundertpfund eine Vielzahl von Varianten, die vor allem eines verbindet: Die ursprüngliche Funktion eines Stuhls – darauf zu sitzen – wird möglichst erschwert.
„Eigentlich ist ein Stuhl ein Stuhl“, sagt Hundertpfund, „aber mich interessierte an dieser Arbeit vor allem die nicht eigentlichen Funktionen von Stühlen“. Denn: Selbst etwas mit einer so klaren Funktionalität ausgestattetes wie ein Stuhl könnte theoretisch auch etwas ganz anderes sein. Der Ausstellungstitel „This is Not the End“ bekommt hier noch einmal eine ganz andere Ebene.

Führt die Ausdifferenzierung zum totalen Bedeutungsverlust?
Bedeutung ist in diesem Sinne nie festgeschrieben, sondern immer Verhandlungsmasse. Alles kann so oder so sein. In einer Welt der Unsicherheiten und Desinformationen ist das eine Erfahrung, die wir alle beinahe täglich machen. Hundertpfunds Arbeit ist allerdings kein Kommentar zur aktuellen Gegenwart – beziehungsweise, sie war nicht als solcher gedacht, schließlich entstand sie bereits Anfang der 2000er-Jahre.
Was der Künstler damals eher im Sinn hatte, war, anhand eines Gebrauchsgegenstands zu zeigen, dass man diesen zwar beinahe unendlich variieren kann, ihn damit aber auch seiner eigentlichen Bedeutung beraubt.
„Und das führt nicht nur auf dem Feld der Kunst, sondern allgemein zu einem Verlust eines wesentlichen Aspekts, nämlich Originalität. Wenn bereits alles gesagt ist, mangelt es an Überraschungen“, schreibt Hundertpfund über seine Stuhlstudie.
Am deutlichsten wird dies in einer Aufnahme, in der Hundertpfund seine sehr individuellen Stühle in einer in mehrere Quadrate aufgeteilten, militärähnlichen Anordnung zeigt. Es wirkt plötzlich wie eine bedrohliche Armee aus Stühlen. Die Einzigartigkeit des einzelnen Modells löst sich in der Masse auf. Originalität und Individualität sind in dieser Perspektive nur Scheinriesen, die im Grunde nicht existieren. Ganz gleich, ob man der These zustimmt oder nicht – in seiner Radikalität ist das erst einmal eine Ansage.

Radikal und versöhnlich zugleich
Wer nicht mit diesem Gefühl die Ausstellung verlassen möchte, dem sei an dieser Stelle eine Rückkehr in den Raum mit Markus Brenners Fotografien empfohlen. Betrachtet man sie nämlich unter dem Eindruck von Hundertpfunds Arbeiten erneut, tragen sie plötzlich eine noch versöhnlichere Milde und Wärme in sich.
Die Botschaft: Ganz gleich, was du gerade tust, ganz gleich, wie gross sich die Katastrophe anfühlt, die du gerade erlebst – irgendwo da draussen ist immer ein Lichtschimmer. Du musst ihn nur finden.
Dieser Text ist zuerst bei thurgaukultur.ch erschienen. thurgaukultur.ch ist die Plattform für Veranstaltungen und Kultur im Thurgau und den angrenzenden Regionen. Unser Autor Michael Lünstroth ist dort Redaktionsleiter.
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