Als ich den neuen Stundenplan meines Sohnes gesehen habe, musste ich zweimal leise seufzen – einmal für ihn, einmal für mich. Denn mit dem neuen Schuljahr hat er nun jeden Tag zur ersten Stunde Unterricht. Das bedeutet: Unterrichtsbeginn um 7:45 Uhr. Jeden Tag. Das war an der Grundschule deutlich gemütlicher.
Für uns folgt daraus: Der ganze Familienrhythmus schiebt sich um etwa eine Stunde nach vorne. Ist schon okay, wir werden das überstehen, aber es stellt sich dabei ganz grundsätzlich die Frage, wie sinnvoll der frühe Unterrichtsbeginn wirklich ist.
Was Studien dazu sagen
Die Debatte wird seit Jahrzehnten immer wieder neu geführt. Zahlreiche Studien sprechen längst dafür, dass es für Kinder viel besser wäre, später in den Unterricht zu starten. Untersuchungen aus den USA zeigen beispielsweise, dass ein späterer Start in den Schulunterricht nicht nur gut für die Gesundheit der jungen Menschen ist, sondern dass ein späterer Beginn auch die Leistung verbessern kann.
So wies eine Studie aus dem Jahr 2018 nach, dass nach einer Verschiebung des High-School-Beginns um 55 Minuten Schlafdauer, Anwesenheit und Notendurchschnitt der Schülerinnen und Schüler signifikant zunahmen.
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Ob sich die Leistung wirklich verbessert, ist unklar
Ehrlicherweise muss man aber auch sagen: Jüngere Studien sehen das nicht ganz so eindeutig. Ein späterer Start in den Schulmorgen verlängert demnach zwar die nächtliche Schlafzeit, aber die Effekte auf die Leistung der Schüler:innen sind nicht eindeutig oder in den ersten zwei Jahren nur wenig ausgeprägt. Verbesserter Schlaf führt also nicht automatisch zu deutlichen akademischen Gewinnen. Zudem sind die Wirkungen je nach Altersgruppe verschieden – manche Gruppen profitieren, andere kaum.
Ein weiterer Kritikpunkt, der an einem späteren Schulstart regelmäßig geübt wird, ist die komplizierte Umsetzung. Denn ein späterer Start am Morgen bedeutet eben auch, dass es nachmittags länger geht. Das engt die Freizeitmöglichkeiten für Schüler:innen weiter ein; Engagement in Vereinen könnte darunter leiden. Für Eltern könnte es in der Betreuung schwierig werden, wenn Schüler:innen später aus dem Haus gehen.
Selbst Lehrer:innenverbände zeigen sich offen
Unter dem Strich bleibt aber: Die Mehrheit der Gesundheits- und Schlafstudien spricht klar für spätere Startzeiten, weil sie die Schlafdauer sowie die psychische und physische Gesundheit der Kinder verbessern. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann begrüßte den Versuch und nannte ihn „mutig und respektabel“. Selbst Lehrerverbände zeigen sich inzwischen offen dafür.
Eine Schule hat das Gleitzeitmodell bereits getestet – mit Erfolg
Was das konkret bedeutet, hat eine Schule in Plochingen im vergangenen Jahr über mehrere Wochen getestet. Dort gab es ein Gleitzeitmodell, bei dem die Schüler:innen einer siebten Klasse selbst entscheiden konnten, ob sie lieber ausschlafen oder früh in den Tag starten wollen – zur Wahl standen 7:50 Uhr oder 9:40 Uhr.
Im SWR hat der Lehrer Till Richter seine Bilanz der Probephase gezogen. Er sagt: „Die Schülerinnen und Schüler haben sich ernst genommen gefühlt, sie durften selbst entscheiden, ob sie kommen oder nicht. Und wenn dann die Schülerinnen und Schüler gekommen sind, dann sind sie motiviert gekommen.“ Das habe ganz viel verändert.
Lehrer Till Richter will das Projekt jetzt gerne fortsetzen und zudem wissenschaftlich begleiten lassen, damit wirklich objektiv ersichtlich wird, ob das etwas bringt oder nicht. Aktuell laufen die Gespräche mit den zuständigen Behörden. „Da ist noch viel zu klären. Aber wir wünschen uns eine Fortführung des Tests“, so Richter gegenüber dem SWR. Inzwischen gibt es auch andere Schulen, die solche Gleitzeitmodelle testen.
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