„Bio muss man sich leisten können …“, oder?

Viele wollen nachhaltiger leben, aber fürchten, dass sie sich das nicht leisten können. Hängt nachhaltiger Konsum wirklich so stark vom Geldbeutel ab?
Das Bild zeigt die Illustration der Kolumne Busemeyers Blickwinkel.
Grafik: Alexander Wucherer

Konstanz ist eine grüne Stadt – das bezieht sich nicht nur auf die vielen Bäume im Stadtbild und die Nähe zum See, sondern auch auf die Wahlentscheidungen, die Einstellungen und das Verhalten der Bürger:innen. Das Fahrrad ist für viele das Verkehrsmittel Nummer 1 im Alltag, die Grünen erzielen bei Wahlen regelmäßig Rekordergebnisse und – relativ zur Stadtgröße –es gibt inzwischen auffällig viele Cafés mit veganen Leckereien und der vollen Bandbreite an Alternativen zur Kuhmilch im Kaffee. 

Aber Konstanz ist auch eine reiche Stadt, oder präziser formuliert: eine Stadt mit einem überdurchschnittlichen Einkommensniveau. Daher werden gern Karikaturen gezeichnet von den „urbanen“ Möchte-Gern-Hipstern aus dem Paradies, die mit dem sündhaft teuren Lastenfahrrad ihre Kinder in frisch gekauften Bio-Wollwalk-Klamotten zur Kita chauffieren, danach in ihren Porsche-Elektro-SUV hüpfen, um beim Edeka die Wochenend-Einkäufe (frisch gefangener Bio-Lachs aus Norwegen mit Bio-Zitronen aus Uruguay) zu erledigen, um sich schließlich eine Personal-Trainer-Yoga-Stunde inkl. koffeinreduzierten Latte Macchiato mit Bio-Hafermilch zu gönnen.

Kommt nachhaltiger Konsum mit genug Geld?

Ok, diese Karikatur der Karikatur ist nun auch etwas überzeichnet, aber die grundlegende Stoßrichtung dieser Kritik ist klar: „Bio muss man sich leisten können …“

Und diejenigen, die für nachhaltigen Konsum eintreten, sind auch diejenigen, die genug Geld haben, um sich die vermeintlich besseren Alternativen leisten zu können, und damit auch diejenigen, die mit „linker Überheblichkeit“ den anderen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben.

Was ist von dieser Kritik zu halten? Zunächst einmal gibt es schon seit den Pionier-Arbeiten des US-Politologen Ronald Inglehart zur Post-Materialismus-Theorie aus den 1970er Jahren klare empirische Belege dafür, dass Menschen mit höheren Einkommen (und höherer Bildung) tendenziell umweltfreundlicher eingestellt sind. Das heißt, wohlhabende Menschen können sich nicht nur prinzipiell mehr Bio leisten, sie wollen auch tatsächlich mehr für die Umwelt tun. 

Zum Zweiten kann aus den Alltagserfahrungen der Menschen leicht der Eindruck entstehen, dass die umweltfreundlichere Bio-Alternative immer die teurere ist. Das Bio-Hähnchen kostet doppelt oder sogar dreimal so viel wie das Käfig-Hähnchen, die Biohafermilch ist teurer als die Kuhmilch vom Discounter, der Wollwalk-Anzug teuer als der Strampler von KiK. Aber dieser direkte Vergleich, wenn auch simpel und scheinbar einleuchtend, ist irreführend, denn es geht nicht um den Vergleich einzelner Produkte, sondern um den Vergleich von Lebensstilen (also Produkt-„Bündeln“, wenn man so will). Und aus dieser breiteren, auf Lebensstile ausgerichteten Perspektive, muss ein nachhaltiger Lebensstil nicht zwangsläufig teurer sein als ein weniger nachhaltiger. 

Es geht auch günstig

Um das an ein paar konkreten Beispielen zu verdeutlichen:

Ja, das Bio-Hähnchen ist teurer als das Käfig-Hähnchen, aber wenn ich nur einmal die Woche Fleisch esse statt jeden Tag, sind die Gesamtausgaben pro Woche niedriger. Ja, das Lastenfahrrad ist teuer, aber wenn dafür das Auto eingespart werden kann (oder durch Car-Sharing ersetzt wird), ist es deutlich günstiger. Ja, Bio-Klamotten sind teuer, aber man kann sie auch günstig auf dem Flohmarkt oder bei Tauschbörsen bekommen, statt alles neu zu kaufen.

Damit sind wir bei der „linken Überheblichkeit“. Welches Recht habe ich als zugegeben gut verdienender Paradies-Bewohner mit E-Bike und Hang zu koffeinhaltigen Milchgetränken den anderen vorzuschreiben, wie oft sie Fleisch essen, wo sie ihre Klamotten kaufen und welche Transportmittel sie benutzen sollen? Diese Frage geht an der Problematik vorbei, denn die Konsumentscheidungen von Menschen werden nicht durch andere Menschen, sondern durch die Preise am Markt bestimmt. Diese Preise fallen jedoch nicht vom Himmel, sondern werden auch durch die Politik beeinflusst und damit auch durch die politischen Einstellungen der Bürger:innen. 

Konsument:innen können Beitrag leisten

Fakt ist, dass die überkommenen Konsum- und Lebensstile der westlichen Welt mit einer enormen Ausbeutung von Mensch (vor allen Dingen im Globalen Süden), Natur und Tier einhergeht. Die Gegenfrage zu der oben gestellten Frage lautet daher: Welches Recht haben „wir“ (wer immer das genau sein mag), mit unseren nicht nachhaltigen Lebensstilen auf Kosten anderer Menschen und des Planeten zu leben, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden oder zumindest angemessen zu bezahlen?

Es ist letztlich eine politische Frage der Mehrheiten, inwiefern gesetzliche Vorgaben so angepasst werden, dass der Raubbau an Mensch, Natur und Tier aufhört. Aber jenseits der großen Politik können wir als Konsument:innen jeden Tag im Supermarkt und im Alltag zu einer Verbreitung von nachhaltigen Lebensstilen beitragen. Das sollte nicht mit der moralischen Keule passieren, sondern durch Überzeugen, denn nur dann kann der notwendige Wandel auch langfristig erfolgreich sein. Dennoch kann und muss die Politik punktuell eingreifen, um die gröbsten Fehlentwicklungen einzufangen. Es kann kein „Menschenrecht auf Konsum“ geben, wenn dieser Konsum auf Kinderarbeit oder Tierquälerei beruht.