Kohle, Kolonialismus und Klima­gerechtigkeit – Globale Nachbarschaft in Lützerath 2023

Kirsten Mahlke, Mitglied der Gruppe „Konstanz Klimapositiv 2030“, war mit dabei auf der Großdemo in Lützerath. In ihrem Beitrag ordnet sie das Thema in den größeren, historischen und globalen Kontext der Klimagerechtigkeit ein.

Partizipativer Beitrag von Kirsten Mahlke

Kirsten Mahlke ist Lateinamerikanistin und seit 2011 Professorin für Kulturtheorie an der Universität Konstanz. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören indigene und lokale Perspektiven auf die Kolonisierung Mittel- und Südamerikas seit dem 16. Jahrhundert. Sie ist Mitglied der Gruppe „Konstanz Klimapositiv 2030“.

Am 14. Januar war ich auf der Demonstration „LütziBleibt!“ im rheinischen Braunkohlerevier. Oberhalb der gigantischen Mine, ihren Maschinen und Wachleuten im Tagebau standen auf dem Feld versammelt Zehntausende Menschen. Trotz der großen Zahl wirkten sie in dieser Landschaft wie Ameisen. Ein starker Sturm und eisiger Regen ließen ihre Silhouetten aus Regenjacken, Schirmen und Fahnen bunt und trotzig leuchten vor dieser menschenfeindlichen Kulisse. Die erste Fahne, die mir ins Auge fiel, war eine Wiphala mit ihren regenbogenfarbigen Quadraten, das Banner verschiedener indigener Nationen Südamerikas zwischen Kolumbien, Peru, Bolivien, Chile und Argentinien.

Der Widerstand gegen den Extraktivismus, die im Ursprung europäische Praxis der menschen- und umweltverachtenden Ausbeutung von Rohstoffen, reicht dort bis in die frühe spanische Kolonialzeit zurück. Durch die Wiphala verbanden sich im rheinischen Braunkohlerevier die Erinnerung an Kämpfe gegen den Kolonialismus und die Ausbeutung von Erde und Menschen an entferntesten Orten. Diesen sehr konkreten historischen und kulturellen Zusammenhang, diese globale Nachbarschaft, die den Kern aller Bestrebungen nach Klimagerechtigkeit berührt, möchte ich hier beleuchten.

Da Klimagerechtigkeit mit Größen und Zahlen naturwissenschaftlich messbarer Stoffe zu tun hat, die dazu angetan sind, globale Katastrophen zu verhindern oder zuzulassen, kommen hier zunächst einmal eine Reihe von Informationen zur Relevanz der Energieproduktion des Unternehmens RWE.

Das kleine Dorf Lützerath liegt im rheinischen Braunkohlerevier und ist zum Fanal einer sich stetig weiter aufheizenden Atmosphäre geworden, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.  Der übertragene Sinn, die Debatten um Legitimation und Formen des Widerstandes, verdeckt leider derzeit die sehr konkreten schmutzigen Tatsachen. Lützerath liegt (noch) am Rande der größten Braunkohlemine Europas und gehört RWE, dem Konzern mit den höchsten CO²-Emissionen der EU. 25% der CO² Emissionen Deutschlands stammen von RWE – 89 Mio. Tonnen CO² werden jährlich ausgestoßen. Lützerath ist kein „falsches Symbol“ (Habeck) und kein „guter Kompromiss“, sondern ein besonderer Ort in Deutschland, um den herum jährlich 60 Millionen Tonnen Kohle aus der Erde gebaggert werden: die Fortsetzung der fossilen Energiegewinnung mit fatalen Folgen für Menschen überall auf der Welt. Der vorgezogene Ausstieg aus der Kohleenergiegewinnung bis 2030 hat keine positiven Effekte auf den Klimapfad.  Als hätten deutsche Energie-Konzerne nicht eine besonders hohe Verantwortung gegenüber den weltweit vom Klimawandel viel stärker betroffenen, aber kaum dafür verantwortlichen Gebieten! Dazu gehören viele Regionen Südamerikas, allen voran die verarmten und von klimawandelbedingten Naturkatastrophen besonders gefährdeten Regionen in den Anden und am Amazonas.

Lützerath ist ein globaler Hotspot. Kein Ort wäre geeigneter, um gegen Umwelt- und Klimaschäden zu protestieren. Es ist genau hier, wo schnell wirksame Maßnahmen umgesetzt werden können, um den Temperaturanstieg auf unter 1,5° zu begrenzen. Es ist eine sehr vernünftige und verantwortungsbewusste Entscheidung vieler Bürger:innen, sich angesichts dieser enormen Hebelwirkung für die Klimaneutralität bei RWE einzusetzen. Lützerath ist damit genau der Ort, wo Klimagerechtigkeit realisiert werden könnte.

Klima­gerechtigkeit­ und Kolonialismus


Peter Emorinken Donatus, Journalist aus Nigeria, hat auf der Kundgebung am 14.1. darauf hingewiesen, dass Klimagerechtigkeit keineswegs eine Erfindung weißer Europäer:innen, sondern eine sehr alte Forderung aus dem globalen Süden ist. Klimagerechtigkeit umfasst die Bilanzierung von historischen, kolonialen und neokolonialen Schulden weltweit, die Leistung von entsprechenden Reparationen und die Verpflichtung, mit der Zerstörung aufzuhören.

Spätestens seit der Industrialisierung reichern sich diese Schäden messbar in Form von CO²-Partikel in der Atmosphäre an. Doch schon lange zuvor wurden die kulturellen Grundlagen dafür gelegt, Rohstoffe so auszubeuten, dass Menschen und Umwelt in der Umgebung der Minen und Felder ignoriert werden konnten. Bergwerke und Plantagen waren die Labore für Entmenschlichung von Arbeit zugunsten einer maximalen Konzentration auf chemisch-physikalische Prozesse. Dass Minenkultur große Ähnlichkeit mit dem Krieg hat, stellte Lewis Mumford in den 1970er Jahren heraus: „Was die Umweltzerstörung und die Gleichgültigkeit gegenüber den Gefahren für das menschliche Leben angeht, hat der Bergbau große Ähnlichkeit mit dem Krieg. […] Der destruktive Charakter und die grausame Arbeitsweise des Bergbaus sowie die von ihm bewirkte Verarmung und Verwahrlosung der Umwelt wurden an die neuen Industrien weitergegeben, die Bergbauprodukte verwendeten.“ Diese früh kultivierte Auslöschung einer menschlichen Beziehung zu Arbeitsweisen, Maschinen und Menschen, zeigt sich heute an monströsen Orten wie dem rheinischen Kohlerevier.


Tagebau Garzweiler II, Foto: Christian Gandzorra

Während diese spezifische kolonial-unternehmerische Praxis sich jahrhundertelang weiter entwickeln konnte, wurden Menschen dazu getrimmt, immer mehr von den „Bergbauprodukten“ – heute sind es Energie und ihre Produktionsstoffe – zu verbrauchen und davon abhängig zu werden. Was früher die versklavten Menschen, leisten heute die fossilen Brennstoffe, aber natürlich auch die zukünftig vermehrt eingesetzten erneuerbaren Energien, für die unzählige Rohstoffe (Lithium, seltene Erden etc.) aus dem Boden gezogen werden: die Versorgung mit Konsumüberfluss, der Wohlstand und Freiheit genannt wird. In Jahrhunderten der Verfeinerung der Zivilisation haben die Menschen, die in der Ferne nach Profiten dürsten, gelernt, den Wohlstand ihrer eigenen Leistung zuzuschreiben und die Produktionsstätten der Rohstoffe und Güter wie Phantomgebiete aus ihrem Bewusstsein abzuspalten. In den „Phantomgebieten“ selbst, für die man erst jetzt schattenhaft ein Bewusstsein für Verantwortung in Form von Lieferkettengesetzen zu entwickeln anfängt, konnten Freiheit und Wohlstand sich nicht recht entwickeln, mangels sauberer Luft, Wasser und Erde, mangels Überlebenschancen auch für Anwohner:innen und Widerstandskämpfer:innen. Allein in Kolumbien, wo die größte Steinkohlemine Cerrejón den europäischen Gasmangel unter anderem über RWE-Importe zu überbrücken hilft, wurden 2020 67 Umweltaktivist:innen ermordet. Kolumbien ist das tödlichste Land für Klima- und Ökoaktivist:innen, die ebenso in globaler Nachbarschaft zu RWE stehen wie die 35.000 vor Ort anwesenden Menschen.

Klimagerechtigkeit herzustellen heißt demnach:

Zuallererst müssen die Schulden in voller Höhe anerkannt werden. Eine Entschuldigung der Verursacher bei den Geschädigten sollte der ökonomischen Entschuldung vorausgehen. Dann müssen Schäden beziffert und Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden, schließlich werden Reparationen geleistet und Garantien gegeben, dass die schädigenden Handlungen nicht weiter verübt werden.
Solche und ähnliche Forderungen haben Geschädigte extraktivistischer Ökonomien (ob durch Kolonialmächte, Unternehmen oder moderne Staaten getragen) seit Beginn der Minen- und Plantagensklaverei in den Kolonien an die Schadensverursacher herangetragen. Absurderweise – und dies begründet den kausalen Zusammenhang zwischen globaler Ungleichheit und Verletzlichkeit gegenüber Klimaschäden – sind diese akkumulierten kolonialen Schulden nie zurückgezahlt, sondern sogar noch durch die Schuldner (die ehemaligen Kolonialstaaten) in Form von IWF- und Weltbankkrediten erhöht worden.

Historische Akkumulation­ von Schäden an Menschen, Umwelt und Atmosphäre

Vor 500 Jahren haben indigene Gruppen begonnen, sich der Ausbeutung der Silber- und Quecksilber- und Goldminen zu widersetzen, auch damals schon mit Argumenten der Kultur- und Naturzerstörung und der Gefährdung von Leben und Gesundheit von Millionen von Menschen. Versklavte aus Afrika und Südamerika haben den Profit von internationalen Handels- und Aktiengesellschaften erwirtschaftet, die Grundlagen ihrer heutigen ökonomischen Macht. Sie sind daran gestorben, ohne jemals entlohnt zu werden. Ihre Nachfahren wurden nicht entschädigt. Die Zahl derer, die wegen des 400 Jahre hindurch praktizierten Menschenraubs gar nicht erst geboren wurden, und das dadurch verlorene Entwicklungspotenzial von Kulturen und Ökonomien, ist unbezifferbar. Reparationsforderungen werden inkommensurabel, je länger die Anerkennung verweigert wird. Umgekehrt wurden Staaten, Handelsgesellschaften und Unternehmen recht zügig entschädigt, weil sie ihr „Eigentum“ eingebüßt hatten: die Versklavten und das geraubte Land. Die ehemaligen Kolonien werden mit Krediten in tiefster Abhängigkeit gehalten. RWE und LEAG indessen erhalten €4,35 Milliarden Entschädigungszahlungen für ihre zu erwartenden Verluste durch den Kohleausstieg.

Widerstand der globalen Nachbarn: Peruaner 1615 und 2015 gegen Extraktivismus

Einzelne Fürsprecher und Repräsentanten von Opfern der Extraktivismuswirtschaft haben die Restitutions- und Reparationsforderungen immer wieder an die Verantwortlichen kommuniziert – erfolglos. Für die jahrhundertelangen friedlichen Forderungen an Profiteure, angemessene Zahlungen und Entschädigungen zu leisten, möchte ich hier nur zwei Beispiele aus Peru anführen, die am Anfang und vorläufigen Ende dieser Gesuche um Reparationen stehen.

1 Im Jahr 1615 schrieb der einer Inkadynastie entstammende Anwalt Guaman Poma de Ayala an den spanischen König, dass die Ausbeutung der Silbermine von Potosí und vor allem die Arbeit im Quecksilberbergwerk Huancavelica für Millionen Menschen gesundheitsgefährdend und tödlich enden würde. Quecksilberdämpfe vergifteten die Lungen der Zwangsarbeiter, aber auch Trinkwasser und die Luft der ganzen Umgebung. Guaman Poma berichtet über Huancavelica, wie die Kolonialpolitik an einem Hotspot der Rohstoffgewinnung in eine ökologische und soziale Katastrophe geführt hat: „wo die armen Indios so harte Strafen bekommen, gefoltert werden und viele Tode sterben, nachdem sie austrocknen wie ein Stock, Asthma bekommen und so noch ein zwei Jahre dahinleben, während die Minenbesitzer in Seide aus der Arbeit der Indios herumspazieren.“

Er forderte Entschädigungen auf der Basis akribisch erhobener Zeugenaussagen ein für Witwen und Waisen, sowie für die begangenen Verbrechen wie Folter und Misshandlungen. Außerdem schlug er eine Reform der Arbeitsbedingungen in den Minen und ein bergwerkseigenes Gesundheitssystem vor. Trotz Millionen von Toten und den nachgewiesenen Umweltzerstörungen sind Klagen gegen solcherlei Ungerechtigkeiten vor keinem europäischen Gericht verhandelt worden.

Misshandlungen und Folterungen durch den Minenverwalter

2 Ein zweiter Fall, der weltweit aufsehenerregende „Climate Case“ des Privatmannes Saúl LLiuya gegen einen multinationalen Konzern (RWE), gibt nun im 21. Jahrhundert Hoffnung, dass die jahrhundertelange Phase der Straflosigkeit von ökozidären Großkonzernen beendet werden könnte. Genau 400 Jahre nach dem Inka-Anwalt, 2015, und gleichermaßen fest entschlossen, die Schäden durch extraktivistische Unternehmen in den peruanischen Anden nicht straflos durchgehen zu lassen, geht der Landwirt Saúl Lliuya aus Huaraz gegen RWE vor Gericht. Die Erderhitzung führt seit Jahren zu bedrohlichen Gletscherschmelzen in den Anden.  Seit 1970 ist das Volumen des Sees um das 34-fache angewachsen.

***Das zugehörige Bild musste leider entfernt werden***

Lliuyas Wohnhaus (und die ganze Stadt Huaraz) ist wegen der drohenden Überflutung des durch Schmelzwasser sich immer schneller ausdehnenden Gletschersees Palcacocha gefährdet. Eine Teilverantwortung für die Erderhitzung, so die Grundlage der Klage, liegt bei RWE.

Während der Peruaner Guaman Poma im 17. Jahrhundert kein Gehör beim König fand, liegt Lliuyas Klage gegen den Energiekonzern inzwischen beim Oberlandesgericht Hamm. Das Verfahren läuft und ist gegenwärtig (im achten Prozess-Jahr!) in der Begutachtungsphase. Es wird seit Mai 2022 überprüft, inwiefern die Emissionen eines einzelnen Konzerns für die Klimaschäden an einem weit entfernten Ort kausal verantwortlich sind. Die Mitarbeit von RWE hält sich in Grenzen. 2016, also ein Jahr nach dem Pariser Klimaabkommen, bestritt der Konzern RWE generell seine Verantwortung für Klimaschäden und leugnete das Flutrisiko des Palcacochasees. 2018, der Fall war schon in der Berufung, legte RWE zwei Gegendarstellungen vor, um die Beweisaufnahme zu verhindern. Ein Dokumentarfilm gibt einen tieferen Einblick in den Fall.

Zusammenleben in globaler Nachbarschaft

Was an der Kante des Rheinischen Kohlereviers an Zerstörung sichtbar wird, ist nur ein winziger Teil des Raubbaus. Die Erde ist lokal zerklüftet, entwohnt und entwässert; die Atmosphäre hingegen erstreckt sich über den gesamten Globus. Sie ist es, die für globale Nachbarschaft zwischen dem Sitz von RWE in Nordrheinwestfalen und der Stadt Huaraz in den Anden sorgt:

Das Oberlandesgericht Hamm stützt sich unter anderem auf § 1008 des bürgerlichen Gesetzbuches: die allgemeine Vorschrift des deutschen Zivilrechts zum Schutz gegen Eigentumsstörungen, das meist bei Nachbarschaftsstreitigkeiten zugrunde gelegt wird. „Nachbarschaft“ bezeichnet spätestens seit dem Fall Lliuya gegen RWE sogar Distanzverhältnisse, die 10.000 km Luftlinie betragen, wie zwischen Huaraz und Essen. Erstaunlicherweise wird die Fürsorge und Verantwortung gegenüber „Nachbarn“ bereits im frühen 20. Jahrhundert nicht auf lokal angrenzende Territorien gegründet, sondern auf die gemeinsame Atmosphäre, die keine Grenzen kennt: „Wir leben auf dem Grunde eines Luftmeeres. Dieser Umstand führt mit Nothwendigkeit eine Erstreckung der menschlichen Thätigkeit in die Ferne mit sich.“

Direkte oder indirekte Emissionen oder Verschmutzungen führen zu Beeinträchtigungen von Nachbarn innerhalb des geteilten „Luftmeeres“ und müssen dem Verursacher angelastet werden.

Die Schuld an der Erhitzung und deren Folgen für die globalen Nachbarn, lässt sich konkret beziffern: RWE ist für 0,47 % der atmosphärischen Erhitzung verantwortlich, also auch für 0,47% der Kosten für Entschädigungen. So lange aber die Konzerne nicht bereit sind, ihren Anteil an der Zerstörung einer dem Leben auf der Erde zuträglichen Atmosphäre und damit am Raubbau planetarischer Lebensbedingungen anzuerkennen, ist ein Ausgleich nicht möglich. So lange RWE mit Unterstützung der Regierungen aus Land und Bund eher sich selbst entschädigen lässt als Kosten für verursachte Schäden bei globalen Nachbarn zu tragen. So lange nicht entfernt in Aussicht steht, wie RWE in einem der reichsten Länder und technologisch bestens ausgestatteten Staaten der Welt garantieren kann, die Schädigungen des gemeinsamen Luftmeeres nicht fortzusetzen, ist Klimagerechtigkeit fern.

Um den internationalen Verträgen von Paris gerecht zu werden, müssen 70-90% der weltweiten Kohlereserven unter der Erde bleiben. Da Deutschland zu den ältesten und größten Verursachern der CO²-Anreicherung in der Atmosphäre gehört, sind mindestens 90% eine gute Orientierungsgröße. Nach einer Analyse des deutschlandweit verfügbaren Restbudgets an CO²-Emissionen bedeutet dies für RWE einen Anteil von 70 Mio. Tonnen. Trotz der vorliegenden Daten wurde mit RWE verhandelt. Die Restmenge an Kohle, die tatsächlich von RWE noch ausgebeutet werden soll und laut dem Regierungs-Deal vom Dezember 2022 nun auch darf, liegt der DIW-Studie zufolge bei mehr als 290 Mio. Tonnen.

Die CO²-Emissionen pro verbrannter Tonne SKE (Steinkohleeinheit) liegen für Braunkohle bei 3,25 t, das bedeutet, einen zu erwartenden Treibhausgas-Ausstoß von 290 x 3,25 (Restmenge RWE-Braunohle x SKE Braunkohle). Das sind 942 Millionen Tonnen bis 2030! Und dies sind nur die Emissionen aus der Braunkohleverbrennung. RWE hat auch einen zum Ausbau bereiten Gas-Sektor und nutzt für die Energieerzeugung importierte Steinkohle (z. B. aus Kolumbien) und Erdöl, während erneuerbare Energiequellen für die deutschlandweite Energieproduktion laut einer Studie prozentual im niedrigen einstelligen Bereich bleiben werden.


Bekanntlich wird das „Luftmeer“ hauptsächlich (zu 71%) von nur 100 großen Energiekonzernen immer weiter (und aktuell in anwachsender Rate) erhitzt, darunter, auf Platz 41, RWE. Dies zum Fakten-Hintergrund der Proteste, die in verschiedenen Presseberichten wegen ihrer „Naivität“ und Ökoromantik diffamiert wurden.

Geschädigte Nachbarn der Konzerne sind prinzipiell alle Bewohner:innen des Planeten, doch in ungleicher Gefahrenlage und mit ungleichen rechtlichen Mitteln ausgestattet. Ob Saúl Lliuya erreichen wird, dass RWE die Reparationen für Huaraz leistet, um die Stadt noch rechtzeitig vor der drohenden Überflutung zu schützen, ist ungewiss.

Die Wiphala auf der Demonstration von Lützerath mag dafür Hoffnung spenden. Angesichts der Teil-Verantwortung für die gegenwärtigen und erwartbaren ökologischen Schäden, wäre die Umkehrung der nachbarschaftlichen Fürsorge angemessen: Statt Individuen jahrelang vor Gericht ziehen zu lassen, könnten Konzerne sofort ihre Teilschuld anerkennen, die Schäden mit Reparationsleistungen begleichen, große Verantwortungsbündnisse zwischen den Konzernen schließen, um die Last auf viele Schultern zu verteilen und dafür Sorge tragen, dass die Schäden nicht weiter zugefügt werden. Eine Emanzipation von staatlicher Unterstützung wäre einer solchen Entwicklung sicher zuträglich.

Die Ökonomie der Emissionen ist Grundlage für jede Diskussion um globale Klimagerechtigkeit. Der ökologische Schaden, der von einem so großen Energieunternehmen wie RWE ausgegangen ist und weiterhin ausgehen wird, ist gewaltig, aber er ist bezifferbar und damit Grundlage für Rechenschaft (Accountability). Statt Diffusion von Verantwortung zu betreiben („Wir wissen nicht, wer genau, wie genau, wem genau schadet, also sind wir nicht haftbar“), geht es bei Klimagerechtigkeit um das gerechte Aufteilen von historisch akkumulierter Verantwortung, atmosphärisch messbaren Emissionen, ökonomisch bezifferbaren Schulden und Reparationsleistungen. Erst wenn in Aussicht steht, dass diese schwerwiegenden Taten rechtlich und gesellschaftlich im Sinne der Klimagerechtigkeit ausgeglichen werden, kann man anfangen, über die Angemessenheit von Knüppeln bei Polizeieinsätzen gegen Klimaaktivist:innen sprechen.

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