Ich gebe es offen zu: Die Motivation für diese Ausgabe meiner Kolumne ist persönlicher als üblich. Mein Alltagsbericht beginnt mit einer Episode, die beispielhaft für viele steht: Eine wütend hupende autofahrende Person (kurz: AFP – ich verwende bewusst eine neutrale Bezeichnung, da ich von der jungen Frau bis zum alten, weißen Mann schon unterschiedlichste derartige Begegnungen hatte), die sich darüber aufregt, dass ich mich erdreiste (dazu noch mit Kinderanhänger), bei einem Überholvorgang am Uni-Berg 20 cm über die Grenze des Fahrradwegs auszuscheren.
Offensichtlich gehört der Großteil der Fahrbahn ausschließlich Autos. Die AFP biegt nach Hupkonzert 50 Meter weiter nach rechts ab. Umgekehrt: Eine andere AFP regt sich darüber auf, dass ich sie darauf hinweise, dass Autos bitte nicht auf dem markierten Radweg an der Seite der Straße fahren sollten. Oder wieder eine andere AFP, die sich wütend echauffiert, dass ich rechts anhalte, um ein schreiendes Kleinkind im Hänger zu beruhigen, was die AFP in ihrer Freiheit ungestört abzubiegen offensichtlich massiv beeinträchtigt. Und so weiter und so fort.
Ist das Glas leer oder voll?
Um es gleich vorneweg zu sagen: Natürlich ist Konstanz alles in allem eine fahrradfreundliche Stadt, obwohl es nach einschlägigen Rankings auch deutlich fahrradfreundlichere Städte gibt, z. B. Freiburg, Bamberg, Münster oder Oldenburg. Trotzdem: Wir haben Fahrradstraßen, bald ein schickes (aber auch längst überfälliges) Fahrradparkhaus am Bahnhof, viele Fahrradständer und – vor allen Dingen – sehr viele Fahrrad fahrende Menschen, die letztlich auch die Verkehrskultur einer Stadt prägen.
Nachdem ich nun schon mehr als zehn Jahre jeden Tag mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs bin (davon die letzten vier mit Kleinkind(ern) ‚on board‘), verdichten sich die Alltagserlebnisse zu einem Gesamtbild: Das sinnbildliche Glas ist sicherlich nicht mehr leer, aber voll ist auch noch längst nicht.
Realitätscheck Fahrradstraße
Zum einen ist da die oben erwähnte Verkehrskultur. Eine große Mehrheit der Konstanzer AFPs verhält sich rücksichtsvoll und vorbildlich gegenüber den Radfahrenden, aber es gibt immer wieder und nicht nur vereinzelt Episoden wie die oben erwähnten. Beispiel Fahrradstraße Petershausen: Nachdem offensichtlich große Buchstaben, blaue Farbe und riesige Poster an der Seite noch nicht ausreichten, um den AFPs klar zu machen, dass in der Petershauser Straße und der Jahnstraße jetzt Fahrräder Vorfahrt haben, wurde ein Poller vor dem Bahnübergang installiert.
Der „Poller of Love“ ist inzwischen aber schon mindestens achtmal von AFPs umgefahren worden (mit dem Fahrrad ist das schwierig), da es offensichtlich nicht zu der Verkehrskultur in den Köpfen der Menschen passt, dass auf einer breiten Straße nicht primär Autos, sondern Fahrräder fahren. Aber warum nicht die Straße komplett für Autoverkehr sperren und bei der Gelegenheit gleich eine breite Fahrradverbindungsstraße zwischen Jahnstraße und Friedrichstraße am Zähringer Platz einrichten, wo sich nun Dutzende Radfahrende über enge Fußgängerübergänge drängeln?
Eine Menge Beispiele
Beispiel Fahrradstraße Hörnle: Prima, dass es jetzt auch eine Fahrradstraße Richtung Hörnle gibt! Aber: In der Praxis scheint diese Information die Betreffenden noch nicht erreicht zu haben. Auch hier haben blaue Farbe und große Buchstaben wenig Wirkung, wenn AFPs wie eh und je mit 50 Stundenkilometern am Loretto-Wald entlangsausen. Eher schwierig, wenn man dann auf der Fahrradstraße versucht, der dreijährigen Tochter das Radfahren näher zu bringen.
Beispiel Alte Rheinbrücke: Warum braucht es hier eigentlich fünf Spuren für Autos, wenn gleichzeitig täglich bis zu über 10.000 Fahrradfahrende über die Fahrradbrücke fahren – plus diejenigen, die sich am Rand der Rheinbrücke entlang quetschen. Warum nicht die Zahl der Autospuren reduzieren – zumal die Altstadt am Wochenende wegen chronischer Überlastung sowieso für den Autoverkehr gesperrt werden muss?
Letztes Beispiel: Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. Besonders in den Innenstadtbereichen gibt es zu wenig Platz für zu viele Fahrräder, wie jede(r) weiß, der/die sich schon einmal mit Kinderwagen zwischen den Rädern (und Motorrädern!) auf den Gehsteigen entlang geschlängelt hat.
Die Bedürfnisse sind noch nicht gedeckt
Prima: Die Stadt hat jetzt etwas Abhilfe geschaffen und neue Abstellbügel aufgestellt. Aber wichtiger erscheinen mir abschließbare Sammelgaragen oder Abstellboxen für teure E-Bikes und Lastenräder. Besonders diese werden auch in Konstanz gern geklaut, sind aber weniger leicht in Wohnungsflure zu hieven als normale Räder.
Und ja – ein Lastenrad kostet mehrere 1000 Euro, aber: nein, das ist kein Hipster-Hobby-Problem, denn Lastenräder und E-Bikes mit Hängern ersetzen Autoverkehr und sind dann nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch günstiger als Autos. Sammelgaragen sind laut Vorlage aus dem Gemeinderat auch tatsächlich geplant, aber wann sie kommen und wie viele es geben wird, scheint unklar. Es bleibt zu hoffen, dass hier nicht an der falschen Stelle gespart wird.
Abschließend mein Gesamtfazit: Unsere gelebte und in der Stadtpolitik umgesetzte Verkehrskultur hinkt teilweise noch hinter den Bedürfnissen hinterher. Es geht aber nicht darum, radfahrende gegen autofahrende Personen auszuspielen, sondern um ein respektvolles Miteinander im Straßenverkehr.
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