Geschichten, die inspirieren

Das „Queergestreift Filmfestival“ in Konstanz zieht jährlich hunderte Menschen an und macht queere Kultur in der Region erlebbar. Im April 2024 öffnete das Festival wieder seine Pforten. Ein Blick hinter die Kulissen.

Sophie schafft Räume, in denen Menschen sich ausdrücken können und…
  • Das Queergestreift Filmfestival in Konstanz fand im April 2024 zum 37. Mal statt und fördert die queere Kultur in der Region.
  • Queer ist ein Sammelbegriff für Personen, deren geschlechtliche Identität (wer sie in Bezug auf Geschlecht sind) und / oder sexuelle Orientierung (wen sie begehren oder wie sie lieben) nicht der zweigeschlechtlichen, cis-geschlechtlichen und / oder heterosexuellen Norm entspricht.
  • Gezeigt werden sowohl internationale Produktionen als auch weniger bekannte queere Filme, mit besonderem Fokus auf authentische Darstellung queerer Lebensrealitäten.
  • Neben Filmen bietet das Festival, das ehrenamtlich organisiert wird, alternative Programme wie Theaterstücke und Vernetzungstreffen, um den kulturellen Austausch zu fördern.
  • Trotz Erfolge gibt es finanzielle Unsicherheiten, die das Festival jährlich vor Herausforderungen stellen.
  • Das Festival hat sich zu einer wichtigen Institution entwickelt, die queere Geschichten und Perspektiven sichtbar macht und die Gemeinschaft stärkt.

Bereits zum 37. Mal fand das „Queergestreift Filmfestival“ vom 11. bis 21. April im Zebra Kino in Konstanz statt. Zum Abbau der Dekoration kommen Ende April sieben Personen zusammen, die das Festival gemeinsam mit vielen weiteren helfenden Händen gestemmt haben. Von der Technik über die Öffentlichkeitsarbeit bis hin zur Arbeit an der Bar – jede Person trägt ihren Teil dazu bei, dass sich die Besucher:innen willkommen und sicher fühlen​. 

Die Festivaldeko im Zebra Kino wird abgehängt. | Fotos: Sophie Tichonenko

„Es ist ein Wunder, dass wir das jedes Jahr auf die Beine stellen können“, sagt Jana, eine der Organisatorinnen, mit einem Lächeln. „Wir arbeiten alle ehrenamtlich und trotzdem schaffen wir es, ein so vielschichtiges Event zu organisieren. Das zeigt, wie viel Herzblut hier drin steckt.“ Jana ist seit acht Jahren dabei und war dieses Jahr für das Kurzfilmprogramm, das Rahmenprogramm und die regionale Vernetzung zuständig.

„Was uns antreibt, sind die Geschichten, die das Herz berühren“,

erklärt Jana.
Jana gibt Einblick hinter die Kulissen des Festivals.

Die Auswahl der Filme reicht von aktuellen internationalen Produktionen wie „Drive Away Dolls“, „Pine Cone“ oder „Power Alley“ bis hin zu weniger bekannten Perlen der queeren Filmwelt. Die Vorbereitung erfordert viel Vorarbeit, um den Besucher:innen das notwendige Vorwissen zu vermitteln und sicherzustellen, dass die Filme ihre volle Wirkung entfalten können​. Einer der diesjährigen Höhepunkte für das Team war das Drama „Housekeeping for Beginners“ vom mazedonischen Regisseur Goran Stolevski. 

Sozialarbeiterin Dita lebt am Rand von Skopje und teilt ihr Zuhause mit ihrer Freundin Suada, deren Töchtern Mia und Vanesa, sowie ihrem schwulen Freund Toni. Als Suada erkrankt, verspricht Dita, sich um die Mädchen zu kümmern, obwohl sie keine Mutterrolle annehmen möchte und die Kinder sie zunächst nicht akzeptieren. Gemeinsam kämpfen sie gegen ihre Trauer und die Herausforderungen, um als Familie zusammenzuwachsen. Goran Stolevski erzählt von einer einzigartigen queeren Familie, die den Alltag und Konflikte mit Spielfreude meistert und die Bedeutung des Zusammenhalts betont.

Die Relevanz queerer Repräsentation

Lucija, eine weitere Organisatorin, betont die Bedeutung der authentischen Darstellung queerer Lebensrealitäten. „Wir versuchen, queere Perspektiven in Szene zu setzen und zu porträtieren, abseits der Mainstream-Norm”, erklärt sie. Ein besonderer Höhepunkt des letzten Festivals war ein Thementag zu Ableismus, bei dem Filme gezeigt wurden, die sich mit Behinderungen innerhalb der queeren Community auseinandersetzen. 

„Wir hatten einen Film über einen Regisseur, der infolge seiner AIDS-Erkrankung erblindete, und eine lesbische Frau, die taub wird. Ihre Queerness war einfach ein Teil von ihnen, aber nicht der Hauptkonflikt“,

berichtet sie.

Diese Art von Repräsentation, bei der queere Identitäten nicht immer im Mittelpunkt des Konflikts stehen, ist ihr besonders wichtig. Lucija ist unter anderem für die Organisation der Queergestreift-Partys zuständig, mit denen das Festival eröffnet und beendet wird.

Ableismus ist ein am englischen Wort „ableism“ angelehnter Begriff, der aus der US-amerikanischen Behindertenbewegung stammt. Er beschreibt die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, indem Menschen an bestimmten Fähigkeiten – laufen, sehen, sozial interagieren – gemessen und auf ihre Beeinträchtigung reduziert werden.

Queergestreift Opening Party am 13. April 2024 im KULA.

Mehr als nur Filme?

Neben den Filmen bietet das Festival auch Raum für alternative Programme wie Theaterstücke, Erzählcafés und Vernetzungstreffen. „Wir füllen viele Lücken, insbesondere in der queeren Bildungsarbeit und im kulturellen Austausch zwischen verschiedenen Generationen“, betont Jana.

„Es ist extrem wichtig, dass sich junge und ältere Generationen über Begrifflichkeiten und Themen austauschen können. Leider gibt es in unserer Region nur wenige solcher Räume, weshalb das Festival eine umso größere Bedeutung hat“. 

Mit diesen Lücken meint sie unter anderem die bisher fehlenden institutionalisierten Beratungsstellen für queere Jugendliche. Abseits des Festivals gibt es ehrenamtliche Angebote, die hier einspringen. Gruppen, Vereine und Initiativen in Konstanz und darüber hinaus haben sich in den letzten Monaten zu „Queer Konstanz“ zusammengeschlossen. Ein erstes Ergebnis ihrer Zusammenarbeit: ein queerer Jugendtreff im Jugendzentrum Konstanz

Auf dem Gießberg trägt die „Queere Anlaufstelle Konstanz“ – eine Hochschulgruppe an der Uni Konstanz – ihren Teil bei. Queere Studierende bieten Beratung für queere Studierende, aber auch Lehrende oder Allies an. Dabei geht es meist um Fragen zu Outing, Transition, Fragen zu Gender Identity, sexueller Orientierung. Bei Lehrkräften und Angestellten der Uni beraten sie in Richtung queer-inklusiver Lehre, Pronomen oder Repräsentation von queeren Menschen. 

Auch das Rahmenprogramm des Festivals schafft eine wichtige Plattform für den Austausch und die Sichtbarmachung von Machtverhältnissen und Diskriminierung, die über das Festival hinaus wirken. Ein weiterer Höhepunkt des diesjährigen Programms war ein verbaler Selbstverteidigungskurs: Expert:innen und Polizei erklären, wie insbesondere queere Opfer sexualisierter Gewalt im Notfall handeln können, was es im Falle einer Anzeige zu beachten gibt und wie der Notruf richtig gewählt wird. 

Damit hat sich das Festival mit all seinen Veranstaltungen außerhalb des Kinosaals im Laufe der Jahre zu einer wichtigen Institution in der Region entwickelt. Nach der „Schwulen Filmwoche“ in Freiburg ist es das zweitälteste queere Filmfestival im deutschsprachigen Raum. „Vielleicht sogar das älteste, wenn man nur die queeren Aspekte betrachtet“, betont Lucija stolz. Dennoch bleibt die Frage offen, warum trotz eines so bewährten Festivals queeres Leben in Konstanz und in den Institutionen der Stadt so wenig sichtbar ist.

Fragen der Finanzierung

Trotz der Erfolge gibt es auch Herausforderungen. Wie bei vielen anderen kulturellen Veranstaltungen ist die Finanzierung nicht langfristig gesichert. Das sorgt jedes Jahr aufs Neue für Unsicherheit. Das Festival erhält Förderungen von lokalen Sponsor:innen und darf die Räumlichkeiten des Zebra Kinos nutzen. Indirekt erhält es auch Unterstützung von Bundesebene, genauer gesagt von der Beauftragten der Bundesregierung für Medien und Kultur. Diese schüttet Gelder an den Verband der unabhängigen queeren Filmfestivals in Deutschland e. V. „QueerScope“ aus. Hier kann das Festival wiederum Förderungen beantragen. 

„Die Pandemie hat vieles verändert und neue Herausforderungen mit sich gebracht, aber wir haben es geschafft, das Festival weiterzuführen und anzupassen“, erklärt Lucija. Das Team musste flexibel sein, um den neuen Bedingungen während der Pandemie gerecht zu werden und das Festival trotz aller Widrigkeiten aufrechtzuerhalten​. Sie haben das Festival aufgeteilt und passende Hygienevorschriften umgesetzt. Ein Teil der Filme wurde bereits im März 2020 gezeigt, den Rest konnten die Besucher:innen dann im September sehen.

Ein Zebra im Büro? Alltag im Zebrakino.

Gemeinschaftlicher Einsatz

Lucija ist überzeugt, dass das Festival auch in Zukunft ein Ort der Begegnung und des Austauschs sein wird, an dem queere Geschichten und Perspektiven lebendig bleiben und weiter wachsen können​​. Ein Blick hinter die Kulissen des Festivals zeigt, wie ehrenamtliches Engagement und eine klare Vision die kulturelle Landschaft einer Stadt bereichern können.

„In einer Zeit, in der viele kulturelle Veranstaltungen unter finanziellen und politischen Druck geraten, ist das Queergestreift Filmfestival ein gutes Beispiel dafür, was durch gemeinschaftlichen Einsatz erreicht werden kann“,

fasst Jana zusammen.

Das Festival ist mehr als nur eine kulturelle Veranstaltung. Es ist ein Ort der Begegnung und des Austauschs. Es ist ein Ort, an dem queere Geschichten und Perspektiven lebendig werden. Die Emotionen und das Engagement der Beteiligten machen es zu einem Ereignis, das die queere Kultur in der Region stärkt und sichtbar macht.

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