Warum wir eine verbindliche Sprachförderung in den Kitas brauchen

Ein Drittel aller Kinder in Baden-Württemberg kann sich vor dem Übergang zur Grundschule nicht richtig ausdrücken. Damit das letzte Kitajahr nicht vergedeut wird, braucht es gezielte Hilfen. Freundlich gemeinte Empfehlungen helfen jetzt nicht mehr weiter.
Das Kinderhaus Paradies ist eine von 13 städtischen Kindertagesstätten in Konstanz. Bild: Michael Lünstroth

Etliche Studien haben es in den vergangenen Jahren bewiesen – zu viele Kinder verlassen die Kita nicht schulreif. Gerade erst haben die landesweiten Einschulungsuntersuchungen gezeigt, dass viele Kinder motorische und sprachliche Defizite haben. Es fehlt nicht selten an grundlegenden Kompetenzen, Misserfolg in der Grundschule wird dadurch wahrscheinlicher, Frust am Anfang der Bildungskarrieren kann die Folge für Kinder sein. Ein Grund dafür – die bislang oft mangelnde Sprachförderung in den Kitas.

Das liegt auch daran, dass es in Baden-Württemberg trotz umfangreicher Untersuchungen vor dem Schulbeginn bislang keine verbindliche Sprachförderung gibt. Die Behörden sprechen Empfehlungen aus, am Ende liegt es aber an den Eltern, diesen zu folgen oder eben auch nicht. Wenn die Empfehlungen verpuffen, kann das letzte Kitajahr für Kinder zu einem vergeudeten Jahr werden. Betroffen sind davon oft gerade sozial benachteiligte Kinder, die eigentlich dringend strukturierte Förderung bräuchten, weil ihre Eltern diese Unterstützung nicht leisten können oder wollen.

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Krass: Ein Drittel der Kinder hat Förderbedarf

Die aktuelle Auswertung der Einschulungsuntersuchungen in Baden-Württemberg hat es deutlich gezeigt: Bei rund einem Drittel aller Kinder besteht demnach ein intensiver Sprachförderbedarf. Besonders betroffen davon sind Kinder, die in den ersten drei Lebensjahren eine andere Familiensprache als Deutsch gesprochen haben (80 Prozent), gefolgt von den Kindern, die Deutsch und eine andere Sprache gesprochen haben (50 Prozent).  Allerdings: Auch 13 Prozent der Kinder mit ausschließlich deutscher Familiensprache zeigen einen intensiven Sprachförderbedarf

Diese Erkenntnis ist umso bitterer, weil es in den vergangenen Jahren durchaus Bemühungen gab, das zu verhindern. Zentral dafür ist die Einschulungsuntersuchung, die bei allen Kindern in Baden-Württemberg im vorletzten Jahr vor der Einschulung stattfindet. Ziel der Untersuchung: möglichst frühzeitig gesundheitliche Einschränkungen und Defizite zu erkennen, um vor dem Schulstart etwas daran ändern zu können. Auffällige Kinder erhalten eine Weiterleitung an eine:n niedergelassene:n Arzt oder Ärztin zur weiteren Untersuchung, von dort kann dann beispielsweise Logopädie verschrieben werden, wenn es notwendig erscheint.

Wächst hier noch Hoffnung in der Kitakrise? Ein bepflanzter Gummistiefel vor dem Kinderhaus Paradies. | Foto: Michael Lünstroth

Warum eine Empfehlung nicht ausreicht

Wie gut die Kinder sich ausdrücken können, wird mit eigens entwickelten Testmethoden geprüft. Dabei geht es vor allem darum Lese- und Rechtschreibprobleme zu erkennen, sowie Sprachverstehen, Sprachproduktion und Sprachgedächtnis zu untersuchen. Ähnliche Tests gibt es zudem für den Bereich Mathematik. Am Ende der Untersuchung geben die zuständigen Ärzt:innen eine Einschätzung ab.

Das Problem daran: Bislang ist diese Einschätzung nur eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen. Bei besonders auffälligen Ergebnissen gibt es zwar ein Nachgespräch mit den Eltern, aber wenn die, aus welchen Gründen auch immer, in die weitere Förderung ihres Kindes nicht einwilligen, dann passiert: nichts.

Was wir von Hamburg lernen können

Das Scheitern in der Grundschule ist damit programmiert. Dabei gäbe es nach der Einschulungsuntersuchung ausreichend Zeit, die Kinder fit zu machen für die Schule. Ohne eine verbindliche Ansage der Behörden droht das letzte KItajahr für die betroffenen Kinder so zum vergeudeten Jahr zu werden. Daran ändern auch die schon länger bestehenden Grundschulförderklassen wenig.

Andere Bundesländer haben das oft besser geregelt als Baden-Württemberg. Hamburg zum Beispiel. Dort werden alle viereinhalb-jährigen Kinder untersucht. Wird hierbei „ein ausgeprägter Sprachförderbedarf festgestellt, nimmt das Kind verbindlich an einer zusätzlichen Sprachförderung im Vorschuljahr teil. Die Lösung dafür liegt im Hamburgischen Schulgesetz. Denn: Für diese Kinder gilt eine vorgezogene Schulpflicht bereits im Vorschuljahr.



Gute Ansätze in der neuen Bildungsreform

Die gute Nachricht nun ist: Durch die aktuelle Bildungsreform bewegt sich auch in Baden-Württemberg etwas. Mit „SprachFit“ wird ein Programm zur verbindlichen Sprachförderung eingeführt, das in der Kita beginnt und sich die gesamte Grundschulzeit durchzieht. Dazu zählt auch eine verbindliche Sprachförderung im letzten Jahr vor der Einschulung im Umfang von vier Wochenstunden.

Hat ein Kind dann, wenn es schulpflichtig ist, immer noch intensiven Unterstützungsbedarf in der Sprache und/oder in anderen Entwicklungsbereichen, besucht es ein Jahr lang eine so genannte Juniorklasse. Sie ersetzen die bisherigen Grundschulförderklassen und sollen Kinder fit machen für den regulären Unterricht in der Grundschule.

Wo es noch einen Haken gibt

Los geht es damit ab dem 1. August 2026 an Grundschulen im ganzen Land. Wer daran teilnehmen darf, entscheidet die Schulleitung unter Berücksichtigung aller Erkenntnisse im Rahmen der Schulanmeldung. Aber wie immer in der Bildungslandschaft Baden-Württemberg hat die Sachen auch noch ein paar Haken. Die Juniorklassen werden nicht an allen Grundschulen eingeführt.

Das Angebot wird auch nur langsam wachsen. Das Ziel: Ab dem Schuljahr 2028/2029 soll an jeder dritten Grundschule eine Juniorklasse eingerichtet sein. Die Standorte der Juniorklassen sollen dann so verteilt sein, „dass sie für die Kinder in zumutbarer Erreichbarkeit liegen“, erklärt das Bildungsministerium. Auch ein Problem: In der Übergangszeit bis 2028 bleibt der Besuch der Juniorklassen unverbindlich. Das Tor zur Bildungsungerechtigkeit bleibt also bis dahin noch ein bisschen offen.

Was die neue Bundesregierung verspricht

Um aber nicht desillusioniert zu enden: Es gibt auch einen Hoffnungsschimmer. Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, das milliardenschwere „Startchancenprogramm“ nicht nur an Grundschulen auszubauen, sondern künftig auch Kitas in sozial schwierigen Lagen stärker zu unterstützen. 

Und beim Thema Sprachförderung soll es mehr Klarheit geben: „Für gutes Aufwachsen und Chancengerechtigkeit für alle Kinder in Deutschland werden wir die verpflichtende Teilnahme aller Vierjährigen an einer flächendeckenden, mit den Ländern vereinbarten Diagnostik des Sprach- und Entwicklungsstands einführen.“

Nun denn. Jetzt muss man es nur noch machen.