Eigentlich ist das ja eine Geschichte, wie man sie gerne erzählt. Eine junge Frau, die mit ihren Eltern aus Polen nach Deutschland gekommen ist. Sie macht Abitur, studiert, ist quasi prototypisch das, was auch in Medien als migrantische Aufstiegsstory verkauft wird. „Du bist doch jetzt angekommen! Toll, wie du das geschafft hast“, hört sie von anderen.
Aber ist sie wirklich angekommen? Hat sie es wirklich geschafft? Oder wird sie auch in der zweiten Generation in der neuen Heimat mehr geduldet als wahrgenommen als das, was sie ist? Eine junge Frau, die sich nicht über äußere Umstände definieren lassen will, sondern ihre ganz eigene Geschichte schreiben will.
Intime Bühne für berührenden Stoff
Genau das ist die Geschichte von Ewe Benbeneks Text „Tragödienbastard“, der jetzt in der Regie von Emel Aydoğdu am Theater Konstanz Premiere feierte. Während sich Europa gerade wieder darüber zerlegt, wie es mit Asyl und Geflüchteten umgehen möchte, geht das Stück einen Schritt weiter und beobachtet, wie es den Menschen geht, die gekommen und geblieben sind.
Wie viele der Hoffnungen von damals haben sich wirklich erfüllt? Wie geht die zweite Generation mit der Entscheidung der Eltern um? Und was bedeutet es wirklich, in einer fremden Gesellschaft neu anzufangen? Spielort ist die intime Werkstattbühne. Da, wo man als Zuschauer:in ganz nah dran ist. Genau richtig für diesen sehr berührenden Stoff. Und genau richtig, um drei außergewöhnlich guten Schauspielerinnen beim Ausbruch zuzusehen.
Was Kristina Lotta Kahlert, Lilian Prent und Ruby Ann Rawson hier auf die Bühne hämmern (man muss das so schreiben, weil ihre Performance so kraftvoll ist), ist, wie der oft mit englischen Einsprengseln arbeitende Text von Ewe Benbenek wohl sagen würde, ziemlich „mind-blowing“.
Erzählt wie im Rausch
Ihre Figuren haben keine Namen, auch im Text heißen sie nur A, B und C. Ob es überhaupt eigenständige Figuren sind oder nur Facetten einer Persönlichkeit, lässt der Text offen und auch Regisseurin Emel Aydoğdu legt sich hier nicht fest. Kann so oder so sein.
Das Stück erzählt episodenhaft aus der Perspektive der Hauptfigur. Manchmal sehr konkret bei der Schilderung eines Besuches bei der Oma, meistens eher reflektierend über all das, was ihr, fast einem Bewusstseinsstrom gleichkommend, in den Sinn kommt.
Das Hadern mit der eigenen Familie
Die Angst, immer noch nicht angekommen zu sein. Die Angst, die eigene Identität zu verraten, wenn man die Muttersprache nicht mehr spricht, der Kampf mit der Bürokratie und ihren schrecklichen Formularen, die Wut, dass immer alle von ihr Erklärungen für etwas fordern, was man vielleicht gar nicht erklären kann. Das Stück zeigt einfühlsam, wie die zweite Generation auch mit der ersten hadert:
„Mein Vater, den ich anschreien möchte vor Wut und sagen möchte: Warum hast du einfach weitergearbeitet, dein ganzes Leben, warum hast du dich nicht organisiert? Warum hast du dich nicht solidarisiert mit jenen, die auch nur schuften mussten? Warum? Warum hast du dich nicht verbündet mit jenen, die auch in deiner Lage waren?“
Was die Wut mit den Menschen macht
Die Wut auf die Alten ändert die Haltung der Jungen: „Aber weißt du, das Brav-Sein, das Anpassen, das führt dazu, dass da tief in dir drin ein Space ist, der nicht versteht, was da mit dir gemacht wird, und der irgendwie doch weiß, dass es nicht richtig ist.“ Und eigentlich ist da doch nur der eine Wunsch: „Was, wenn es hier tatsächlich sein dürfte, mehr als eine Sache zu sein, wenn es hier möglich wäre, alles zu sein.“
Nicht zuletzt ist „Tragödienbastard“ ein feministisches, emanzipatorisches Stück. Auch das legt die Auseinandersetzung mit der vorherigen Generation und ihrem „Mindset“ offen:
„Diese Männer, und die Schnäuzer über ihren Mündern, aus denen mir seit dreißig Jahren, aus denen mir seit fucking dreißig Jahren chauvinistische Kackscheiße entgegenkommt, diese Männer, die auch Onkels sind, diese Onkels, die dir auf der Familienfeier ein Bier organisieren oder auch zwei, und eine Kippe, die sie dann heimlich mit dir hinter der Garage rauchen, damit deine Eltern das nicht mitbekommen, diese Männer, und ihre Chauvi-Schnäuzer, die du trotzdem doch irgendwie liebst.“
Regisseurin verlässt sich auf die Kraft des Textes
Regisseurin Emel Aydoğdu inszeniert all das sehr reduziert und einfühlsam. Der kleinen Werkstattbühne steht Bombast ohnehin nicht so gut. Es gibt ein variables Podest, das je nach Szene unterschiedliche Funktionen übernimmt: Wohnung, Bett, Club und manchmal auch die einsame Insel, auf der sich die Hauptfigur verloren fühlt. Der Glamour kommt ab der zweiten Hälfte durch die wirklich pompösen Kostüme (Eva Lochner), die die Hauptfiguren zu Göttinnen der Nacht werden lassen. „Tragödienbastard“ ist Schauspielerinnentheater und die Regisseurin lässt Kristina Lotta Kahlert, Lilian Prent und Ruby Ann Rawson den Raum, genau das auszuspielen.
Klug spielt die Regisseurin auch mit den Klischees in den Köpfen der Zuschauer:innen. „Ja, so schneeweiß, wie die Schauspielerinnen sind, sehen sie jetzt nicht gerade aus, als hätten sie migrantischen Hintergrund“, denkt man in einem Moment still für sich, und: „Dürfen die das überhaupt spielen oder ist das kulturelle Aneignung?“ Und dann spricht eine der Figuren auf der Bühne genau das aus. Wie sie daran verzweifelt, dass andere ihr sagen, sie sähe ja gar nicht aus wie eine Migrantin und spreche auch gar nicht so. Man fühlt sich ertappt und denkt: „Fuck! Bin ich Rassist?“
Fast ein Kommentar zur aktuellen Lage
Wenn man so will, dann kann man das Stück auch als Kommentar zur aktuellen Lage lesen. Zumindest dazu, wie wir, die wir schon hier sind, mit den Menschen umgehen wollen, die zu uns kommen. Autorin Ewe Benbenek hat eine klare Haltung dazu.
Sie lässt ihre Hauptfigur sagen: „Wollt ihr es wirklich? Dass es sich wiederholt, wieder und immer wieder, dass sich die Geschichte wiederholt, dass ihr Menschen macht, immer wieder neue, am besten jene, die gerade erst gekommen sind und noch nicht viel wissen, wollt ihr es wirklich, dass es sich wirklich immer wieder wiederholt, sie zu machen, Menschen zu Menschen zweiter Klasse zu machen, die dann bitte nicht viel reden, die dann bitte viel arbeiten, damit ihr es nicht müsst, damit ihr weiter euer Zeug machen könnt, damit ihr weiter in Ruhe eure Macht machen könnt.“
Was für ein großer Text!
Im Grunde ist der Text der Hauptdarsteller des Abends. Voller Wut, voller Klugheit, voller Nachdenklichkeit und mit der notwendigen Portion an street credibility. Direkt, klar und trotzdem differenziert und suchend. Nichts ist eindeutig in Benbeneks Text, etwas, das in einem Moment voller Inbrunst behauptet werden kann, kann im nächsten Satz schon wieder hinterfragt werden.
Diese Unsicherheit spiegelt die Unsicherheit der Hauptfiguren und das ist schon ziemlich groß. Das ist kein Theatertext, das ist ein Ereignis. 2021 erhielt die Autorin dafür den Mülheimer Dramatikpreis.
Mehr Glamour fürs Leben
Und am Ende des kurzweiligen Stücks geht es dann raus in die Nacht. Die „Sisters“ wollen das Leben feiern. „Klack, klack, klack. bäm! bäm! bäm!“ Die Nacht wird anders ausgehen, als sie denken, aber hey, „wir sind jetzt hier, so richtig, so for real, so mit Präsenz, so mit In-Your-Face-Präsenz“. Grandios.
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