- Emin Hasirci verbindet in Konstanz Urban Art mit Gesellschaft und Stadtentwicklung, um den öffentlichen Raum kreativ und inklusiv zu gestalten.
- Seine Projekte wie „Signals under Traffic“ werten touristische und städtische Orte auf, fördern Begegnungen und beleben „Angsträume“.
- Er betont die Identifikation durch Graffiti als Ausdruck kultureller Vielfalt und Inspiration für eine lebendigere Stadt.
- Hasirci kämpft gegen Vorurteile und betont die strategische, methodische Grundlage seiner Arbeit.
- Als Vermittler zwischen Szene und Stadt setzt er sich für Dialog und Respekt in der Graffitikultur ein.
- Seine Vision: Authentische Urban Art statt kommerzieller Anpassung für eine lebenswerte, vielfältige Stadt.
Das Büro von Emin Hasirci liegt fast versteckt im Parterre. Der feine Geruch nach Sprühfarbe passt zu dem Raum, der mit jedem Möbel zwischen Atelier und schickem Büro mäandert. Große Entwürfe, glänzende Rechner, Malutensilien und ein Sofa füllen den Raum. Von hier aus bietet Emin Hasirci mit seinem Designstudio Eminent Dienstleistungen für Unternehmen an. Er möchte neue Räume für urbane Kunst schaffen. Wandbilder sollen ihren Platz in der städtischen Gesellschaft bekommen.
„Ist Graffiti noch Subkultur? Marken, Firmen, Städte und sogar andere Kulturen bedienen sich daran. Für mich gibt es keine Trennung mehr zwischen Hochkultur und Subkultur – das ist einfach gelebte Kultur. Graffiti ist längst salonfähig geworden und deswegen sehe ich Urban Art als Chance. Eine Chance zur Aufwertung, eine Chance für Begegnungen über alle sozialen Schichten hinweg, eine Chance, den öffentlichen Raum kreativ zu nutzen, und eine Chance, das Stadtbild lebendiger zu gestalten. Die Kunst hier bewegt etwas in den Menschen.“
Trotzdem ist es für ihn als Geschäftspartner für Unternehmen nicht immer einfach, als das Gesicht der lokalen Graffiti-Szene angesehen zu werden.
„Oft höre ich: ‚Ah, du bist doch der Graffiti-Sprüher.‘ Aber ich möchte nicht darauf reduziert werden, denn ich kämpfe oft gegen dieses Schubladendenken. Ich bin gelernter Grafiker und studierter Kommunikationsdesigner. Alles, was ich erarbeite, basiert auf Strategie, Methodik und Gestaltung – Aspekte, die oft übersehen werden.“
Ein städtisches Projekt mitten im touristischsten Teil der Stadt, in der Marktstätten-Unterführung, seriöser könnte ein Kunstprojekt sich außerhalb einer konventionellen Galerie kaum in eine Stadt einfügen. Damit endete für ihn das Studium und begann sein Herzensprojekt.
„Für meine Masterarbeit wollte ich etwas gesellschaftlich Relevantes schaffen. Ich habe daher den Ist-Zustand der Fahrradbrücke bis zum Schänzle-Areal erfasst und acht Monate lang recherchiert, darunter 18 Interviews mit Experten aus Stadtentwicklung, Bürgerbeteiligung und Design geführt. Es ging mir darum, zu verstehen, wie der Raum genutzt wird, welche Bezugsgruppen und Konflikte bestehen und welche Lösungsansätze möglich wären.
Ein Aspekt war: Wie kann Kunst den Raum beleben? Schon während meiner Arbeit sprach ich mit dem Kulturbüro über die Idee einer kostenfreien Urban Art-Galerie, die auch sogenannte Angsträume wie Unterführungen aufwerten könnte.
Das Projekt wurde mit knapper Mehrheit genehmigt und sollte innerhalb von vier Monaten starten. 2016 entwickelte mein Studio Eminent das Konzept „Signals under Traffic“. Fünf Jahre nach der Umsetzung dieses ersten Events wandte sich der Konstanzer Baubürgermeister an mich, um das Projekt wie geplant weiterzuführen. Dabei wurden die Beleuchtung und Fassaden weiterentwickelt und Professor Eberhard Schlag von der HTWG kam als Unterstützer hinzu. So entstand die Urban Art Galerie, die im Team weiterentwickelt wurde.“
Wenn es Erfolge zu verzeichnen gibt, ist Hasirci nicht der Typ für Zurückhaltung. Er freut sich immer noch über die Umsetzung und darüber, ins Zentrum des Konzepts seiner geliebten Urban Art in Konstanz gerückt zu sein. Die lässt ihn seit Kindertagen nicht los.
„Ich konnte mich Schon früh mit klassischem Graffiti identifizieren. Als Kind habe ich viel gezeichnet und durch die Hip-Hop-Kultur kam ich dann sowohl mit Breakdance als auch mit Graffiti in Berührung. Zuerst habe ich gebreakt, dann zur Sprühdose gegriffen – das hatte einfach diesen Wow-Effekt auf mich. Der Gedanke, eine Skizze direkt auf die Wand zu bringen und ohne Radiergummi einfach mit Farbe zu korrigieren, hat mich total fasziniert.
Bis heute begeistern mich die Arbeiten mit Buchstaben am meisten, auch wenn ich figürlich arbeiten kann. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich mir in der Stadtbücherei Bücher über Schriften und Alphabete ausgeliehen habe, um zu verstehen, wie Handschriften funktionieren. Denn darum geht es letztlich: seine eigene Handschrift zu entwickeln.“
Hasirci steht auf und holt zielsicher ein Buch aus dem Regal, Martha Cooper und Henry Chalfants „Subway Art“. Er hat es in der Erstausgabe und reicht es behutsam hinüber. Schließlich ist es das Buch, mit dem die Graffitikultur nach Europa kam. Daneben stehen auch Banksy und Co., aber das hier ist der Anfang. Es ist voll mit bunten Zügen, Unterführungen und Brücken.
„Wenn du im öffentlichen Raum malst, erreichst du eine ganz andere Sichtbarkeit. Menschen nehmen die Kunst wahr, oft auch unbewusst. Urban Art kann hier Orientierung geben und als Landmark dienen, wie zum Beispiel ‚das große Kunstwerk in Allmansdorf‘ – ein gutes Beispiel dafür. Solche Werke machen Quartiere attraktiver und bieten eine visuelle Orientierungshilfe. Das kann ein starkes Argument dafür sein, dass Menschen sich für eine Stadt entscheiden. Hier spielt auch kulturelle Vielfalt eine wichtige Rolle.“
Überhaupt steht Identifikation ganz weit vorne auf der Liste der Dinge, die Graffiti kann und das schon seit seinen Anfängen, betont Hasirci.
„Mit Graffiti beginnt man oft, um sich mitzuteilen – das war schon bei den Höhlenmalereien so und später in den Vierteln, wo Gangkultur entstand. In New York entwickelte sich daraus eine Kultur, die als Ausweg aus Perspektivlosigkeit und Chancenarmut diente. Der Wunsch nach positiver Aufmerksamkeit führte dazu, dass Sprayer Züge als rollende Leinwände sahen, die ihre Botschaften durch die Stadtteile trugen.“
Etwas vont diesem Erbe gibt es also auch in der braven Kleinstadt Konstanz, die von den Metropolen gesehen etwas abgelegen am Rande des Landes liegt. Wobei Hasirci dazu erstmal über die Machbarkeit von ökologischen Anreisen und einem globalen Netzwerk spricht. Wie die Stadt hier grundsätzlich zu klein sein soll, scheint fern zu liegen.
„Es gibt hier eine Szene, die sich aber ständig verändert, einfach weil es eine Studierendenstadt ist. Im Vergleich zu einer Großstadt ist die aber nicht groß, das sind vielleicht 20 bis 30 Jugendliche.
Daneben sind da Erwachsene, die einfach drangeblieben sind und das als Hobby machen, da zähle ich selbst auch dazu. Ich habe Familie und gehe trotzdem manchmal noch sprühen, nur legal natürlich. Zur Schänzlebrücke gehe ich nicht mehr gerne, da kann ich mich nicht mehr so identifizieren, da ich dort einfach schon zu oft gemalt habe. Ich habe mehr Lust, endlich mal eine große Fassade zu machen.“
Der mangelnde Platz sorgt für Frust unter den Sprayer:innen. Schicht für Schicht wechseln die Motive. Hasirci hat eine Holzkiste mit Tee für Gespräche in seinem Büro, und eine inoffizielle Vermittlerrolle für Gespräche zwischen Stadt und der schwer greifbaren sogenannten Szene. Mangelnder Respekt durch Externe, die nur auch mal eben etwas sprühen wollen, machen Hasirci wütend.
„Auf einer legalen Fläche übermalt man in der Regel kein aufwendiges Bild mit nur zwei Farben – das wäre respektlos gegenüber dem Aufwand und den Kosten, die eine andere Person für seine Farbdosen aufgebracht hat. Wenn daneben ein neueres, weniger aufwendiges Bild ist, würde man eher darüber gehen. Die Szene hat ihre eigenen Regeln und deshalb ist der Dialog innerhalb der Szene so wichtig.“
Außerhalb der legalen oder illegalen Betonflächen verschwimmen die Grenzen, werden die Stilmittel der Graffiti-Kunst von den Marketing- und Kunstmechanismen aufgesaugt.
„Wer sich nicht mit Kommerzialisierung auseinandersetzt, macht sich das Leben leichter – und meiner Meinung nach damit einen Fehler. Wie viel von dieser ursprünglich freien Kunstform wird zur Dienstleistung? Man kann zum Beispiel Sprühstaub als Designelement einsetzen, als Sinnbild für Rebellion – ein Stilmittel, das mittlerweile überall zu finden ist und so manchem Designbüro sogar eine Auszeichnung eingebracht hat, auch im Bewegtbilddesign.
Für mich ist entscheidend: Wo ziehe ich die Grenze? Wann bin ich nicht mehr authentisch oder betreibe nur Sellout? Kunden müssen wissen, dass ich hier eine klare Haltung habe. Wenn es nur um Verkaufsförderung geht, bin ich vermutlich der falsche Ansprechpartner.“
Jetzt, wo Graffiti im Mainstream angekommen ist, sieht er die Zeit gekommen, mit Wandbildern, sogenannten Murals, und Urban Art die Städte bunter zu machen. Nicht illegal aus der Not heraus, sondern in Kooperation und für eine lebenswertere Stadt.
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