- Kriegsreporter Emran Feroz sprach in Konstanz über die vergessene Krise in Afghanistan und mahnte zur Empathie in der deutschen Asyldebatte.
- Er berichtete von systematischer Korruption, etwa „Geisterschulen“ und „Geistersoldaten“, die Gelder verschwinden ließen.
- Auch Taliban-Führer, die angeblich getötet wurden, tauchten immer wieder auf – ein Sinnbild für die Illusion westlicher Kontrolle.
- Deutschland blockiert die Aufnahme afghanischer Ortskräfte, viele warten in Pakistan vergeblich auf Rettung.
- Abschiebungen nach Afghanistan häufen sich, während die Bundesregierung mit den Taliban verhandelt.
- Feroz fordert, Geflüchtete stärker in lokale Debatten einzubeziehen, da sie in Deutschland auf „Bewährung“ leben.
Noch murmelt und raschelt es, doch die Ohren sind gespitzt. Das Mikrofon knackt. Alle Blicke richten sich auf den Mann, der sich nun in seinem Baststuhl aufrichtet. Die Moderatorinnen – die Politikstudentin Lena Moriz und die Psychologiestudentin Paula Steffin, beide Konstanzer Amnesty-Mitglieder – heißen die 70 Gäste willkommen.
Es ist Ende Januar und Emran Feroz ist in Konstanz – der austro-afghanische Journalist, der unter anderem für die „New York Times“, „Die Zeit“ und den „Spiegel“ schreibt, vier Bücher veröffentlicht und mehrere Podcasts produziert hat. Feroz ist eine der wichtigsten afghanischen Exil-Stimmen in Deutschland. Er spricht Dari und Paschtu und reiste bis 2023 regelmäßig ins Land seiner Eltern. Das tut er inzwischen nicht mehr.
„Wenn du dem Taliban-Geheimdienst in die Hände fällst, können sie dich schnell mal monatelang verschwinden lassen, und niemand weiß, wo du steckst.“
Ihn persönlich würde das nicht abschrecken, aber seiner Familie könne er das nicht zumuten. Doch noch immer glühen seine Drähte nach Afghanistan. In Konstanz berichtet er von verschwundenen Freund:innen, von ihrer Verzweiflung, ihrer Wut. Und vom Gift, das Afghanistan bereits vor und nun unter der militant-islamistischen Taliban-Herrschaft lähmt: Korruption.
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Angelina Jolie investierte in eine „Geisterschule“
Feroz erzählt: 2019 – also noch vor der Taliban-Herrschaft – reiste die US-Schauspielerin und Menschenrechtsaktivistin Angelina Jolie nach Afghanistan. Nach Gesprächen mit afghanischen Mädchen und Frauen trat sie vor die Presse und kündigte an: Sie wolle eine Schule errichten. Eine Million Dollar stellte sie für Bau und Personal bereit. Schnell fand sich ein Einheimischer, der Jolie eine afghanische Baufirma vermittelte. Monate zogen ins Land. Jolie war längst zurück in ihrer 25-Millionen-Dollar-Villa in Los Angeles, sagt Feroz.
Sicher fragte sie sich mal, was aus ihrer Schule in Afghanistan wurde, sah Bilder glücklicher Mädchen vor dem Schultor. Das lokale Bauunternehmen hatte Kinder aufgetrieben, die sich für Selfies vor der Schule aufstellen sollten. Feroz berichtet, wie sie als Gegenleistung Essen, Stifte, Bücher bekamen.
Allein: Jolie wusste nicht von den leeren Schultafeln und Bänken. In das Schulgebäude kehrte nie Leben ein – niemand hatte Lehrkräfte eingestellt. Jolie ging einem Betrug auf den Leim, und Hunderttausende Dollar versickerten an unbekannten Orten. Laut Feroz gibt es in Afghanistan rund 700 solcher „Geisterschulen“. Und er fragt:
Macht das noch einen großen Unterschied? Viele Jugendliche haben heute sowieso keinen Schulzugang.
Immer mehr „Geistersoldaten“ in Afghanistan
Laut Feroz spukte es vor der Machtübernahme der Taliban 2021 nicht nur in den leeren Schulen, sondern auch in den Reihen des regulären Militärs. Dort gab es unzählige Karteileichen – er nennt sie „Geistersoldaten“. Sie existierten nur auf dem Papier, bezogen ihren kargen Sold und verkauften ihre Ausrüstung, um die Familie zu ernähren. So bestand ein Bataillon oft nicht aus zwanzig, sondern nur aus sieben aktiven Kämpfern – die Sneaker statt Stiefel trugen.
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Außerdem tauchten in diesen Tagen immer wieder Taliban-Führer auf, die von den USA bereits für tot erklärt wurden. Die Afghan:innen nennen auch sie „Geister“. Sie scheinen unsterblich zu sein, trotz tausender Bombardements und Drohnenangriffe westlicher Armeen, sagt Feroz. Ex-US-Präsident Barack Obama ließ allein 2019 fast 7.200 Drohnenangriffe fliegen, so das Bureau of Investigative Journalism. „Da frage ich mich schon, wen die eigentlich getötet haben“, sagt Feroz. Auch der derzeitige Taliban-Herrscher, Hibatullah Achundsada, gilt als unsichtbarer Führer. Er zeigt sich kaum in der Öffentlichkeit.
Deutschland entzieht sich seiner Verantwortung
Kritische Stimmen, Andersdenkende und ethnische Minderheiten radierten seine Taliban längst aus dieser Öffentlichkeit. Feroz nennt vor allem Tadschik:innen und Hazara, aber auch Frauenrechtler:innen, die in afghanischen Gefängnissen festgehalten werden. Journalist:innen im Land stehen vor einer unmöglichen Wahl:
„Sie müssen Taliban-Propaganda verbreiten, um ihr Brot zu verdienen. Ihr Motto lautet: So viel Wahrheit wie möglich“, sagt Feroz.
Ein mit ihm befreundeter Journalist lebe eingeklemmt zwischen den Häusern zweier hochrangiger Taliban im Norden Afghanistans. Von seinem Beruf wissen sie nichts. Eigentlich sei für den Kollegen das deutsche Bundesaufnahmeprogramm vorgesehen gewesen. Doch für ihn und viele andere Ortskräfte liegt es de facto auf Eis. „Ein Riesenskandal“ sagt Feroz. Hunderte von ihnen sind im Nachbarland Pakistan gestrandet und warten auf Signale aus Deutschland, das stetig nach rechts rückt.
Er erinnert an den 69. Geburtstag von Ex-Innenminister Horst Seehofer, an dem dieser freudig verkündete, 69 Afghan:innen abgeschoben zu haben. Feroz hat einige von ihnen getroffen. Ein Mann erhängte sich kurz nach seiner Rückkehr. Andere leben bereits wieder in Deutschland.
Diese Abschiebungen häufen sich nun, nachdem am Tag seines Vortrags CDU-Chef Friedrich Merz die „Asylwende“ ausgerufen hat. „Damit kriminalisiert er pauschal Geflüchtete“, kritisiert Feroz. Dabei haben selbst Geflüchtete, die straffällig geworden sind, in Deutschland Rechte. Feroz hält es für zynisch, freut man sich nun über erste Gespräche der Bundesregierung mit den Taliban – gehe es doch nur darum, noch mehr Abschiebungen abzuwickeln.
In Konstanz leben knapp 1.200 Menschen aus dem Irak, Iran, Syrien und Afghanistan. Feroz’ Vortrag macht klar, wie wichtig es ist, nicht nur über, sondern mit ihnen zu sprechen. Und sie noch mehr in Stadtgespräche einzubinden, vor und nach der Bundestagswahl. Entsprechend aufgebracht fielen auch einige Fragen aus dem Publikum aus. In einem kürzlich erschienenen „Zeit“-Artikel von Feroz schreibt er über die aktuellen Signale der deutschen Mehrheitsgesellschaft an afghanische Geflüchtete:
„Ihr seid hier auf Bewährung – und bleibt es bis auf Weiteres.“
Wenn Feroz an die Menschen in Afghanistan denkt, schwindet seine Hoffnung, gerade in deutsche Institutionen oder Einzelpersonen. Bevor er das Mikro weglegt, sagt er noch: „Die Zukunft der Menschen in Afghanistan ist … ach, ich bin am Boden zerstört.“
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