- Dieser Artikel ist ein Auszug aus Michael Buchmüllers Buch „Stadtgesichter“. Es ist Michaels zweites Buch.
- 2022 erschien sein erstes Buch „Konstanzer Stadt(teil)-Geschichten“, in dem Konstanzer:innen davon erzählen, wo und wie sie wohnen und leben.
„Milk and Honey“ ist ein kleines Cafè in der Neugasse. Anfang Januar 2019 hat es eröffnet. Ein schmaler Schlauch mit kleinen Tischen am Rand, nach hinten hin sich etwas öffnend. Im Lagerraum am Ende sind die unverputzten Steine der Stadtmauer zu erkennen. Der Name, so Mitinhaber Thomas Kluge, hat verschiedene Anklänge: Er sei eine stille Verneigung vor Sascha Pertrowsky, einem Barkeeper, der in New York eine kleine Bar im Stile der 20er Jahre mit gleichem Namen führte. Und es ist der Titel einer Schallplatte, die John Lennon und Yoko Ono aufgenommen haben.
„Und die beiden sind ja eine ähnliche Konstellation wie wir.“
Denn er führt das Geschäft zusammen mit Anh-Thu, einer Gastronomin, gebürtig aus Vietnam, die die Khi-Bar in der Bahnhofstraße eröffnete, dann ihrer Schwester übergab, wegzog und später zurückkehrte. Thomas hat dort acht Jahre als Barkeeper gearbeitet. Anh-Thu und er wurden ein Paar. Geschäftlich und privat. In ihren Geschäfts-Email-Namen ist deshalb er „milk“ und sie „honey“.„Milk and honey“ soll natürlich auch nach dem Land klingen, in dem „Milch und Honig fließen“.
Und tatsächlich ist dieses Café eine kleine Oase, in der unter den Balken des Hauses „Zum Granatapfel“ aus dem Jahre 1550 an kleinen Zweier- und Vierertischen gemütlich geplaudert werden kann. „Hier kommen auch Studierende her, deren Eltern gerade zu Besuch in Konstanz sind, um denen zu zeigen: Guck mal, hier sitze ich oft!“ Und Thomas hat auch beobachtet, dass es ein beliebter Dating-Treffpunkt geworden ist. Da sitzen sich dann Paare, harmlos- schüchtern-öffentlich, für erste Annäherungsversuche gegenüber. Und es kommen auch die Nachbar:innen und Bewohner:innen der Innenstadt.
60-70 Prozent Stammgäste, im Sommer dann auch viele Tourist:innen, die gerne draußen Platz nehmen. Aber „Working-space“ sei das Lokal nicht, deshalb gibt es das Verbot, mit Laptops am Tisch zu arbeiten. „Da sitzen dann Leute abgeschottet mit ihren Kopfhörern über ihre digitalen Geräte gebeugt. Das passt nicht hierher.“ Nein, besser ist es, sich hier zu unterhalten. Nett zu plaudern. Ein Buch zu lesen.
Zwischen Büchern, Bars und Neustarts
Thomas ist 1976 in Rottweil geboren, dann in Stuttgart aufgewachsen. Als Kind begeisterter Leser der Kinderbuchklassiker. Astrid Lindgren. („Ronja Räubertochter war eine coole Socke, dieses Anarchische, Selbstbestimmte…“), Michael Ende und auch Karl May, von dessen unzähligen Bänden die Tante immer eines mitbrachte, wenn sie zu Besuch kam. Da lag es nicht fern, nach dem Abitur eine Buchhändlerausbildung zu absolvieren und danach Literaturwissenschaft zu studieren. Was ihn zum Studium nach Konstanz brachte, das war kurz vor der Jahrtausendwende.
Nach zwei Semestern war Schluss, eigentlich schon früher. Er jobbte im Spielcasino am Bahnhof, beaufsichtigte die Automaten „im Polyesteranzug des Betreibers“, leerte Aschenbecher, reichte Kaffee und stellte, zusammen mit dem anwesenden Finanzbeamten, die Glücksspielgeräte wieder auf Null, wenn diese aufblinkten, einen Gewinn anzeigend. Daneben organisierte er mit anderen Mitstreitern kleine Technoparties, was ihn auf die Idee brachte „Kultur- und Freizeitmanagement“ in Künzelsau zu studieren. Was er abschloss. Trotz Künzelsau.
Mit einer Freundin eröffnete er danach in Bietigheim eine Kunstgalerie. Regionale Künstler:innen durften ausstellen. Die Galerie brannte nach vier Monaten aus. Kurzschluss im Sicherungskasten, was ihnen keiner so recht glauben wollte. Die zähen Gerichtsverhandlungen mit der Versicherung endeten in einem schlechten Vergleich.
„Danach war ich pleite.“
Also wieder Gastronomie. Was ihn zurück nach Konstanz brachte. In der Sparte „Nachtgastronomie“ kennt er sich bestens aus. Im Lebenslauf wenig Konstanz, aber inzwischen auch zwanzig Jahre Konstanz (auweia, was für ein Wortspiel!). Sein Lebensmotto ist mit Brechts Zeilen aus dem Gedicht „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“ gut umschrieben: „Ja, mach nur einen Plan!/Sei nur ein großes Licht!/Und mach dann noch’ nen zweiten Plan./ Gehn tun sie beide nicht.“ Routine wurde Thomas schnell langweilig. Sie wollte sich in seinem Leben aber auch erst gar nicht einstellen. Meist kam es anders. Etwas aufbauen, eine Plattform haben, auf der man spielen, etwas gestalten konnte, das reizte ihn immer. Und das war auch gut so, denn er musste, nein, wollte oft neu anfangen.
Bürokratische Hürden und kreative Lösungen
„In Konstanz etwas Geeignetes zu finden ist fast unmöglich.“ Thomas Kluge und Anh-Tun haben lange gesucht. Es gab, vor Corona, so gut wie nichts, und wenn einem etwas angeboten wurde – eine Katastrophe: „Da wollte jemand schon mal alleine eine Ablöse von 50 000 Euro für nix.“ Schließlich entdeckten sie den Leerstand in der Neugasse.
„In Konstanz geht es nicht, dass du ein Konzept hast und dir dazu den passenden Laden suchst. Du musst es umgekehrt machen.“
Also: Was mache ich aus dem Vorhandenen? Es sollte ein Café und eine Aperitiv- und Cocktailbar werden.
Vorher war in den Räumen ein Fachgeschäft für Braut- und Abendmoden. Der „Antrag auf Nutzungsänderung“, der daraufhin gestellt werden musste, zog sich sieben Monate hin und schuf kafkaeske Situationen, an denen bis zu fünf Ämter beteiligt waren: Das Gewerbeaufsichtsamt fand eine europäische Verordnung, dass die Deckenhöhe nicht ausreichend sei, um Mitarbeitende zu beschäftigen.
Thomas und Anh-Tun organisierten einen Arbeitsmediziner, der bescheinigte: Keine Bedenken bis zu einer Körpergröße von zwei Metern. Die Lebensmittelüberwachung monierte: Diese Wand müsse verkleidet werden, wenn da Lebensmittel lagern. Das Amt für Denkmalschutz sagte: Die Wand bleibt frei. Das Ordnungsamt prüfte persönliche Führungszeugnisse, vergab die Alkoholkonzession und regelte den Bereich der Außensitzfläche. Und so fort.
Wenn Deutschland eines kann, dann Bürokratie bis ins Kleinste. Im Bereich Wohnen und Bauen sogar bis in den Mikrobereich.
„Was schade war: Den schönsten Raum ganz hinten an der Stadtmauer konnten wir nicht für Sitzplätze nutzen, sondern mussten darin unser Lager einbauen. Ging nicht anders.“
Trotzdem ist davor etwas Gemütliches entstanden, was angenommen wird und in der Stadt angekommen ist. „Unsere Bewertungen im Netz sind sehr gut!“ Das Café öffnet jeden Tag, bis auf Mittwoch, von 11 bis 22 Uhr.
Kulinarische Vielfalt
Zum Mittag eine kleine Speisekarte, vom Avocadosalat über portugiesische Sardinen, „à la francaise“ bis zum Käsefondue. Dienstags gibt‘s vietnamesische Sandwiches, und zum frühen Abend, die Aperitiv- und Cocktailkarte. Alleine zwölf verschiedene Gin-Sorten stehen drauf, alle sorgfältig erklärt, von zweien, die ihre Sache verstehen. Darunter ein finnischer auf Basis eines Roggendestillats, mit Birkenblättern Beeren und Mädesüß, einer rosenartigen Heilpflanze. Würde man die alle probieren wollen, könnte der schmale Gang eventuell helfen, um nicht umzufallen. Aber soweit lässt es hier natürlich niemand kommen. In dieser kleinen Oase, in der „milk“ und „honey“ nicht fließen – aber arbeiten. Und in der Thomas gerade nicht „noch nen zweiten Plan“ macht. Sondern bleibt. Vorerst.
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