Zum 30. Jubiläum der Imperia veröffentlicht das Stadtarchiv in Kooperation mit dem Thorbecke Verlag Ende April seinen 50. Band der „“Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen“. Obwohl es zum Konstanzer Konzil schon viele Dokumentationen gibt, bietet das Buch „Vermarktung von Vergangenheit. Die Konzilsbilderfabrik von Konstanz“ des schweizerischen Autors Christoph Luzi einen neuen Blickwinkel auf die Historie. Im Interview erzählt der Autor, wie die Imperia Symbolbild für die Konstanzer Geschichte wurde und warum seine Dissertation einen wichtigen Beitrag für die Stadt leistet.
karla: Herr Luzi, Sie haben an der Universität Luzern Kulturwissenschaften studiert, in Geschichte promoviert und leben in Klosters. Wie kommt es, dass sich ein Schweizer so für die Konstanzer Geschichte interessiert?
Christoph Luzi: Ich habe die Möglichkeit erhalten, über ein vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziertes Projekt unter meinem Professor Valentin Groebner den Gebrauch von Geschichte im Tourismus zu untersuchen. Meine Kollegin Silvia Hess hat die Schlacht von Morgarten untersucht. Zu diesem Ereignis gibt es nur sehr wenige Quellen, die älteste Quelle entstand hundert Jahre nach dem Ereignis und besteht zur Hälfte aus Bibelzitaten. Das Konstanzer Konzil ist im Gegensatz dazu sehr gut dokumentiert. Dieser Vergleich war für das Gesamtprojekt sehr spannend. Die Frage war: Was passiert mit einem historischen Ereignis, wenn der Tourismus sich dem Thema annimmt?
karla: Was passiert dann?
Christoph Luzi: In meiner Untersuchung konnte ich zum Beispiel zeigen, dass durch den touristischen Geschichtsgebrauch auch in Konstanz neue Orte und Figuren entstehen. Der Tourismus ist maßgeblich an der modernen Postproduktion des Mittelalters, also der Herstellung von neuem Alten, beteiligt. Das beginnt im 19. Jahrhundert mit der Altertumshalle des Antiquars Castell, als dieser ab 1824 erstmals Konzilsgeschichte im Alten Kaufhaus – uns heute besser als Konzilgebäude bekannt – öffentlich darstellte. Oder mit dem Hussenstein, an dessen Errichtung 1862 die Reisenden und ihr stetes Nachfragen nach dem Hinrichtungsplatz von Jan Hus und Hieronymus von Prag wesentlich beteiligt waren. Dazu gehören aber auch die Imperia-Statue oder auch die Graffiti von Emin Hasirci aus der jüngeren Vergangenheit.
karla: Wie lange haben Sie für Ihre Dissertation gebraucht?
Luzi: Die Dissertation schrieb ich in etwa viereinhalb Jahren und die Publikation durch das Stadtarchiv zog sich mit der Überarbeitung und weiteren Engagements meinerseits etwas hin. Deshalb freue ich mich nun sehr, dass das Buch jetzt erscheint.
karla: Von wem ging die Initiative aus, ein Buch zum Jubiläum der Imperia zu veröffentlichen?
Christoph Luzi: Das Thema kam durch das Projekt des SNF und die Ausgestaltung von mir gemeinsam mit den Ideen von Valentin Gröbner. Besonders der Fokus, das touristische Erzählen von Geschichten ins Zentrum zu stellen, war für mich ein Anliegen. Durch die Recherchearbeiten ergab sich naturgemäß und gleichzeitig glücklicherweise der Kontakt zum Stadtarchiv und dessen Leiter Prof. Dr. Jürgen Klöckler. Herr Klöckler hat meine Arbeit immer stets mit großem Interesse verfolgt und ich konnte mit Hilfe des Stadtarchivs viele Quellen recherchieren.
Irgendwann hat sich dann abgezeichnet, dass sich mein Thema für die Reihen des Stadtarchivs anbietet. Dass das jetzt der 50. Band ist und auch noch zum 30. Jubiläum der Imperia veröffentlicht wird, ist eine wunderbare Geschichte. Da hat wirklich alles zusammengepasst.
karla: Hat sich durch die Recherche das Bild zur Imperia verändert?
Luzi: Das Konstanzer Konzil ist ein Ereignis, das man im Geschichtsstudium zumindest streift. Für mich gelang der Zugang über den Tourismus – also über die Frage, welche Rolle Tourismus für das Erzählen von Geschichten spielt, und auch umgekehrt, welche Rolle Geschichte für Tourismus hat. Insofern hat sich mein Bild zur Konstanzer Geschichte dahingehend verändert, als dass ich herausgefunden habe, wie touristische Erzählungen die Historie beeinflussen. Das Geschichtsbild der Gesellschaft wird nämlich nicht nur durch Historiker und Historikerinnen geprägt, sondern eben auch durch touristische Erzählungen. Dass die Imperia so eine große Bedeutung für die Stadt hat, ist schon eindrücklich, wenn man bedenkt, dass es da am Anfang viele Unsicherheiten in der Bevölkerung gab. Die Imperia wurde rasch zu einem Wahrzeichen und darüber hinaus zu einem Symbol und Emblem für Konstanz.
karla: Wie meinen Sie das?
Luzi: In einem Emblem verdichten sich alle Erzählungen, Meinungen, Vorstellungen, Bilder, Fakten, Informationen, alles, was mit der Destination in Verbindung gebracht werden kann. Schon der Name des touristischen Ortes löst in unseren Köpfen eine Assoziationskette aus. In Konstanz ist das die Imperia.
karla: Wie konnte eine Frau, die niemals in Konstanz war, zum Wahrzeichen unserer Stadt werden?
Luzi: Ich würde sagen, das ist eine Gemengelage von Geschichten, die dann die Wirkung der Figur Imperia erst möglich gemacht hat. Ich habe in meiner Dissertation versucht, genau das nachzuzeichnen. In den Erzählungen zum Konstanzer Konzil spielt die Imperia lange keine Rolle.
karla: Die Frau Imperia gab es zwar, aber sie hat erst 100 Jahre nach dem Konzil gelebt. Da kann sie in den frühen Geschichten zum Konzil ja gar nicht auftauchen.
Luzi: Was es schon früh gab, war das Motiv der „Hübschlerinnen“, die schon in den Erzählungen von Ulrich von Richental auftauchen. Prostitution gehörte im Mittelalter zum Unterhaltungsprogramm von großen Kongressen, wie die Gaukler oder Spielleute. In den Reiseberichten wurden dann später die schönen Frauen hervorgehoben, ohne aber ihre Absichten oder ihre Tugendhaftigkeit in Frage stellen zu wollen.
karla: Hat man das damals der Etikette wegen gemacht?
Luzi: Ich denke, es war nicht einfach an den Haaren herbeigezogen, aber es gehörte auch zum guten Ton in der Reiseberichterstattung. Einige Reiseberichte erzählen von den schönen Konstanzerinnen. Die Geschichte der Imperia beginnt dann eigentlich im 19. Jahrhundert durch die Erzählungen von Honoré de Balzac. Aus einer romantischen Sehnsucht heraus werden Motive bespielbar und die literarische Freiheit erlaubt es, Figuren in Historie einzubetten.
karla: Mein Eindruck ist, dass die Imperia durch den Tourismus, die Presse und die provokative Darstellung, die Peter Lenk wählte, zum Wahrzeichen wurde.
Luzi: Im 19. und auch lange Zeit im 20. Jahrhundert, war die Erzählung touristisch noch nicht nutzbar gemacht worden. Meine These in der Dissertation ist, dass das Nebeneinander von mehreren Wahrzeichen, wie das Konzil oder das Münster, in der Imperia eine Fokussierung fanden. Peter Lenk hat da so eine eingängige, aber auch provokative Art gefunden und Geschichte in Form gegossen. Das spricht die Leute an.
karla: Gibt es durch Ihre Publikation neue Erkenntnisse zur Figur?
Luzi: Zur Geschichte der Imperia-Statue gibt es an sich keine neuen Erkenntnisse. Ihre Geschichte wurde auch von Andreas Froese gut aufgearbeitet. Von daher sind auch die Konflikte, die es damals gab, bekannt. Ich denke, das Neue ist jetzt wirklich die Rolle der touristischen Erzählung. In der Imperia versammeln sich alle Erzählungen und lassen sich gleichzeitig wiederum über diese abrufen. Geschichten und Interpretationen verändern sich. Jedes weitere Erzählen einer Geschichte ist eine neue Geschichte. Das Spezielle, das ich versucht habe herauszuarbeiten, ist, wie die Imperia die Konstanzer Geschichte in ihrer Figur vereint.
Für mich als Historiker ist es einfach spannend, wie Geschichte in Form gegossen wird und welche Reaktionen das hervorruft. Ein Denkmal ist immer auch eine Reflexion und ein Ausdruck der jeweiligen Gegenwart, denn sie zeigt, wie Geschichte beurteilt wird.
karla: Inwiefern trugen die Diskussionen um die Imperia vor der Enthüllung zu ihrer Bekanntheit bei?
Luzi: Zweifelsohne haben die Diskussionen der Bekanntheit der Imperia Vorschub geleistet. Indem man derart versuchte, sich in die Kunst- und Kulturszene einzumischen, ging der Schuss nach hinten los. Dadurch, dass man im Vorhinein alles unter Verschluss hielt, in Kombination mit Lenks provokanter Kunst, gingen die Emotionen steil nach oben. Aber die Imperia wurde rasch akzeptiert. Zumindest gab es keine großen Protestaktionen mehr.
karla: Was bedeutet die Imperia aus Ihrer Sicht für die Stadt heute?
Luzi: Die Imperia ist ein touristisches Zugpferd, in der Vermarktung, aber sie ist auch Teil des Konstanz-Erlebnisses selbst. Die Statue begrüßt die Schifffahrtsgäste, sie gehört aber auch einfach zu einem Konstanz-Besuch dazu. Wenn die Imperia als Symbol oder auch nur ihre Silhouette auftaucht, dann löst das Assoziationsketten aus. Bilder und Erzählungen werden abgerufen. Ihr Platz im Hafen ist prominent. Werbemaßnahmen werden in sehr vielen Fällen mit einem Bild der Imperia verknüpft.
karla: Welche Bedeutung hat Ihre Publikation für das Konstanzer Stadtarchiv?
Luzi: Zunächst einmal ist der 50. Band ein Leistungsausweis für die Arbeit des Stadtarchivs. Ich hoffe, ich kann mich einreihen mit meinem Buch, denn alle Publikationen aus der Reihe sind tolle Bücher. Mein Buch dokumentiert die touristische Geschichte des Konstanzer Konzils. Die Rolle des Reisenden und dessen Berichterstattung zum Konzil war bisher nicht im Blickfeld der Forschenden und diese Lücke kann dieses Buch vielleicht nicht schließen, aber einen Beitrag dazu leisten. In meiner Dissertation sind beispielsweise auch die Feierlichkeiten zu den Jubiläen festgehalten oder eben auch, dass es keine gab. Das 500-jährige Jubiläum 1914 bis 1918 wurde nicht zelebriert, abgesehen von einer Feier zur Belehnung des Friedrich von Nürnberg mit der Mark Brandenburg mitten im Ersten Weltkrieg. Die Imperia ist ein wichtiger Bestandteil meines Buches, aber sie erscheint nicht ohne Grund erst im letzten Kapitel vor der Schlussbetrachtung. Der Aufbau des Buches zeigt, wie sich Erzählungen zum Konzil entwickeln und wie die Motive zur Geschichte sich verdichten und von touristischen Akteuren aufgenommen und auch ausgespielt wurden. Der touristische Nutzen beeinflusst dann wiederum das Verständnis der Geschichte zum Konstanzer Konzil.
karla: Vielen Dank für das Gespräch!
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