„Man kann nur zu den besten Lösungen kommen, wenn man in den Diskurs geht“

My Country Talks kommt zu karla: In Kooperation mit der Zeit Online Tochter organisieren wir am 1. Juli „Konstanz trifft Kreuzlingen“. Im Interview erklärt Hanna Israel von My Country Talks, was hinter dem Format steckt und was sie sich von den Teilnehmenden hier vor Ort wünscht.

karla: Hanna, wann hast du das letzte Mal mit einer politisch andersdenkenden Person diskutiert?

Hanna Israel: Gefühlt mache ich das jeden zweiten Tag, weil wir so einen Familienchat haben. Da ist die erweiterte Familie drin, unter anderem mein Quasi-Schwiegervater, der Vater meines Freundes. Und ja, wir haben sehr, sehr unterschiedliche Ansichten und das führt auch bei jedem Familienfest regelmäßig zum Eklat, aber wir vertragen uns dann wieder.

Ich glaube schon, dass ich zum einen in der Familie und darüber hinaus auch gerade durch das Format My Country Talks immer auch wieder Kontakt und Berührung mit politisch Andersdenkenden habe. Aber natürlich muss ich auch offen und fair sein und sagen, dass die Menschen, mit denen ich sonst so zu tun habe, also meine Freunde zum Beispiel, auch eher in die gleiche Richtung denken oder ähnliche Einstellungen haben. Das ist ja das Problem, mit dem wir uns alle auseinandersetzen müssen.

karla: Warum ist es wichtig, sich mit politisch Andersdenkenden auseinanderzusetzen?

Hanna:

Ich glaube, dass man nur zu den besten Lösungen kommen kann, wenn man in den Diskurs geht und wenn man sich mit anderen Argumenten auseinandersetzt.

Und deswegen ist es ganz wichtig, dass man eine Offenheit mitbringt, mit anderen zu diskutieren, um auch ein Stück weit davon zu lernen oder vielleicht auch zumindest die Bereitschaft zu zeigen, andere Argumente zu akzeptieren. Denn letztendlich ist das ja eigentlich die Grundvoraussetzung für jede Demokratie, dass wir eben unterschiedlicher Meinung sein müssen und da auch kompromissbereit auf andere zugehen sollten.

karla: Das ist ja auch ein Grund, warum es My Country Talks überhaupt gibt. Für alle, die es noch nicht kennen: Kannst du noch mal erklären, was My Country Talks eigentlich ist?

Hanna: My Country Talks ist eine Plattform für politischen Dialog, die 2018 aus dem Gesprächsformat „Deutschland spricht“ entstanden ist. 2017 hat sich die Redaktion von Zeit Online im Umfeld der Bundestagswahl die Frage gestellt: Was können wir der zunehmenden Polarisierung entgegensetzen? Das war die Zeit, in der die AfD immer stärker wurde, in der viele Menschen aus anderen Ländern zu uns gekommen sind – also eine angespannte politische Situation. Und alle haben gemerkt, dass man immer mehr in die eigene Blase abdriftet und sich nicht mehr mit anderen Positionen auseinandersetzt, die dann teilweise auch ins Extreme abdriften. Und dann war die Idee: Wie wäre es eigentlich, wenn wir den Leuten die Möglichkeit geben, jemanden zu treffen, der:die ganz anders denkt als man selbst? Die Erwartung war, dass sich vielleicht ein paar hundert Leute dafür anmelden, aber es waren gleich im ersten Jahr schon 12.000 Teilnehmende.

karla: Hat sich damit für euch bestätigt, dass dieses Format auch langfristig erfolgreich sein kann? 

Hanna: Ja, weil es so gut angekommen ist, haben wir dann eine richtig professionelle Matching-Software entwickeln lassen. Die ist jetzt immer noch das Herzstück unserer Plattform. Mittlerweile setzen wir sie aber nicht nur in Deutschland ein, sondern weltweit. Wir haben Formate in Thailand, in den USA, in der Ukraine, in vielen europäischen Ländern gemacht. Das heißt: Medienpartner kommen auf uns zu, können sich diese Software ausleihen, um dann ihre Leser:innen miteinander ins Gespräch zu bringen. Oder wir veranstalten gemeinsam mit internationalen Medienpartnern Formate wie zum Beispiel „Europe Talks“. Da werden dann Europäer:innen grenzübergreifend in den Dialog gebracht. Wir gehen sozusagen in die große, weite Welt, aber wir gehen auch ins Lokale und machen kommunale Gesprächsformate. Am 15. Mai sind wir mit „The World Talks“ gestartet. Zum ersten Mal werden wir Menschen aus der ganzen Welt ins Gespräch bringen.

karla: Das klingt interessant. Auf der ganzen Welt gibt es ja wahrscheinlich noch viel, viel mehr unterschiedliche Meinungen zu finden als innerhalb eines Landes. Was unterscheidet internationale Formate von nationalen und lokalen Formaten? 

Hanna: Der Erfolg eines Formats hängt immer davon ab, inwieweit die jeweiligen Veranstalter dazu in der Lage sind, wirklich eine politisch vielfältige Leserschaft oder Gruppe zu erreichen. Und wenn das gegeben ist, dann ist es ein gutes Format, weil ich dann wirklich Leute habe, die anders denken. In den USA war es interessant, weil das natürlich noch mal ein Kontext ist, der viel polarisierter ist als bei uns in Deutschland. Und wir hatten große Angst davor, die Leute wirklich aufeinander loszulassen und zum Beispiel über Trump und Biden diskutieren zu lassen. Wir haben die Teilnehmenden zwar auch über kontroverse politische Fragen für das Format gewonnen, aber dann eigentlich die Anleitung gegeben, im Gespräch erst mal eine gemeinsame Vision für ihr Land zu entwickeln. Also: Woran glaubst du? Wie soll Amerika in zehn Jahren aussehen? Die Leute sollen sich wirklich politisch auseinandersetzen, miteinander diskutieren, auch über kontroverse Themen. Aber sie sollen sich auch ein Stück weit darauf besinnen, was sie eigentlich teilen, was sie vielleicht gemeinsam haben, und darüber dann auch wieder erkennen, dass der oder die andere zwar eine andere Position hat, aber letztendlich auch irgendwie auch nur ein Mensch mit legitimen Interessen, Bedürfnissen und Gefühlen ist.

karla: Wie funktioniert denn das Matching? 

Hanna: Die Teilnehmenden beantworten unsere kontroversen Fragen und kommen dann in einen Matching-Pool. Wenn sie gematcht werden, weil sie unterschiedliche politische Ansichten haben, werden sie per E-Mail einander vorgestellt. Also im Sinne von: Diese Person denkt in diesen Fragen anders als du. Möchtest du sie zu einem persönlichen Gespräch treffen? Und dann müssen beide bestätigen, dass sie das möchten. Die meisten der Gespräche finden online statt. Im kommunalen Kontext natürlich nicht. Da haben wir immer eine Veranstaltung. Die Leute sollen sich vor Ort treffen, die leben ja eh beieinander.

karla: Du hast schon gesagt, dass das Besondere an lokalen Formaten ist, dass die Leute am selben Ort leben. Was würdest du noch als Besonderheit nennen?

Hanna: Eine Besonderheit ist natürlich, dass man über ganz konkrete politische Projekte ins Gespräch kommen kann. Wir haben dieses Format zum Beispiel in Halle und Chemnitz durchgeführt und da ging es einmal um den Bau einer Autobahn oder um die Nutzung von öffentlichen Plätzen. Darüber gab es auf kommunaler Ebene bereits eine politische Diskussion. Und diese Fragen haben wir dann in das Format aufgenommen. So konnten die Leute zusammenkommen und wirklich ganz konkret darüber reden, was sie davon halten. Der Wunsch ist immer, dass daraus natürlich auch etwas Nachhaltiges entsteht. In Marburg, wo wir dieses Format „Meine Stadt spricht“ zum ersten Mal durchgeführt haben, ist dann eine Art Bürgerbeteiligung entstanden, wo sich die Leute danach noch regelmäßig in kleinen Gruppen getroffen haben, um zu überlegen, wie man politische Vorhaben am besten umsetzen kann. 

karla: Wir dürfen gespannt sein, was in Konstanz und Kreuzlingen passiert. Nun haben wir bei „Konstanz trifft Kreuzlingen“ die Besonderheit, dass es nicht nur ein lokales Format ist, sondern grenzüberschreitend. Worin liegt die Herausforderung?

Hanna:

Die Herausforderung ist, dass die jeweiligen Gesprächsteilnehmer:innen vielleicht schon mit gewissen Vorbehalten in das Gespräch gehen, die sich eben nicht nur an unterschiedlichen politischen Haltungen festmachen, sondern auch an einer ganzen nationalen Identität.

Und da ist diese Region natürlich zum Teil auch konfliktbeladen, was Themen wie Autoverkehr oder Mobilität angeht. Ich glaube, da muss man noch einmal ein Stück weit Unvoreingenommenheit von den Beteiligten einfordern. Wir stellen ja zu Beginn des Matchingprozesses nicht nur geschlossene inhaltliche Fragen, sondern auch offene Fragen, die auf Gemeinsamkeiten hindeuten.

karla: Die Gespräche finden immer nur zwischen jeweils zwei Teilnehmenden statt, sonst ist niemand dabei. Wir von karla planen im Anschluss noch eine Reflexion mit den Teilnehmenden. Aber wie erfahrt ihr bei My Country Talks normalerweise, wie die Gespräche gelaufen sind und ob sie erfolgreich waren oder nicht?

Hanna: Alle Teilnehmenden bekommen nach einer gewissen Zeit einen Feedbackbogen mit der Bitte, diesen auszufüllen. Und da fragen wir einfach: Hat es Ihnen gefallen? Was haben Sie gelernt? Würden Sie es wieder machen? Nicht alle füllen den Feedbackbogen aus, aber wir können so relativ genau ablesen, was in den Gesprächen entstanden ist.

karla: Und wie sieht das Feedback in der Regel aus?

Hanna: Meistens ist es ziemlich positiv. Also ungefähr 80 Prozent sagen, dass es eine positive Erfahrung war. 60 Prozent sagen, dass sie gerne mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin im Gespräch bleiben würden. Wir haben auch etwa 65 Prozent, die sagen, dass ihr Gegenüber sie auch in einem oder mehreren Punkten überzeugt hat. Das heißt, man sieht da auch ein bisschen eine Wirkung über das Gespräch hinaus, also dass die Leute darüber nachdenken, ob ihre Haltung in bestimmten Punkten wirklich gerechtfertigt ist und war oder ob man da nicht auch ein bisschen abwägen sollte.

karla: Wünschst du dir das auch von den Gesprächsteilnehmenden hier in Konstanz und Kreuzlingen? Oder was würdest du dir von ihnen wünschen?

Hanna:

Ich würde mir wünschen, dass sie bereit sind, sich in den anderen hineinzuversetzen, dass sie sich vielleicht auch mal ganz plastisch vorstellen, sie würden auf der anderen Seite der Grenze leben, was das für sie bedeuten würde.

Ich glaube, da fällt es besonders leicht, sich tatsächlich auch in die Rolle des anderen hineinzuversetzen. Denn man hat einen ganz konkreten Kontext, man hat eine gemeinsame Realität. Man kann sich also auch besser vorstellen, was es bedeutet, auf der anderen Seite zu leben. Und diese Offenheit wünsche ich mir von den Teilnehmenden.

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