Als Geflüchteter, der kein Deutsch spricht, hat Teju* nicht viele Möglichkeiten, in Konstanz zu arbeiten. Deshalb hilft er seit einem Jahr in der Küche eines gastronomischen Betriebs aus. Seinen Namen haben wir zu seinem Schutz geändert. Zu groß ist die Angst, den Job zu verlieren. Wirklich mögen tut er seinen Job als Küchenhilfe nicht. Wie auch? Überstunden werden nicht bezahlt, Versprechungen in Bezug auf die Lohnerhöhung nicht eingehalten. Die Bezahlung ist mies, 1.300 Euro brutto bekommt er.
Als der Chef ihm einmal sagt, er solle den Boden putzen, entgegnet Teju ihm, dass das nicht sein Job sei. „Das ist der Job, den du zu erledigen hast, wenn ich es dir sage“, bekommt er als Antwort zu hören. Von Respekt keine Spur. Er arbeitet morgens sechs Stunden, hat sechs Stunden frei und arbeitet dann noch einmal sechs Stunden – zwölf Stunden pro Tag also. Wenn es viel zu tun gibt, hat er nur einen freien Tag in der Woche. Wann er in der Folgewoche arbeitet, erfährt er erst am Samstag davor. Die meisten seiner Kolleg:innen sind ebenfalls Geflüchtete. Sie sind auf den Job angewiesen, keiner traut sich zu widersprechen. Beim nächsten Mal wird er den Boden wieder putzen – auch wenn es nicht in seinem Vertrag steht.
Konstanz lebt von der Gastronomie
Ist Tejus Geschichte ein Einzelfall? „Zu viele Unternehmen in der Konstanzer Gastronomie und Hotellerie legen im Personalmanagement einen falschen Fokus“, berichtet Pierre Welack vom Steigenberger Inselhotel. Mit dem falschen Fokus meint Welack, dass die besagten Betriebe die gesetzlichen Regelungen an Arbeitsbedingungen, Urlaubstage und Bezahlung nicht einhalten. Als Personalmanager weiß Welack um die Arbeitsbedingungen in seiner Branche.
Der Großteil seiner Mitarbeitenden im Inselhotel hat vorher schon unter sehr schlechten Bedingungen woanders gearbeitet, sagt er: „Die typischen deutschen Arbeitsbedingungen und geltenden Gesetze erhalten zu wenig Beachtung, was den Ruf der gesamten Branche verschlechtert. Aber dies wird als vollkommen normal hingenommen, jeder weiß es.“ 2019 hat die Gastronomie in Baden-Württemberg 9,5 Millionen Euro Umsatz gemacht und damit einen Rekordwert seit 2009 erreicht. Auch in Konstanz spielt die Gastronomie eine große Rolle: Mehr als 300 Betriebe gibt es insgesamt.
„In Konstanz leben wir von der Hotellerie und Gastronomie, da sollte es im Interesse aller sein, dass das Image gut ist und die Gesetze eingehalten werden.“
Pierre Welack, Steigenberger Inselhotel
Aber die Realität, die sich aus den Gesprächen zeichnet, ist eine andere. Als Sekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Baden-Württemberg Süd ist Christian Trompeter für die Bodenseeregion zuständig. Eigentlich sei die Lage momentan gut für Arbeitnehmer:innen in der Gastro, denn: „Wer heute einen Job sucht, der hat morgen drei mögliche Stellen zur Auswahl.“ Gleichzeitig verschärft der Personalmangel die Situation für die verbliebenen Arbeitskräfte. Trompeter schaut mit Sorge auf die anstehende Hochsaison: „Es gibt kaum Kollegen, die nur fünf Tage in der Woche arbeiten. Wenn so viele fehlen, müssen die verbleibenden Kräfte das ausgleichen.“
Wo kein Kläger da kein Richter
In seiner Funktion bekommt Trompeter viele Missstände mit: Ruhezeiten werden missachtet, die Höchstarbeitszeiten überschritten, Urlaub ist schwer durchzusetzen. Rein rechtlich ist die Sachlage klar: Es gibt zwei Tarifverträge, die die Rahmenbedingungen für die Arbeit in der Branche in Baden-Württemberg regeln – den Entgelt- und den Manteltarifvertrag. Anders als der Entgelttarifvertrag ist der Manteltarifvertrag rechtlich bindend, es gibt also keine tariffreien Bereiche. Darin steht zum Beispiel: fünf Arbeitstage in der Woche, eine Höchstarbeitszeit von neun Stunden. Damit ist er strenger als das Arbeitszeitgesetz, das eine Höchstarbeitszeit von zehn Stunden vorgibt.
Doch es mangelt an Kontrolle. Der Zoll als zuständige Behörde für Schwarzarbeit kontrolliert nur, ob illegale Beschäftigungen vorliegen. Trompeter sagt, wenn ein Betrieb einmal in 15 Jahren kontrolliert wird, sei das schon häufig. Die Einhaltung des Tarifvertrags wird von der öffentlichen Hand nicht kontrolliert. Stattdessen liegt es an jedem Einzelnen, die Rechte einzufordern. Es gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter. „Wenn ich nie kontrolliert und sanktioniert werde, dann fehlt der Anreiz, das richtig zu machen“, sagt Trompeter.
Ein weiterer Punkt: die Bezahlung. Die Entgelte sind im Vergleich zu anderen Branchen sehr niedrig. In den Sommermonaten können Mitarbeitende durch Trinkgeld viel Geld verdienen. Als gelernter Koch oder Restaurantfachfrau mit Ausbildung verdient man laut Tarifvertrag aber nur 14,30 Euro brutto pro Stunde. Das Entgelt müsste deutlich erhöht werden, findet Trompeter. Aber: „Tarifverträge sind nur so gut, wie die Belegschaft stark ist. Wir sind aber mit unseren Mitgliedern nicht so gut aufgestellt, dass wir unsere Forderungen gegenüber dem DEHOGA durchsetzen können.“ Heißt: Die Beschäftigten selbst müssen sich beschweren und ihre Rechte einfordern. Denn die sind klar geregelt und bindend. Und es gibt Möglichkeiten, gegen die Nichteinhaltung der Verträge vorzugehen: „Bei den Leuten, die sich an uns wenden, werden die Forderungen zu 99 Prozent durchgesetzt.“ Aber viele Beschäftigte scheuen den offiziellen Weg über die Gewerkschaft.
„Ein dickes Fell hilft“
Der DEHOGA ist der Hotel- und Gaststättenverband. Manfred Hölzl ist zweiter Vorsitzender der Kreisstelle Konstanz. Bis Februar 2021 hat er das Konzil am Konstanzer Hafen geführt. Er lebt und liebt die Gastronomie, hat den Job sein Leben lang gerne gemacht. Die aktuelle Situation in der Konstanzer Gastronomie beschreibt er so: „Schwarze Schafe gibt es, aber daran können wir nichts ändern, damit gehen wir auch offen um.“
Früher konnte der Arbeitgeber seine Mitarbeitenden auswählen und dementsprechend auch im Preis drücken, das sei heute anders: „Wenn du nicht ordentlich bezahlst, hast du keine Mitarbeiter.“ Und nur wer Mitarbeiter hat, die ihre Arbeit leisten, kann Umsätze generieren. Hölzl sieht als Problem: „Die Arbeitszeiten passen in die heutige Generation nicht mehr rein. Man kann kein Homeoffice machen, man muss bis abends spät und am Wochenende arbeiten.“
Albrecht Butler-Fink war zehn Jahre lang Küchenchef im Eugen’s. Heute arbeitet er als Küchenchef in Teilzeit im Doppio Café in der Niederburg. Gleichzeitig baut er seine eigene Catering-Firma auf. Albrecht blickt auf 30 Jahre Erfahrung in der Gastronomie zurück. In dieser Zeit hat er schon einiges erlebt: Chefs, die die Löhne einbehalten, weil das Restaurant zu wenig Umsatz gemacht hat. Die Angst vor der Zollkontrolle, weil einige Illegalisierte im Betrieb arbeiteten. Illegalisierte sind Menschen ohne Papiere.
Teilzeitdienste – also morgens arbeiten, einige Stunden Pause und dann abends wieder arbeiten. Die findet Albrecht „unsäglich“. Deshalb hat er sich als Küchenchef im Eugen’s auch dafür eingesetzt, dass es solche Arbeitszeiten nicht gibt. Und dass freie Tage und Urlaube zusammenhängend sind – offenbar auch keine Selbstverständlichkeit. „Ein dickes Fell hilft in der Gastronomie“, sagt Albrecht. „Man verdient häufig weniger als in anderen Ausbildungsberufen. Das ist eine Ungerechtigkeit im System, die vielfältige Ursachen hat.“ Denn gleichzeitig sagt er: Wenn die Stunden von Mitarbeitenden in der Gastronomie so abgerechnet werden würden, wie die von Handwerker:innen, müssten die Preise deutlich steigen. „Und wer ist bereit, das für seine Speisen zu zahlen, gerade auch in Zeiten hoher Inflation?“
Geht es so weiter wie bisher, dann sieht Pierre Welack vom Inselhotel schwarz für „seine“ Branche. „Wir zerfleischen uns selber, wenn wir nicht beginnen als Gemeinschaftliche Branche zu denken und zu handeln sowie Verständnis dafür Entwickeln das die Entscheidungen jeder einzelne Arbeitgeber auf die gesamte Branche und Region zurückfällt“, bringt er es auf den Punkt. Aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen gehen viele Arbeitnehmer:innen lieber in die Schweiz, nach Frankreich oder Österreich. Allgemein ist die Fluktuation in der Branche sehr hoch. Zwar gehört sie zu einem gewissen Teil auch dazu – wer oft wechselt, sammelt unterschiedliche Erfahrungen – aber das allein erklärt es nicht.
„Auch Geflüchtete und Quereinsteiger, die tragender Bestandteil der meisten Teams unserer Branche sind, machen das nicht ewig mit. Sobald Sie ein gewisses sprachliches Niveau oder berufliche Kompetenz erreicht haben, dass sie verstehen, wie es läuft, suchen sie sich einen neuen Arbeitgeber, der sich an bestehende gesetzliche Rahmenbedingungen hält.“
Pierre Welack, Inselhotel
Doch warum lässt der Wandel in der Gastronomie auf sich warten? Eine andere Generation, meint Welack. Eine, die ihr ganzes Leben lang 60 bis 80 Stunden in der Woche gearbeitet hat. Eine, die sagt: Das hat man früher schon so gemacht. „Man ist sich dessen bewusst, hat aber kein Interesse oder es fehlt an den Möglichkeiten, etwas zu ändern“, sagt Welack.
Es geht auch anders
Wie muss Gastronomie aussehen, um zukunftsfähig zu sein? Wer das herausfinden will, der ist im Gasthof Kreuz in Dettingen richtig aufgehoben. Denn genau diese Frage haben sich Simone Rommel und ihre Schwester Christine Odersky-Rommel gestellt, als sie den Familienbetrieb von ihren Eltern übernommen haben. Dazu gehören neben dem Landgasthof Kreuz auch die Vesperstube Trubestube und der Biergarten Hof Höfen. Die Idee: Für alle im Team so viel Transparenz zu schaffen, dass sie Entscheidungen selbstständig treffen können. Dafür haben sie beispielsweise Software im Hotel und im Restaurant eingeführt.
Darin werden wichtige Informationen für alle Beschäftigten zugänglich abgelegt: „Wenn ein Stammgast immer am gleichen Tisch sitzen will, dann sollten das auch alle wissen, nicht nur ich“, sagt Simone Rommel. „Dadurch können wir für den Gast viel flexibler sein als früher.“ Die beiden Schwestern haben mit ihren Ehemännern Norman Odersky und Alexander Rommel alles auf den neuesten Stand gebracht, die Küche komplett rausgerissen und erneuert, die Hotelzimmer neu gemacht, das Dach ausgebaut. Doch nicht nur äußerlich hat sich im Familienbetrieb viel getan: „Früher war es gang und gäbe, dass in der Küche oder in der Gastronomie ein rauer Ton herrschte“, sagt Simone Rommel. Dass der Chef der Patriarch ist und alle Mitarbeitende seine Bediensteten sind, findet sie altmodisch. „Führen heißt nicht von oben alles durchdeligieren. Das wollen wir so nicht haben.“
Gesagt, getan. Auch die Auszubildenden dürfen entscheiden, wenn sie dem Gast etwas Gutes tun wollen. War der Rostbraten mal nicht ganz durch, darf den Gästen als Entschädigung ein Espresso oder Dessert angeboten werden. „Er ist am Gast und kann es dann auch am besten einschätzen“, so Rommel. Den Personalmangel spüren die Rommels vor allem in der Küche. Im Service hingegen ist das Unternehmen gut aufgestellt – mit Auszubildenden. Sie kommen aus Thailand, Rumänien, Albanien oder dem Kosovo. „Ich habe keinen festangestellten Muttersprachler, warum sollte ich sie nicht an den Gast lassen? Es gibt herausfordernde Situationen, aber wir schaffen das.“
Neue Methoden für die Zukunft
Seit etwa einem halben Jahr befinden sich das Restaurant und die Belegschaft im Transformationsprozess nach dem sogenannten Beta Codex, der Prinzipien zur Unternehmensführung definiert. Die Prinzipien: Teamautonomie, Selbstorganisation, Transparenz.
„Entscheidend ist, dass wir nicht nur von oben herab etwas delegieren, sondern gemeinsam und miteinander füreinander entscheiden.“
Simone Rommel
Dieser Fall wurde bereits erprobt: Als in der Trubestube ein Koch ging, war die Frage, wie man das Haus weiterführt. In die Entscheidung wurden alle Mitarbeitenden eingebunden. Gemeinsam haben sie entschieden: Der Mittagstisch zieht in den Gasthof Kreuz um, die Trubestube bietet nur noch Vesper an. Das Fazit: „Alle fanden es gut, dass sie mit eingebunden wurden.“
Das oberste Ziel der neuen Geschäftsführer:innen: Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Denn: Wenn es dem:der Mitarbeiter:in gut geht, kann er:sie auch gute Arbeit leisten. „So kann man enkelfähige Unternehmen schaffen“, sagt Rommel. Damit ist gemeint, dass Unternehmen damit in der Familie erfolgreich weitergeführt werden. Gerade an der Schnittstelle zwischen Service und Küche gibt es in Stresssituationen häufig Reibereien. Genau darin übe man jetzt, das ginge eben nicht von jetzt auf gleich.
„Wir können Gastgeber von Herzen sein, ohne dass die Arbeitsbedingungen im Hintergrund schlecht sind.“
Simone Rommel
Das zeigt sich auch in der Bezahlung: Im Landgasthof Kreuz werden die Mitarbeitenden laut Simone Rommel weitestgehend übertariflich bezahlt.
Fest steht: Mit der neuen Führung ändert sich im Gasthof Kreuz einiges. Alte Prinzipien und Arbeitsweisen werden über Bord geworfen – um zukunftsfähig zu bleiben. Sie wollen zeigen, dass es auch anders geht. „Sicher hätten unsere Eltern einige Entscheidungen anders getroffen, aber sie sehen auch, dass wir mit den Methoden von früher nicht mehr weiterkommen“, sagt Simone Rommel. Aktuell befindet sich das Team in der Erprobungsphase der ersten Veränderungen. Danach wird reflektiert und angepasst. Bisher läuft der Prozess nur intern ab. Aber sie hegen die Hoffnungen, auch andere Betriebe zu inspirieren. „Und vielleicht sind wir irgendwann an dem Punkt“, sagt Simone Rommel, „dass Leute sagen: Da würde ich gerne arbeiten.“
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