Das Sonnenlicht fällt über den Konferenztisch auf das DJ-Pult und die Pixi-Figur. In ihren Plastikhänden eine Schale, fast randvoll mit Gehörschutz. Gerade unterbrechen einige Vögel mit ihrem frühlingshaften Gezwitscher die Ruhe im dritten Stock eines Bürogebäudes im Konstanzer Industriegebiet, wo das Kreativ-Kollektiv Mahagoni das Hauptquartier bezogen hat.
Das Kreativ-Kollektiv ist ein gemeinnütziger Verein, der sich der Förderung von Musik, Kunst und Kultur verschrieben hat. Mit ihrem Engagement wollen die Mitglieder die Techno-Szene in der Region stärken und eine Plattform für Kunst- und Musikschaffende bieten. Eine Woche ist noch Zeit vor der ersten „Eurotrance“-Party im Kulturladen. Immer wieder studieren Samira und Nico den Kalender mit kritischen Blicken. Denn jede gute Party-Nacht braucht viele Tage Vorbereitungen.
Das stetig wachsende Kollektiv will sich längst nicht mehr auf Musik beschränken lassen. Was zunächst mit auch illegalen Raves und der Solidarität aus einer folgenden Strafzahlung begann, ist mittlerweile ein Zusammenschluss von Menschen zum „Kreieren von Safe Spaces, Inklusion, ein vielseitiges Angebot von Musikgenres und das Fördern von neuen Kunstschaffenden“, so die eigene Beschreibung. In verschiedensten Bereichen wie Design, Redaktion und selbstverständlich auch der Musikproduktion arbeiten die Mitglieder an diversen Veranstaltungsserien mit.
Nicht ganz neu, aber nun im Fokus, wird an dieser Party das Awareness-Team des Kollektivs sein. Das Awareness-Team will sich für den Respekt individueller Grenzen und ein Bewusstsein für Zustimmung in der Konstanzer Veranstaltungskultur einsetzen. Veranstaltungen sollen zu „Safe Spaces“ werden, dafür ist das Team in den Konstanzer Clubs unterwegs. Für die künftigen Partys stehen immer einige des über 30 Personen starken Teams für die Feiernden als Ansprechpartner:innen bereit. Der Mai soll ganz diesem Thema gewidmet sein und Aufmerksamkeit für die Arbeit des Teams generieren.
Awareness schaffen, heißt soviel wie für körperliche, psychische und persönliche Grenzen sensibilisiert werden. Niederschwelliger als die Security-Mitarbeitenden ist das Awareness-Team des Mahagoni-Kollektivs während Veranstaltungen als Anlaufstelle bei Problemen oder Konflikten präsent. Daneben informieren sie persönlich und über Infomaterial über Diskriminierung und übergriffiges Verhalten. Im Hintergrund vernetzt sich das Awareness-Team mit anderen Organisationen, arbeitet an den eigenen Strategien und Herangehensweisen und schult weitere Kollektiv-Mitglieder.
Die Bereitstellung des Teams ist nur ein Schritt für das Kollektiv, in den letzten Jahren sind sie stetig gewachsen und haben sich dabei selbst überrascht. Vor einem Jahr habe das Kollektiv noch in anderen Dimensionen gearbeitet: „Da hatten wir mal drei Veranstaltungen in neun Wochen, das war schon heavy“, so Nico, Gründungsmitglied und als DJ und Organisator bei Mahagoni aktiv.
Sie mussten intern umstrukturieren, um mit dem eigenen Wachstum mitzuhalten, und stoppen nicht auf dem derzeitigen Stand. Der nächste Schritt sind Bookings, Künstler:innen aus anderen Regionen, die sie nach Konstanz holen wollen. Schließlich sei es ja nicht gut, dass die Musikfans von hier auf stundenlange und komplexe Zug-Verbindungen angewiesen sind, um ihre Lieblings-Acts zu sehen.
Noch neues Konzept im Südwesten
Für die Veranstaltung eine Woche nach unserem ersten Gespräch ist ein DJ aus Berlin engagiert. Neben der wegweisenden Arbeit für das Awareness-Team ist Samira Jani für die Gästebetreuung in Konstanz zuständig, denn der Musiker ist früher angereist, um noch die Stadt am Bodensee zu genießen. Auflegen, wo andere Urlaub machen, erst tanzt die Frühlingssonne auf dem Wasser und in der Nacht tun es ihr die Menschen zur Lasershow im Kulturladen gleich. Während der gesamten Party, bis in diesem Fall um halb vier am Morgen, wird das Awareness-Team präsent sein. Samira erklärt:
„Das sind sehr sensible Momente, jede beobachtete Situation muss bewertet werden: Ist hier ein Einschreiten erforderlich?“
Samira, Mahagoni
Deshalb wünscht sie sich in Zukunft auch finanzielle Kompensation für die Freiwilligen: „Wir bezahlen ja auch die Security oder Lichttechniker:innen.“ Gerade von Seiten der Security-Mitarbeitenden stoßen sie bisher noch auf Skepsis, zu wenig etabliert ist das Konzept bisher im Südwesten: „Eigentlich finden sie es meistens richtig gut – aber dann kommen die Zweifel, ja aber – wie soll man das denn implementieren. Eine Schnittstelle zwischen Security und Publikum, das wollen wir aber eben auch sein“, berichtet Nico.
Denn es geht nicht um einen Gegenentwurf zu klassischen Sicherheitskonzepten: „Security und die entsprechende Autorität hat natürlich ihren Platz, aber bei uns geht es um Augenhöhe, wir sind wie Freund:innen, auf die man sich verlassen kann und die man auf der Party selbst dabei hat“, beschreibt Samira
Sie selbst habe Erfahrungen gemacht, in denen Vorfälle eher heruntergespielt und Probleme kleingeredet worden sind. Durchgesetzt werden die Regeln aber weiterhin vom Security-Personal: „Bei uns ist erstmal jeder willkommen, aber wenn sich Leute dann nicht an bestimmte Regeln halten, sind sie unerwünscht.“ Mahagoni verspricht an dieser Stelle nicht nur Inklusivität, sondern auch Konsequenz.
Einige dieser Regeln stehen auch auf dem Plakat zum Awareness-Team, das beim Aufbauen überall im Kula von den Kleiderhaken bis in die Toilettenkabinen verteilt wird: Kein Aufzwingen von Gesprächen und Getränken, kein unerwünschtes Fotografieren und schon gar kein ungewollter Körperkontakt. Außerdem wichtig, der Nachhauseweg, für den eine Telefonnummer auf die Plakate gedruckt ist, unter der Anrufer:innen zumindest telefonisch eine Begleitung finden können. Dass nicht nur sie den Eindruck habe, dass vielen Feiernden vor allem Übergriffigkeit die Nächte verderbe, da ist sich Samira sicher:
„Wenn Leute sagen, ich gehe nicht so gerne feiern, und ich dann nachfrage, warum nicht, kommt so oft die gleiche Antwort. Sie sagen, es passiert so viel, ich fühle mich unwohl. Das ist ja auch so und dem wollen wir entgegenwirken“.
Samira, Mahagoni
Bass statt Angst im Bauch und dann umso freier tanzen können
Am Tag der Party hängt Cilia, eigentlich als DJ Milkyway auf dem Programm, aber bei Mahagoni macht doch irgendwie jeder alles, die Awareness-Team-Plakate auf. Am liebsten würde sie die ganze Plakatwand zupflastern, sagt sie. Ein bisschen stolz sind die Mahagoni-Mitglieder spürbar auf die selbstgewählte Vorreiter-Rolle. Eine Woche zuvor war das Awareness-Team zum ersten Mal in einem anderen Club im Einsatz. Die Bilanz fällt einstimmig gemischt aus. Wenig Übergriffe, aber viel zu tun mit übermäßigem Drogenkonsum. Eine Lehre konnten sie definitiv schon ziehen: Neben Wasser hilft Falafel den Betroffenen mindestens so gut wie Dextrose.
Im Studierenden-Parlament wurde kurz zuvor ein Antrag gestellt, Awareness-Teams auf Partys zur Pflicht zu machen, und die Mahagoni-Beteiligten können sich vorstellen, ihr Team künftig auf verschiedensten Veranstaltungen zum Einsatz kommen zu lassen. Samira ergänzt: „Bei Mahagoni und im Rahmen meines Studiums habe ich mich viel mit verschiedenen Arten von Diskriminierung beschäftigt. Es gibt Leute, die zum Thema Awareness schon ein großes Wissen aufgebaut haben.“
Mittlerweile gehört sie selbst dazu. Denn das Team fand nicht sofort in die gewünschte Rolle: „Die Leute waren oft verwirrt, wer wir eigentlich sind und was genau wir da wollen. Bei uns wurden Getränke bestellt oder wir wussten nicht, ob hier jemand den Namen für den Code ‚Hast du Luisa gesehen‘ verwechselt hat oder jemand wirklich seine Freunde nicht mehr findet“, sagt Samira. Was amüsant klingt, kann im Zweifel zu fatalen Fehleinschätzungen oder bestenfalls zu Verlust wertvoller Zeit führen. Der Code wurde 2016 eingeführt, um eine einfache Möglichkeit zu schaffen, bei Belästigung oder Angst vor Übergriffen um Hilfe fragen zu können.
Auf 18 Seiten ist nun festgehalten, was in welcher Situation zu tun ist. Ein Leitfaden für das Awareness-Team, aus den Erfahrungen anderer Initiativen und den bisherigen eigenen erstellt. „Zum Beispiel bei Personen, die konsumiert haben. Wie kann man denen helfen, ohne dass sie sich dann vor dir verstecken?“ Denn den Eindruck einer Club-Polizei, die auf der Suche nach Moralverstößen patrouilliert, wollen sie vermeiden. Drogenkonsum zu verhindern sei nicht ihre Aufgabe und auch nicht die Bewertung von Situationen: „Was ein Übergriff ist, liegt bei den Betroffenen“, betont Samira, hier liege auch eine der großen Herausforderungen.
Ein Crowdfunding soll in Kürze für das Awareness-Team starten
Im Rahmen dieses Crowdfundings erhalten Spender Sticker oder bei höheren Beträgen ein T-Shirt. Mahagoni selbst erhofft sich, das erforderliche Budget zu erhalten, um sich neben der Bezahlung der eigenen Leute auch weitere Schulungen leisten zu können. „Leute zum Beispiel aus Berlin herzuholen, ist einfach teuer“, beklagt Nico. Neben Geld könnten für Studierende in Zukunft auch ECTS winken, Samira ist gerade dabei, die Mitwirkung im Team universitär anrechenbar zu machen. Für Nico ist auch da nicht Schluss: „Die Thematik geht über die Clubszene hinaus. Das könnte irgendwann auch in Unternehmen einen Platz finden. Vielleicht sollte man sogar schon in der Schule anfangen, darüber zu sprechen.“
Schon jetzt hoffen sie, vielleicht einen Effekt erzielt zu haben, denn in der Woche zuvor gab es neben den Drogenthematiken wenige Übergriffe zu verzeichnen: „Vielleicht war es wirklich schon unsere Anwesenheit, die etwas verändert hat“. Und da ist natürlich noch das eigene Publikum, das sich von dem Kollektiv angesprochen fühlt. Veränderungen sollen natürlich in der gesamten Clubszene ankommen, doch sind sie durchaus schon jetzt ein bisschen stolz auf die eigene Klientel.
Bewegung gibt es da nicht nur in Sachen Awareness. Mittlerweile achten Veranstalter:innen bestenfalls darauf, mindestens eine nicht männliche Person an das DJ-Pult zu holen: „Ich denke manchmal, dass ich selbst auch davon profitiere, aber natürlich ist es immer noch ein Nachteil, dass diese Regel überhaupt notwendig ist“, findet Cilia. Der inklusive Club, er spielt sich nicht nur auf der Tanzfläche selbst ab.
Dann beginnt die Party, Cilia und Nico wechseln sich zunächst an dem Pult ab, das sie diesmal auf die Tanzfläche zwischen die Feiernden gestellt haben. Stehen zunächst nur wenige Personen im roten Licht, kommt die Abendkasse recht früh an ihre Grenzen, vereinzelt endet die Feierlaune aus Kapazitätsgründen an der Türe.
Auch wenn es eine Kleinstadt ist: „Es ist auf jeden Fall ein Hotspot für Partys in der Region. Es läuft für die Größe relativ viel und die Partys sind trotzdem gut besucht. Außerdem ist hier der Traffic besonders groß. Jedes neue Semester sind viele neue Leute da und andere weg“, findet Nico.
Samira betont vor allem, von wie vielen unterschiedlichen Gruppen die Veranstaltungen besucht würden „Manchmal merke ich, wow, ich kenne niemanden hier. Das ist eine ganz andere Zielgruppe hier.“ Gegen zwei Uhr beginnt das Set des Berliner DJs, der für den Abend gebucht war, und vielleicht ist es die Energie des Beinahe-Kurzurlaubes, die sich in den Raum entlädt.
Ein großer Teil der anwesenden Kollektivmitglieder versammelt sich hinter ihm und dem Pult und feiert mit. Jede Woche steht eine Party an, aber nun in der Nacht ist nicht die Zeit zum Planen, sondern um die Party zu genießen. Auf der oberen Etage erklärt die Awareness-Schicht Interessierten entspannt, was ihre Aufgabe ist. Was wohl bedeutet, dass ihre bloße Anwesenheit gerade ausreicht.
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