- Die Ausstellung „Geplatzte Stadtträume“ im Museum Rosenegg zeigt unrealisierte Bauvisionen für Konstanz und Kreuzlingen.
- Modelle und Entwürfe vergangener Utopien, wie Wohntürme und ein Kolosseum, regen zur Frage „Was wäre, wenn?“ an.
- Studierende der HTWG Konstanz unterstützen mit innovativen Modellen und einer digitalen Erweiterung per Augmented Reality.
- Die Ausstellung beleuchtet, wie Utopien lokale Stadtbilder und Lebensräume hätten formen können.
- Neben Fantasieprojekten wird auch die Relevanz mutiger, zukunftsweisender Visionen für die Gegenwart betont.
- Noch bis März 2025 können Besucher:innen die Ausstellung erleben und die Städte neu entdecken.
Starten wir mit einem Experiment: Schließe kurz deine Augen und stelle dir die Stadtsilhouette von Kreuzlingen und Konstanz vor. Und jetzt ergänze sie durch ein paar neue Umrisse.
Im nordöstlichen Zipfel von Konstanz spannt sich eine fast vier Kilometer lange Hängebrücke vom Stadtteil Staad nach Meersburg. Etwas weiter südlich siehst du einen riesigen, halbrunden, kolosseumsähnlichen Bau, in dem 1500 Menschen wohnen. Auf Klein Venedig, direkt an der Grenze, stehen zwei in den Himmel ragende Wohntürme, die wie eine konstanz-kreuzlingerische Variante des Burj al Arab in Dubai wirken. Nur ein paar Kilometer südwestlich von hier dreht sich auf dem Kreuzlinger Alcan-Gelände im Stadtteil Emmishofen in 200 Metern Höhe ein Restaurant. Darunter: 160 Wohnungen mit optimiertem Seeblick.
Der Geist vergangener Visionen
Klingt absurd? Der Witz an der Sache ist – das alles könnte es wirklich geben, wenn sich diese Ideen in ihrer Zeit durchgesetzt hätten.
Eine neue Ausstellung im Kreuzlinger Museum Rosenegg widmet sich jetzt diesen „Geplatzten Stadtträumen“, so der Titel der Ausstellung. In Kooperation mit dem Architekturforum Kreuzlingen Konstanz und der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) Konstanz spüren die Ausstellungsmacher:innen dem Geist vergangener Visionen – vom 18. bis ins 21. Jahrhundert – nach und stellen die immer spannende Frage: Was wäre wenn?
Die logische Fortsetzung einer früheren Ausstellung
Damit ist diese Ausstellung in vielerlei Hinsicht die logische Fortsetzung einer Schau, die im vergangenen Jahr in Konstanz zu sehen war. Befasste sich „Youtopia“ noch sehr global mit der Frage nach so etwas wie dem idealen Bauplan für Städte, zeigt die Kreuzlinger Ausstellung nun sehr konkrete, lokale Visionen von Städtebau. Manche erscheinen heute wahnwitzig und absurd, von anderen wünschte man sich, sie hätten sich in ihrer Zeit durchgesetzt. Genau diese Beschäftigung mit vergangenen Möglichkeiten will die Ausstellung erreichen.
„Es geht nicht darum, frühere Ideen lächerlich zu machen, sondern darum, sich ernsthaft damit zu beschäftigen und sich zu fragen, wie sie unsere Städte verändert hätten“, sagt David Bruder, Leiter des Museums Rosenegg.
Die Auswahl der gezeigten Beispiele ist breit: Es finden sich darunter Kulturbauten wie Theater und Konzerthäuser, Kirchen, außergewöhnliche Wohn- und Gewerbebauten, Bahnhofsanlagen oder Häfen, Brücken, Tunnel und Autobahnen, Strassen- und Seilbahnen.
Wohntürme, die Blicke auf sich ziehen
Die Ausstellung ist nach Stadtteilen gegliedert, Wegweiser geben die Richtung vor. Ein erster Hingucker ist die Vision eines Doppelhochhauses an der Grenze. Studierende der HTWG haben den Entwurf als Modell nachgebaut, die Verwandtschaft zum Dubaier Burj al Arab ist offensichtlich.
Tatsächlich stammte die Idee am Bodensee von demselben Londoner Architekturbüro, das auch den Turm in Dubai konstruierte. 2005 ging die Anfrage für das Bauprojekt auf der Grenze bei der Stadt Kreuzlingen ein. Der Kreuzlinger Stadtrat zeigte sich nicht uninteressiert. „Doch schon aufgrund der Lage auf der Grenze und die damit verbundene unterschiedliche baurechtliche Situation zweier Staaten war das Projekt nicht realisierbar“, heißt es in der Ausstellung.
Einen Raum weiter zieht ein weiteres Modell die Blicke auf sich – der Alcan Turm. Die Idee dazu stammt aus dem Jahr 2008. Damals entschließt sich die Firma Alcan das Gelände zu verkaufen und schlägt gleich eine Umnutzungsidee vor: Ein, inklusive Spitze, insgesamt 200 Meter hoher Turm. Beherbergen soll er ganz oben ein Drehrestaurant mit 200 Sitzplätzen, darunter 160 Wohnungen á 220 Quadratmeter und in seinem trapezförmigen Sockelbau Läden, Büros und Geschäfte. Das auf bis zu 150 Millionen Franken geschätzte Projekt findet aber weder einen Investor noch gibt es zu dem Zeitpunkt überhaupt eine Rechtsgrundlage für die Bewilligung eines solch hohen Baus in Kreuzlingen.
Ein Kolosseum für Konstanz?
Noch wahnwitziger: Die Pläne für eine „Stadt in der Stadt“ des Schweizer Architekten André M. Studer auf dem Douglas-Areal im Konstanzer Stadtteil Petershausen: Hier sollte «ein kleines urbanes Zentrum für 1500 Bewohner» entstehen. Darin eingeschlossen «ein überdachtes Wellenbad» mit «Kurmittelbetrieb, zwei Restaurants mit Konferenzräumen, ein Hotel, ein Yachthafen und Schifflandesteg, ein Café am See, Spielbankbetrieb und Bowlingbahn, Ladenpassagen und auf dem höchsten Punkt des Gebäudes ein drehbares Panorama-Aussichtscafé».
Im März 1971 stimmte der Konstanzer Gemeinderat zunächst für das Projekt, der Baubeginn wurde für Ende 1972 erwartet. Schon im Sommer 1971 machte jedoch der sogenannte Bodensee-Erlass des baden-württembergischen Innenministeriums solche am Ufer gelegenen Großbauten unmöglich.
Daneben gab es aber auch immer wieder Ideen, wie man die beiden Städte besser verbinden könnte. Über einen gemeinsamen Bahnhof beispielsweise oder eine grenzüberschreitende Straßenbahn. Diese Projekte scheiterten aber ebenso wie die verschiedenen Überlegungen zur einfacheren Überquerung des Bodensees. Die Idee eines Tunnels durch den Überlinger See hatte der Konstanzer Gemeinderat beispielsweise 1982 endgültig verworfen.
Wozu braucht es Utopien?
Was für den einen eine wegweisende Utopie sein kann, ist für die andere vielleicht schlicht ein Naturfrevel. Der Begriff der Utopie geht zurück auf Thomas Morus (1478-1535). In seinem Roman „Utopia“ beschreibt er eine fiktive Insel, die in Vielem das Gegenbild zu seiner zeitgenössischen Adelsgesellschaft war. Morus‘ Utopia ist ein gerechtes Gemeinwesen, in dem es weder Geld noch Privateigentum, aber religiöse Toleranz gibt.
In diesem Sinne versuchen Utopien zukunftsweisende Lösungen für Probleme der Gegenwart zu finden. Sie setzen sich sich mit der Lösung von sozialen Problemen, Gesundheitsfragen, der Verkehrslage oder der Zerstörung von Natur auseinander. Aber, und das hatte schon die herausragende Ausstellung „Youtopia“ im vergangenen Jahr aufgezeigt, es gibt keine Utopie, die all unsere Probleme lösen kann. Es bleibt immer nur eine Annäherung des Möglichen.
Ein Schaulaufen des Scheiterns
Und so schlendert man durch die Ausstellung, staunt und wundert sich über die zahlreichen visionären Projekte, die hier bereits erdacht und diskutiert wurden und dennoch alle (aus sehr verschiedenen Gründen) nicht realisiert wurden. Bisweilen fühlt man sich wie die Protagonistin aus dem oscarprämierten Film „Everything everywhere all at once“, die zwischen den unzähligen Parallelentwürfen ihres Lebens, die sich an entscheidenden Momenten ihrer Biografie abgespalten haben, hin und her springen kann. Manchmal gleicht es der Entdeckung eines vergangenen Möglichkeitsraums. Manchmal aber auch einem Schaulaufen des Scheiterns.
Ein Schaulaufen, das allerdings im Fall der Kreuzlinger Ausstellung ziemlich inspirierend ist. Zum Beispiel die Frage, wie sich die Städte entwickelt hätten, wäre die Idee eines Industriehafens im Seerhein zwischen dem Konstanzer Industriegebiet und dem Tägermoos realisiert worden.
1929 wurde der Ausbau des Hochrheins zur Wasserstraße als Ziel vertraglich zwischen der Schweiz und der Republik Baden vereinbart. „In Konstanz wie Kreuzlingen träumte man von Hafenbecken auf beiden Seiten des Seerheins, von Fabriken und einem Großflughafen im Wollmatinger Ried“, heisst es in der Ausstellung. Wäre es so gekommen, es hätte die Städte sehr verändert. Möglicherweise hätte sich viel mehr Industrie angesiedelt, Firmen, die es jetzt nicht gibt, hätten Spuren hinterlassen.
Die Kraft der lokalen Geschichte
Und weil Geschichte ja immer auch eine Folge von Ereignissen ist, hätte diese eine Veränderung zu vielen weiteren geführt. Mehr Industrie hätte im Zweiten Weltkrieg vermutlich auch mehr Beschuss und Zerstörung bedeutet. Konstanz könnte heute aussehen wie Friedrichshafen. Es sind auch diese kurzen Momente des Schauderns, die die Ausstellung so eindrücklich machen. Weil sie das Tor zu einer anderen Welt aufmachen. Nicht nur für die Städte, sondern auch für all die Menschen, die heute hier leben. Das ist die Kraft der lokalen Geschichte. Sie berührt, selbst wenn sie nie passiert ist.
Nun sind die Inhalte das eine in einem Museum, die Vermittlung und Gestaltung dieser Inhalte aber etwas anderes. In der aktuellen Ausstellung im Rosenegg ergänzt sich beides überzeugend. Das hat vor allem mit dem Beitrag der HTWG zu tun. Mehr als 50 Studierende aus dem Fachbereich Architektur und Gestaltung haben sich engagiert und sowohl designerisch als auch konzeptuell eine Ausstellung entwickelt, die man in dieser Qualität eher selten im Thurgau findet. Sieht schön aus und ist durch die verschiedenen Teilhabemöglichkeiten und die Erweiterungen in den Stadtraum hinein ziemlich klug konzipiert.
Klug und überzeugend inszeniert
Bereits bei der Überarbeitung der Dauerausstellung „Hüben und drüben“ hatte Museumsleiter David Bruder den öffentlichen Raum einbezogen, dies setzt er nun beeindruckend fort. Mit Hilfe von QR-Codes und Augmented Reality kann man die einzelnen städtebaulichen Visionen auch an ihren geplanten Standorten digital auferstehen lassen. Alles, was man dafür braucht, ist ein Smartphone.
Damit zeigt das Museum Rosenegg in der Debatte um Digitalisierung in Museen beispielhaft, was selbst mit bescheidenen Mitteln (und engagierten Studierenden) möglich ist und wie sehr analoge und digitale Wissensvermittlung voneinander profitieren können. Wer möchte, kann einzelne Stationen auch in einer eigens dafür konzipierten Fahrradtour abfahren.
Brauchen wir mehr Mut zu Visionen?
Zurück im Museum lohnt sich noch ein Blick in den unteren Raum der Ausstellung. Unter dem Titel „Epilog“ bündeln die Ausstellungsmacher:innen spannende studentische Visionen zu städtebaulichen Herausforderungen in Kreuzlingen und Konstanz. Der Raum könnte auch zur Versöhnung dienen mit dem Begriff „Vision“.
Denn, so sagte es Eberhard Schlag, Professor für Architektur und Gestaltung an der HTWG Konstanz, „heute sind wir oft gefangen in unseren Bedenken und was alles nicht geht. Vielleicht müssen wir einfach wieder mutiger und größer denken, um die Probleme unserer Zeit zu lösen.“ Inspiration dazu liefert die Ausstellung jedenfalls im Überfluss.
Die Ausstellung „Geplatzte Stadtträume – eine Reise durch Konstanz Kreuzlingen“ ist bis Ende März 2025 im Museum Rosenegg (Bärenstrasse 6, Kreuzlingen) zu sehen. Mehr zum Rahmenprogramm im Internet: www.museumrosenegg.ch
Die Öffnungszeiten:
Freitag, Samstag, Sonntag: 14 bis 17 Uhr
Führungen auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich.
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