Nullsummenspiele oder: Ab wie viel Arbeit lohnt sich Kinderbetreuung?

Mama arbeitet für die Kinderbetreuung. In der Schweiz ist das oft traurige Realität. Hier lohnt es sich für viele Mütter kaum, den Balance-Akt zwischen Kochtopf und Kundentermin zu bewältigen. Trotzdem wagen ihn viele. Ein Nerventest.
Grafik: Alexander Wucherer

„Soll ich kündigen und zuhause bleiben?“ – „Das wäre wohl das Beste – zumindest für unser Portemonnaie!“ – „Oder du bleibst. Mein Stundenlohn ist so hoch wie deiner!“ Dieser Streit kommt immer wieder auf. Was wer sagt, variiert. Letzte Ausführung: gestern Morgen, fünf Uhr. Gebrüllt ging auch schon, doch gestern haben wir im Flur geflüstert – die Kids sollten noch nicht wach werden. Wir wollten noch in Ruhe arbeiten, bevor der Sturm losbricht. 

Es ist ein permanenter Kampf um Arbeitszeit, den wahrscheinlich so oder hoffentlich nur so ähnlich fast jede Familie kennt. Das Dramatische auf dieser Seite der Grenze: Es ist eine Spitz-auf-Knopf-Rechnung, ob Arbeit sich lohnt. Oft rentiert es sich nicht für Frauen in der Schweiz. Was sie in der Zeit der Kinderbetreuung – zumeist in Teilzeit – verdienen, wandert stante pedes in die Kinderkrippe oder zur Tagesmutter. Väter betrifft das natürlich auch, doch Hand aufs Herz: Der Rollentausch ist bei den meisten nur eine abstrakte Option. 

Zwischen Spaghetti kochen und Mails beantworten

Ich selbst habe aufgehört zu rechnen; es ist zu frustrierend. Es muss nur ein Plus herauskommen. Wenn ein Minus droht, muss einer von uns Arbeitszeit aufstocken. Für längere Zeit ganz auszusteigen, birgt das Risiko, nicht mehr richtig reinzukommen. Und es gibt ein Leben nach den Kindern. Und dabei gehen wir bewusst das andere Risiko ein: dass die Kids unter gestressten Eltern leiden. Egoistisch? Vielleicht. 

Ich kann jede Mutter verstehen, die sich hundert Prozent um die Kinder kümmert. Egal, aus welchen Gründen. Ich für meinen Teil will aber nicht nur mir, sondern auch meinen Kids beweisen, dass es geht. Leider geht es nur so halb. Auch wenn wir beide nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich arbeiten, ist das angesichts der hohen Betreuungskosten eigentlich zu viel. Zu viel Stress, zu viele Absprachen, zu viel schlechtes Gewissen gegenüber dem Chef und den Kids.

Im Alltag versuche ich, bei den fix ausgemachten Betreuungstagen zu bleiben, und soweit es geht, Zusatzbuchungen zu vermeiden. Das bedeutet, Mails beim Spaghettikochen zu beantworten und nach der Abgabe der Kinder zum Rechner zu hechten. Bei kurzfristigen Projekten kommt das einem Spießrutenlauf gleich, bei dem ich um 15-Minuten-Slots mit meinem Partner deale. Immer mit der Hausnummer hundert im Kopf: Ein Betreuungstag kostet rund hundert Franken. Ergo: Ich schreibe eine karla Kolumne eher morgens um fünf, als dafür Betreuung zu buchen. 

Das Chindsgi-Prinzip

Kostenlos ist dafür der Chindsgi, wie der Kindergarten genannt wird. Der ist in der Schweiz Teil des Schulsystems und für die zwei Jahre vor dem Schuleintritt verpflichtend. Ein freier Jokertag pro Schuljahr, sonst müssen die Kleinen ab 8 Uhr antanzen. Um 11:45 Uhr kommen sie zurück. Wenn Mama die Kleinsten gewickelt, essen gekocht und die Fenster geputzt hat. Aber das ist gemeine Häme von berufstätigen Müttern, für die das System nicht erdacht wurde. Und wo ein Vakuum besteht, da prescht der Markt vor: Chindsgi-Kinder bekommen Mittagessen in der privaten Krippe und werden dort betreut bis zum Abend. Hausnummer 100 durch 2: 50 Franken. 

In diesem Jahr startet mein Großer mit der Primarschule. Auch dann kostet ein Nachmittagsplatz in einem der vier Kreuzlinger Horte schnell über 50 Franken pro Tag. Diese gehören zur Schulgemeinde und betreuen natürlich nicht in den Ferien. Erst vor ein paar Jahren hat die Kreuzlinger Stimmbevölkerung einem Ausbau der Kapazitäten zugestimmt, aber der Bedarf wächst. Die nächste Erweiterungsrunde dürfte bald anstehen. Es gibt einfach zu viele Mütter und Väter, deren Familien weit weg wohnen und nicht für eine Betreuung in Frage kommen. Oder nur bedingt: In meinem Bekanntenkreis gibt es Omas und Opas, die viele Stunden Fahrt auf sich nehmen, um die Enkel:innen zu hüten. 

„Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf“

Erst war ich überrascht, als ich Ende 2022 gelesen habe, wie viele Mütter in der Schweiz trotz dieser Umstände arbeiten: 82 Prozent aller Mamas von maximal 15-jährigen Kindern. Der EU-Schnitt liegt bei knapp 75 Prozent. Doch das ist kein Ergebnis der Gleichberechtigung. Schließlich muss eine Mutter in der Regel nach sechs Monaten wieder zum Job, oder sie ist weg vom Fenster. Und: Während die Arbeitslosenquote in Deutschland bei 5,4 Prozent liegt, toppt das die Schweiz mit aktuell 2,1 Prozent. Der Fachkräftemangel ist zu einem Arbeitskräftemangel geworden. 

Aber was mach ich? Ich motze wie eine klassische Deutsche in der Schweiz übers Geld. Dabei stehe ich hinter dem Chindsgi-Prinzip: Es ist integrativ und wie immer kommt es auf die Menschen an – wir haben Glück mit den Kindergartenleiterinnen. Ich habe nicht das Gefühl, dass der Chindsgi pure Vorschule ist und die Kids getrimmt werden. Es ist ein Segen, dass es Hort-Betreuung nach der Schule bis 18 Uhr gibt. Ich bin überzeugt, dass meine Kids in der privaten Krippe wirklich gut aufgehoben sind, und bekräftige das auch in positiven Bewertungen, wenn ich angefragt werde. 

Und ich bin der größte Fan unserer Tagesmutter. Nicht nur, weil sie besser kochen kann als ich. Sie hat auch immer eine angemessene Reaktion bei Leid und Wut meiner Kinder parat, während ich manchmal schnell die Nerven verliere. Besonders, wenn ich um fünf Uhr morgens zu arbeiten begonnen habe. Irgendwo muss die Kohle ja herkommen. Ein Teufelskreis. Aber vielleicht auch einfach nur die verdammt teure und aufreibende Fortsetzung von „Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“