Konstanz, Universität. Es herrscht wirres Treiben. Studierende bahnen sich ihren Weg durchs Foyer, gehen alltäglichen Beschäftigungen nach. Etwas abseits sitzt eine junge Frau. Alltag bedeutet für Sara (Name von der Redaktion geändert) etwas gänzlich anderes.
Bis vor wenigen Wochen riskierte sie im iranischen Rascht noch ihr Leben – jetzt wohnt sie in einer schläfrigen Kleinstadt, deren Straßen höchstens samstags von schweizerischem Shopping-Tourismus geflutet werden. „Ich war da, als es begann“, erklärt Sara, „Zusammen mit meinen Freundinnen bin ich rausgegangen, um zu kämpfen.“
Ihre Körpersprache verrät Unruhe. Immer wieder blickt Sara sich mit zusammengezogenen Schultern um. Um ihre Familie zu schützen, möchte sie anonym bleiben. Zwei Wochen lang protestierte Sara im Iran, dann zog sie als Sportwissenschaftsstudentin nach Deutschland. Zu Beginn der Revolution hätten alle große Angst gehabt. Jetzt sei das anders. Das Protestieren sei mittlerweile Selbstverteidigung – und ihre einzige Chance zu überleben.
„Die Menschen haben nichts mehr zu verlieren, sie sind wütend. Und sie wissen, dass sie nicht mehr aufhören dürfen.“
Sara (Name von der Redaktion geändert)
Seht nicht weg! Das fordert die iranische Bevölkerung, die seit zehn Wochen auf den Straßen protestiert. Am 13. September 2022 wird Jîna Mahsa Amini von der Sittenpolizei in Teheran festgenommen. Die 22-jährige Kurdin habe ihr Kopftuch nicht vorschriftsgemäß getragen, heißt es. In der Haft wird sie zu Tode misshandelt. Ungewöhnlich ist der Vorfall nicht – doch er schlägt mediale Wellen, die zu landesweiten Aufständen führen.
Der Widerstand ist unsere einzige Chance
Was Sara im Iran erlebte, hat sich eingebrannt. Ihr Blick hat etwas Drängendes, während sie spricht. „Die Sittenpolizei ist schrecklich, auch mich haben sie mit Knüppeln niedergeschlagen. Ich musste um mein Leben rennen. Denn wenn sie dich kriegen, können sie alles mit dir machen.“ Die Worte fallen ihr merklich schwer, doch sie berichtet weiter: „Meine Freundinnen wurden nach Evin ins Gefängnis gebracht. Alle wissen: Wer als Frau dort landet, wird vergewaltigt.“ Anschließend würden sich viele das Leben nehmen. Wie es um ihre Freundinnen steht, möchte sie nicht weiter ausführen. Zu vielen hat sie den Kontakt verloren – denn der Internetzugang im Iran wird systematisch zerstört.
Immerhin ihre Eltern konnte sie kürzlich sprechen. Dass die beiden trotz Todesangst nachts die Fenster öffnen und Widerstands-Parolen hinausschreien, habe Sara tief berührt. Beim Klang ihrer Stimmen sei die Studentin erleichtert und verzweifelt zugleich gewesen. Da habe Sara ihnen offenbart, dass sie zurück in den Iran wolle. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Es macht mich nervös, nicht bei ihnen zu sein“, sagt sie. „Aber meine Mutter hat es mir verboten.“ Deshalb bleibe sie hier. In Sicherheit.
Nahsein aus der Ferne
Den Wunsch, vor Ort zu sein, teilt Fariba. Die 44-jährige Iranerin hat ihre Heimat bereits 2018 verlassen. Seitdem lebt sie in Konstanz. Meilenweit entfernt von Heimat, Freund:innen und Familie muss auch sie die Proteste über den Bildschirm verfolgen. Um dennoch etwas zu tun, organisiert sie gemeinsam mit anderen persischen Frauen eine Gedenkfeier in der Altstadt, nahe dem Münster.
In einem kleinen Raum wird eine iranische Flagge drapiert. Ringsum werden Teelichter verteilt. Fariba spricht auf Farsi, sie weint: „Jîna Mahsa Amini ist nicht einfach die Tochter ihrer Eltern: Sie ist Tochter des Irans, sie ist Tochter dieser Welt.“ Und erklärt, dass die ermordete Kurdin für all jene stehe, die durch das brutale Regime der Mullahs sterben mussten.
Während sie erzählt, umklammert sie ihr Handy. Schwarz lackiert sind die Fingernägel, die das Display immer wieder unruhig aufleuchten lassen. Zur Kontrolle. Denn Nachrichten werden auf Social Media im Minutentakt veröffentlicht. Es sind Schauspieler:innen, Fußballer oder Politiker:innen, die sich plötzlich in Berichterstatter:innen verwandeln. „Gefühlt unterschreibe ich jede Stunde eine neue Petition. Pausenlos sehe ich mir Bilder und Videos an. Meistens erkenne ich die Orte darin.“ Und dann erzählt Fariba, wie sie vor drei Wochen unter Schock ins Krankenhaus geliefert wurde. Herzrhythmusstörung. Auf Instagram wurde ein Foto geteilt, auf dem sie plötzlich ihren toten Neffen identifizierte. Sechzehn Jahre alt, von der Polizei erschlagen.
Wir müssen fordern und hoffen
Zusammenhalt, das ist es, was den Frauen aktuell am meisten Kraft schenkt. Wochenends reisen viele Exiliraner:innen in die Großstädte, um an Kundgebungen teilzunehmen. Doch auch in Kleinstädten findet das Thema allmählich Gehör. „In Konstanz haben mittlerweile fünf Kundgebungen stattgefunden“, fügt Jalal Afzali an, der die Veranstaltungen organisiert. Das sei extrem wichtig, denn so entstehe ein Diskurs, der in den öffentlichen Nachrichtendiensten nicht möglich sei. „Auf der Straße können wir ins Gespräch gehen und Menschen erreichen, die bislang weggesehen haben.“
Was die Iraner:innen als Erfolg werten, ist die weltweite Aufmerksamkeit, die in den letzten Wochen generiert worden sei. „Wir brauchen dringend Hilfe. Allein können wir gegen diese Diktatur nicht gewinnen“, stellt Fariba klar.
Dabei müsse Deutschland die Iranerinnen nicht befreien – sondern lediglich ihre Stimmen verstärken und politische Konsequenzen ziehen. „Wir kämpfen jetzt darum, dass die iranischen Diplomaten zur Ausreise gezwungen werden. Kein Land darf die islamische Republik länger dulden. Das sind nicht unsere Diplomaten, sie repräsentieren nicht unser Volk.“
Faribas Augen leuchten, ihr Glanz spiegelt Hoffnung. „Ich wünsche mir so sehr eine Zukunft für meine Heimat.“ Dabei gehe es nicht nur um Menschenrechtsverletzungen. Sondern um den Traum von freien Wahlen, hin zu einem neuen politischen System. Ob sie das schaffen? Sie hoffen es. Fest steht, was sie dafür brauchen. Und das ist radikale Solidarität.