„Ich konnte einfach nicht mehr kämpfen“, sagt Sladjana Peerebooms, während sie die letzten Lebensmittel aus dem Laden in Kisten verpackt. Vor sechs Jahren öffnete sie ihren Laden Unverpackt Konstanz in der Moosbruggerstraße. Jetzt hat sie ihr Geschäft aufgegeben. Mit der Coronakrise fingen die Probleme an, mit dem Ukraine-Krieg und der daraus resultierenden Inflation endete es. „Wir haben die Preise nie erhöht. Aber viele dachten das“, sagt sie.
Das Konzept von Unverpacktläden ist simpel: Alle Lebensmittel sind ohne Verpackung erhältlich. In den meisten Fällen sind die Produkte regional und bio. Man bringt seine eigenen Behälter mit und kann sich eine beliebige Menge abfüllen, die dann gewogen wird. Im Silo an der Laube und im Unverpackt Konstanz gab es aber auch biologisch abbaubare Verpackungen, Mehrweg- und Pfandbehälter, wenn man gerade mal nicht die Tupperbox zur Hand hatte. Preislich können Unverpacktläden nicht mit Discountern mithalten. Aber müssen sie das überhaupt? „Mein Beispiel ist immer die Muskatnuss: Du musst nicht eine Packung Muskatnüsse kaufen mit, ich weiß nicht, wie viele da drin sind. Du kannst hier eine Muskatnuss kaufen, die kostet sechs Cent und die hält halt so lange, wie du sie brauchst“, sagt Julia Zachenbacher, die momentan noch Gesellschafterin des Silo ist.
Neue Geschäftsführung in Sicht
Das Silo ist für Menschen, die bewusst nachhaltig leben wollen, nicht nur eine Unverpacktoase. Es gibt neben Lebensmitteln auch nachhaltige Wasch- und Putzmittel zum Abfüllen sowie Kosmetikprodukte. Ein kleiner Innenhof wurde als Café dekoriert, das zum Verweilen einlädt. Im Juni dieses Jahres kam dann die Nachricht: Das Silo muss schließen. „Irgendwann muss man sich einfach die Frage stellen, wie viel privates Geld und Herzblut noch in das Projekt fließen muss. Für uns Gesellschafter stehen jetzt andere Dinge an. Aber leicht ist es nicht“, gibt Zachenbacher zu. Deshalb haben die Gesellschafter:innen Julia Zachenbacher und Bernhard Clasen beschlossen, den Laden abzugeben. Was für die zwei Gesellschafter:innen nach vier Jahren Abschied bedeutet, eröffnet einem Interessenten ab Oktober neue Türen. Gemeinsam mit dem gegründeten Silo Verein e.V. kann der Unverpacktladen ein erweitertes Konzept mit Mittagstisch und Kulturveranstaltungen aufbauen. „Aktuell arbeitet der Verein gemeinsam mit der SILO GbR und einem potenziellen Nachfolger an einer Lösung, ‚unverpackt‘ in Konstanz zu halten“, schreibt der Verein.
Ist der Hype vorbei?
Das Silo-Team kämpft also weiter an der Front gegen die vielen in Plastik verpackten Lebensmittel in den Supermärkten. Sladjana Peerebooms von Unverpackt Konstanz macht vorerst eine Pause im Geschäft. Sie hat für sich ein paar Vorräte aus dem Laden zurückgelegt, den Rest spendet sie und bleibt bei ihrer hauptberuflichen Tätigkeit als Altenpflegerin. Was in der Unverpackt-Theorie gut ankommt, zieht in der Praxis nicht genügend Kundschaft an. Das Silo ging 2019 mit der Welle, als in Deutschland viele Unverpacktgeschäfte öffneten. 2022 waren beim Verband der Unverpackt-Läden 340 Geschäfte registriert, inzwischen sind es nur noch rund 270.
Eigentlich gehen die Unverpacktläden mit dem Puls der Zeit, der da wäre: so nachhaltig wie möglich, so naturfreundlich wie möglich, weg mit den Verpackungen, die am Ende in unseren Meeren landen. In Deutschland liegt der Verpackungsabfall bei jährlich rund 230 Kilogramm pro Kopf. Was ist los in der Stadt, die den Klimanotstand ausgerufen hat?
Laut Gesellschafterin Julia liege die Schließung nicht an fehlenden Kund:innen. „Wir haben zum einen wahnsinnig hohe Personalkosten und in Kombination mit Corona und dem Krieg in der Ukraine läuft es einfach nicht, obwohl der Laden gut besucht ist.“ Wenn man mit den Umsätzen immer gerade so auf Null rauskäme, funktioniere das Konzept auf Dauer nicht, sagt sie.
Warum es in der Praxis nicht läuft
In einer Gesellschaft, in der Zeit mit das höchste Gut der Menschen ist, geht man nicht gerne lange einkaufen. Nach der Arbeit noch kurz in den nächsten Supermarkt, bei dem man im besten Fall direkt alles bekommt. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das für unsere Kund:innen dann ein kleiner Familienausflug war mit den Kindern. Samstags ein bisschen einkaufen, die Kinder spielen im Innenhof im Café und bekommen einen Kakao. Wir wollten nicht nur ein kleiner Supermarkt sein, sondern auch einen schönen Ort kreieren. Das haben wir geschafft“, erzählt Julia. Aber die Kund:innen sind vorsichtiger geworden: Mit der Ungewissheit des Krieges gehen die Menschen sorgsamer mit ihrem Geld um. 36 Prozent sparen laut einer Umfrage von Idealo bei den Lebensmitteln. „Letztlich sind Gesetzgeber, die den Rahmen für Konsum geben, gefordert. Wenn unverpackt einzukaufen weniger kostet als verpackte Waren zu kaufen, wird es wieder mehr solcher Angebote geben. Die Option, einen Laden in Form eines Vereins zu führen und damit stark auf Beteiligung von Bürger:innen zu bauen, kann natürlich ein Weg sein, weiter zu existieren. Letztlich muss ein kommerziell geführter Laden aber natürlich einen Bedarf bedienen, und wenn nicht genug Nachfrage besteht sich ‚clever‘ an die einkaufenden Bürger:innen wenden“, sagt der Klimaschutzbeauftragte Philipp Baumgartner, der seit kurzem im Amt ist. Konstanz als Stadt prüfe gerade, eine Verpackungsteuer einzuführen, was auf kommunaler Ebene ein Signal und Anschub für Unverpacktläden wäre.
Nicht nur die Sparsamkeit spielt eine Rolle. Für viele bedeutet es einen organisatorischen Aufwand, Behältnisse einzupacken – und dann die Öffnungszeiten. Anders als ein Supermarkt von 7 bis 22 Uhr. Tatsächlich gab es beim Silo und auch bei Unverpackt Konstanz regelmäßige Änderungen der Öffnungszeiten. „Am Anfang hatten wir lange auf! Bis 20 Uhr. Aber irgendwann haben wir früher geschlossen, weil niemand mehr kam“, sagt Sladjana Peerebooms und schaut traurig auf die gegenüberliegende Sparkassen-Filiale. „Es ist traurig und ich finde es schade.“
„Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, sondern als Ritter für die gute Sache.“
Chrissi Holzmann, Verband für Unverpacktläden e.V.
Am Ball bleiben
Der Verbund der Unverpackt-Läden sieht noch keine alarmierende Situation. „Wir bekommen stetig Zuwachs und das ist erst mal positiv“, sagt Chrissi Holzmann, die im Vorstand ist. Ihnen ist es daran gelegen, die Läden zu unterstützen. „In den Medien wird oft ein falsches Bild gezeigt. Da heißt es immer die ‚Läden in der Krise‘, aber wir haben Geschäftsführer, die zum Teil schon ihre dritte Filiale eröffnet haben“, beschreibt Holzmann die Situation. Der Verbund bietet für Mitglieder eine Plattform für den Austausch über Lieferanten, Kalkulation, Marketing und macht dreimal im Monat Infoveranstaltungen zu diesen Themen. Mit ihren Best-Practice-Beispielen vernetzen sie die Läden untereinander, anstatt zu konkurrieren. „Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, sondern als Ritter für die gute Sache.“ Holzmanns eigener Laden in München läuft nach ihren Angaben super. Im Jahr 2022 haben 70 Unverpackt-Läden mit Verbandsmitgliedschaft geschlossen. Dem stehen 44 Ladeneröffnungen von Mitgliedern in 2022 gegenüber.
Der Naturschutzbund Deutschland e.V. (kurz NABU) hält in einer Umfrage fest, dass 76 Prozent der Befragten Obst und Gemüse bevorzugen, das nicht abgepackt ist. 85 Prozent sind bereit, eine eigene Einkaufstasche mitzunehmen, um Plastik zu vermeiden. Eine mögliche Lösung für Unverpacktläden wäre ein clever gewählter Standort. Beispielsweise neben einem Supermarkt, der das anbietet, was die Unverpacktläden noch nicht im Sortiment haben. In einer Stadt wie Konstanz hilft es auch, sich zu zeigen, noch sichtbarer zu werden und aktiv auf die Menschen in der Stadt zuzugehen. Im Falle des Vereins hat das schon gut geklappt, denn es gibt ihn erst seit Anfang Juni und er zählt schon 90 Mitglieder. Simone Keller betreibt den Unverpackt Laden „Heimatliebe“ in Markdorf und ist aktuell der nächstgelegene Laden zu Konstanz. „Ich glaube, man muss etwas flexibler denken und gegebenenfalls das Konzept etwas auflockern. Also zurück zu Bioware, die zum Teil aber eben verpackt ist.“ Auch Keller verzeichnet ein Drittel weniger Umsatz, hat den Laden aber gekauft und spart somit hohe Mietkosten.
Kann Silo bald wieder durchgehend öffnen?
„Es sieht gut aus mit der neuen Geschäftsführung“, kommuniziert Julia nach ihrem Silo-Vereinstreffen. Inwiefern sich das Konzept verändert, können wir voraussichtlich in den nächsten Monaten beobachten. Eine strukturelle Änderung ist aber jetzt schon klar: Die neue Geschäftsführung wird die Stelle in Vollzeit ausüben und nicht, wie die drei Gesellschafter:innen bisher, als Nebentätigkeit betreiben. Möglicherweise bringt das neuen Aufschwung. Eine Bereicherung für die Stadt sind Unverpacktläden allemal, deshalb hoffen auch viele Stammkund:innen auf einen weiteren Betrieb.
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