Eileen Blum ist gerade mal 22 Jahre alt. Aber sie hat keine Zeit mehr. Eigentlich. Denn um die Welt steht es schlecht. Die Klimakrise. Der Klimawandel. Bald ist der Kipppunkt erreicht, die Erderwärmung nicht mehr zu stoppen. Je mehr sich Eileen mit dem Thema beschäftigt, umso mehr realisiert sie, was kommen wird. „Wir haben keine Zeit mehr!“, sagt sie. Aber die Mehrheit der Gesellschaft will das nicht begreifen.
Eileen ist in Allensbach aufgewachsen, dort zur Grundschule gegangen, zwei Schwestern, die Eltern Lehrer, Haus mit Garten, ruhig gelegen. Schon in der Schule versuchte Eileen andere Kinder daran zu hindern, wehrlose Insekten zu töten. Seit sie drei war, so Eileen, wollte sie Tierschützerin werden. Mit fünf schrieb sie das beim Feld „Beruf“ ins Freundinnen-Buch. Als ihre Mutter meinte, das sei aber kein Beruf, strich sie es durch. Und schrieb stattdessen „Prinzessin“ hin. Und setzte sich hin und malte ein Bild, was sie noch heute gerne tut.
Tierschützerin sein spielte sie trotzdem gerne. Im Wald am Hochsitz wurde ein Schild befestigt: „Du dummer Jäger sollst keine Tiere töten.“ Auf Kindergeburtstagen trat sie den anderen beim Grill entgegen: „Warum esst ihr das, was mal gelebt hat?“ Oft kam als Reaktion: „Sei ruhig, du nervst!“ Dann war Eileen ruhig. Ohne aufzuhören. Im Fernsehen schaute sie sich am liebsten Tier-Dokus an. Dass die Welt wärmer wurde, die Gletscher schmolzen und die Eisbären starben, dass der Regenwald abgeholzt und Tieren die Heimat genommen wurde, das bekam sie schon früh mit. Nebenbei.
Niemand interessierte sich dafür, was sie dachte
Eileen kam auf die Geschwister-Scholl-Schule. In der Pubertät ging sie lieber im Wald spazieren, die Themen der anderen – Jungs, Bücher, Fernsehserien – waren ihr zu banal. Es gab Wichtigeres. Die Natur erleben, solange es sie noch gab. Der Fortschrittsglaube war ihr schon zerbröselt. Und was konnte sie schon tun mit 14 Jahren? Keine Möglichkeit, wohin zu gehen, um sich zu engagieren. Dafür kein Geld, als Minderjährige keine Stimme in der Gesellschaft. „Niemand interessiert, was du denkst!“ In der Schule kam das lebenswichtige Thema immer nur am Rande vor. Der erste große Frust. Über die Menschen. Die Menschheit. Das Menschenbild rutschte ins Negative. Warum waren so viele nur so uneinsichtig? Die Ohnmacht.
„Und hätte ich einen roten Knopf gehabt, der die Menschen einfach in Luft auflöst – ich hätte sofort draufgedrückt!“
Eileen Blum
Sie sammelte mehr und mehr Informationen, aber trat noch keiner Organisation bei. In ihrem letzten Schuljahr trat dann Greta Thunberg auf, im Februar 2019, kurz vor ihrem Abitur, gründete sich die Konstanzer Bewegung Fridays For Future (FFF). Endlich hatte sie das Gefühl, doch nicht ganz machtlos zu sein. Aber das musste warten. Erst Abitur. Dann mitlaufen, beim Globalen Klimastreik, an Aktionen teilnehmen, nichts organisieren, nur gucken. Stattdessen sich noch mehr Wissen aneignen: Interviews, Artikel, Studien lesen.
„Und je mehr ich mitkriegte, desto mehr dachte ich: Scheiße, es ist ja noch viel schlimmer, als ich dachte“,
sagt sie rückblickend.
Ein Grundgefühl, das sie auch nach drei Jahren Aktivismus immer noch nicht verlassen hat.
Eine Rede, die alles veränderte
Und während viele ihrer Mitschüler:innen erstmal auf Weltreise gingen, was für sie alleine schon wegen der ökologischen Folgen nicht infrage kam, entschied sie sich, am Konstanzer Klinikum eine Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpflegerin anzufangen. Durch die Ausbildung fehlte ihr die Energie und damit auch die Möglichkeit, sich bei FFF zu engagieren. Und als das nach einem halben Jahr besser wurde und sie wieder „Luft“ verspürte, kam Corona. Dann organisierte ein Kumpel von der Klinik eine Gegendemo zu einem Querdenker-Auflauf. Eileen: „Darf ich da eine Rede halten?“ Er: „Klar!“
Mit dieser Rede will Eileen vor allem eins: provozieren. Ihr Titel: Warum ich als Pflegekraft der Meinung bin, dass angesichts des Klimanotstandes Corona ein Witz ist. Die Rede kommt gut an, 150 Zuhörer:innen, sie wird angesprochen von einer FFF-Aktivistin: Ob sie nicht mitmachen wolle, man treffe sich online.
Herbst 2020. Nun ist sie dabei. Aber eigentlich ist es auch schon spät. Vielleicht zu spät. Nichtstun ist für sie dennoch keine Alternative. „Aber wenn man auf die Emissions-Zahlen schaute, hatte man trotzdem nicht wirklich etwas Grundlegendes bewirkt“, sagt sie. Das sei manchmal sehr demotivierend gewesen. Und betont trotzdem: „Seinlassen ist auch keine Option!“
Erst Klimacamp, dann Straßenkleben
Dann richtet sich im August 2021 das Klimacamp hinter dem Münster ein, das mediale Aufmerksamkeit erregt. Eileen verbringt viel Zeit dort, engagiert sich unter anderem im Presse-Team, gibt Interviews, fürs Fernsehen, die Uni dreht einen Film. Bis zum Herbst ist einiges los, dann kommt der Winter. Es wird sehr ruhig auf dem Platz. Und kalt. Bei null Grad hält Henning von der „Letzten Generation“ einen Vortrag vor 15 Zuhörer:innen. Was Eileen beeindruckt und ihr noch einmal realistischer vor Augen stellt, wo die Welt genau steht. Am Abgrund.
Das Camp schließt nach einem Jahr. In Konstanz gründet Eileen dann aber eine Keimzelle der „Letzten Generation“. Ziviler Ungehorsam sei, so die Protestforschung, immer noch das wirksamste aktivistische Mittel mit der meisten Aufmerksamkeit. Schon Monate zuvor hat sie sich eine Aktion der „Rebellion for one“ in Konstanz angesehen. Dort setzten sich einzelne auf verschiedene Straßen, weil man sie so nicht wegen einer illegalen Versammlung anklagen konnte. Die Aktionen gehen bis heute weiter. Erst im Februar 2023 klebten sich einige aus der „Letzte Generation“ in Konstanz vor dem Lago auf die Straße. Die Aufregung und Empörung ist groß – vor allem unter den ausgebremsten Autofahrern.
Ein Baum, der bleibt
Schon als Kind hat Eileen Apfel-,Kirsch- und Birnenkerne gesammelt und sie auf den Wiesen im ganzen Ort verstreut und eingegraben. Die Saat ging auf: Aus einigen sind tatsächlich stattliche Bäume geworden, teilweise mehr als drei Meter hoch, Früchte tragend. „Ich pflanze auch im Garten gerne etwas ein und freue mich dann, wenn es gedeiht!“ Mehr als zehn Jahre durften auch „ihre“ Bäume wachsen. Vor Kurzem hat sie nachgesehen. Alle von ihr Gesäten wurden im Zuge einer Aufräumaktion in ihrem Ort gefällt. Bis auf einen. Einen Apfelbaum vor dem Haus ihrer Nachbarn, der steht noch. Ein Apfelbaum, den man ja, einem Ausspruch nach, noch pflanzen sollte, selbst wenn man wüsste, dass morgen die Welt untergeht.
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