Ein Teilort geht voran: In Dingelsdorf soll in den nächsten Jahren ein so genanntes Nahwärmenetz entstehen, gespeist auch durch Wärme aus dem Bodensee. Dadurch soll die Wärmeversorgung nachhaltiger werden und sich von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas lösen.
Mitte Juli haben die Stadtverwaltung und das Unternehmen solarcomplex einen Gestattungsvertrag für das Nahwärmenetz unterzeichnet. Der Vertrag läuft über 30 Jahre und berechtigt das Unternehmen, im Falle einer Umsetzung des Projektes, Wärmeleitungen in den städtischen Straßen, Wegen und Plätzen der Ortsteile Dingelsdorf und Wallhausen zu verlegen. Für das restliche Stadtgebiet existiert bereits ein ähnlicher Vertrag zwischen der Stadt und den Stadtwerken Konstanz.
Dass die Zeit drängt, macht der neueste Gesetzesentwurf zur Wärmeplanung des Bundesbauministeriums deutlich. Der neue Entwurf sieht kürzere Fristen vor: Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohner:innen müssen ihren Wärmeplan bis 30. Juni 2026 fertigstellen, kleinere Kommunen bekommen zwei Jahre mehr Zeit. Für Konstanz bedeutet das – die Wärmeplanung muss bis zum 30. Juni 2028 stehen.
Ein Nahwärmenetz leitet thermische Energie aus einer zentralen Wärmequelle zu den einzelnen Gebäuden eines Wohngebietes. Klingt relativ simpel und das ist es auch. Ein solches Wärmenetz kann aus den unterschiedlichsten Wärmequellen gespeist werden, wodurch es zukunftsfähig ist und auch mit neuen Technologien betrieben werden könnte. Das Wärmenetz ist allerdings nur dann erneuerbar, wenn die darin transportierte Wärme mittels erneuerbarer Energien erzeugt wurde. Dingelsdorf hat sich auf das intensive Engagement der sozial-liberalen Wählergemeinschaft Dingelsdorf hin inzwischen näher mit dem Thema beschäftigt und möchte in Kombination mit Seethermie ein solches Netz im Raum Konstanz vorantreiben. Die Seethermie als Energiequelle ist durchaus viel versprechend, da der Bodensee ein enormes energetisches Potenzial besitzt, welches bisher kaum genutzt wird. Den Strom für die Seethermieanlage soll ein Photovoltaik-Feld liefern.
Bei der Seethermie wird in der Regel Wasser aus einer Tiefe von ca. 40 Metern entnommen und in einen Kreislauf geführt, der wieder im See endet. In diesem Kreislauf wird dem Wasser die Wärmeenergie entzogen und in einen Wärmetauscher abgeleitet, in welchem ein Kühlmittel kontaktlos zum Seewasser temperiert wird. Dieses Kühlmittel wird wiederum zu einem Wärmetauscher im Haus geleitet. Dort wird damit das Heizwasser temperiert, je nachdem, ob das Haus gekühlt oder geheizt werden soll.
Die Lage in Dingelsdorf
Der voraussichtliche Standort für die Energiezentrale des Dingelsdorfer Nahwärmenetzes ist das Klausenhorn. Für den dortigen Fußballplatz wurde schon im Jahr 2006 ein Bebauungsplan für einen alternativen Standort erstellt, sodass der Platz für ein solches Projekt umgewidmet werden kann. Der Standort müsse allerdings noch seitens der Ingenieure geprüft werden, erklärte Ortsvorsteher Heinrich Fuchs.
Der Baubeginn in Dingelsdorf ist für 2025 geplant. Die Fertigstellung sei ein Jahr später zu erwarten. Der Zeitdruck ist groß: Jede:r Anwohner:in, der:die sich jetzt eine neue Heizanlage zulegt, wird sich wahrscheinlich erst in 20 bis 30 Jahren an das Wärmenetz anschließen lassen wollen. Außerdem stehen sowohl Wallhausen als auch Oberdorf im Gespräch, an dasselbe Netz angeschlossen zu werden. „Entscheidend wichtig ist, dass diese Informationen in der Breite der Bevölkerung ankommen. Jeder im Dorf muss bei dem Thema Nahwärme wissen, um was es geht und wo bei ihm die Chancen oder Möglichkeiten liegen, und das ist noch ein weiter Weg“, findet Heinrich Fuchs.
Warum sich Dingelsdorf besonders eignet
Der Konstanzer Teilort eignet sich grundsätzlich gut für eine Seethermieanlage, da eine gewisse Tiefe für die Wasserentnahme benötigt wird. Dingelsdorf hat zwar eine Flachwasserzone, daran schließt sich aber eine Halde an, wo die notwendige Tiefe schnell erreicht wird.
Zum anderen wurden in den 1990er Jahren maßgeblich Gasleitungen verlegt. Diese Kessel müssen alle in näherer Zeit erneuert werden. Mit dem neuen Gebäudeenergiegesetz käme das Wärmenetz für die meisten Haushalte in Dingelsdorf zur richtigen Zeit.
Nächste Schritte sind eine Bürger:innenveranstaltung, voraussichtlich nach den Sommerferien, sowie die Erarbeitung einer Grobplanung.Grundsätzlich gilt: Alle Bewohner:innen von Dingelsdorf, in deren Straßen sich mindestens 50 Prozent der Haushalte anschließen lassen werden, können mitmachen.
Gutes Duo: Seethermie und Nahwärmenetz
Das Besondere an dem Projekt in Dingelsdorf – es kombiniert Nahwärmenetz und Seethermie. Ein wesentlicher Vorteil dabei ist, dass keine Emissionen entstehen und somit auch die Klimaziele von Stadt und Landkreis erreichbarer werden. Außerdem können nach dem Bau der Netzinfrastruktur neue, bisher noch nicht angebundene Haushalte simpel angeschlossen werden. Weiterer Vorteil: Der Anschluss an ein Wärmenetz ist mit ca. 5.000 bis 8.000 Euro deutlich günstiger als der Einbau einer Wärmepumpe.
Die genauen Kosten hängen hierbei allerdings davon ab, wie viele Bewohner:innen an das Netz angeschlossen werden. Genauso wie bei der Wärmepumpe ist man nicht auf fossile Brennstoffe angewiesen und muss nicht mit allzu großen Schwankungen bei den Heizkosten rechnen, so dass die bezogene Wärme über die Laufzeit günstiger ist als bei konventionellen Heizsystemen. „Ein wichtiger Punkt ist auch die Versorgungssicherheit. Zum einem wird es keine Engpässe bei der Versorgung geben, aber vor allem ist technisch die Sicherheit gewährleistet. Wenn Ihnen an einem Samstag die Wärmepumpe kaputt geht, kann es gut sein, dass Sie eine Zeit lang keine Heizung haben. Das kann ihnen hier nicht passieren“, sagt Heinrich Fuchs, Ortsvorsteher von Dingelsdorf.
In Gottlieben soll schon 2025 saubere Wärme aus dem See kommen
Ähnliche Anlagen sind bereits in Meersburg, Langenargen und Bregenz in Planung. Vor allem in der Schweiz gibt es Pionierprojekte, die zeigen, dass dies auch wirtschaftlich funktioniert. Zum Beispiel in Zürich, Luzern oder Lugano. Auch der Kanton Thurgau hat die thermische Nutzung des Bodensees prüfen lassen. Nur wenige Kilometer von Konstanz entfernt, in Gottlieben, sind die Überlegungen bisher am weitesten gediehen. Bereits im Winter 2025/26 soll ein Wärmenetz hier Energie aus dem Bodensee liefern.
Eine vertiefte Machbarkeitsstudie kam zu dem Schluss, „dass das Projekt sinnvoll, wirtschaftlich realisierbar und bewilligungsfähig sei“, wie der Kanton in einer Pressemitteilung im Juli erklärte. Erste Zusicherungsvereinbarungen mit Liegenschaftseigentümer:innen seien bereits unterzeichnet. „Eine große Mehrheit im Dorf unterstützt das Projekt. Neben der Ökologie spielt auch die Energieunabhängigkeit in der Diskussion eine wichtige Rolle“, wird Paul Keller, Gemeindepräsident von Gottlieben, in der Mitteilung zitiert.
Auch die Stadtwerke Konstanz prüfen den Bau von Wärmenetzen im weiteren Stadtgebiet. Das Potenzial sei vorhanden, jedoch hänge die Effizienz vom Standort ab, heißt es vom Unternehmen. Der wichtigste Aspekt sei die Wärmeerzeugung.
In Petershausen und um die Bodensee-Therme könnte zum Beispiel die Seethermie genutzt werden, im Berchengebiet die Abwärme der Kläranlage. Derzeit laufen noch weitere Untersuchungen. „Diese vielschichtigen Untersuchungen und Studien sind notwendig und sinnvoll, um keine bösen Überraschungen zu erleben und die Projekte strategisch und verantwortungsvoll anzugehen“, sagt Gordon Appel von den Stadtwerken. Und: „Wenn alles gut läuft, könnte die Realisierung der ersten Wärmenetze zwischen 2025 und 2030 erfolgen“.