Ho Narro – die Pandemie ist vorbei!

Die Corona-Pandemie ist (mehr oder weniger) vorbei. Aber was haben wir daraus gelernt? Unser Kolumnist Marius R. Busemeyer blickt auf das komplizierte Verhältnis von Wissenschaft und Politik.
Grafik: Alexander Wucherer

Es ist ziemlich genau drei Jahre her, als wir mit unserer damals sechs Monate alten Tochter und gebürtigen Konstanzerin ihre erste Konschtanzer Fasnacht feiern konnten. Dass es dann drei lange Jahre dauern würde, ehe wir das Narrenfest in gleicher Weiser ohne größere Einschränkungen wieder feiern könnten, hätte ich – wie alle anderen wohl auch – niemals gedacht.

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Nun, da selbst Christian Drosten, Deutschlands inzwischen bekanntester Virologe mit Hang zum pessimistischen Realismus (oder realistischen Pessimismus), vom Ende der Pandemie und dem Beginn der „endemischen Phase“ spricht, kann man als normaler Mensch festhalten: Die Sache ist endlich ausgestanden.

Wissenschaft und Politik? Ein kompliziertes Verhältnis …

Aber was haben wir als Gesellschaft daraus gelernt? Diese Frage wird uns noch lange beschäftigen, und hier ist nicht annähernd Platz, um sie ausführlich zu beantworten. Deswegen möchte ich mich (als Wissenschaftler) auf einen Aspekt konzentrieren: die Frage des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik.

Wie Gesellschaft und Politik dieses Verhältnis sehen und bewerten, ist von großer Relevanz – nicht nur für Pandemien, sondern auch für andere Mega-Krisen, mit denen wir uns herumschlagen müssen, insbesondere die Klimakrise. Und wie Wissenschaftler:innen es gern tun, möchte ich meine Antwort in die Form von zwei Thesen gießen.

Wissenschaft ist nicht die Wahrheit, sondern die Suche nach ihr.

Die erste dieser Thesen ist: Wissenschaft ist nicht die Wahrheit, sondern die (methodengestützte) Suche nach ihr. Im Verlauf der Pandemie haben Politiker:innen, aber auch die Gesellschaft als Ganzes immer wieder auf die Wissenschaft geschaut, um möglichst präzise und genaue Antworten auf drängende Fragen zu bekommen wie: Wie viele Infizierte und Tote wird es geben, wann kommt der Impfstoff, sind Kinder Treiber der Pandemie?

Dass die Wissenschaft auf diese teils hochkomplexen Fragen innerhalb kürzester Zeit eine präzise Antwort liefern kann, ist jedoch eine Illusion, oder anders ausgedrückt: Es ist unwissenschaftlich.

Die Wissenschaft braucht Zeit, um Daten zu erheben, sie zu analysieren und auszuwerten. In der Pandemie hat der Wissenschaftsbetrieb die dafür normalerweise üblichen Zeiträume auf das kleinstmögliche Maß reduziert und enorme Ressourcen mobilisiert. Trotzdem bleiben und blieben immer Unsicherheiten bei der Vorhersage des Pandemieverlaufs, der Wirksamkeit von Impfstoffen oder den Auswirkungen der Pandemie auf Bildungssysteme, Ungleichheiten und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Es bleiben immer Unsicherheiten

Die Wissenschaft kann diese Unsicherheiten nicht vollständig eliminieren, sie kann aber (in der Regel) ganz gut beurteilen, wie sicher sie sich ihrer Sache sein kann, indem sie auf etablierte Instrumente und Methoden zurückgreift (für die Nerds unter uns: wie gut die kausale Identifikationsstrategie, wie hoch das statistische Signifikanzniveau oder wie intensiv das Peer Review ist).

Etwas Ähnliches gilt mit Einschränkungen auch für die Klimakrise. Hier forschen Tausende Wissenschaftler:innen zu den Auswirkungen des Klimawandels und kommen durch gemeinsame Forschungsprojekte dem Ziel der Wahrheitsfindung immer näher, aber auch in diesem Fall gibt es immer wieder neue Erkenntnisse und unerwartete Ergebnisse.

Der entscheidende Punkt für Gesellschaft und Politik ist nun aber dieser: Die Politik muss lernen, dass die Wissenschaft nicht auf Knopfdruck eine präzise Antwort liefern kann, sondern bestenfalls eine gut (nämlich wissenschaftlich) begründete Einschätzung geben kann, verbunden mit einer Aussage darüber, wie sicher sie sich ihrer Sache ist. Und: Das wissenschaftliche Streiten um die richtigen Theorien, Methoden und Daten ist dabei nicht schädlich, sondern gehört zum Wesen der Wissenschaft und dient der Wahrheitsfindung.

Nicht jede Expert:innen-Meinung ist gleich viel wert

Das heißt aber wiederum nicht, dass jede von Expert:innen geäußerte Meinung gleichwertig ist, denn im Unterschied zur Politik gibt es hier klare Maßstäbe, was wissenschaftlichen Standards genügt und was nicht.

Wenn sich also eine sehr große Mehrheit von Virolog:innen/Klimaforschenden einig ist, dass die Pandemie respektive der Klimawandel real ist, dann hat diese Aussage allgemeine Gültigkeit und die radikale Minderheitsmeinung der wenigen Abweichler:innen, die das anders sehen, sollte nicht als gleichwertig gewichtet werden. Auch die Wissenschaft muss allerdings lernen, ihre Ergebnisse und Methoden besser zu kommunizieren.

Wissenschaft­ler:innen können keine politischen Entscheidungen treffen

Die zweite These: Wissenschaft ist nicht Politik und sollte das auch nicht sein. Im Verlauf der Pandemie wurde vielfach kritisiert, dass Entscheidungen nicht von Politiker:innen, sondern seitens Expert:innenkreisen getroffen wurden. In einer elementaren Krise wie der Corona-Pandemie ist nachvollziehbar, dass Politiker:innen gerade am Anfang sehr stark dem Rat einschlägiger Expert:innen gefolgt sind. Sie sollten aber nicht der Versuchung unterliegen, politisch heikle Entscheidungen an Expert:innengremien zu delegieren, und diese Gremien dürfen sich umgekehrt nicht anmaßen, politische Entscheidungen zu treffen, da sie nicht demokratisch gewählt wurden.

Ernst zu nehmende Wissenschaftler:innen wie der bereits erwähnte Christian Drosten erkennen diese Grenzen der wissenschaftlichen Politikberatung und respektieren sie, wie mehrfach von ihm angemerkt. Die Politik allerdings möchte nur zu gern Expert:innenmeinungen nutzen, um politisch unliebsame Entscheidungen (oder ihre jeweilige Sicht der Dinge) zu rechtfertigen.

Immer, wenn es ernst wird, schmilzt die politische Unterstützung

Wobei – im Fall der Corona-Pandemie entsprachen die heiklen Entscheidungen zu Lockdowns und anderen Einschränkungen weitestgehend der Meinung der Bevölkerungsmehrheit, auch wenn die lauten Proteste der Querdenker:innen anderes suggerierten.

Das mag im Fall der Klimakrise anders sein, denn die zunehmend lautstark werdenden Empfehlungen der Klimaforschenden dringen in der pluralistischen und medial aufgeheizten Demokratie nicht immer durch. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben leider gezeigt: Immer, wenn es ernst wird und Klimapolitik auch Einschränkungen und Veränderungen des Gewohnten mit sich bringt, schmilzt die politische Unterstützung für diese Maßnahmen wie Gletschereis in der Sonne.

Am Ende entscheiden Politiker:innen, die sich an Mehrheiten orientieren

Deshalb die zweite, eher bittere Lehre aus der Pandemie: Auch wenn Expert:innenmeinungen wissenschaftlich gut begründet sind, konkurrieren sie stets mit anderen Meinungen und Ansprüchen, und letztlich entscheiden Politiker:innen, die sich an Mehrheiten orientieren. Einerseits ist das gut, denn so sollte es in einer Demokratie sein, andererseits aber auch ungünstig, wenn es um das Überleben des Planeten geht.