Das Ende von Hartz IV: Alles wieder gut?

Das neue Bürgergeld ist da. Die Diskussionen darüber zeigen: Die Großzügigkeit der Mehrheit der Bevölkerung ist in Krisenzeiten begrenzt.
Die Illustration zeigt einen Mann, der an seinem Körper hinab schaut. Dazu der Titel der Kolumne Busemeyers Blickwinkel.
Grafik: Alexander Wucherer

Zum 1. Januar ist das neue Bürgergeld (oder besser: Bürger:innengeld?) in Kraft getreten und hat damit in wesentlichen Punkten das alte Hartz-IV-System abgelöst. „Hartz IV“, zur Erinnerung, steht umgangssprachlich für das „Arbeitslosengeld II“ (ALG II), das wiederum 2005 durch das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ eingeführt wurde – das vierte Gesetz der sogenannten „Hartz-Reformen“, die damals von einer Kommission (Vorsitzender: Peter Hartz) im Auftrag der Regierung von Kanzler a. D. Schröder entworfen wurden. Etwas kompliziert, aber so viel Vorgeschichte muss sein.

Warum war Hartz IV so umstritten? Im Vergleich zur Regelung davor hat Hartz IV die Höhe des Arbeitslosengeldes für Langzeitarbeitslose für alle unabhängig von ihrem vorherigen Einkommen deutlich reduziert, und zwar auf ein Niveau, das lediglich zur Existenzsicherung ausreichen sollte.

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Außerdem mussten Hartz-IV-Beziehende, bevor sie in den „Genuss“ dieser Leistungen kommen konnten, erst einmal ihr eigenes Vermögen aufbrauchen. Wenn sie in zu großen Wohnungen (oder Häusern) wohnten, gemessen am Standard des Existenzminimums, mussten sie zudem umziehen und gegebenenfalls sogar Wohneigentum verkaufen (weil es auch Vermögen ist).

Die alte Geschichte vom Fordern und Fördern

Es ging bei den Hartz-Reformen aber nicht nur ums „Fordern“, sondern auch ums „Fördern“. Das heißt: Neben der Neuregelung zum Arbeitslosengeld II wurden auch individuelle Beratungs- und Weiterbildungsangebote ausgebaut, die Integration von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt verbessert und die „Kundenorientierung“ der Arbeitsagenturen (vormals: Arbeitsämter) verstärkt.

Auch wenn die genaue Wirkung der Hartz-Reformen empirisch schwer zu erfassen ist, gibt es in der einschlägigen Forschung dazu relativ gesicherte Hinweise darauf, dass sie zumindest zu einem gewissen Teil positiv zu der seit den Nullerjahren sinkenden Arbeitslosigkeit beigetragen haben.

Was waren die politischen Auswirkungen von Hartz IV? Kurz zusammengefasst: Die Wähler:innen der regierenden SPD waren nicht begeistert. Auch die grüne Basis haderte mit Hartz IV, war aber weniger stark – und vor allen Dingen weniger langfristig – mit der parteipsychologischen Bewältigung dieser Reform befasst als die SPD.

Wie Hartz IV die SPD in den Sinkflug schickte

Hartz IV sowie die Schrödersche „Agenda 2010“ in ihrer Gesamtheit hat nicht nur das Aufkommen der Linken als neue Partei links von der SPD befördert, sondern auch die Wählerstimmenanteile der SPD auf einen lang anhaltenden Sinkflug geschickt, der auf Bundesebene erst mit der letzten Bundestagswahl ein zumindest vorläufiges Ende fand.

Nicht verwunderlich also, dass viele SPD-Granden immer wieder versucht haben, das Hartz-IV-System zu „überwinden“ und hinter sich zu lassen, auch wenn das bei der tief verunsicherten Wähler:innen-Basis nur bedingt glaubhaft war – schließlich hatte die Schröder-SPD die Suppe eingebrockt.

Nun also das Bürgergeld. Das Bürgergeld kann tatsächlich – vor allen Dingen im Vergleich zu den vorherigen marginalen Änderungen am ALG II – als grundlegende Reform bewertet werden. Zunächst wird das Niveau des Bürgergelds deutlich angehoben, so dass zumindest die schlimmsten Auswirkungen der hohen Inflation abgefedert werden.

Härtere Sanktionen kommen bei Bürger:innen überraschend gut an

Darüber hinaus sind die neuen Regelungen großzügiger, was das „Schonvermögen“ angeht – Leistungsbeziehende müssen also weniger von ihrem hart Angespartem aufgeben, bevor sie Leistungen bekommen. Und schließlich gibt es weniger „Sanktionen“, das heißt in dem Fall weniger Leistungskürzungen, wenn Arbeitslose nicht zu vereinbarten Beratungsterminen erscheinen.

Alles wieder gut also? Sollte man meinen, aber dann passierte Folgendes: Auf den letzten Metern des Gesetzgebungsprozesses setzt die CDU/CSU über den Bundesrat durch, dass es mehr Sanktionen und weniger Schonvermögen als von den Regierungsparteien vorgesehen geben soll. Und wie findet das das Wahlvolk? In der Politbarometer-Befragung vom November 2022 finden es 74 Prozent der Befragten überraschenderweise gut, dass die Sanktionen härter ausfallen als ursprünglich geplant.

Sogar eine relative Mehrheit der SPD-Anhänger:innen (68 Prozent) ist dafür, obwohl genau diese Punkte – Schonvermögen, Sanktionen etc. – die Hauptkritikpunkte an Hartz IV waren! Scheinbar wird nun auch der letzte und entscheidende Versuch der SPD, Hartz IV hinter sich zu lassen, überhaupt nicht vom Wahlvolk honoriert.

Langzeitarbeitlose bekommen in Krisenzeiten wenig Mitleid

Was ist da los? Dieses Beispiel zeigt, dass die Großzügigkeit der Mehrheit der Bevölkerung, wenn es in Krisenzeiten ans Eingemachte – nämlich den Geldbeutel der Steuerzahlenden – geht, doch begrenzt ist. Langzeitarbeitslose bekommen in Krisenzeiten wenig Mitleid.

Das weit verbreitete Bild, nämlich dass die Schröder-Regierung unbeliebte Hartz-Reformen gegen eine Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt hat, muss hinterfragt werden: Auch damals gab es durchaus Unterstützung in der Öffentlichkeit für das Konzept des „Forderns und Förderns“. Und: Der schleichende Niedergang der SPD an den Wahlurnen hat vielleicht weniger mit Hartz IV zu tun als mit anderen Dingen.

Neue Themen – vor allem das Mega-Thema Klimaschutz – kommen auf die Agenda und andere Parteien im Linken-Spektrum scheinen hier überzeugendere Antworten zu haben.


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