In den Wintermonaten war es ein grandioses Morgenspektakel: Ich öffne um sechs Uhr die Fenster und unzählige Krähen schrecken von den Bäumen vor dem Haus auf und entschwinden mit lautem Krah-Krah in den noch dunklen Himmel. Damit war ich täglich auch der Wecker für meine Nachbarschaft. Die gefühlte Wahrheit ist: Die Schar der Rabenvögel ist in den letzten Jahren bei uns mächtig angewachsen. Die Straßen rund um unsere Wohnung nah am Lago und See haben sich wohl als Premium-Revier herumgesprochen. Dabei sind solche Massenschlafplätze von Herbst bis Frühjahr normal: Als Zeichen für Futterquellen wie McDonald’s-Reste geben sie Sicherheit und auch Singles die Chance, eine Krähe fürs Leben zu finden. Tagsüber sind viele im Seeburgpark um die Ecke. Wenn es dann ums Nisten geht, zählen wieder andere Kriterien und die Gruppe teilt sich auf.
Diese Jungs und Mädels sind faszinierend, finde ich, findet unsere ganze Familie. Manchmal haben wir das Gefühl, vor unseren Fenstern findet ein Red-Bull-Flugtag statt – gerade wenn Rabenvögel sich gegenseitig ärgern und wilde Flug-Manöver vollführen. Zudem sind sie als Aasfresser eine Art Naturpolizei. Doch in unserem Quartier sind nicht alle begeistert. Bei leichtem Schlaf helfen auch keine Oropax und der Autolack leidet unter der Vogelkacke.
Tja, wer in anderer Lebewesen Schlafzimmern parkt, ist selbst schuld. „Schön, dass Sie da so tolerant sind“, meint der Kreuzlinger Umweltbeauftragte Stefan Braun. „Aber viele sehen da rot, deswegen müssen wir etwas unternehmen.“
Die Frage ist: Was tun?
Soll man sie abschießen? Rabenkrähen sind im Nicht-EU-Land „offiziell jagdbar“ und werden von Profis in Landwirtschaftsgebieten erlegt. In Deutschland ist das zwar komplizierter, doch es gibt Ausnahmeregelungen, die es auch in Baden-Württemberg zulassen, manche Rabenvögel zu töten. Der Deutsche Jagdverband präsentiert Krähenschnitzel und Krähenhamburger. Aber Waffen im Wohngebiet – no way.
Was also tun? Verjagen lautet die Kreuzlinger Devise. Zumindest weg aus dem Wohngebiet, damit sie im Seeburgpark schlafen und nisten. Aber ich habe von Stefan Braun gelernt, dass die Tiere zu clever sind, um auf billige Täuschungsmanöver reinzufallen. Während sie vor echten Uhus und Falken Respekt haben, durchschauen sie Uhu-Attrappen in wenigen Wochen. Und Falkner winken ab, Falken in Wohngebieten abzusetzen. Die Rabenvögel ziehen auf freiem Feld gegen die Greifvögel zwar den Kürzeren, doch das hier ist ihr Revier und sie kennen die Achillesferse des Gegners: Falken sind nicht gut im Fokussieren und haben Probleme mit Zäunen in einer Distanz unter 150 Metern. Krähenvögel nutzen das aus und leiten Verfolgungsjagden in Richtung Zaun. Geile Siech!
Darf ich vorstellen: Der Falkomat
Deshalb hängt bei uns jetzt wieder der Falkomat. So wird das gelbe Ding an der Straßenlaterne in meiner Nachbarschaft genannt. Und dahinter steckt ein Gerät zur akustischen Vogelabwehr: Sensoren bemerken die Vögel und stoßen Falkenrufe, aber auch Krähen-Angstschreie aus. Einmal jährlich im Frühjahr wird es für mehrere Wochen eingesetzt – hier und auch anderswo in Kreuzlingen. Und es macht seinen Job.
Nun lärmt der Falkomat anstelle der Vögel und die Flugshows fallen weg. Dabei gehen die Schreie vom Band auch uns Menschen durch Mark und Bein. Im letzten Jahr war der Lautsprecher genau auf mein Arbeitszimmer gerichtet und ich wäre fast zur Falkomat-Jägerin geworden. In diesem Jahr hat ihn eine Nachbarin genau vor dem Fenster. „Mich stört das Gerät mehr als die Raben“, sagt sie und ich kann sie verstehen.
Wohlbemerkt: Der Falkomat hängt nur wenige Meter von der deutschen Grenze entfernt. Dabei hat meine Umfrage im Kleinen ergeben, dass das Krähen und Kacken in Konstanz kein Streitthema ist. Vielleicht hatte ich die Falschen gefragt. Doch selbst Jarid Zimmermann vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Konstanz hat noch keine Anfragen dazu erhalten. Und die Stadt Konstanz macht es amtlich: „Wir können Ihnen mitteilen, dass uns keine Beschwerden über Rabenvögel vorliegen und es in der Stadt Konstanz generell kein Problem mit Rabenvögeln gibt.“
Warum? Denn sie fliegen auch in Konstanz, sagt der Vogel-Experte Manuel Fiebrich vom BUND, der Schutzgebiete betreut. Nur haben sie offensichtlich weniger Schlafgebiete auf der deutschen Seite. Es sieht so aus, als zieht es sie einfach in die Schweiz. Besser gesagt: In den Seeburgpark mit mehr Schutz durch hohe Bäume und weniger Bebauung als auf der anderen Seite des Trichters. Und vielleicht auch mehr Müll.
Auf geht’s, Müllsammeln!
Ich lasse nichts auf die Männer kommen, die Kreuzlingen sauber halten. Doch da kommt schon was zusammen – gerade rund um den Hafen oder auch in unseren Straßen, die als Schweizer Parkplatz fürs Lago gelten.
Zur Entlastung der städtischen Finanzen habe ich eine Idee: Lasst die schlauen Vögel, wo sie sind, und heuert sie zum Müllsammeln an. In Pilotprojekten in Frankreich und Schweden hat das schon funktioniert. Dazu wurde im schwedischen Södertälje ein Automat entwickelt, der ihnen bei jeder eingesammelten Zigarettenkippe etwas Futter gibt.
Und was die Autos angeht: meins fährt auch mit Schatten auf dem Autolack. Wer das nicht tolerieren kann, muss sich einfach mit dem Putzen beeilen. Glasreiniger macht stumpf, sanftes Spülmittel macht’s besser. Aber bemüht Euch nicht, die Natur aus der Stadt zu halten. Die Stadt ist in der Natur.
P. S.: Und nein, dass wir immer weniger Singvögel haben, geht nicht auf die Kappe der Rabenvögel. Spart Euch die Puste und fasst Euch an die eigene Nase.