Wo Publikums­wünsche wahr werden 

Zurufe des Publikums sind im klassischen Theater verpönt, beim Improtheater geben sie den Ton an. Von traurigen Tannen über tödliche Schwämme bis hin zum orangenen Affen – beim Jubiläum des TmbH wurden selbst die ausgefallensten Publikumswünsche erfüllt. Doch was macht eine gelungene Impro-Show eigentlich aus?

Es ist Sonntag, ein lauer Sommerabend, das K9 ist bis auf den letzten Platz ausverkauft. Das Publikum hat sich bereits eingefunden, langjährige Fans des TmbH sind mitunter aus Frankfurt, Hamburg und Berlin angereist, um beim Jubiläum dabei sein zu können. Die Lichter gehen an und tosender Applaus braust durch den Saal, als Marc Schloßarek mit gewinnendem Lächeln und federndem Gang die Bühne betritt. Er kennt das Publikum wie kein Zweiter und weiß dessen Loyalität zu schätzen. „Das Publikum hält uns schon so lange die Treue. Viele sind seit den Anfangsjahren da und kommen immer noch regelmäßig für ein Wochenende hergefahren, um die Shows zu sehen“, erzählt er im Gespräch.

„Vor einem Publikum auftreten zu dürfen, das das Ganze schätzt und mitfeiert, ist ein besonderes Sahnehäubchen.“ 

Marc Schloßarek
Das gesamte Team auf der Bühne lässt sich feiern.
Foto: Desirée Graf

„Die Bühne ist voll mit Milliarden von Möglichkeiten“

Beim Improtheater steht das Publikum im Mittelpunkt. Es gibt vor, was für Geschichten es auf der Bühne sehen will, und macht damit jede Show zur Uraufführung. Das Konstanzer Improtheater TmbH – Theater mit beschränkter Hoffnung – lässt seit dreißig Jahren Publikumswünsche wahr werden. Unter der Leitung von Marc Schloßarek, dem Mitbegründer und längsten aktiven Mitspieler, feierte das TmbH kürzlich 30-jähriges Jubiläum. Wir durften beim Jubiläum dabei sein und mit Marc darüber sprechen, was gutes Improtheater für ihn ausmacht und was am Konstanzer Publikum so besonders ist.

Das Improtheater in Aktion. Foto: Desirée Graf

Die Herausforderung, auf Basis von Publikumsvorgaben Geschichten zu erzählen, empfindet Marc nicht als einengend.

„Fürs Publikum entsteht der Eindruck, wir lassen Dinge aus dem Nichts entstehen. Aus meiner Sicht ist es umgekehrt, wir lassen Dinge ausscheiden. Die Bühne ist voll mit Milliarden von Möglichkeiten, von denen wir alle ausscheiden lassen, die wir nicht konkret benennen.“

Marc Schloßarek

Geschichten erschaffen im Sekundentakt

„Fünf, vier, drei, zwei, eins, los!“ Das Publikum feuert an, das Bühnenlicht erlischt und leuchtet langsam wieder auf, neue Szene. Melancholische Klaviermusik erklingt, ein trauriger Tannenbaum steht wie angewurzelt auf der Bühne. Er vermisst seinen gefällten Freund – Tanne Klaus – und will Weihnachtsbaum werden, um wenigstens Klaus’ Holz wiederzusehen, denn Klaus ist jetzt eine Heimsauna. Als Weihnachtsbaum wird er zum brennenden Mittelpunkt eines Vater-Sohn-Konfliktes und auch das erhoffte Wiedersehen bleibt aus, denn der Klaus im Haus ist gar keine Sauna. Er ist ein Mann wie ein Baum und hat sein eigenes Päckchen zu tragen. Klaus klettert aus dem Kamin und gesteht: „Knecht Ruprecht hat mich verlassen.“ 

Foto: Desirée Graf

Die klassische Kurzform-Impro, die hier auf die Bühne gebracht wird, ist beim Publikum besonders beliebt. Die Szenen leben von ihrem hohen Tempo, dauern teilweise nur wenige Sekunden an oder gehen nahtlos ineinander über. Viel Zeit bleibt nicht, um aus den Vorgaben „Tanne“ und „Sauna“ vor ausverkauften Rängen eine erbauliche Geschichte zu schaffen. Genau das macht Impro für das Publikum so reizvoll.

„Sie sehen gerne, wie jemand Leiden fröhlich in Kauf nimmt“, sagt Marc lächelnd, „und sie fühlen nicht nur mit dem Charakter, sondern auch mit dem Schauspieler mit, der sich der Herausforderung stellt.“ Außerdem versetze das Publikum sich selbst in die Situation auf der Bühne, fiebere mit und frage sich: „Was würde ich jetzt tun?“. Marc legt Wert darauf, dass eine Geschichte zu Ende erzählt und aus den richtigen Gründen gelacht wird. Er zieht es vor, wenn das Publikum lacht, weil es den geistreichen Witz auf der Bühne schätzt.

Ein Anspruch, der auch beim Jubiläum scherzhaft hochgehalten wurde. So neckte der Moderator eines Teams seinen Schauspielkollegen mit den Worten: „Ist das vermessen, etwas mehr Inhalt zu fordern? Wir sind in einer Universitätsstadt hier!“, als dieser dem Publikumswunsch „Tod durch Schwamm“ pantomimisch nachkommt.

„Ein Gewitztheits-affines Publikum“

Marc hat die Entwicklung des Konstanzer Publikums von Anfang an miterlebt. Als das Show-Team nur aus Student:innen bestand, war auch das Publikum in erster Linie studentisch, das Team diente als Identifikationsfläche. Mittlerweile sind sowohl Show-Team als auch Publikum altersdurchmischter, was Marc befürwortet:

„Ich denke, wir haben ein sehr Gewitztheits-affines Publikum, bei dem man ein bestimmtes Bildungsniveau im Schnitt erwarten darf und das zu uns kommt, weil es weiß, dass es das bei uns findet.“ 

Marc Schloßarek

Marc zieht Wortwitz dem Schockhumor vor. „Wenn ich im Vorbeigehen sage ‚Wie geht’s denn Ihrer Katze, Herr Schrödinger?‘ und der sagt ‚Ich weiß nicht genau.‘, dann kommt das in einer Unistadt wie Konstanz bei den meisten gut an, wenn sie einen Witz begreifen, der ein gewisses Vorwissen voraussetzt.“ Marc spielt auf „Schrödingers Katze“ an, ein Gedankenspiel aus der Quantenphysik. Die Katze befindet sich in einer Kiste mit Gift. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses freigesetzt wird, liegt bei fünfzig Prozent. Dem Gedankenspiel zufolge wäre Schrödingers Katze sowohl tot als auch lebendig, bis man sich ihres Zustandes vergewissert. Gleichzeitig werden Geschichten so erzählt, dass jede:r sie verstehen und einen Unterhaltungswert daraus ziehen kann. Die Schauspieler:innen verkörpern das Geschehen auf eine Art und Weise, die ihre Rollen und Beziehungen zueinander allein durch ihre Körpersprache verständlich macht. Somit können auch jüngere oder fremdsprachige Menschen im Publikum dem Geschehen folgen, ohne den Dialog verstehen zu müssen. „Wir versuchen, alle Erzählebenen zu bedienen,“ sagt Marc, „damit für jeden was dabei ist.“

Den roten Faden improvisieren

Die drei Teams der Jubiläumsshow schaffen es nicht nur, individuelle Geschichten zu kreieren. Sie greifen auch die Erzählungen vorangegangener Teams auf und verbinden sie mit ihren eigenen Publikumsvorgaben. Den Vater-Sohn-Konflikt um den traurigen Tannenbaum des ersten Teams führt das zweite Team in der Zukunft weiter. Vater und Sohn machen sich auf die Suche nach einem neuen Tannenbaum und wollen sich versöhnen.

Foto: Desirée Graf

Es entfacht ein heftiger Streit über Holz, aus dem der Sohn eine lukrative Geschäftsidee entwickelt: Sie gründen gemeinsam ein schwedisches Möbelhaus und werden vom Publikum mit lautstarkem Gelächter belohnt. Die beste Interpretationsmöglichkeit für die Publikumsvorgaben zu finden, kann entscheidend sein. Marc selbst legt vor allem Wert darauf, „dass ich als Schauspieler nicht immer auf der ersten Deutungsebene hängen bleibe, sondern auch mal in die Tiefe gehe.“

Solch eine tiefere Deutungsebene findet sich auch für die letzte Vorgabe des Abends. Das Publikum wünscht sich die Farbe „Orange“ und das Tier „Affe“. Der Schauspieler nimmt die Körperlichkeit eines rüpelhaften, orangenen Affen mit amerikanischem Akzent an, der der festen Überzeugung ist, dass er nächstes Jahr wieder Präsident wird.

 Die nächste Show ist dann am 09.07.23 um 20 Uhr im K9.