Der neue Hotspot der Fahrrad­mobilität

Das Umfeld des Bahnhofs wird sich in den nächsten Jahren stark verändern: Die Ladenzeile wird einem Fahrradparkhaus weichen. Der Bahnhofsvorplatz wird für den Autoverkehr gesperrt. Ab Mitte Mai beginnen die Bauarbeiten.
Die Visualisierung zeigt den künftigen Bahnhofsvorplatz
So stellen es sich die Planer der Stadt vor: In maximal drei Jahren soll der Bahnhofsplatz eine grüne Flaniermeile sein. Copyright: Visualisierung Stadt Konstanz

Der Kontrast könnte kaum größer sein: Wo heute der Verkehr rauscht, grauer Beton das Bild bestimmt und der Charme vergangener Jahrzehnte die Architektur prägt, soll bald mehr Grün einziehen, der Autoverkehr auf ein Minimum reduziert werden und moderne Architektur das Tor zur Stadt gestalten. „Der Konstanzer Bahnhof ist ein Unort, er wird sich grundlegend verändern“, sagt Gregor Gaffga, Radverkehrsbeauftragter der Stadt Konstanz. 

Die Verkehrswende erreicht den Konstanzer Bahnhof: Ab Mitte Mai wird der Bahnhofsvorplatz rundum erneuert. Mit dem knapp zehn Millionen Euro teuren Umbau, der bereits vor neun Jahren vom Gemeinderat beschlossen wurde und seither auf seine Umsetzung wartet, soll der Platz zu einem Verkehrsknotenpunkt für umweltfreundliche Verkehrsmittel werden. Für Autos gesperrt, haben Radfahrer, Fußgänger und Busse freie Fahrt.

Knapp zehn Millionen Euro kostet die Umgestaltung des Bahnhofs­vorplatzes

Insgesamt soll das Bahnhofsumfeld deutlich grüner werden, zum Verweilen einladen und barrierefrei sein. Von mehr Aufenthaltsqualität sprechen die Planer.

Zwischen Bodanstraße und Dammgasse wird der private Autoverkehr am Bahnhof ausgesperrt, wenden kann man am Kreisel beim Lago. Visualisierung: Stadt Konstanz

Der Bahnhofsvorplatz wird von Mitte Mai 2023 bis Mitte 2025 in sieben Bauabschnitten umgestaltet. In der ersten Bauphase, die rund vier Monate dauert, wird ein Kreisverkehr vor dem Lago-Center gebaut. Das Lago-Parkhaus, das Augustiner-Parkhaus und das Marktstätten-Parkhaus sind durchgehend über die Bodanstraße erreichbar. Die Ausfahrt aus dem Lago-Parkhaus erfolgt über den Bahnhofplatz. Für den Busverkehr ergeben sich in der ersten Bauphase keine Änderungen. Die Busse fahren weiterhin den Bahnhof an. Änderungen im Busverkehr sind erst für die zweite Bauphase vorgesehen, über die die Stadtwerke rechtzeitig informieren wollen. Für den Autoverkehr gilt: Während der Arbeiten am Kreisel wird die stationäre Ampelanlage durch eine provisorische Ampelanlage ersetzt. Wer das Lago-Parkhaus oder Klein-Venedig ansteuert, kann weiterhin von der Bodanstraße kommend in die Hafenstraße einbiegen. Bis zur Fertigstellung des Kreisels ist die Ausfahrt von dort jedoch nur nach Norden über den Bahnhofsvorplatz möglich. Für Fragen, die im Zusammenhang mit der Baumaßnahme auftreten, hat die Stadtverwaltung eine Servicestelle eingerichtet. Die Servicestelle ist unter der Telefonnummer (07531) 9000 oder per E-Mail unter bahnhofplatz@konstanz.de erreichbar. Fragen der ansässigen Unternehmen zur Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes werden unter wirtschaftsfoerderung@konstanz.de beantwortet. 

Nach der Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes steht gleich die nächste große Baumaßnahme am Bahnhof an: Die Ladenzeile wird abgerissen und durch ein zweigeschossiges, mit Holzlamellen verziertes, hochmodernes Fahrradparkhaus ersetzt. 

Etwas mehr als 700 Fahrräder sollen dort sicher abgestellt werden können, die Kapazität ist auf bis zu 1.000 Stellplätze ausgelegt. Auch eine Fahrradservicestation ist vorgesehen.

Futuristisch und massiv wirkt das neue Fahrradparkhaus, in dem es für 700 Räder Platz geben soll. Visualisierung: DB Station&Service AG

Im Erdgeschoss wird es weiterhin Geschäfte und Gastronomie geben. Es ist das erste Fahrradparkhaus in Konstanz und erinnert in seiner Dimension an ähnliche Projekte in den fahrradfreundlichen Niederlanden.

Vorbild Niederlande: Dort sind Fahrrad­parkhäuser an Bahnhöfen Standard

„Unser Ziel ist es, die Autonutzung in Konstanz deutlich zu reduzieren“, sagt Gregor Gaffga, Diplom-Verkehrsingenieur und seit 2016 Konstanz’ erster Fahrradbeauftragter. Um mehr Menschen aufs Rad zu bringen, müsse die Radinfrastruktur weiter ausgebaut werden. Hier sei die Stadt bereits sehr gut aufgestellt, so Gaffga und verweist auf den 4. Platz im aktuellen Fahrradklimatest, den Konstanz bundesweit erreicht hat. 

Der Diplon-Verkehrsingenieur Gregor Gaffga ist Konstanz erster Radbeauftragter. Foto: Stadt Konstanz

Der Fahrrad-Klimatest eine Online-Umfrage des ADFC, misst anhand zahlreicher Angaben von Radfahrenden, wie fahrradfreundlich ihre Stadt oder Gemeinde ist. Solche erfreulichen Platzierungen seien aber kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen, betont Gregor Gaffga.

„Autos verschwinden nicht von heute auf morgen.“ 

Gregor Gaffga, Radverkehrsbeauftragter der Stadt Konstanz

Als der passionierte Radfahrer vor gut sechs Jahren seinen Job bei der Stadt antrat, gab es gerade mal zwei ganz kurze Abschnitte, die als Fahrradstraße ausgewiesen waren – in der Schottenstraße und in der Chérisy-Straße. Heute gibt es in der Stadt zahlreiche Fahrradstraßen, in denen auch Autos fahren dürfen, aber Radfahrer Vorrang haben. 

In Konstanz erkennt man Fahrradstraßen an der blauen Markierung. Doch wer hat hier welche Rechte? Grundsätzlich gilt, dass in Fahrradstraßen nicht der rote, sondern der blaue Teppich für Radfahrer ausgerollt wird. Das gilt auch an allen Kreuzungen, deren Kreuzungsbereich blau markiert ist. Dort haben Radfahrende auf der Fahrradstraße Vorfahrt. Ist die Vorfahrt nicht eindeutig geregelt, gilt rechts vor links. Auf Fahrradstraßen dürfen Radfahrende nebeneinander fahren, Kinder bis acht Jahre müssen jedoch auf dem Gehweg fahren. Wer mit dem Auto durch eine Fahrradstraße fährt, darf nicht schneller als 30 km/h fahren. Radfahrer:innen haben immer Vorrang, der Autoverkehr muss sich an ihr Tempo anpassen und beim Überholen muss ausreichend Abstand, mindestens 1,50 Meter, eingehalten werden. 

Hinzu kommt der Ausbau von immer mehr straßenbegleitenden Radwegen, immer mehr Fahrradabstellplätze sind in den letzten Jahren hinzugekommen. „Die Autos verschwinden nicht von heute auf morgen“, sagt Gregor Gaffga, aber die Entwicklung der letzten Jahre zeige deutlich, wie sich die Prioritäten verschieben.

Radverkehr um zehn Prozent gestiegen

Ein Blick auf die Zahlen bestätigt den Eindruck: Durchschnittlich 9.000 Radler:innen fahren pro Tag durch den Herosépark. Ermöglicht wird die tagesaktuelle Zählung durch die Fahrrad-Dauerzählstelle. Zum Vergleich: Der Tagesdurchschnitt der insgesamt 303 Fahrradzählstellen in Europa liegt bei nur 1293 Radler:innen. Der innerstädtische Binnenradverkehr habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen – um zehn Prozentpunkte von 24 (2007) auf 34 Prozent (2018), betont der Radverkehrsbeauftragte.

Die Zählstelle im Herosépark registriert täglich im Durchschnitt fast 9000 Radfahrer:innen. Foto: Stadt Konstanz

Laut dem Fahrradmonitor 2017, einer repräsentativen bundesweiten Online-Befragung, besitzen Konstanzer Haushalte im Durchschnitt drei Fahrräder. Das Fahrrad ist in Konstanz beliebter als in vergleichbaren Städten und ist mit 80 Prozent das beliebteste Verkehrsmittel der Konstanzer:innen. 72 Prozent der befragten Konstanzer:innen nutzen das Fahrrad regelmäßig, d. h. sie fahren täglich bis mehrmals die Woche und liegen damit über dem Durchschnitt anderer Städte vergleichbarer Größe (46 Prozent). 

Das Fahrrad ist das beliebteste Verkehrsmittel der Konstanzer:innen 

Für Einkaufstouren, kurze Erledigungen oder den Weg zu Freunden und zum Sport schwingen sich die Konstanzer:innen laut Fahrradmonitor aufs Rad. Auch der Weg zur Arbeit wird in Konstanz deutlich häufiger mit dem Rad zurückgelegt als in anderen Städten gleicher Größe: 57 Prozent der Konstanzer:innen fahren mit dem Rad zur Arbeit oder zur Ausbildungsstätte. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 33 Prozent. 

Besonders sicher fühlen soll sich Radfahrer:innen am neu gestalteten Bahnhofplatz. Visualisierung: Stadt Konstanz

Für das kommende Jahr ist eine erneute Befragung im Rahmen des Fahrradmonitors geplant, der Wunsch nach mehr sicheren Abstellmöglichkeiten dürfte weiterhin hoch sein, denn in Konstanz hat sich in dieser Hinsicht bisher wenig getan.

In Konstanz fehlt es seit Jahren an sicheren Abstell­möglichkeiten für Fahrräder

„Unser Ziel ist es, dass alle gut, sicher und entspannt mit dem Rad durch Konstanz fahren können.“ Gaffga betont, dass er zwar auch die Tourist:innen im Blick habe, es ihm aber vor allem um die Bürger:innen der Stadt und deren Mobilität im Alltag gehe. 

Wer sein Rad viele Stunden im öffentlichen Raum abstellt, will eigentlich einen sicheren Platz. Den zu finden, ist kaum möglich. Foto: Eva Schmid

Was in der Stadt bisher fehle, betont der Fahrradbeauftragte, sind zugängliche Abstellplätze für Fahrräder. Das zeigen auch die Zahlen des Fahrradmonitors: Einer der dringlichsten Wünsche der Befragten sind mehr gesicherte Fahrradabstellanlagen. Besonders wichtig sind solche Angebote an Bahnhöfen, denn wer ein gutes Fahrrad habe, wolle es auch gut schützen, sagt Gregor Gaffga. Eigentlich sollten alle Bahnhöfe mit abschließbaren Abstellanlagen ausgestattet sein, je nach Größe und Bedarf können das Einzelboxen oder Sammelgaragen sein. Oder, wie jetzt am Konstanzer Bahnhof, gleich der Neubau eines zweistöckigen Fahrradparkhauses. 

Solche Fahrradboxen wie am Bahnhof Fürstenberg sollen künftig noch öfter entstehen. Foto: Stadt Konstanz

Die Kosten für das Fahrradparkhaus werden derzeit auf bis zu 14 Millionen Euro geschätzt. Man befinde sich aber noch in der Vorplanung, betont eine Sprecherin der Deutschen Bahn. Die endgültige Summe stehe erst fest, wenn die Planung weiter ausgereift sei. 

Bezahlen wird das Projekt größtenteils die Bahn selbst, der das Gelände und die Gebäude gehören. Auch die Planungshoheit liegt bei der Bahn. Sie bezieht aber die Stadt mit ein – und das schon seit vielen Jahren. Bereits seit 2008 sprechen Bahn und Stadt über die Entwicklung des Bahnhofs und seines Umfeldes. Vor sieben Jahren stellte die Deutsche Bahn der Stadt ihre Überlegungen zur Entwicklung der Ladenzeile und des Schweizer Bahnhofs vor. 

Seit 15 Jahren sprechen Bahn und Stadt über die Entwicklung des Konstanzer Bahnhofs

Ein langer Dialogprozess begann, mehrere Planungswerkstätten wurden durchgeführt. Auch wenn die Stadt etwas mehr auf die Tube drücken wollte, die Planungshoheit liegt bei der Bahn und die hat bekanntlich neben Konstanz noch viele andere dringende Baustellen. Die Ergebnisse des Werkstattverfahrens wurden auf Wunsch der Deutschen Bahn in einer Absichtserklärung festgehalten, die 2021 grünes Licht vom Konstanzer Gemeinderat erhielt. 

Wer das Fahrradparkhaus dereinst betreiben wird und was das Abstellen des Fahrrads für einen Tag oder mehrere Stunden kosten wird, ist noch offen. Man prüfe verschiedene Tarifmodelle, auch eine Mischung aus kostenlosen und kostenpflichtigen Angeboten sei denkbar, so Gregor Gaffga. Das Betreiberkonzept werde derzeit mit dem Projektpartner Deutsche Bahn Station & Service sowie der 2023 neu gegründeten Konstanz Mobil GmbH, einer Tochter der Stadtwerke Konstanz, erarbeitet, heißt es aus dem Rathaus.  

Doch wie wirkt sich ein so großes, modernes Parkhaus auf die historische Architektur des Bahnhofs aus? Passt es dort überhaupt hin? Genau mit dieser Frage beschäftigte sich der Konstanzer Gestaltungsbeirat, ein Gremium aus vier Architekt:innen, Stadtplaner:innen und Landschaftsarchitekt:innen, die sich mit Konstanzer Bauvorhaben von herausragender städtebaulicher Bedeutung auseinandersetzen und mit ihrer Expertise dazu Stellung nehmen. 

„Es entwickelt sich in die richtige Richtung.“

Zvonko Turkali, Vorsitzender Konstanzer Gestaltungsbeirat 

Der aktuelle Vorsitzende des Konstanzer Gestaltungsbeirats, Zvonko Turkali, selbst Architekt mit einem international agierenden Büro in Frankfurt am Main, ist wie seine Kolleg:innen im Gestaltungsbeirat von dem Fahrradparkhaus überzeugt: „Es entwickelt sich in eine gute Richtung.“

Wichtig sei dem Beirat, dass sich der Neubau unterordne und die bauliche Dominanz beim Bestand, dem historischen Bahnhof samt Glockenturm, bleibe, so Zvonko Turkali. Das neue Fahrradparkhaus mit der Ladenzeile sowie die Modernisierung des Schweizer Bahnhofs – die übrigens die Deutsche Bahn derzeit prüft, sich aber noch nicht zu Ideen oder einer konkreteren Planung äußern will – sollten ein ruhiges Ensemble bilden. Das sei mit dem vorliegenden Entwurf gut gelungen, so Zvonko Turkali. 

Das Fahrrad­parkhaus soll kein reiner Zweckbau werden 

Wichtig ist dem Architekten, der bereits in zahlreichen deutschen Gestaltungsbeiräten saß, dass der Neubau kein reiner Zweckbau, sondern ein belebtes Gebäude wird. Der Erhalt der Läden im Erdgeschoss sowie der Gastronomie ist für ihn daher von zentraler Bedeutung.  

Die Planer:innen der Deutschen Bahn haben erkannt, dass das neue Fahrradparkhaus ein Haus mit einer Fassade ist und nicht nur eine offene Struktur, wie man sie von anderen Parkhäusern kennt, sagt der Vorsitzende des Gestaltungsbeirats. „Als Solitär soll es keine Vorder- und Rückseite haben, sondern in alle Richtungen einladend wirken.“ Zvonko Turkali wirbt dafür, dass der Neubau einen positiven Beitrag zum klimagerechten Bauen leistet, etwa bei der Auswahl der verwendeten Materialien oder durch ein begrüntes Dach mit Photovoltaikanlagen. Insgesamt ist der Beirat davon überzeugt, dass das Fahrradparkhaus auf Grund der Nähe zu Fähre und Katamaran für viele Konstanzer:innen besonders attraktiv sein wird. 

„Der Bahnhofsplatz muss dringend aufgewertet werden.“,

Eberhard Schlag, Architekturprofessor HTWG. 

Dass der Bahnhofsplatz derzeit in einem schlechten Zustand ist und dringend aufgewertet werden muss, beschreibt auch Eberhard Schlag, Architekturprofessor und Prodekan an der HTWG. 

Er berät die Stadt bei der Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes. „Der historische Bahnhof, das Hotel Halm, die ehemalige Sparkasse bilden einen großartigen Stadtraum, der durchaus ergänzt werden kann, auch in zeitgemäßer Form.“

„Es ist sinnvoll, am Bahnhof einen Hotspot für die Fahrradmobilität zu errichten.“

Konstanzer Architekturprofessor Eberhard Schlag

Er hält es für sinnvoll, am Bahnhof einen Hotspot für Fahrradmobilität zu errichten, und findet die bisherige Gestaltung gelungen. Wichtig sei jetzt aber, dass der Bau auch architektonisch und konstruktiv hochwertig mit hohem gestalterischen Anspruch umgesetzt werde, denn auf dem Bahnhofsvorplatz sollten nur herausragende Gebäude stehen, „kein Mittelmaß“. 

Mieter der Ladenzeile bisher nicht über Umbaupläne informiert

Was aus den bisherigen Mietern wie unter anderem der traditionsreichen Bürgerstube wird, ist indes unklar. „Uns selbst wurde noch nichts offiziell mitgeteilt, wir bekommen die Informationen nur aus der Presse“, sagt Nadine Fischer von der Geschäftsführung der Beshiri Gastro. Das sei natürlich sehr unbefriedigend. Die Deutsche Bahn versichert, dass sie auch die Bestandsmieter:innen der Ladenzeile rechtzeitig über den Fortschritt des Projekts informieren wird. Wann das sein wird, steht allerdings in den Sternen. Spätestens in sechs Jahren wird man es wissen, denn dann soll das neue Fahrradparkhaus stehen.