In der letzten Nacht vor der Enthüllung der Imperia wollte der Bildhauer Peter Lenk nichts mehr riskieren. Zwei Jahre lang hatte er für das Projekt fast alles aufs Spiel gesetzt, das komplette Erbe seines Vaters aufgebraucht (100.000 D-Mark), zahllose Konflikte durchgestanden, Tag und Nacht an nichts anderes gedacht. Und jetzt, so kurz vor dem Triumph, durfte einfach nichts mehr schief gehen. Also wich der Künstler seinem Werk in jener Nacht vom 23. auf den 24. April 1993 nicht von der Seite. „Ich bewachte die Figur in einem Bauwagen auf dem Steg, damit keiner die Plane runterziehen konnte“, erinnert sich Peter Lenk (75) an einem Dienstag im März in Überlingen.
<!– Paywall –>Er trägt schwarze Schuhe, eine beigefarbene Hose und einen blauen Strickpullover. Der markante Schnäuzer steht wie mit einem grauen Textmarker akkurat gezogen in seinem Gesicht. In der Überlinger Galerie Fauler Pelz am Hafen zeigt der Künstler eine neue Ausstellung, in einem Café an der Hafenpromenade führen wir unser Gespräch über 30 Jahre Imperia.
„‚Vielleicht so eine Art Freiheitsstatue wie in New York!‘, schlug ich vor. Nicht ganz so hoch, nicht so pathetisch, dafür etwas geiler.“
Peter Lenk, Bildhauer, gegenüber Werner Häusler im jahr 1991
Angefangen hatte diese Geschichte mit einem Gespräch. Am Pegelturm der Konstanzer Hafeneinfahrt, irgendwann im Jahr 1991, treffen sich Peter Lenk und Werner Häusler, der Vorsitzende des Fremdenverkehrsvereins Konstanz. „Häusler wollte dem Löwen im Lindauer Hafen etwas entgegensetzen und bat mich um Ideen“, blickt Lenk zurück. „‚Vielleicht so eine Art Freiheitsstatue wie in New York!‘, schlug ich vor. Nicht ganz so hoch, nicht so pathetisch, dafür etwas geiler.“ Lenk hat schon damals die Vision einer Hübschlerin, die Papst und Kaiser auf den Arm nimmt. Häusler (er starb 2015) gefällt die Idee.
Aber beide wissen auch: Alleine schaffen sie das nicht. Sie brauchen Komplizen. Also schreibt Werner Häusler an Dieter Bögle. Der Schwabe Bögle ist damals Geschäftsführer der Bodensee-Schiffsbetriebe. Die gehören zu diesem Zeitpunkt noch zur Deutschen Bahn und die Bahn wiederum ist Eigentümerin des Pegelturms im Konstanzer Hafen – jenem Ort, den Peter Lenk für seine Statue ausgewählt hat. Ohne die Zustimmung der Bahn wäre der Traum schneller geplatzt, als er erdacht wurde.
Also schreibt Werner Häusler am 11. Oktober 1991 an Dieter Bögle und schildert die Idee samt einer ersten Skizze von Peter Lenk. „Wir betrachten unsere Anfrage als vorläufig nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, unterrichten jedoch Herrn OB Dr. Eickmeyer und Herrn BM Fischer von diesem Schreiben“, schließt Häusler seinen Brief.
Wie der Chef der Schiffsbetriebe zum Komplizen wird
Fast 32 Jahre nachdem er diesen Brief zum ersten Mal gelesen hat, gleitet der Zeigefinger von Dieter Bögle sanft über die Zeilen, als er sie mir an einem Nachmittag im April vorliest. Er lächelt dabei. „Mir hat die Idee von Anfang an gefallen“, erinnert sich Bögle, heute 82 Jahre alt. Alles sei besser gewesen als der vor sich hin rostende Gittermast, der bislang auf dem Pegelturm stand. Lenks Humor trifft seinen eigenen. Auch heute noch. „Was verbindet eine Statistik mit einem Bikini?“, fragt Dieter Bögle zur Begrüßung vor dem Interview. „Beide zeigen viel und verhüllen das Wesentliche“, löst der Diplom-Ingenieur mit einem Grinsen auf.
Die Anfrage von Werner Häusler beantwortet Dieter Bögle nach Rücksprache mit der Bundesbahndirektion in Karlsruhe am 29. November 1991 mit einer freundlichen Zusage. Seine Bedingungen: Der Bahn dürfen keine Kosten entstehen und das Image der Bahn darf durch die Skulptur nicht beschädigt werden. Nur wenige Tage später, am 2. Dezember 1991, schreibt Dieter Bögle auch an Oberbürgermeister Horst Eickmeyer und Baubürgermeister Ralf-Joachim Fischer in der Sache. Seine Antwort an den Fremdenverkehrsverein sendet er in Kopie mit.
Gegenüber der Bahndirektion fungiert Dieter Bögle fortan als Vermittler der Idee von Häusler und Lenk. Er denkt sich dafür sogar einen eigenen Slogan aus: „Die schönste Idee der neuen Bahn. Zug zur Kunst.“ Die Idee verfängt, es gibt keinen Widerstand aus Karlsruhe.
„Unsere Imperia sollte Lust und Frieden verkörpern.“
Peter Lenk, Bildhauer
Für Peter Lenk ist das eine fantastische Nachricht, weil es jetzt erstmals so aussieht, als könnte aus der Vision tatsächlich etwas werden. Der Bildhauer macht sich an die Arbeit und konkretisiert seine Gedanken. „Bei jeder Gelegenheit fuhr ich nach Konstanz zum Hafen, um mich beim Anblick des Pegelturms zu fragen: Soll die Figur eher mütterlich werden, Papst und Kaiser an ihren Brüsten nuckeln lassen wie die etruskischen Wölfe oder zwingt die Geschichte nicht vielmehr dazu, dass Papst und Kaiser nackt in den Armen einer attraktiven Kurtisane verschaukelt werden?“, erinnert sich Peter Lenk. Das Ziel für ihn: „Unsere Imperia sollte Lust und Frieden verkörpern.“
Akribisch treibt er seine Pläne voran. Bis ein neues Problem auftaucht – sein Atelier in Bodman ist zu klein, um die Skulptur in voller Größe aufzubauen. Auf Vermittlung von Baubürgermeister Ralf-Joachim Fischer kann er über die Sommerferien 1992 in einem hohen Werkstattraum der Staatsgalerie Stuttgart arbeiten. „Wegen der Größe der Figur war Teamarbeit nötig. Einer arbeitete am Modell, der andere gab aus zehn Metern Entfernung Anweisungen: ‚Am linken Knie was weg! An der rechten Hüfte was dazu! Am Busen unbedingt mehr weg!‘“, beschreibt der Bildhauer die aufwändigen Arbeiten mit einem Grinsen im Gesicht.
Im Januar 1993 steht der Vertrag mit der Bahn
Fortschritte gibt es auch bei der rechtlichen Zulässigkeit des Projektes. Die Bundesbahndirektion Karlsruhe, die Bodensee-Schiffsbetriebe und der Fremdenverkehrsverein schließen am 29. Januar 1993 einen Gestattungsvertrag. Der regelt die probeweise Aufstellung für zwei Jahre einer drehbaren Skulptur „Constanze“, der Name Imperia entstand offenbar erst später.
In dem Vertrag wird auch geregelt, dass Sicherheit und Abwicklung des Schiffsbetriebs und Schiffsverkehrs sowie das Image der Deutschen Bahn und der Bodensee-Schiffsbetriebe nicht beeinträchtigt werden dürfen. Und man einigt sich auch bereits darauf, was nach dem Probebetrieb passieren soll. Sollte die Skulptur die Zustimmung der Öffentlichkeit finden, darf sie länger bleiben. Sollte die Öffentlichkeit die Figur ablehnen, muss der Fremdenverkehrsverein sie auf eigene Kosten abmontieren.
In den öffentlichen Debatten im Gemeinderat bleibt das Thema erstaunlich lange unter dem Radar. Im Oktober 1991 wird es kurz im Kulturausschuss thematisiert, aber danach lange nicht mehr. Erst am 24. März 1993 steht der Punkt „Hafen-Pegelturm. Probeweise Aufstellung einer Skulptur“ auf der Tagesordnung einer gemeinsamen Sitzung des Beirats für Gestaltungsfragen und des Kulturausschusses.
Das Votum damals: Der Pegelturm sei eine sensible Stelle, ein Alternativstandort solle gesucht werden, „damit die Öffentlichkeit über die Figur diskutieren kann“, heißt es im Ergebnisprotokoll der Sitzung. Aber: Entscheiden können die beiden Gremien nichts. Sie verweisen an den Gemeinderat.
Der Gemeinderat diskutiert erst, als es schon zu spät ist
Der lässt sich nicht lange bitten: 17 Stadträt:innen verschiedener Fraktionen erzwingen per Antrag eine Behandlung des Themas im Gemeinderat am 1. April 1993. „Es entwickelt sich um die probeweise Aufstellung der Skulptur eine heftige kontroverse Diskussion“, vermerkt das Sitzungsprotokoll, ohne ins Detail zu gehen. Am Ende lehnen die Stadträt:innen mit knapper Mehrheit (15 Nein-, 13 Ja-Stimmen) eine Aufstellung der Skulptur für ein Jahr ab.
Rechtlich bindend wird die Entscheidung allerdings nicht, der Stadt sind die Hände gebunden: Der Aufstellungsort befindet sich im Eigentum der Schiffsbetriebe, eine Baugenehmigung zum Aufstellen der Skulptur war nach Landesbauordnung nicht notwendig und das gesamte Projekt wurde ohne öffentliche Gelder realisiert.
Das Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 1. April 1993 ist im Stadtarchiv Konstanz nachzulesen. Demnach wurde erst am Abend, gegen 21.20 Uhr, darüber beraten. In dem Protokoll heißt es:
„Vom Landesdenkmalamt wird darauf hingewiesen, dass die Errichtung einer neun Meter hohen Skulptur auf dem Pegelturm eine empfindliche Beeinträchtigung dieses technischen Kulturdenkmals darstellen würde (siehe Vorlage). Es entwickelt sich um die probeweise Aufstellung der Skulptur eine heftige kontroverse Diskussion. Von allen Sprechern wird betont, daß eine künstlerische Beurteilung nicht möglich ist, da über das Aussehen der Figur nichts genaues bekannt ist und es weder ein Modell noch ein Foto davon gibt. Stadtrat Müller-Fehrenbach, CDU, äußert, durch die Geheimhaltungstaktik des Fremdenverkehrsverbandes sei eine komische Situation entstanden. Er beantragt, daß sich der Gemeinderat der Empfehlung des Landesdenkmalamtes anschließt.
Bürgermeister Fischer entgegnet, seitens der Verwaltung habe man eine Genehmigung für diesen „Probelauf“ nicht für erforderlich gehalten, da ja vorgesehen war und sei, in einer gemeinsamen Sitzung des Beirates für Gestaltungsfragen und des Kulturamtes zu gegebener Zeit zu entscheiden. Seines Erachtens bestehen gegen die probeweise Aufstellung dieser Figur keinerlei Bedenken. Verkehrsverein und Künstler hätten zugesagt, daß sie jederzeit wieder abgebaut werden könne.
Stadträtin Dr. Jauss-Meyer, SPD, hält von einem „Probelauf“ nichts. Sie ist der Ansicht, daß an dieser dominanten Stelle die Figur nicht aufgestellt werden soll. Über die Aufstellung an einer anderen Stelle könne man u. U. reden. Stadträtin Dr. Preisendanz, Freie Wähler, unterstreicht die Meinung ihrer Vorrednerin. Stadtrat Niedermayr, Republikaner, argumentiert ebenfalls gegen eine Aufstellung an diesem Platz. Stadtrat Scheideck, CDU, gibt zu bedenken an, wie streng der Gestaltungsbeirat bei Änderungswünschen privater Bauherren reagiere.
Stadträtin Stahnke-Bohnhardt, FDP, rät das Experiment zu riskieren. Sie wird in ihrer Meinung unterstützt von ihrem Fraktionskollegen Schupp und den Stadträten Müller-Neff, CDU, sowie Weber und Dr. A. Jung, SPD.
Stadtrat Dr. Neuss, CDU, bittet den Künstler, eine Fotographie der Skulptur vorzuzeigen.
Herr Lenk erwidert, er werde seine Figur lieber beschreiben. Er betont, er sei sich der Verantwortung an diesem Platz wohl bewußt, man müsse ihm aber das Recht lassen eine Sache zu gestalten, ohne daß ihm der Bürger hineinrede. Die Skulptur bezeichnet er als eine elegante Erscheinung, die zwei Honorationen aus dem Mittelalter auf dem Arm trage. Diese Männer seien kleiner gehalten. Die Figur drehe diese beiden Würdenträger im Kreis und zeige Ihnen die Stadt. Es gebe einen kleinen Anstoß an die Geschichte von Konstanz, ohne sich dramatisch zu äußern.
Auf die Frage, wen die Würdenträger darstellen, erwidert Herr Lenk, zunächst seien Kaiser Sigismund und Papst Martin V. vorgesehen gewesen. Er habe sich aber nicht so speziell festgelegt, um Vorwürfen aus dem Weg zu gehen. Eine Ironie sei selbstverständlich darin enthalten. Stadträtin Egler, Freie Grüne Liste, beantragt, die Figur probeweise für ein Jahr aufzustellen.
Der Antrag wird abgelehnt mit: 15 Nein / 13 Ja / 1 Enth.
(29 Stimmberechtigte)
Einer, der bei der Debatte damals dabei war, ist Wolfgang Müller-Fehrenbach. Er sitzt seit 1971 für die CDU im Konstanzer Gemeinderat. Der 82-Jährige macht keinen Hehl aus seiner Haltung: „Ich respektiere den Ideenreichtum und die Provokationslust von Peter Lenk, aber ich bin kein Fan seiner Arbeit.“ Der Kulturkampf, den Peter Lenk aus der Diskussion gestrickt habe, „eines angeblich liberalen Künstlers gegen die vermeintlich tiefschwarze und stockkonservative CDU, der ist auch nur maximal die halbe Wahrheit.“
„Ich respektiere den Ideenreichtum und die Provokationslust von Peter Lenk, aber ich bin kein Fan seiner Arbeit.“
Wolfgang Müller-Fehrenbach, CDU-Stadtrat
In der Debatte Anfang der 1990er Jahre sei es ihm vor allem um den Standort gegangen. „Den habe ich falsch gefunden und darüber wollte ich diskutieren“, sagt Müller-Fehrenbach. Es sei ihm nie darum gegangen, die Skulptur grundsätzlich zu verhindern. „Kritik an Kirche und Monarchie sind legitim, es kommt aber auch darauf an, wie man diese äußert“, meint Müller-Fehrenbach. Dass es ausgerechnet eine Prostituierte sein musste, die die Stadt an so prominenter Stelle vertrete, das habe damals viele Konstanzer:innen irritiert, blickt der CDU-Stadtrat zurück.
Tatsächlich gab es damals in kirchlichen Kreisen erhebliches Unbehagen an den Lenk’schen Plänen. So schrieb das Erzbischöfliche Ordinariat Freiburg am 5. April 1993 besorgt an den Konstanzer Oberbürgermeister: „Wir halten eine solche Darstellung in der Konzilstadt Konstanz in hohem Maße für geschmacklos und geeignet, den religiösen Frieden zu beeinträchtigen.“ Das Schreiben wurde zum Eigentor. Es landete über Umwege im SPIEGEL, noch ehe der Konstanzer OB darauf antworten konnte. Am Ende waren sowohl Stadt als auch Kirche düpiert.
„Wir halten eine solche Darstellung in der Konzilstadt Konstanz in hohem Maße für geschmacklos und geeignet, den religiösen Frieden zu beeinträchtigen.“
Erzdiözese Freiburg, in einem Brief an den Konstanzer OB Horst Eickmeyer im April 1993
Ralf Joachim Fischer (81) erinnert sich gut an diese Debatten. Der SPD-Mann war damals Baubürgermeister in Konstanz und anders als der damals amtierende Kulturbürgermeister Wilhelm Hansen konnte er den Entwürfen von Peter Lenk durchaus etwas abgewinnen. „Ich fand das unterstützenswert, deshalb habe ich versucht zu helfen, wo ich konnte“, sagt Fischer. Er trägt eine blau-schwarze Outdoorjacke und strahlt auch heute noch diese zupackende Art aus, die Baubürgermeistern oft eigen ist.
Die Diskussionskultur in Konstanz habe er damals als offen wahrgenommen, „da hat die Universität viel verändert“, glaubt Fischer. Aber trotzdem habe es auch damals Strömungen in der Gesellschaft gegeben, „die die Imperia nicht haben wollten“. Das Problem bei denen sei nur gewesen: Sie hätten zwar gesagt, was sie nicht wollen, aber nicht, was sie stattdessen an der Stelle wollen. Dass einige in der Diskussion den alten Gittermast „zum halben Eiffelturm“ stilisieren wollten, um die Lenk-Skulptur zu verhindern, habe ihn irritiert.
„Ich habe trotzdem immer versucht, Brücken zu bauen, damit alle mit der Entscheidung leben können“, sagt Fischer. Als beispielsweise die Stimmung im Gemeinderat grundsätzlich gegen die Imperia zu kippen drohte, kümmerte er sich um einen Ersatzplatz, damit das Projekt überhaupt realisiert werden konnte. Demnach hätte die Imperia auch auf der Hafenmole, dort wo heute ein Restaurant ist, stehen können. Eine Mehrheit im Gemeinderat hatte sich für diesen Standort ausgesprochen.
Irgendwann droht das ganze Projekt zu scheitern
Aber da machte der Künstler Peter Lenk nicht mit. Für ihn gilt zu dem Zeitpunkt – Pegelturm oder nichts. Er setzt alles auf eine Karte und schickt nach eigenen Erzählungen sogar Handwerker weg, die den Sockel für den neuen Standort bereits setzen wollen. „Ich wollte keinen Ersatz-Standort, ich habe ja auch keine Ersatz-Frau“, begründet er seine Fixierung auf den Pegelturm.
Dabei sieht es zu dem Zeitpunkt nicht gut aus für die Imperia: Das Landesdenkmalamt hatte Bedenken angemeldet, die notwendige wasserschutzrechtliche Genehmigung fehlte. Aber Lenk findet auch hier Lösungen. Beziehungsweise es zahlt sich jetzt aus, dass er gute Freunde an entscheidenden Stellen sitzen hat. Baubürgermeister Ralf-Joachim Fischer schreibt an das Denkmalamt und bittet um Prüfung der Bedenken, Lenk selbst ruft beim Leiter der Behörde an und wirbt für sein Projekt. Einige Wochen später zieht das Amt seine Vorbehalte zurück.
Gute Freunde lösen alle Probleme
Auch das mit der wasserschutzrechtlichen Genehmigung löst sich dank einflussreicher Freunde. Der damalige Schweizer Nationalrat Ernst Mühlemann setzt sich beim damaligen Konstanzer Landrat Robert Maus für die wasserrechtliche Genehmigung ein. So schreibt es jedenfalls Peter Lenk in seinem neuen Buch „Imperia Konstanz. Eine tolldreiste Geschichte“. Was auch immer das bewirkt haben mag – am 14. April 1993 erteilt das Landratsamt die von Lenk sehnsüchtig erwartete wasserschutzrechtliche Genehmigung. Jetzt kann alles ganz schnell gehen.
Weil der Konstanzer Gemeinderat den Stadtwerken untersagt hatte, eine Fähre für den Transport der Imperia bereitzustellen, chartern Peter Lenk und Werner Häusler die Fähre, die normalerweise zwischen Friedrichshafen und Romanshorn verkehrt. In strömendem Regen verladen sie die 18 Tonnen schwere, neun Meter hohe, in acht Einzelteile zerlegte Figur auf die Fähre.
Rund eine Stunde vor Mitternacht des 15. April 1993 erreicht die Fähre den Konstanzer Hafen. Es folgt ein nervenaufreibender Aufbau noch in der Nacht – aus statischen Gründen kann die Imperia nicht im Ganzen installiert werden. In den frühen Morgenstunden des 16. April ist das Projekt geglückt – die Imperia steht noch verhüllt von dunkelgrünen Plastikbahnen im Hafen von Konstanz.
„Wir hatten damals alle das Gefühl, Teil von etwas Besonderem geworden zu sein.“
Dieter Bögle, ehemaliger Geschäftsführer der Bodensee-Schiffsbetriebe
Es gibt ein Foto aus jener Nacht, auf dem man Peter Lenk im durchnässten Trenchcoat und mit Hut sieht. Ihm gegenüber Dekolleté und Gesicht der Imperia. Der Bildhauer sieht sehr glücklich aus. Als falle der ganze Stress und Druck der vergangenen Monate in diesem Moment von ihm ab. Die Stimmung damals sei euphorisch gewesen, erinnert sich auch Dieter Bögle. Er hatte den Aufbau begleitet. „Wir hatten damals alle das Gefühl, Teil von etwas Besonderem geworden zu sein, endlich passierte mal etwas in unserer Stadt“, sagt Bögle.
Bis zur feierlichen Enthüllung dauerte es dann noch ein paar Tage. Am 24. April 1993 war es so weit. Dieter Bögle hatte mit seinen Bodensee-Schiffsbetrieben eine Sternfahrt organisiert. 2400 Gäste kamen per Schiff zur Enthüllung, tausende weitere kamen zu Fuß zum Hafen. Es war ein großes Fest, von dem die allermeisten mit einem Lächeln im Gesicht nach Hause gingen.
Aber natürlich gab es auch Proteste. Sehr viele Proteste. Die Leserbriefspalten des Südkurier wurden monatelang durch fast nichts anderes gefüllt, es gab zahlreiche wütende Briefe an die Stadtverwaltung, die ZEIT schrieb über die Imperia: „Halb Reichskanzlei, halb Bundestuntenball“.
Die Imperia überstand alle Versuche ihrer Gegner, sie zum Teufel zu jagen
Und trotzdem blieb die Imperia. Noch so ein Wunder. Egal, was die Kommunalpolitik versuchte, die Imperia blieb standhaft. Sie widerstand, als der Gemeinderat gegen einen dauerhaften Verbleib stimmte, sie ließ sich auch nicht versetzen als der Gemeinderat im September 1993 mit deutlicher Mehrheit (21 Ja, 1 Nein, 13 Enthaltungen) einen neuen Standort an der Hafenmole beschloss. Und sie blieb auch, als der zweijährige Probebetrieb im April 1995 eigentlich auslief. Peter Lenk rührte sich einfach nicht und saß die Sache aus. Bis niemand mehr wagte, die Imperia ernsthaft in Frage zu stellen.
Peter Lenk hat seine ganz persönlichen Erinnerungen an die Imperia in einem neuen Buch aufgeschrieben. Es heißt „Imperia Konstanz. Eine tolldreiste Geschichte“ und ist im Stadler-Verlag erschienen. Es ist überall im Buchhandel erhältlich.
Wahrscheinlich stimmt eben doch, was Ex-Baubürgermeister Ralf-Joachim Fischer dazu gesagt hat. „Wenn man so darüber nachdenkt, was in dieser Stadt in den vergangenen Jahrhunderten so alles gelaufen ist, dann kann man nur zu dem Schluss kommen, dass die Stadtsilhouette mit all ihren Türmen und Insignien der Macht durch die Imperia eigentlich erst vervollständigt wird.“
Das ist auch eine Geschichte über Männerbünde in den 1990er Jahren
Dieter Bögle wundert sich noch heute über die Aufgeregtheit von damals: „Das hörte sich bisweilen so an, als ginge das Abendland unter“, sagt er und schüttelt den Kopf. „Ich freue mich heute jedes Mal, wenn ich die Imperia sehe. Sie ist ein gutes Wahrzeichen für Konstanz. Der Lenk könnte Millionär sein, wenn er für jedes Foto, das von der Imperia gemacht wird, nur 10 Cent bekäme.“
Und so ist diese Geschichte der Imperia am Ende auch eine Geschichte über Männerfreundschaften in den 1990er Jahren. Peter Lenk, Werner Häusler, Dieter Bögle, Ralf-Joachim Fischer: Ein Boysclub der Neunziger. Ob das so heute noch möglich wäre? Vermutlich eher nicht. Also wirklich eine Geschichte über aus der Zeit gefallene Männerbünde? Genau genommen sind es Männer, die sich um eine Frau drehen. Vielleicht war die Imperia doch schon immer ihrer Zeit voraus.
Ein Satz, der Peter Lenk vermutlich gefallen würde. Zum Schluss noch einmal zurück nach Überlingen ins Jahr 2023. Zum Gespräch mit dem Bildhauer an der Uferpromenade.
„Die Imperia war wahrscheinlich mein bis 1993 größter Coup.“
Peter Lenk, Künstler
Ob das mit der Imperia denn jetzt sein größter Coup war? Peter Lenk überlegt kurz. „Hm. Also der Pimmel an der taz-Fassade in Berlin war schon auch eine Nummer. Aber die Imperia war wahrscheinlich mein bis 1993 größter Coup.“
Noch eine Frage: Woher denn seine Lust an der Provokation komme? Lenk winkt ab. „Also ich brauche diese ganzen Auseinandersetzungen nicht, ich habe nichts davon.“ Kurze Pause. Ein Grinsen durchzuckt Lenks Gesicht. „Aber es gibt eben auch kein Recht auf Langeweile im öffentlichen Raum, da mische ich mich dann schon ein.“
Bei dieser Recherche waren zwei Punkte zentral. Erstens: Die relevanten Zeitzeugen finden. Zweitens: Die Berichte der Zeitzeugen durch möglichst objektive Quellen abgleichen. Während ersteres relativ einfach war – es ist schon sehr viel über die Imperia und ihre Protagonisten berichtet worden – war der zweite Punkt komplizierter als gedacht. Das Problem mit Zeitzeugen ist: Sie vergessen Dinge, erinnern manches nur sehr subjektiv, lassen Sachen hier aus und schmücken an anderer Stelle aus. Das geht uns allen so. Wenn wir erzählen, erzählen wir in der Regel nie genau so wie es war, sondern wir berichten aus unserer sehr persönlichen Perspektive.
Deshalb bin ich für diese Recherche auch ins Stadtarchiv gegangen. Weil ich wissen wollte, wie die Debatten damals im Gemeinderat rund um die Imperia wirklich liefen. Protokolle schildern auch Dinge, die Zeitzeugen vergessen. Der Zugang zu diesen Protokollen ist aber komplizierter als ich zunächst dachte. Wie alles in Deutschland ist auch das sehr klar geregelt. Und zwar im Landesarchivgesetz. Nicht alle Akten sind sofort zugänglich, oft gilt eine 30-Jahresfrist selbst für Niederschriften aus öffentlichen Gemeinderats-Sitzungen. Und wenn personenbezogene Daten in den Dokumenten enthalten sind, ist es manchmal noch komplizierter. Nun.
Ich lernte das schöne deutsche Wort „Sperrfristenverkürzungsantrag“ kennen und bekam schließlich doch noch rechtzeitig vor dem 30. Jahrestag der Aufstellung der Imperia Einblicke in die Protokolle. Nicht in alle, aber wohl doch in die Wesentlichen. Am Ende verbrachte ich zwei Nachmittage im Konstanzer Stadtarchiv und las in alten Akten und Dokumenten. Lokaljournalismus ist manchmal eben auch Aktenfresserei.
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