„Ich habe Panik­attacken und oft Angst, nicht gut genug zu sein.“

Antisemitismus, Rassismus, Mobbing, Leistungsdruck – auch an Konstanzer Schulen kommt es immer wieder zu Konflikten. Wie gehen die jungen Menschen damit um? Vier Konstanzer Schülerinnen erzählen aus ihrem Alltag.
Was es heute bedeutet, Schülerin zu sein: Hannah und Ana-Lena erzählen von ihrem Alltag an Konstanzer Schulen. Bild: Michael Lünstroth

Hannah, 13, Geschwister-Scholl-Schule, Realschule, 8. Klasse

„Eigentlich mag ich meine Klasse, aber seit dem 7. Oktober hat sich viel verändert. Ich bin Jüdin, und seit dem Angriff der Hamas auf Israel habe ich sehr viele dumme Sprüche hören müssen. Schon davor habe ich viel antisemitischen Spott an der Schule erlebt. Im Allgemeinen fühle ich mich sicher an meiner Schule, aber manchmal bin ich verunsichert, besonders seit dem 7. Oktober. In der ersten Woche nach Kriegsbeginn haben meine Eltern mir gesagt, dass ich vorsichtig sein soll, da ich eine Kette mit einem jüdischen Symbol trage.

„Neben Antisemitismus ist auch Rassismus ein ständiger Begleiter in unserer Klasse. Viele Schüler:innen benutzen das N-Wort, als sei es normal.“

Hannah, 13, 8. Klasse, Geschwister-Scholl-Schule, Realschule

An der Schule gibt es leider auch keine Person, der ich mich anvertrauen möchte. Ich will außerdem auch nicht in der Rolle sein, dass ich mich ständig beschwere. Neben Antisemitismus ist auch Rassismus ein ständiger Begleiter in unserer Klasse. Viele Schüler:innen benutzen das N-Wort, als sei es normal. Und wenn man sie darauf anspricht, heißt es dann, es sei doch nur ein Witz gewesen, ich solle mich mal abregen und auch mal einen Spaß verstehen. Ich wünsche mir, die Schulleitung würde klar machen, dass man manche Sachen nicht sagen soll, damit sich an der Schule alle wohl fühlen.“

„Der Leistungsdruck an der Schule ist riesig. Zugegeben, ich mache mir auch selbst Druck. Aber eine Zwei ist nur dann eine gute Note, solange niemand anderes eine bessere Note hat. Mir gibt diese ständige Vergleicherei oft das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Das ist krass. Ich bin zum Beispiel nie stolz auf die Leistungen in meinen Arbeiten, auch wenn sie gut sind, weil ich weiß, dass es Schüler gibt, die besser sind.

„Selbst Entscheidungen zu treffen, macht mir Angst, weil mir nur beigebracht wurde, wie die richtige Formel oder der richtige Satzbau funktioniert.“

Hannah, 13, 8. Klasse, Geschwister-Scholl-Schule, Realschule

Das Verrückte jetzt ist – obwohl Schule ist, wie sie ist, möchte ich so lange wie möglich dort bleiben. Denn hier sagt mir wenigstens jemand, was ich machen soll. Es gibt ein „richtig“ und es gibt ein „falsch“. Wer sagt mir das nach der Schule? Selbst Entscheidungen zu treffen, macht mir Angst, weil mir nur beigebracht wurde, wie die richtige Formel oder der richtige Satzbau funktioniert. Ich brauche manchmal einfach eine Anleitung für mein Leben, aber bislang habe ich sie noch nicht gefunden.“

Für unseren Schwerpunkt Schule wollten wir genau wissen, wie die Lage an den Konstanzer Schulen wirklich ist. Um das herauszufinden, muss man auch mit denen reden, die die meiste Zeit dort verbringen – die Schülerinnen und Schüler. Vier Schülerinnen aus dem Jugend- und Kids-Club des Jungen Theater Konstanz waren bereit, offen über ihren Alltag zu reden. Ich habe sie an einem Samstag während der Proben in der Spiegelhalle getroffen und mit ihnen gesprochen. Die Gespräche habe ich zu vier einzelnen Wortlautprotokollen verdichtet. Um sicher zu gehen, dass ich die Schülerinnen korrekt und authentisch wiedergebe, habe ich ihnen (und ihren Eltern) den Text vor Erscheinen zum Gegenlesen vorgelegt. Sie haben kaum etwas an ihren Zitaten geändert.

„Aus meiner Sicht lernen wir in der Schule oft auch die falschen Dinge. Das ist alles nicht mehr zeitgemäß. Zum Beispiel: Warum lernen wir so viel über Rechtschreibung, wenn doch jetzt schon alles über Autokorrektur geregelt werden kann? Und warum muss ich etwas über binomische Formeln lernen, die ich nach der Schule nie wieder brauche, aber über Steuererklärungen, die ich irgendwann jedes Jahr machen muss, erfahre ich nichts im Unterricht. Hier müsste Schule anders werden, wenn sie uns wirklich auf das Leben vorbereiten soll.“

Ana-Lena, 13, Humboldt-Gymnasium, 8. Klasse

„Der Druck in der Schule macht mich manchmal fertig. Ich spüre ihn fast täglich, und manchmal schnürt er mir die Kehle zu. Ich habe Panikattacken und oft Angst, nicht gut genug zu sein. Schule könnte so ein cooler Ort sein, aber mit dem ganzen Druck und all den Arbeiten ist es viel zu oft keine Freude. Mobbing ist auch ein großes Thema an unserer Schule. Ich hatte eine beste Freundin, die hat über mich, aber auch über andere, sehr viele schlechte Sachen erzählt, die nicht stimmten. Das läuft dann auch über digitale Kanäle, und man kann es auch niemandem erzählen, ohne dafür verurteilt zu werden.

„Ich würde mit Problemen auch nie zu Streitschlichtern oder Sozialarbeitern an unserer Schule gehen, weil ich nicht das Gefühl habe, dass man dort ernstgenommen wird mit seinen Sorgen.“

Ana-Lena, 13, Humboldt-Gymnasium, 8. Klasse

Ich habe auch viele Freundinnen, die mir helfen, aber solche Gerüchte werden nun mal auch von vielen Menschen geglaubt. Ich würde mit solchen Problemen auch nie zu Streitschlichtern oder Sozialarbeitern an unserer Schule gehen, weil ich nicht das Gefühl habe, dass man dort ernstgenommen wird mit seinen Sorgen. Ich habe in dieser Zeit zwar meine Freunde gehabt, die für mich da waren. Aber wenn du damit alleine bist, weil du mit niemandem reden kannst, ist es vermutlich sehr schwer.

„Wenn ein Lehrer einen schlechten Tag hat, dann bist du dem als Schüler komplett ausgeliefert, das ist dann dein Pech.“

Ana-Lena, 13, Humboldt-Gymnasium, 8. Klasse

Ich habe auch bei vielen Lehrenden den Eindruck, dass ihnen ihr Job keinen Spaß macht. Es gibt wirklich schlimme Lehrer, aber die werden nie gefeuert, weil es so wenige davon gibt. Es ist doch so: Wenn ein Lehrer einen schlechten Tag hat, dann bist du dem als Schüler komplett ausgeliefert, das ist dann dein Pech. Sie meckern und schimpfen mehr, als dass sie uns zum Lernen motivieren. Ich finde, das sollte anders sein. Ich meine, wir Menschen sind doch auch alle komplett unterschiedlich. Jede und jeder hat verschiedene Fähigkeiten, das wird in der Schule zu selten gesehen. Der Fokus liegt zu sehr auf den Schwächen und zu wenig darauf, die individuellen Stärken zu stärken.“

Varvara, 14, Waldorfschule Konstanz, 9. Klasse

Varvara (links im Bild) und Jule gehen auf die Waldorfschule Konstanz. Bild: Michael Lünstroth

„Ich fühle mich an meiner Schule sehr wohl. Ich kann viele Dinge machen, die mich wirklich interessieren. Unsere Lehrer behandeln uns auf Augenhöhe, da herrscht nicht so ein Befehlston, wie ich es von anderen Schulen schon gehört habe. Bei uns gibt es Punkte anstelle von Noten. Das finde ich gut, nicht nur für mich, sondern vor allem, weil dann auch die Eltern weniger die verschiedenen Leistungen miteinander vergleichen.

„Was mir an Schule fehlt, ist, dass sie mich auf das Leben vorbereitet. Zu den Themen Miete, Steuern, Hauskauf weiß ich nichts, und ich wünschte mir, dass mich die Schule auch auf solche Themen vorbereitet.“

Varvara, 14, Waldorfschule Konstanz, 9. Klasse

Ich wünschte aber, wir würden auch beigebracht bekommen, wie man am besten lernt und wie man auch die Zeit zum Lernen besser einteilt, damit man nicht immer erst am letzten Abend vor der Arbeit alles auswendig lernen muss. Was mir an Schule fehlt, ist, dass sie mich auf das Leben vorbereitet. Zu den Themen Miete, Steuern, Hauskauf weiß ich nichts, und ich wünschte mir, dass mich die Schule auch auf solche Themen vorbereitet.

Eigentlich bräuchte es so etwas wie eine ‚School of life‘, auf der man all diese Dinge lernt, damit man es später auch richtig macht. Für mich ist auch Politik sehr wichtig, aber bislang hat mir noch keiner richtig erklärt, wie das System eigentlich funktioniert. Müsste Schule das nicht auch leisten?

„Die Zukunft macht mir Sorgen. Kriege, Klimakrise und Konflikte, es gibt so viele Dinge auf der Welt, die mich verunsichern.“

Varvara, 14, Waldorfschule Konstanz, 9. Klasse

Die Zukunft macht mir Sorgen. Kriege, Klimakrise und Konflikte, es gibt so viele Dinge auf der Welt, die mich verunsichern. Wie soll man denn da ganz normal weiterleben? Für meine persönliche Zukunft wünsche ich mir einen Job, den ich mag und von dem ich gut leben kann. Dass so viel in unserem Leben vom Geld abhängt, finde ich schwierig.“

Jule, 14, Waldorfschule Konstanz, 9. Klasse

„An meiner Schule bleibt uns Schülern viel selbst überlassen, also was und wie wir lernen wollen. Das finde ich eigentlich gut, aber manchmal ist es auch schwierig, so viel Eigenverantwortung zu haben. Als ich noch jünger war, hat mich das manchmal auch überfordert, aber jetzt habe ich ein größeres Bewusstsein für meine eigene Verantwortung.

„Was ich an meiner Schule mag: Wir haben eine gute Klassengemeinschaft.“

Jule, 14, Waldorfschule Konstanz, 9. Klasse

Bei uns gibt es ja keine Noten, aber manchmal überlege ich auch, ob Noten nicht doch besser wären, weil ich mich für eine bessere Note vielleicht mehr anstrengen würde im Unterricht. Was ich an meiner Schule mag: Wir haben eine gute Klassengemeinschaft. Wir machen gemeinsame Ausflüge, das stärkt den Zusammenhalt. Bei uns wird niemand ausgegrenzt. Ich hoffe, dass das noch sehr lange so bleibt.

„Was mich wirklich nervt an unserer Generation: die ständigen Vergleiche. Immer schaut man, was andere besser können und fühlt sich selbst oft nicht gut genug.“

Jule, 14, Waldorfschule Konstanz, 9. Klasse

Was mich wirklich nervt an unserer Generation: die ständigen Vergleiche. Immer schaut man, was andere besser können und fühlt sich selbst oft nicht gut genug. Das kann Ansporn sein, ist manchmal aber auch ziemlich deprimierend. In die Zukunft schaue ich lieber nicht so weit. Ich fokussiere mich eher auf das Jetzt; alles andere kann ich eh nicht beeinflussen. Ehrlich gesagt macht mir die Zukunft manchmal auch Angst, wenn ich den Zustand unserer Welt anschaue.“