Jetzt mal im Ernst, keinem Ende wohnt ein Zauber inne

In der Vorweihnachtszeit will unser Autor in diesem Jahr nicht in Erinnerungen an alte Zeiten schwelgen. Stattdessen plädiert er für einen neuen Blick auf Veränderungen in der Stadt. Er sagt: Der Abschied von Altem ist oft der Startschuss für Innovation und frische Ideen.
Das Bild zeigt eine Illustration des Kolumnentitels.
Grafik: Alexander Wucherer

Es ist so weit, die schlimmschönste Zeit des Jahres hat begonnen. Zwischen Rabimmel Rabammel Rabumm und O Tannenbaum kommt man nicht an ihr vorbei. Schön für alle, die froh über Besinnlichkeit, Kitsch, mittelguten Glühwein und Sinnieren über das ablaufende Jahr sind. Schlimm für alle, die sich denken: Wie soll ich jemals alle Deadlines schaffen, wann alle Verabredungen einhalten und darf, will, soll ich angesichts von Kriegen und Krisen überhaupt an Fröhlichkeit denken?

Bevor ich abschweife, bleiben wir beim Thema. Vorweihnachtszeit also. Heißt auch: Das Konstanzer Freizeitleben verlagert sich nach innen. Weihnachtsfeiern, Jahrestreffen, Geschenkekauf: Weil vielen schönen, alteingesessenen Lokalen und Geschäften der Garaus gemacht wurde – so höre ich in jüngster Zeit öfter –sei das ja inzwischen wirklich nicht mehr so schön.

Jetzt mal im Ernst: Ich verstehe diesen Trauergesang über Wirt:in X nicht, deren Kneipe jemand anders führt; über den urigen Laden Y, den es ja schon immer gegeben hat. Wenn ich diese nostalgische Sehnsucht nur rieche, bekomme ich Schüttelfrost. Als wohnte der Zauber nicht dem Anfang, sondern dem Ende inne.

Keine Chance für den Neubeginn?

Persönlich schmerzt der Verlust die Inhaber:innen und Angestellten, das kann ich nachvollziehen und nötigt mir Mitgefühl ab. Aber das vermehrt in der dunklen Jahreszeit auftretende Co-Leiden halte ich für unangebracht. Auch ich habe schon gescholten, dass es ganz furchtbar sei, dass dieses nette Bistro nach Jahrzehnten neue Besitzer:innen mit neuem Konzept hat. Doch nehme ich damit dem Neubeginn nicht die berechtigte Chance, bevor sie überhaupt gewagt wurde? (Anmerkung: Das Bistro läuft mit neuem Namen und anderem Publikum ganz hervorragend – Glückwunsch!)

Bin ich ein eiskalter Turbokapitalist, wenn ich sage, dass vor dem Ende nicht alles optimal gelaufen sein kann, weil es sonst nicht zu selbigem gekommen wäre? Liegt es wirklich an außergewöhnlich schlimmen Umständen, dass außer mir hier nicht viele Geld ausgeben wollten? Oder vielleicht auch ein bisschen an Misswirtschaft, lauem Service und fehlendem Zeitgeist? Wenn dieser nun einmal einem Döner- und Pizza-Imbiss auf der Marktstätte frönt, kann man das akzeptieren, statt einen mittelschweren Skandal auszurufen.

Die Konkurrenz ist groß

Ein anderes Beispiel betrifft den Konstanzer Einzelhandel, wohlgemerkt den alteingesessen. Es gibt ohnehin nur eine Handvoll Geschäfte, Restaurants und Kneipen, in denen ich mich wirklich willkommen fühle und etwas Passendes finde. Wie oft habe ich in Geschäften mit gehobenen Preisen, die eine fundierte Beratung erwarten lassen, von Verkäufer:innen gehört: „Haben wir nicht, schauen Sie doch online nach.“ Da wundert es mich nicht, wenn die Kundschaft genau das tut – und beim nächsten Mal ebenso. Schließlich gibt es genug Alternativen zum lokalen Handel. 

Wenn dann alteingesessene Bekleidungsgeschäfte oder Gastronom:innen, die horrende Preise für Kaffee und Kuchen verlangen, schließen müssen, blutet mir nicht das Herz. Ich akzeptiere es als Inkaufnahme mangelnder Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse und Erwartungen der Kund:innen.

Ideen werden Realität

Corona und die folgende wirtschaftliche Krise haben vielen und vielem den letzten Stoß versetzt. Ist es schade drum? Im Einzelfall vielleicht, in der Mehrzahl eher nicht.

Im Gegenteil lässt der verklärte Blick auf die Vergangenheit vergessen, dass zuletzt einige eine tolle Idee in die Realität umsetzten und mit viel Herzblut vorantreiben. Mir nötigt das jedenfalls zehnmal mehr Respekt und Anteilnahme ab als die Vergänglichkeit des ewigen wirtschaftlichen Siechtums.