Personal­mangel in Kitas: Betreuung am Limit?

Mangelnde Kita-Plätze in Konstanz sind das eine, aber auch eigentlich vorhandene Plätze können oft nicht wie geplant angeboten werden. Der Grund: Personalmangel. Das hat Auswirkungen auf die Arbeit der Erzieher:innen, die Planbarkeit für Eltern und die Betreuung der Kinder. 
Wiebke ist Journalistin aus Leidenschaft. Gemeinsam mit Michael…

Alle zwei bis drei Wochen können Kinder in Konstanz nicht wie geplant betreut werden. Denn so oft muss der Betrieb in einer der städtischen Kindertagesstätten wegen Personalmangels eingeschränkt werden. Das zeigen Zahlen des Konstanzer Sozial- und Jugendamts, die wir von karla im Rahmen einer Kooperation mit CORRECTIV.Lokal und Frag den Staat recherchiert haben. „Grundsätzlich lässt sich sagen, dass durchschnittlich ungefähr alle 2 bis 3 Wochen eine Reduzierung in einer der städtischen Kitas stattfindet“, sagt Mandy Krüger von der Pressestelle der Stadt Konstanz. Die Stadt selbst ist Träger von zwölf der insgesamt 58 Einrichtungen in Konstanz.

„Es findet in so einem Beispiel dann eine schnelle Abfrage statt, wer sein Kind an dem betroffenen Tag zuhause betreuen kann oder die Möglichkeit hat, sein Kind früher abzuholen.“

Mandy Krüger, Pressestelle Stadt Konstanz
Mandy Krüger vom Presseamt der Stadt Konstanz. Foto: privat

In Deutschland müssen Kindertagesstätten der zuständigen Aufsichtsbehörde „Ereignisse oder Entwicklungen“ melden, die das Kindeswohl gefährden könnten. Dazu gehört auch, wenn Kitas den vorgeschriebenen Personalschlüssel unterschreiten, Öffnungszeiten eingeschränkt oder die Kinderzahl reduziert werden muss. Die Meldungen gehen dann an das Landesjugendamt (KVJS) oder das örtliche Jugendamt. Das Jugendamt Konstanz hat dafür eine Übersicht erstellt. Diese zeigt: Im Zeitraum von September bis Mitte November 2023 gab es allein zehn Fälle von Einschränkungen in den städtischen Kitas. Darunter auch die komplette Schließung einer Krippe aufgrund einer Krankheitswelle. „Das Kigapersonal war ebenfalls angeschlagen und konnte daher nicht aushelfen“, steht dazu als Bemerkung in der Tabelle, die dem karla Magazin vorliegt. Im Oktober gab es Fälle, in denen Krippen aufgrund von Personalmangel durch offene Stellen und Krankmeldungen weniger Kinder betreuen konnten. 

Die übrigen Daten, die das Jugendamt auch sammelt, konnten aufgrund von Krankheitsfällen im Amt vor Veröffentlichung dieses Beitrags nicht abschließend verifiziert werden. Andere Kindergärten von anderen Trägern haben auf unsere Anfragen nicht reagiert. Vom Kindergarten St. Stephan kam die Rückmeldung: „Da wir gerade mitten im Thema Personalwechsel bzw. Personalmangel stecken, haben wir leider keine Kapazität Ihre Fragen zu beantworten.“ Das Landesjugendamt wiederum hat für das Jahr 2022 im gesamten Landkreis Konstanz nur einen Fall gezählt, in dem eine Kita trotz Unterschreitung des Mindestpersonalschlüssels betrieben wurde. Das zeigt: Es fehlt der Überblick. 

Dabei gibt es dringenden Handlungsbedarf. Momentan können in Konstanz aufgrund des Fachkräftemangels weder alle eigentlich zur Verfügung stehenden Betreuungsplätze belegt werden noch können neu geschaffene Betreuungsplätze Entlastung bieten, da das hierfür benötigte Personal fehlt. Von 3.779 Betreuungsplätzen in der Kindertagesbetreuung in Konstanz waren am 1. März 2023 nur 3.344 Plätze belegt. Gleichzeitig sind mehr als 700 Kinder in Konstanz ohne Betreuungsplatz, obwohl sie einen benötigen – und rechtlich einen Anspruch darauf haben. 

Möchtest du, dass sich etwas ändert? Dann werde jetzt aktiv! Besuche die Themenseite kitanotstand.de, die von unserem Kooperationspartner CORRECTIV erstellt wurde. Dort findest du vielfältige Möglichkeiten, wie du selbst einen Beitrag leisten kannst. Erfahre, wie du die Politik zum Handeln bewegen kannst und entdecke Mitmalbilder für deine Kinder sowie Plakate, die du in deiner Nachbarschaft aufhängen kannst, um auf den Kitanotstand aufmerksam zu machen.

Lücken in der Betreuung treffen die Eltern

Zwar gibt es in Deutschland einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag. Doch die Realität sieht anders aus: Weil Kitas zu wenig Erzieher:innen haben, müssen Einrichtungen ihre Öffnungszeiten verkürzen oder ganze Gruppen schließen. „Jeder Träger hat die Verantwortung und Pflicht darauf zu achten, dass der Mindestpersonalschlüssel eingehalten ist“, so Krüger. „Wenn die Aufsichtspflicht nicht mehr gewährleistet ist, müssen entweder die Öffnungszeiten und/oder die Kinderanzahl reduziert werden.“ 

Für die betroffenen Eltern und Kinder hat das unmittelbare Folgen. Zwar sagt die Stadt, dass es oft schon ausreiche, wenn die Eltern ihre Kinder früher abholen, um eine komplette Kürzung der Öffnungszeiten zu vermeiden und die Aufsichtspflicht für die verbleibenden Kinder zu gewährleisten. Aber wer sind diese Eltern, die das können? Denn gerade die Eltern, die ihre Kinder in der Kita haben, sind selbst berufstätig und auf Betreuung angewiesen.

„Immer mehr Kitas müssen ihre Öffnungszeiten verkürzen, sodass unklar ist, wie lange die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch gewährleistet werden kann. Gleichzeitig ist die finanzielle Situation bedroht und teilweise macht sich Existenzangst breit“

sagt Heike Kempe vom Gesamtelternbeirat (GEB) Kita.

„Viele Familien haben weder Verwandte in der Nähe, die sie unterstützen können, noch Arbeitgeber, die sich flexibel auf die Situation einstellen können. Auch Homeoffice kann einen Betreuungsausfall nicht kompensieren.“

Vorhandene, aber nicht belegbare Plätze

Die Kompensation der fehlenden Betreuungszeiten muss daher von den Eltern im Umfeld organisiert werden. Teilweise beziehen die Kitas die Familien in ihre Planung mit ein, sodass Eltern den Betrieb in den Randzeiten unterstützen, um eine Ausweitung der Schließzeiten zu vermeiden. Die Kitas arbeiten aber ohnehin häufig an der Belastungsgrenze und haben keinen Puffer für krankheitsbedingte Ausfälle. „Im schlimmsten Fall müssen Eltern jede Woche neu planen. Und natürlich müssen viele Eltern bei längerfristigen Betreuungsausfällen ihre Arbeitszeit reduzieren, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht mehr gegeben ist“, so Clemens Holzapfel vom GEB Kita. 

Die Betreuungsquote für Kinder ab drei Jahren liegt in Konstanz bei 91 Prozent. Die Quote gibt den Anteil der betreuten Kinder an allen Kindern der gleichen Altersgruppe an und bezieht sich auf die Betreuung in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege. Im Jahr 2021 lag die Betreuungsquote noch bei 95 Prozent. Der Rückgang ist nach Angaben der Stadt vor allem auf nicht belegbare Plätze aufgrund von Personalmangel zurückzuführen. Die Zahl der Kinder im Kindergartenalter in Ganztagsbetreuung liegt bei 40 Prozent. Wenn Erzieher:innen fehlen, dann muss das Angebot heruntergefahren werden.

„Mal reicht es aus, vereinzelte Kinder für einzelne Tage privat betreuen zu lassen, und manchmal erfordert die Situation, dass wir über einen längeren Zeitraum eine Reduzierung der Öffnungszeiten umsetzen müssen und zusätzlich nur eine geringere Kinderanzahl betreuen können“,

sagt Mandy Krüger von der Pressestelle der Stadt.

Die Stadt als Träger gibt den Eltern nach eigenen Angaben einen Überblick über den generellen Personalschlüssel in der jeweiligen Kita und die individuellen kürzeren Personalausfälle. So haben die Eltern immer einen Blick auf die aktuelle Lage. „Leider sind die Krankheitsausfälle immer sehr spontan, weshalb wir teilweise sehr schnell und kurzfristig reagieren müssen“, so Mandy Krüger.

Heike Kempe vom GEB Kita. Foto: Wiebke Wetschera

Zumindest mit der Kommunikation der Kitas sind die Eltern zufrieden. Meist wird frühzeitig kommuniziert, es herrscht ein sehr offener Umgang und es wird gemeinsam besprochen, wie mit der Situation umgegangen werden kann. Immer mehr Konstanzer Kitas setzen zudem auf ein Ampelsystem für die Belegung pro Gruppe, das frühzeitig auf Ausfälle oder die Möglichkeit verkürzter Öffnungszeiten hinweist. Wenn Betreuungszeiten verkürzt werden müssen, ist in der Regel vor allem der Ganztagsbereich betroffen. „Für die akute Bewältigung ist kurzfristig eine gute Kommunikation und Abstimmung der Kitas mit den Eltern entscheidend“, sagt Heike Kempe vom GEB Kita.

„Wir haben vorgeschlagen, dass alle Kitaleitungen bei den Eltern nachfragen, wie die Betreuungszeiten im Bedarfsfall reduziert werden können. Schon die Klärung des genauen Betreuungsbedarfs kann zu einem effizienteren Personaleinsatz führen, der negative Auswirkungen minimiert.“

Heike Kempe, GEB Kita

Die Lage der Erzieher:innen

Im Rahmen der bundesweiten Recherche von Correctiv.Lokal wurden Kita-Mitarbeitende in ganz Deutschland gebeten, über die Folgen des Personalmangels in Kitas zu berichten. Mehr als 2.000 Kita-Mitarbeitende haben geantwortet. Über 50 Prozent der Befragten berichten, dass sie in ihrem Arbeitsalltag nicht mehr pädagogisch mit den Kindern arbeiten können, sondern sie nur noch verwahren. Jede:r Fünfte gab an, eine größere Gruppe von Kindern alleine zu betreuen. Wenn in Konstanz Erzieher:innen fehlen, hängt der Umgang damit von der generellen Personalbesetzung der jeweiligen Einrichtung ab. „Wir als städtischer Träger planen dann immer gemeinsam mit der betreffenden Kita-Leitung, was wir noch an Betreuung anbieten können“, so Mandy Krüger. „Wir versuchen hierbei immer so zu planen, dass es die Familien möglichst wenig trifft, und versuchen immer das maximal Mögliche anzubieten.“

Das Foto zeigt ein Kind, das mit Holzbausteinen spielt.
Foto: Esi Grünhagen

Auch zwei Erzieher:innen aus Baden-Württemberg haben an der Umfrage von Correctiv teilgenommen. „Wir werden ins Burnout getrieben. Wir arbeiten nicht mehr pädagogisch, sondern bewahren nur auf. Ich und andere Kolleginnen können nicht mehr schlafen. Ich habe eine diagnostizierte Schlafstörung“, sagt eine Erzieherin, die mit Kindern unter und ab drei Jahren arbeitet. „Man ist unter ständiger Hektik, die Alltagsstruktur aufrechtzuerhalten (dass Kinder essen können, gewickelt werden, schlafen können …). Jeder Schritt braucht Personal, das Kinder begleitet. Gerne würde man bei Personalmangel überall sein können. Das geht natürlich nicht. Das erweckt Frust – auch bei den Kindern, die mehr wollen als nur Essen und Trinken“, schildert eine weitere Erzieherin aus Baden-Württemberg.

„Wie reagieren wir unter Hektik auf diese Kinder? Richtig mit hektischen, genervten und affektiven Reaktionen. Ja, Reaktionen, weil Aktionen gar nicht mehr planbar waren!“

Erzieherin aus Baden-Württemberg

Die Situation der Erzieher:innen ist auch dem GEB Kita bewusst: „Viele kündigen aus Frust, ihren Beruf nicht ordentlich ausüben zu können, und wegen fehlender Wertschätzung. Hier ist es sehr wichtig, bei den Eltern für Verständnis zu werben, damit sie ihren Frust nicht an den Erzieher:innen auslassen. Vielmehr sitzen wir hier im selben Boot“, so Clemens Holzapfel. Langfristig führt aus Sicht des GEB kein Weg daran vorbei, die Arbeitsbedingungen und die Ausbildung der Erzieher:innen attraktiver zu gestalten.

Tut die Stadt genug gegen den Fach­­kräfte­­mangel?

„Der Fachkräftemangel ist der wichtigste Faktor, der den laufenden Betrieb und den Ausbau der Kinderbetreuung limitiert“, heißt es im Kita-Bericht der Stadt. Denn der Personalmangel macht sich vor allem im Kindergartenbereich bemerkbar: Öffnungszeiten werden eingeschränkt, Gruppengrößen begrenzt oder sogar ganze Gruppen geschlossen. Konstanzer Kinder im Alter von drei Jahren haben oft keine altersgerechte Betreuung – weil sie entweder gar keinen Kindergartenplatz bekommen oder nicht aus der Krippe wechseln können. Die Zahl der selbstbeschafften Plätze in anderen Gemeinden und in der Schweiz nimmt zu. 

Fest steht: Der Ausbau des Betreuungsangebots für diese Altersgruppe ist weiterhin notwendig. Die Stadt setzt deshalb auf Springerkräfte, die kurzfristig in den jeweiligen Einrichtungen aushelfen können, wo Bedarf besteht. „Dies hat schon des Öfteren dafür gesorgt, dass eine Reduzierung der Öffnungszeiten oder Kinderanzahl verhindert werden konnte“, so Mandy Krüger. Doch langfristig müssen andere Ansätze her und das Problem des Personalmangels endlich angegangen werden. Im Rahmen der Fachkräftestrategie arbeitet die Stadt gemeinsam mit den freien Trägern daran, neue Fachkräfte zu gewinnen und vorhandene zu binden. Ziel sei es, den Personalmangel und die unbesetzten Stellen in den Konstanzer Kitas zu reduzieren.

Ab dem kommenden Jahr werden die Kita-Gebühren in Konstanz deutlich teurer. Die Gebührenerhöhung um 25 Prozent soll so verteilt werden, dass einkommensstärkere Haushalte mehr und einkommensschwächere Haushalte weniger belastet werden. Heißt das auch mehr Geld für Kitas?

„Dass dies aber nicht zu einer finanziellen Verbesserung der Kitas oder einer angemesseneren Bezahlung des Personals führt, lässt viele am Willen der Stadt zweifeln, hier für Verbesserungen zu sorgen“,

sagt Clemens Holzapfel vom GEB Kita.

„Eine Arbeitsmarktzulage wird von der Stadt mit dem Hinweis abgelehnt, dass man durch solche Maßnahmen nur Personal aus dem Umland abziehen würde und man nicht für einen Erziehermangel dort verantwortlich sein möchte. Mit diesem Generalargument aber jede Verbesserung der Lage von Erziehern abzulehnen ist eigentlich ein Eingeständnis der Stadt auch auf absehbare Zeit nichts Grundlegendes ändern zu wollen.“

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