In Konstanz wird gerade hitzig über die angemessene Höhe von Kita-Gebühren diskutiert (siehe den Schwerpunkt von karla zum Thema Kinderbetreuung). Die von der Stadtverwaltung angekündigten Gebührenerhöhungen haben die Gemüter bewegt – viele Familien machen sich Sorgen, ob sie, gerade in Zeiten hoher Inflation, die höheren Gebühren werden stemmen können.
Aber sind Kita-Gebühren per se sozial ungerecht? Die Antwort auf diese Frage ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Aber um es gleich vorneweg klar und deutlich zu sagen: Aus einer Perspektive der sozialen Gerechtigkeit ist ein öffentlich finanziertes Bildungssystem, das von der Kita bis zur Universität ganz ohne Gebühren auskommt, prinzipiell besser als ein gebührenfinanziertes System. Das gilt vor allen Dingen dann, wenn Bildungs- und Sozialausgaben durch „progressiv“ ausgestaltete Steuersysteme finanziert werden; das heißt, Menschen mit höheren Einkommen bezahlen mehr Steuern – sowohl absolut als auch als Anteil ihrer Einkünfte. Zwar können auch Gebührensysteme progressiv ausgestaltet werden, sodass höhere Einkommen mit höheren Gebühren einhergehen, dennoch haben Gebühren eine abschreckende Wirkung besonders für ärmere Bevölkerungsschichten.
Höhere Bildung gratis, frühkindliche kostet
Die Realität in Deutschland sieht nun aber leider so aus, dass die Bildungsfinanzierung nicht komplett ohne Gebühren auskommt. Die höheren Bildungsebenen – allgemeinbildende Schulen, Hochschulen und die berufliche Bildung – im Wesentlichen schon. Die frühkindliche Bildung und Erziehung – also Kitas und Kindergärten – leider nicht. Diese Schieflage ist aus einer sozial- und bildungspolitischen Perspektive heraus sehr unglücklich, denn die Forschung zeigt, dass Bildungsinvestitionen effektiver sind, je früher sie stattfinden. Die Bildungsungleichheiten zwischen Arm und Reich, die sich im Verlauf von Bildungskarrieren immer wieder zeigen und durch das deutsche System oft noch zusätzlich verstärkt werden, fangen schon im frühkindlichen Bereich an. Gerade hier sollte es also darum gehen, möglichst vielen Kindern den Zugang zu frühkindlicher Bildung und Erziehung zu ermöglichen. Hinzu kommen weitere positive Effekte von Investitionen in frühkindliche Bildung, insbesondere die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Aber warum wird ausgerechnet die frühkindliche Bildung in Deutschland mit Gebühren finanziert, obwohl die Zugangsbeschränkungen hier so gering wie möglich sein sollten? Das liegt im Wesentlichen daran, dass die frühkindliche Bildung und Erziehung in Gesamtdeutschland (nicht in Ostdeutschland) erst vergleichsweise spät entschieden ausgebaut wurde, nämlich etwa seit Mitte der 2000er Jahre. Die Erschließung neuer Einnahmequellen zur Finanzierung dieser Investitionen war und ist politisch heikel: Steuererhöhungen sind unbeliebt, das Kürzen bestehender Sozialleistungen ebenfalls, und neue Schulden aufzunehmen war anscheinend nur zur Rettung von Banken möglich, aber nicht zum Ausbau des Bildungssystems. Also: Gebühren. Hinzu kommt, dass im Bereich der frühkindlichen Bildung und Erziehung die meiste Verantwortung für Verwaltung und Finanzierung bei den Ländern und Kommunen liegt; der Föderalismus lässt grüßen. Deswegen gibt es auch heute noch deutliche Unterschiede zwischen den Kommunen, sowohl beim Stand der Versorgung als auch der Finanzierung.
Berlin setzt auf Gebührenfreiheit
Die Stadt Konstanz, wie auch seitens der Stadtverwaltung in der aktuellen Diskussion argumentiert, lag im deutschlandweiten Vergleich der Gebühren eher unter als über dem Durchschnitt. Es gab und gibt aber auch Städte, etwa Berlin, in denen der Zugang zu Kitas komplett gebührenfrei ist – auch das ist möglich. Eine weitere Besonderheit der Stadt Konstanz war, dass die Höhe der Gebühren nicht vom Einkommen der Eltern abhing (mit Ausnahmen für sozial Bedürftige, also Menschen mit sehr geringem Einkommen). In den meisten anderen Kommunen ist dies der Fall, das heißt, gut verdienende Eltern müssen höhere Gebühren zahlen als niedrig verdienende.
Acht mögliche Wege aus der Kitakrise
Um jetzt aber auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Was ist hier sozial gerecht? Zunächst einmal muss man festhalten – auch wenn der Eindruck in Konstanz ein anderer sein mag –, dass nur eine Minderheit der Kinder unter drei Jahren überhaupt eine Kita besucht. Nach aktuellen Zahlen sind dies in Baden-Württemberg knapp 30 Prozent; damit ist das Ländle Schlusslicht im Vergleich zu allen anderen Bundesländern. Zudem weiß man, dass es – neben sozialen Härtefällen – vor allen Dingen die eher gut Verdienenden sind, die ihre Kinder in die Kita schicken, damit möglichst beide Elternteile weiterhin ihrer Arbeit nachgehen können. Dieser Effekt wird durch das spezifische Verteilungssystem von Kita-Plätzen in Konstanz, das Berufstätigkeit beider Elternteile zusätzlich „belohnt“, weiter verstärkt.
Was ist sozial gerecht?
Nun könnte man fragen: Ist es nicht sozial gerecht, wenn die gut Verdienenden sich durch Gebühren auch überproportional an der Finanzierung von Kitas beteiligen? Schließlich ermöglicht die organisierte Kinderbetreuung, dass Eltern weiterhin ihrer Berufstätigkeit nachkommen können. Und, um noch eins obendrauf zu setzen: Ist es nicht sozial gerechter, wenn die Höhe der Gebühren vom Einkommen der Eltern abhängt?
Vor einigen Jahren habe ich zusammen mit dem Kollegen Achim Goerres von der Universität Duisburg-Essen im Rahmen der Konstanzer Bürger:innen-Befragung Umfragedaten dazu erhoben, wie fair die Konstanzer:innen die damals gültigen Kita-Gebühren fanden. Ein erstes, wichtiges Ergebnis dieser Studie war, dass die Bürger:innen sich zwar etwas niedrigere Gebühren wünschten, aber alles in allem die Gesamthöhe als relativ fair betrachteten. Das zweite Ergebnis war allerdings, dass die Bürger:innen es fairer finden würden, wenn das elterliche Einkommen bei der Berechnung der Höhe der Gebühren berücksichtigt würde, wie es in den meisten anderen deutschen Kommunen üblich ist.
Einkommensabhängig ist sozial gerechter
In der damaligen Diskussion zu der Studie mit der interessierten Öffentlichkeit und Vertreter:innen der Stadt wurde jedoch das Argument vorgebracht, dass die Berücksichtigung des elterlichen Einkommens einen zu hohen Verwaltungsaufwand bedeuten würde und deswegen nicht umsetzbar sei. Insofern ist es nun bei den neuen Vorschlägen sowohl erfreulich als auch verwunderlich, dass bei dem neuen Gebührensystem das elterliche Einkommen zumindest teilweise berücksichtigt werden soll.
Wie schon oben argumentiert, wäre die beste Lösung die komplette Gebührenfreiheit. Aber, wenn es diese zumindest kurzfristig nicht gibt, ist der Schritt von der einkommensunabhängigen zur einkommensabhängigen Gebührenfinanzierung aus der Perspektive der sozialen Gerechtigkeit ein Schritt in die richtige Richtung.
Allerdings – und dieser Aspekt bewegt die Betroffenen wahrscheinlich noch stärker – steht eine starke Erhöhung der Gebühren an. Der Hinweis, dass Konstanz unterdurchschnittlich hohe Gebühren hatte, mag zwar stimmen, ist aber an sich noch kein Argument für höhere Gebühren, denn es gibt auch Kommunen, die gar keine Gebühren erheben. Die oben erwähnte extrem niedrige Betreuungsquote in Baden-Württemberg zeigt zudem, dass es einen hohen Aufholbedarf gibt. Letztlich kommt es auf die Prioritätensetzung auf Landes- und kommunaler Ebene an: Wie wichtig ist der Ausbau der Kindertagesbetreuung relativ zu anderen Vorhaben und Projekten? Insofern bleibt zu hoffen, dass in der aktuellen Gebührendiskussion doch noch die richtigen Prioritäten gesetzt werden – nämlich den Ausbau der Kindertagesbetreuung weiter massiv voranzutreiben, die Gebühren (weiter) so niedrig wie möglich zu halten und dafür lieber andere kostspielige Vorhaben und Projekte in der Priorität nach unten zu stufen.
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