Ob es an der nackten Frau lag, die sich da im Gras räkelte, umringt von Menschen, die sie malten, und an der Reinhard Böhler vorbeilief? Oder doch an jenem Maler, der einmal auf das Reichenauer Seegrundstück der Familie Böhler kam und fragte, ob er hier zeichnen dürfe, dann seinen Hocker aufstellte und den ganzen Tag „eine Leinwand bekritzelte“? Die Initialzündung für seine Kunstsammel-Leidenschaft könnte jedenfalls aus beiden Situationen stammen.
Stadelhofen, Emmishofer Straße, eine Autowerkstatt wie eine Kulisse für einen Film aus den 60er Jahren, stände da nicht gerade ein brandneues Mercedes-Modell auf der Hebebühne. Im Büro hinterm Schreibtisch, umgeben von hunderten von Bildern, sitzt Reinhard Böhler, Jahrgang 1953.
Ein Typ, wie man ihn sich nicht ausdenken kann, dessen Geschichte, wie man so schön sagt, nur das Leben schreiben kann. Ein Automechaniker, von der Reichenau stammend, der zum Kunstsammler wurde, Mitglied der deutsch-israelischen Gesellschaft in Konstanz ist und noch vieles mehr. Ein Sammler von Gemälden, die immer die Reichenau zeigen – und die teilweise keiner haben will.
Eine nackte Frau war Böhlers erstes Werk
Doch zurück auf Anfang. Das erste Bild. In Stadelhofen gab es früher den Betrieb Hummel Installationen, und eines Tages ließ die Dame des Hauses ihr Auto von Böhler verkaufen. Als die Malerin ihn fragte, was das nun koste, antwortete er, er wolle kein Geld. Stattdessen ein Bild von ihr. Er hatte auch schon ein bestimmtes Bild im Kopf, denn als Kind kam er einmal am Seegrundstück der Familie Hummel hinter der Brauerei Ruppaner vorbei. “Und da lag sie, eine nackte Frau im Gras.” Ein Aktmodell, das Frau Hummel und andere zeichneten. Und genau dieses Bild wollte er von Frau Hummel als Honorar. Er hängte es sich ins Büro seiner Werkstatt.
Familie Wieser hatte hinter der Brauerei Ruppaner ein Seegrundstück mit Wochenendhäuschen. „Und da bin ich mal hingelaufen, und da lag sie.“ Eine nackte Frau im Gras, ein Aktmodell, das Frau Hummel und andere zeichneten. Und so kam’s: Böhler wollte von ihr genau dieses Bild und hängte es sich später ins Büro seiner Werkstatt. Statt des für Automechaniker üblichen Pirelli-Kalenders, in dem sich barbusige Blondinen auf Motorhauben räkeln, hing bei ihm jetzt nackte Kunst an der Wand. All seinen Kunden gefiel das. „Und so hat es angefangen“, seine Sammelleidenschaft.
Ein Archiv für Reichenauer Bilder
Seine Motivation? Schwer zu sagen. Er ist ein Bewahrer, ja, das trifft es am ehesten. „Für diese Reichenauer Bilder hat sich ja niemand wirklich interessiert.“ In manchen Haushalten hing mal eins, das die Bewohner geschenkt bekommen hatten. „Aber dafür Geld ausgeben wollte doch keiner.“
Bei jedem Gemälde hat er versucht herauszufinden, welchen Ort es auf der Reichenau abbildet. Oft gar nicht so einfach. Vor vier Jahren hat er auf der Reichenau seine bisher einzige Ausstellung gemacht. Bei sechs von 60 Bildern wusste er nicht, welchen Ort der Insel sie zeigen, also beklebte er die Bilder mit Nummern und forderte die Reichenauer auf, ihm zu helfen herauszufinden, wo das sein könnte. Nicht wenige konnten die Bilder „verorten“.
Und so treibt sich der Auto-Restaurateur seit Jahrzehnten auf Auktionen herum, im Internet oder auch vor Ort, von Kempten oder München bis Karlsruhe oder Stuttgart. Und gibt Geld aus. Zwischen hundert und mehreren tausend Euro kosten die Objekte, manche fast naiv gemalt, andere künstlerisch hochwertig, wie die Bilder von Heinrich Lotter, einem der bekanntesten Reichenauer Maler. „Der Markt an Lotter-Bildern ist übrigens leergekauft. Von ihm gibt es nichts mehr.“ Denn große Teile lagern hier, im Büro der Werkstatt, gestapelt oder aufgestellt in Dreier- bis Fünferreihen.
So hat er einen Lotter entdeckt, der unter falschem Namen („Otter“) im Internet zum Verkauf angeboten wurde. Aber Böhler hat ihn erkannt und ist nach Karlsruhe gefahren, um das Bild persönlich abzuholen.
Wenn, dann richtig
Böhler war immer schon besonders. Einer der jüngsten Automechanikermeister in Baden-Württemberg. Mit 23 fertig, sodass sie beim Arbeitsamt meinten, so einem „Frischling“ könne man keine Werkstatt anvertrauen. Er solle doch für den Kartoffelbauer Sandmann in Egg die Erdäpfel ausfahren. Er lehnte ab und machte sich selbstständig. Böhler übernimmt in den 70ern die Werkstatt hier in Stadelhofen, ein Ort, an dem schon Wagen von Kutschen repariert, Pferdewagen gebaut und auf Maybach-Fahrzeuggestelle Busse gesetzt wurden. „Ein Wahnsinn, was hier los war.“
Irgendwann kaufte er einen Aston Martin und restaurierte ihn, ein Singener Geschäftsmann wollte ihn. „Die Reparatur hat mich 15.000 DM gekostet.“ Die der Singener nicht zahlte. Er verklagte ihn, bekam erst zehn Jahre später sein Geld. Aber inzwischen schauen viele mit ihren Oldtimern vorbei. Oder wollen einen von ihm erwerben. Einmal sogar der IKEA-Gründer Ingvar Kamprad, der in der Schweiz lebte. Seine Frau war von einem Morgan Plus 8 ganz begeistert, er stand nur wortlos daneben. Sie kauften nicht. „War ihm wohl zu teuer!“
Das ganze Gebäude ist inzwischen in die Jahre gekommen. Hinten gibt es einen schönen hellen Raum, ideal, um Bilder auszustellen. Aber viel zu feucht. „Man muss das wahrscheinlich alles abreißen und neu aufbauen.“ Aber damit muss sich dann der Sohn beschäftigen. Und wann werden Sie aufhören zu arbeiten? Die Antwort kommt prompt: Nie!
Böhler hat immer gerne gebastelt und getüftelt, schon als Jugendlicher auf der Reichenau, wo er in Berno Becks Werkstatt mitarbeitete. Und heute noch ist er für unkonventionelle Lösungen bekannt. Dann „kruschtelt“ er in seinen Kisten, in denen er lauter alte Kleinteile sammelt, und baut irgendetwas, was das technische Problem notfalls umgeht, sodass auch alte Autos laufen und laufen.
Und dann sind fast zwei Stunden vorbei und vieles noch gar nicht erzählt. Aber er muss los. Eine Frau aus der Nachbarschaft klingelt: „Kommsch mit? Mei Auto schpringt net a!“ Böhler antwortet mitfühlend: „Ach, der arme Kerl!“ Und damit meint er nicht sich, sondern das Auto.