Hillsong Church: Parallelwelt mitten in Peters­hausen

Die Hillsong Church hat ihren Hauptsitz in Konstanz. Kürzlich ist sie durch den fraglichen Umgang mit Spendengeldern aber auch mit den Mitgliedern in Kritik geraten. Was denken ehemalige Mitglieder über ihre Zeit in der Konstanzer Gemeinde? Und wie reagiert die Freikirche auf die Vorwürfe?
Wiebke ist Journalistin aus Leidenschaft. Gemeinsam mit Michael leitet…

„Wenn Freimut sich vor dreieinhalb Jahren bei mir entschuldigt hätte, wäre ich weggelaufen und hätte nie wieder darüber gesprochen. Das hat er nicht getan. Alles, was passiert ist, und alles, was noch kommt, passiert im Grunde nur deshalb.“ Max muss fast schon lachen, als ihm diese Worte über die Lippen gehen. Max ist Aussteiger der Freikirche Hillsong Church, die in Konstanz ihren deutschen Hauptsitz hat. Freimut Haverkamp ist der sogenannte Leading-Pastor, gemeinsam mit seiner Frau hat er 2004 in Konstanz seine erste Kirche gegründet, die später zur Hillsong Church wurde. 

Seit seinem Ausstieg aus der Hillsong Church im April 2019 geht Max mit seiner Kritik an der Freikirche offen um: Er postet seine Meinung auf seinem privaten Instagram-Account mit rund 1.700 Followern, war in diversen Podcasts zu Gast und ist auch in YouTube-Videos zu sehen. Seine Vorwürfe an Hillsong sind vielfältig, aber sein größter Kritikpunkt ist „der emotionale und geistliche Missbrauch von Macht und Autorität und die fehlende Einsicht und Kontrollinstanz, etwas ändern zu wollen“. Die Hillsong Church zählt zu den größten Freikirchen weltweit. Sie wurde 1983 in Australien gegründet und hat mittlerweile Standorte in 30 Ländern. Laut eigenen Angaben besuchen wöchentlich rund 150.000 Menschen die Gottesdienste der Mega-Kirche. Besonders bekannt ist Hillsong in der christlichen Szene für ihre professionelle Lobpreis-Musik. Einzelne Lieder von Hillsong haben auf YouTube bis zu 490 Millionen Aufrufe. 2011 wurde die von Haverkamp in Konstanz ursprünglich gegründete Freikirche Teil der Hillsong. Nach Angaben der hiesigen Gemeinde kommen mittlerweile 600 bis 700 Besucher:innen wöchentlich in die Gottesdienste in Konstanz. 

„Durch die Art und Weise, wie der Glaube gelebt, gefeiert und vermittelt wird, werden zumeist junge Menschen und junge Familien angesprochen. Da die meisten Freikirchen eigenständig agieren, können Veränderungen schneller und meist unkomplizierter umgesetzt werden als in einer Kirchengemeinde, die Teil einer großen Institution ist“, sagt Sandra Kemp, Diakonin im Bereich Weltanschauungsfragen bei der Evangelischen Landeskirche in Baden.

„Auf der anderen Seite sind Freikirchen aber auch immer auf die Spenden der Teilnehmenden angewiesen, um ihre Arbeit zu machen. Angebote und inhaltliche Ausrichtung sind damit deutlich abhängiger von den Besucherzahlen und deren Erwartungen.“

Diakonin Sandra Kemp

Konstanz, Geburtsstadt der Hillsong Germany

Hillsong ist im deutschsprachigen Raum zweigleisig organisiert. Unter dem Namen Hillsong Germany gibt es eine Zentrale in Konstanz, die auch Standorte in Düsseldorf, München, Wien und Zürich betreibt. „Den Campus Konstanz gibt es schon viel länger und hier sind auch alle zentralen Funktionen von Hillsong DACH konzentriert. Es ist sozusagen unser Headquarter für die gesamte deutschsprachige Region“, erklärt Roland Mayrl, der für die Pressearbeit von Hillsong Germany zuständig ist. Zusätzlich gibt es eine unabhängige Hillsong-Gemeinde in Berlin, die auch Standorte in Prag und Warschau hat.

„Hillsong ist wie ein McDonalds. Jeder McDonalds fühlt sich gleich an und das ist etwas, was die Hillsong auch schafft“, erklärt Max. „Egal wo du reinläufst, es wird 1:1 gleich aussehen und sich auch so anfühlen. Das fängt an bei der Liedauswahl, -geht über die gleichen Hierarchien bis hin zu den gleichen Teams, und sogar die Leute sehen gleich aus.“ Die Hillsong Church ist Teil der Pfingstbewegung. Was genau heißt das? „Kennzeichen dieser Gemeinden ist eine starke Betonung des Heiligen Geistes und den Geistesgaben, die Ausgangspunkt und zugleich Mittelpunkt der Frömmigkeit sind“, sagt Diakonin Kemp. „Bei charismatisch orientierten Pfingstgemeinden wird die Erlebnis- und Gefühlsebene des Glaubens betont und enthusiastische oder ekstatische Erfahrungen werden als Manifestationen des Heiligen Geistes gedeutet.“

Vom Fan zum Kritiker

Max war ein großer Fan von der Hillsong Church. Anfangs engagierte er sich fast täglich ehrenamtlich in der Kirche. Er war Jugendleiter, im Kids-Team, Leiter des Welcome-Teams, zuständig für die Taufen und im Campus-Leitungsteam von Hillsong Konstanz. Heute erkennt er eine Strategie hinter dem Engagement-Prinzip von Hillsong. Zuerst besucht man nur den Sonntagsgottesdienst, dann wird man gefragt, ob man Teil einer Kleingruppe sein möchte. Es gibt weitere Kurse und Angebote und plötzlich bleiben einem nur noch der Montag und Samstag frei. „Es ist super easy, mindestens drei von sieben Tagen bei der Hillsong zu verbringen. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für anderes übrig, dann besteht irgendwann dein ganzes soziales Umfeld aus Hillsong-Kontakten“, sagt Max. Während seiner aktiven Zeit kehrte er sogar früher aus dem Urlaub zurück, um keinen Sonntagsgottesdienst zu verpassen. Und er ging nach Sydney auf das Hillsong-College, um Pastor zu werden. 

Doch die Zeit am College und die schlechten Erfahrungen, die er dort machte, veränderten alles für ihn. Wenn er mitbekommen, hat dass schlecht über andere gesprochen wurde, hat er gefragt, warum. Zwei seiner Dozenten konnten ihn nicht leiden und haben ihm direkt gesagt, dass sie alles dafür tun würden, damit er das College verlassen müsse. Max selbst beschreibt seine Zeit am College als die Hölle.

„Die gleichen Muster auch in Deutschland zu sehen hat mich zu meinem Ausstieg gebracht: Keine Kontrollinstanzen, Kritik und Missstände werden unter den Teppich gekehrt und Kritiker ausgegrenzt, während Pastoren unfehlbar sind und ein Luxusleben genießen“

sagt Max.

Damit war sein Ausstieg aus der Hillsong so gut wie besiegelt. 

„Ich habe gesagt, wenn ich mir anschaue, wie diese Kirche hier funktioniert, dann will ich keine Kirche bauen. Hillsong war ja das Musterbeispiel über Jahrzehnte“, sagt Max. Als er merkte, dass die Freikirche nicht mehr der richtige Ort für ihn war, zog er von Konstanz nach Heidelberg. „Irgendwie habe ich gemerkt, dass das alles für mich nicht mehr passt, ich passe da nicht mehr rein, ich stelle anscheinend zu viele Fragen“, erzählt er im Gespräch. Wofür werden die Spendengelder wirklich verwendet? Warum werden Fehler nicht zugegeben? Warum entschuldigt sich niemand? Ein Jahr lang war Max anschließend in Therapie.

„Das war für mich der erste große Durchbruch, als ich gesagt habe: Hillsong ist für mich keine Kirche mehr, das ist für mich ein System und ich möchte kein Teil mehr von diesem System sein“

sagt Max rückblickend.

Damit kam der zweite Durchbruch: „Wenn ich kein Teil mehr von diesem System sein will, dann kann ich jetzt ja endlich mal sagen, was ich wirklich denke.“ Und dann hat Max angefangen, seine Erlebnisse auf Instagram zu posten – nicht zur Freude aller. Teils kamen Nachrichten, in denen es hieß, er würde die Kirche zerstören. Auch Vergleiche mit Judas blieben nicht aus. Max packt also aus und das schadet der Hillsong Church. Aber er macht weiter, weil er es wichtig findet. 

Auf Nachfrage von karla, wie der Umgang mit Kritik innerhalb der Gemeinde ist, heißt es: „Wir wissen, dass wir hier in der Vergangenheit Fehler gemacht haben, und lernen daraus. Wir nehmen Kritik sehr ernst. Wir wollen daraus lernen, um unseren Auftrag noch besser umzusetzen“, erklärt Mayrl. „Aber wir treten auch dagegen auf, wenn jemand mit falschen Vorwürfen versucht, die öffentliche Meinung zu manipulieren, Mitglieder unserer Kirche zu verletzen oder eine ganze Gemeinde beziehungsweise Glaubensgemeinschaft in Verruf zu bringen.“

Kritik am Umgang mit Spenden­geldern

Im Mai dieses Jahres sorgte der Podcast „Toxic Church“ von Kyra Funk für eine landesweite Debatte über die Freikirche Hillsong. Dabei wurde die Kritik an der Mega-Kirche laut, insbesondere in Bezug auf den Umgang mit Mitgliedern und deren Spenden. Das Recherchebüro Correctiv hat interne Finanzdokumente aus den Jahren 2010 bis 2015 untersucht. Diese Unterlagen haben den Journalist:innen gezeigt, dass die Kirche ihrem deutschen Vorstand und anderen Führungskräften luxuriöse Reisen, eine teure Wohnung in bester Lage in Düsseldorf, Dienstwagen, eine Lebensversicherung, Fitnessstudio-Besuche und teure Geschenke bezahlt hat. Die Finanzierung erfolgte auch durch Spenden der Anhänger:innen. Hat Hillsong Germany möglicherweise die Trennung zwischen zweckmäßigen Ausgaben und Ausgaben für Privates nicht eingehalten? 

Hillsong bestreitet die Vorwürfe der Veruntreuung von Spendengeldern.

Rolex, Riva, Luxusleben

Neben einem offiziellen Statement auf der Website und einem Video auf YouTube hat Hillsong noch mit einer internen sogenannten Heart-Night auf die Vorwürfe reagiert. In der Aufzeichnung, die karla vorliegen, dementiert Hillsong die Kritik und gibt darüber hinaus Einblick in die Organisation und die Abläufe von Hillsong. Interessant ist, dass Freimut Haverkamp sich an diesem Abend Ende Mai noch für einen anderen Fall rechtfertigt, der beweist, dass Spendengelder tatsächlich in Luxusgüter umgewandelt wurden: Haverkamp hat eine Rolex getragen, seinen Angaben nach ein Geschenk zu seinem 40. Geburtstag vom Hillsong-Gründer aus Sydney, Brian Houston. Als herauskam, wie bei Hillsong global mit Spendengeldern umgegangen wurde, kam auch heraus, dass die teure Uhr eben nicht von Brian Houston, sondern von Geldern der Hillsong Church bezahlt wurde. Daraufhin hat Haverkamp die Uhr nach eigenen Angaben zum Verkauf angeboten, die Erlöse sollen zurück in die Freikirche fließen.

Die Hillsong Church Germany bleibt aber dabei, dass die Spendengelder ausschließlich gemäß der Satzung verwendet werden und wurden. In der Satzung des 2013 gegründeten Vereins heißt es, dass ein „angemessener Teil der Vereinsmittel“ für die Erhaltung und Erneuerung der Baulichkeiten, Ausstattungen und Einrichtungen verwendet werden soll. „Mittel des Vereins dürfen nur für satzungsgemäße Zwecke verwendet werden“, steht in der Satzung, die vom Oktober 2016 ist und karla vorliegt. „Als gemeinnütziger Verein unterliegen wir strengsten Auflagen, die wir selbstverständlich einhalten, und schaffen sogar darüberhinausgehend Transparenz. So veröffentlichen wir jedes Jahr einen Jahresbericht, der über unsere Einnahmen und Ausgaben Auskunft gibt“, so Mayrl.

In den Abbuchungen, die Jonathan Sachse und Kyra Funk einsehen konnten, zeichnet sich ein anderes Bild. Eines von einer Kirche, die regelmäßig Übernachtungen in Luxushotels bezahlt hat – zum Beispiel einen Aufenthalt im Four Seasons Hotel in London im Jahr 2013, der rund 2.000 Euro gekostet hat. Darüber hinaus hat Hillsong Germany regelmäßig internationale Gäste im 5-Sterne-Superior-Hotel RIVA in Konstanz mit Blick auf den Bodensee untergebracht. Dort kostet ein Hotelzimmer hunderte Euro pro Nacht. „In der Vergangenheit haben wir das Riva tatsächlich vereinzelt für Übernachtungen von Gästen genutzt. Daran ist nichts Verwerfliches. Erstens ist es ein tolles Hotel, auf das wir wie auf viele andere Hotels in Konstanz stolz sein können, zweitens haben wir gute Konditionen erhalten. Heute haben wir andere Hotelrichtlinien und nutzen für unsere Gäste vor allem Hotels, die noch näher an unserer Location liegen“, sagt Roland Mayrl.

Über das Gehalt von Lead-Pastor Freimut Haverkamp kann nur gemutmaßt werden. Correctiv-Recherchen haben ergeben, dass es vier Abbuchungen für seine Gehälter aus den Jahren 2010 und 2013 gab, die zwischen etwa 2.800 Euro und rund 3.100 Euro variieren. In der Satzung des Vereins heißt es dazu: „An Vorstandsmitglieder können Vergütungen gezahlt werden insbesondere auf Basis abgeschlossener Anstellungsverträge (…) Vorstandsmitglieder und Vereinsmitglieder können auch nachgewiesene Auslagen und Aufwendungen erstattet werden. Insoweit sind auch Zahlungen von pauschalen Aufwendungsentschädigungen und pauschale Auslagenerstattungen zulässig.“

Freikirche ohne Freiheit?

Hillsong finanziert sich als Freikirche durch Spenden. Ehemalige Mitglieder berichten, dass die Mega-Kirche sehr aggressiv um finanzielle Unterstützung wirbt. Es gibt spezielle Predigten, die sich ausschließlich mit dem Thema Geld beschäftigen, gefolgt von Spendenaufrufen. Die offizielle Regel besagt, dass Gottesdienstbesucher:innen ein Zehntel ihres Bruttoeinkommens an die Kirche spenden sollen. Wer mehr gibt, soll angeblich einen größeren Segen erhalten. Zusätzlich gibt es regelmäßige Veranstaltungen, die zu weiteren Spenden animieren sollen. „Niemand wird zu irgendetwas angehalten oder gar verpflichtet. Wir wollen aber in allen Bereichen eine großzügige Kirche sein, auch bei unseren Finanzen. In diesem Sinne glauben wir auch an das biblische Prinzip des zehnten Teils. Es steht aber jedem offen, das für sich zu entscheiden“, erklärt Mayrl. 

In der Vereinssatzung heißt es dazu nur, dass die Vereinsmittel durch Spenden, Stiftungen und Vereinserlöse aufgebracht werden. Ein Mitgliedsbeitrag wird nicht erhoben. In der Diskussion um Hillsong kam auch immer wieder die Frage auf, ob Hillsong eine Sekte ist. Eine Freikirche ist eine religiöse Gemeinschaft, die sich von etablierten staatlichen Kirchen oder traditionellen Konfessionen abgrenzt, indem sie unabhängig von staatlicher Kontrolle agiert. Freikirchen sind deshalb oft flexibler in ihren Glaubensüberzeugungen, Organisationsstrukturen und Gottesdienstpraktiken als Sekten. Eine Sekte zeichnet sich vor allem durch radikale Glaubenssätze und die Abkapselung von sozialen Kontakten außerhalb der Gemeinschaft aus. Rein rechtlich kann jede:r die Hillsong einfach verlassen, es gibt keine Mitgliedschaft oder rechtliche Verpflichtung. „Jeder kann kommen und gehen, wann er will. Es ist eine reine Herzensangelegenheit. Wichtig ist uns, dass Menschen zu Jesus finden und dabei ermutigt und unterstützt werden. Wobei es uns natürlich freut, wenn jemand Hillsong langfristig als seine geistliche Heimat erlebt“, so der Hillsong-Sprecher. Diakonin Kemp ordnet ein:

„Grundsätzlich ist die Hillsong-Church nicht in den Bereich der religiösen Sondergemeinschaften einzuordnen. In der Regel kann man die Gemeinden ohne große Probleme verlassen und es wird von Menschen in der Gemeinde nicht erwartet, dass sie ihre Beziehungen zu Menschen außerhalb der Gemeinde abbrechen. Allerdings können hohe moralische Ansprüche an die individuelle Lebensführung, Erwartungen an eine verbindliche Mitarbeit in der Gemeinde und finanzielle Verpflichtungen (wie die Abgabe des sogenannten Zehnten) zu Konflikten und Problemen führen“

so die Diakonin weiter. 

Die Extrameile gehen

Diese Erwartungen hat auch Sandra, ehemaliges Mitglied der Hillsong Church, gespürt. Irgendwann befand sie sich bei Hillsong in einem Hamsterrad und hatte das Gefühl, dass sie immer noch mehr machen und „die Extrameile gehen“ müsse. Sie sagt: „Der Vibe bei Hillsong war: Gott liebt Menschen, die die Extrameile gehen.“ Und so ging sie die Extrameile, war vier Tage in der Woche mit Hillsong beschäftigt, hat versucht, das Engagement in der Kirche mit ihrer Ausbildung und dem Nebenjob unter einen Hut zu bekommen. Zeit für sie selbst blieb ihr kaum bis gar nicht. „Ich hatte kein gutes Verständnis von meinen Grenzen“, sagt Sandra rückblickend. Das hat sie nachhaltig beeinflusst.

Noch heute stressen sie volle Terminkalender. Trotzdem betont sie, dass sie sich freiwillig engagiert hat – auch wenn die Kirche das Engagement pushte. „Wenn du da wirklich wachsen willst, den Ort wirklich kennenlernen willst, dann musst du bei uns mitmachen“, hieß es. „Wie sie reagiert hätten, wenn ich nur sonntags einmal im Gottesdienst gewesen wäre, weiß ich nicht. Ich war direkt all in“, sagt Sandra. Von Hillsong selbst heißt es dazu: „Engagement ist ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Und so ist natürlich auch das freiwillige Engagement in unserer Gemeinde groß. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass wir unser Bestes geben, die ‚Last‘ auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Daran arbeiten wir weiter und sind unglaublich dankbar für jeden, der sich engagiert.“

Bei Hillsong herrscht eine klare Hierarchie. An der Spitze stehen sieben Vorstände, darunter Freimut Haverkamp, der sowohl Lead-Pastor von Hillsong Germany–gemeinsam mit seiner Frau Joanna – als auch Campus-Pastor in Düsseldorf ist. Die Lead-Pastoren bilden die nächste Ebene direkt unter den Vorständen und stehen über den Campus-Pastoren und anderen Mitarbeitenden. Zwar ging die von Freimut Haverkamp gegründete Freikirche 2011 in die Hillsong über, erst 2013 gab es allerdings eine Gründungsversammlung des Vereins. Darin wurden Freimut Haverkamp (Konstanz), George Aghajanian (Australien) und Manuel Weiner (Konstanz) als Vorsitzende gewählt. Nur drei Jahre später gab es dann eine Mitgliederversammlung auf Bali. Laut einem Protokoll, das der karla Redaktion vorliegt, fand am 26. Oktober 2016 im Luxusresort W Spa & Retreat die Mitgliederversammlung des Vereins Hillsong Church Germany statt. Unter den Teilnehmenden war auch Brian Houston, Gründer und bis 2022 Hauptpastor der Hillsong Church in Sydney. Wie dem Protokoll zu entnehmen ist, legten sechs Personen, darunter Freimut Haverkamp, ihre Mitgliedschaft im Verein nieder. Trotzdem wurde Freimut Haverkamp in derselben Sitzung zum Vorsitzenden des Vorstands gewählt. In vielen Vereinssatzungen steht geschrieben, dass Vorstandsämter nur durch Vereinsmitglieder besetzt werden können. Enthält die Satzung darüber keine Regelung, so wie bei Hillsong, ist die Mitgliedschaft für den Vorstand nicht zwingend nötig. 

„Hierarchie ist so ein Freikirchen-Ding“, sagt Sandra, die vor Hillsong auch schon in einer anderen Freikirche Mitglied war. Sie hat die Lead-Pastoren nie kennengelernt. „Bei Hillsong gibt es starke Hierarchien, bis weit nach unten auf Gottesdienstbesucher-Ebene und da war ich. Ich hatte das Gefühl, ein kleines Licht in der Gemeinde zu sein.“ Doch das war für sie auch in Ordnung so. Weil sie während ihrer Hillsong-Zeit und in ihrer Ausbildung selbst nicht viel verdient hat, hat sie zumindest finanziell nicht viel in die Freikirche investiert. Als durch die Recherche von Kyra Funk und Correctiv herauskam, dass sehr großzügig mit den Spendengeldern umgegangen wird, hat sie das nicht überrascht. „Das ist schon ein herber Schlag für Leute, die über die Jahre hinweg sehr viel in die Hillsong investiert haben“, sagt sie. 

Den Schein nach außen wahren

Zita war schon gläubig, bevor sie regelmäßig zu Hillsong ging. Doch als sie für das Studium nach Konstanz kam und die Hillsong kennenlernte, veränderte das den Umgang mit ihrem Glauben. „Bei mir und vielen in meinem Umfeld war es früher so, dass wir uns für unseren Glauben geschämt haben und eigentlich vor unseren normalen Freunden nicht zugeben wollten, dass wir in die Kirche gehen“, sagt Zita. Durch Hillsong wurde das umgekehrt: „Wir haben gemerkt: Kirche und Glaube kann auch cool sein.“ Was damals bei Zita gezogen hat, sieht sie heute als eine bewusste Strategie von Hillsong:

„Als Jugendliche ist man ja in der Findungsphase und genau da greift Hillsong ein und unterstützt einen. Wenn junge Leute aber nur in der Hillsong-Bubble sind, dann werden sie sehr schnell davon eingenommen und kapseln sich ab.“ 

Zita

Das gab es bei Zita nie. Es gab nie nur die Hillsong, immer auch ein weiteres soziales Umfeld. „Ich hatte das Glück noch andere Freundeskreise zu haben, die mich auf dem Boden gehalten haben“, sagt Zita heute. Sie hat dadurch eine gewisse Distanz zur Hillsong gewahrt. In ihrem Journalismus-Studium in Stuttgart hat sie selbst mal einen Beitrag über ihre frühere Gemeinde geschrieben. Und sich die Frage gestellt, ob Hillsong eigentlich eine Sekte ist. Für ihren Beitrag hat sie auch mit einer Sektenforscherin und einer Psychologin und vielen Konstanzer:innen gesprochen. Die Frage: Wie wirkt die Hillsong auf euch? Im Nachgang an die Veröffentlichung hat sie Nachrichten von Mitgliedern der Hillsong Church bekommen, in denen ihr gesagt wurde, dass das Negative aus dem Artikel bei den Leuten immer mehr hängenbleibe.

„Ich glaube, so ist das bei vielen Dingen. Die Hillsong versucht es nach außen hin anders darzustellen, als es ist, aber das habe ich auch erst gemerkt, als ich weg war“

sagt Zita.

Zita hat immer sehr offen darüber gesprochen, dass sie Hillsong-Mitglied war. Warum auch nicht, schließlich war sie ja sehr begeistert von allem, was sie dort erleben konnte. „Ich hatte nie das Gefühl, unter Druck gesetzt zu werden, aber ich habe mich selber unter Druck gesetzt, weil ich eine gute Christin sein wollte“, sagt Zita. Auch sie verbrachte mehrere Tage in der Woche mit ehrenamtlicher Jugendarbeit bei Hillsong. Engagieren kann man sich bei Hillsong zum Beispiel für Wohnungslose oder Jugendliche, aber auch in unterschiedlichen Organisationsteams, zum Beispiel für die Gottesdienste am Sonntag. Zita fasst sich dabei auch an die eigene Nase: „Ich wollte immer überall dabei sein.“ Ihre einzige negative Erfahrung: Als sie einmal eine Freundin mit zu Hillsong gebracht hat, wurde diese zunächst nett aufgenommen, bis sie erzählt hat, dass sie lesbisch ist. Plötzlich wurde sie ausgegrenzt. „Das geht für mich gar nicht“, sagt Zita entschlossen. „Das widerspricht der angeblichen Modernität der Hillsong.“ Von Hillsong heißt es zum Vorwurf der Homophobie: „Wir haben überhaupt nichts gegen homosexuelle Menschen. Im Gegenteil: Wir lieben und respektieren sie wie alle anderen Menschen auch.“

Den Glauben verloren

Heute wird Zita ungern mit der Kirche in Verbindung gebracht. Zu den Vorwürfen gegen Hillsong hat sie eine klare Position: „Wenn sie das alles zu verantworten haben, dann müssen sie auch aushalten, dass es veröffentlicht wird. Ich hoffe, dass es auch in der Führungsebene ankommt und Konsequenzen hat“, sagt Zita.

„Ich hatte oft das Gefühl, dass vieles verheimlicht wird, damit man das gute Bild wahren kann. Ich finde: Man muss das offenlegen, und wenn sich Leute dann immer noch der Kirche anschließen wollen, dann ist es okay. Aber wenn Diskriminierung versteckt wird, ist das eine Gefahr für Leute, die nur das Äußere sehen.“

Zita

Zitas Credo bei Hillsong war immer: „Alles, wo ich nicht selbst dahinterstehe, verbreite ich auch nicht weiter.“ Sie weiß aber auch: „Es gibt viele Leute, die sich gar nicht so reflektieren, die rutschen dann in den Strudel rein, auch Glaubenssätze zu übernehmen.“ 

So wie Zita hat auch Sandra hat mit Hillsong abgeschlossen. 2017 ist sie aus der Kirche ausgetreten, wohnt mittlerweile auch nicht mehr in Konstanz. Und noch etwas hat sie hinter sich gelassen: ihren Glauben. Sie hat gemerkt, dass ein Glaube, bei dem man sein Leben ganz dem Willen Gottes unterwirft, nicht ihr Glaube ist. „Wo kannst du im Glauben noch wachsen? Das war schon immer sehr pushy von Hillsong. Es ging die ganze Zeit darum, wo man noch wachsen kann, weil Gott eine Entwicklung sehen will“, sagt Sandra. Die Hillsong macht sie für ihren Glaubensverlust aber nicht verantwortlich: „Ich war am allermeisten sauer auf meinen Gott und nicht so sehr auf Hillsong. Aber Hillsong war ein Katalysator“, sagt sie. Vielleicht wäre es in einer anderen Gemeinde anders gelaufen, vielleicht wäre es anders gelaufen, hätte sie nicht das Gefühl gehabt, eine aufkommende Beziehung nicht zulassen zu dürfen.

Irgendwann ist Sandra dann einfach nicht mehr hingegangen, in die Schneckenburgstraße. Damit brach auch der Kontakt zu den anderen Mitgliedern ab, denn plötzlich fehlte die gemeinsame Grundlage. In ihrer übrigen Zeit in Konstanz erlebte sie die Stadt ganz anders. Statt jeden Tag in der Hillsong zu helfen und nach der Extrameile zu streben, konnte sie einfach mal tun, was junge Frauen mit Anfang 20 tun. Sie unternahm viel mit ihren Freundinnen aus der Ausbildung, ging feiern und verliebte sich. Im Oktober 2018 zog sie dann aus Konstanz weg. Heute sagt Sandra:

„Ich würde niemandem davon abraten, in die Hillsong zu gehen, aber ich würde sagen: Denk das gut durch, pass gut drauf auf, was du möchtest. Wenn komische Gedanken oder Gefühle aufkommen, dann schieb sie nicht einfach weg. Bleib immer bei dir, frage dich immer, was du möchtest und was die Kirche möchte.“