Warum queere Jugendliche in Konstanz mehr Hilfe brauchen

Queere Jugendliche sind besonders häufig Opfer von Diskriminierung und gleichzeitig sehr vulnerabel. Fest steht: Es braucht Unterstützung – doch gerade daran mangelt es aktuell in Konstanz. 
Wiebke ist Journalistin aus Leidenschaft. Gemeinsam mit Michael leitet…

Pauline hat mit dem Queer Skate Club einen Safe Space für queere Menschen in Konstanz geschaffen. Inspiriert vom Queer Skate Club in Amsterdam ging es zunächst vor allem ums Skaten. Daraus wurde schnell eine Community, die sich gegenseitig unterstützt. Mittlerweile ist der Club auch eine Anlaufstelle für Probleme queerer Menschen in Konstanz. Doch das kann der ehrenamtlich organisierte Club nicht leisten: „Der Bedarf wird immer größer und kann nicht auf das Ehrenamt abgewälzt werden“, sagt die 23-jährige Gründerin des Clubs.

„Das kann nicht in unserer Verantwortung bleiben.“

Pauline, Queer Skate Club

Queer ist ein Sammelbegriff für Personen, deren geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung nicht der zweigeschlechtlichen oder heterosexuellen Norm entspricht. Der Begriff „queer“ war lange Zeit ein Schimpfwort, wird aber seit den 1990er Jahren von der queeren Community als Selbstbezeichnung verwendet und positiv besetzt.

Die Chancengleichheitsstelle der Stadt hat mit der Mobilen Jugendarbeit im September eine Umfrage durchgeführt, um herauszufinden, inwiefern in Konstanz Bedarf für die Unterstützung queerer Jugendlicher besteht. Rund elf Prozent der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland beschrieben sich als queer. „Gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung, Transidentität oder auch nur geschlechtsuntypisches Verhalten werden häufig lächerlich gemacht oder abgewertet, und zwar nicht nur von anderen Jugendlichen, sondern auch von der eigenen Familie und in den Bildungseinrichtungen“, heißt es im Bericht zur Umfrage.

Vulnerable Gruppe ohne Unterstützung

Das Ergebnis der Umfrage ist eindeutig: In Konstanz gibt es zwar Anlaufstellen, an die sich queere Jugendliche wenden können, diese sind jedoch nicht auf LSBTIQ*-Themen spezialisiert. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten aus der Beratung und Sozialarbeit in Konstanz hatte bereits Kontakt mit Jugendlichen zu LSBTIQ*-Themen. Die besprochenen Themen waren vielfältig: sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität, Coming-out, Umgang des Umfelds, Diskriminierung und psychische Probleme.

Die deutsche Abkürzung LSBTIQ steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queers. Das Sternchen wird als Öffnung und Platzhalter für weitere, nicht benannte Identitäten hinzugefügt (LSBTIQ*).

„Es gibt nicht nur bei Jugendlichen einen Bedarf, sondern auch bei vielen Erwachsenen, die ihre Jugend quasi nachholen. Dann kann es auch um Themen wie Diskriminierung oder die erste Liebe, Selbstfindung und Ausgrenzung von der Familie gehen“, sagt Pauline. Ezgi, die ebenfalls im Skateclub organisiert, ergänzt: „Wenn du dich zum Beispiel als trans identifizierst, dann ist das ein sensibles Thema für dich, weil du als junger Mensch sowieso schon Schwierigkeiten damit hast und vielleicht auch Diskriminierung erlebst“, sagt die 25-Jährige.

„Wenn du dann Beratung suchst, dort aber mit transphoben Fragen konfrontiert wirst, vielleicht auch aus Unwissenheit des Gegenübers, dann fühlst du dich wieder allein gelassen. Menschen in dieser Phase sind nicht stabil und man kann es sich nicht leisten, in Fettnäpfchen zu treten.“

Ezgi, Queer Skate Club
Pauline und Ezgi vom Queer Skate Club Konstanz. Foto: Wiebke Wetschera

Bedarf steigt, aber das Angebot fehlt

Studien belegen, dass queere Jugendliche besonders häufig von Diskriminierung oder Gewalt betroffen sind und aufgrund ihrer eigenen Identitätsfindungsprozesse vulnerabler sind als andere Jugendliche.

„Wenn diese Aufgabe nicht von einer offiziellen Stelle übernommen wird, sind wir gezwungen, damit umzugehen. Das ist gefährlich, weil wir nicht ausgebildet sind und unsere eigenen Themen haben“

sagt Ezgi. Queer Skate Club

Sie sieht als Zielgruppe einer Beratungsstelle für Queere nicht nur die queere Menschen selbst, sondern auch ihre Eltern, Lehrer:innen oder Geschwister. „Wenn sie einer queeren Person helfen wollen, brauchen auch sie eine Ansprechperson, die sie unterstützen kann.“

Julia Funk hat als Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Konstanz das Thema bisher in der Verwaltung vorangetrieben. Auch wenn sie nach baden-württembergischem Recht nur für die Gleichstellung von Frauen und Männern zuständig ist, ist es ihr ein Anliegen:

„Haushaltspolitisch ist es ein ungünstiger Zeitpunkt, aber vielleicht haben wir in Konstanz auch 20 Jahre lang den Zug verpasst. Andere Kommunen haben sich früher auf den Weg gemacht“

so Funk. Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Konstanz
Julika Funk

Trotzdem betont sie, dass sie weder zuständig sei noch Kapazitäten für das Thema habe. Die Umfrage der Stabsstelle Chancengleichheit zeigt, dass die Anfragen von Jugendlichen zu LSBTIQ*-Themen in den letzten Jahren zugenommen haben. Aber nur ein Viertel derjenigen, die bereits Kontakt mit Jugendlichen zu LSBTIQ*-Themen hatten, konnten diese auch adäquat unterstützen. Der generelle Bedarf, den es für queere Jugendliche in Konstanz gibt, kann durch die bestehenden Angebote bisher nicht gedeckt werden. Es muss sich also etwas ändern.

„Wir haben zwar eine stolze Regenbogenfahne an der Rheinbrücke, aber in der Politik kommt das bisher kaum vor“, sagt Nina Röckelein von der Freien Grünen Liste. Sie selbst identifiziert sich als bisexuell, ist also Teil der queeren Community. „‚Queer‘ bedeutet außerhalb der gesellschaftlichen Norm, wir lieben und leben außerhalb der gesellschaftlichen Norm. Queer sein ist in Konstanz immer noch außerhalb der Norm, da hilft auch eine Fahne an der Rheinbrücke nicht viel.“

Im Gegensatz zu Nina Röckelein schien es anderen Beteiligten im Jugendhilfeausschuss sichtlich unangenehm, das Kind beim Namen zu nennen. Alfred Kaufmann, Leiter des Sozial- und Jugendamts, hat in seinen Redebeiträgen zum Thema queere Jugendliche im Jugendhilfeausschuss nicht einmal das Wort „LGBTIQ*“ oder „queer“ verwendet. Stattdessen sprach er immer von „das Thema“: „Uns ist bewusst, dass wir heute nur einen ersten Aufschlag machen können“, so Kaufmann im Jugendhilfeausschuss. „Immerhin zeigt sich große Offenheit mit dem Thema umzugehen.“

Bisher finden queere Menschen vor allem Zugang zu ihrer Community im Queer Skate Club. Viele der Mitglieder sind auch jeden Montag ab 20 Uhr in der Queer-Kneipe im Contrast. An der Uni gibt es zum Beispiel die queere Hochschulgruppe und die Queere Anlaufstelle an der Uni Konstanz (QuAK). Weitere Möglichkeiten, um sich mit der Community zu vernetzen, zeigt der Queer Guide Bodensee.

Endlich auf der politischen Agenda

Pauline und Ezgi vom Queer Skate Club sind in erster Linie dankbar, dass die Unterstützung für queere Jugendliche nun endlich in der Politik diskutiert wird. Aber sie sind auch frustriert: „Jetzt fängt es an, aber erst nach jahrelangen Forderungen aus unserer Community“, sagt Ezgi. Trotzdem sagen sie: „Wir werden das Thema nicht loslassen, wir werden als Community nicht aufgeben.“ 

Wenn es nach ihnen ginge, soll es in Konstanz in Zukunft eine feste Anlaufstelle für die Beratung queerer Menschen geben. Bisher können 71 Prozent der befragten Stellen in Konstanz queeren Jugendlichen zwar teilweise helfen, verweisen aber meist an andere Stellen – oft außerhalb des Landkreises Konstanz, zum Beispiel in Freiburg oder Stuttgart. „Es kann nicht sein, dass Menschen aus Konstanz weit fahren müssen, um fachkundige Beratung zu bekommen“, sagt Matthias Schäfer vom Jungen Forum im Jugendhilfeausschuss.

Pauline und Ezgi wünschen sich im Idealfall mehrere Psycholog:innen mit entsprechendem Fachwissen, um die Menschen angemessen beraten und unterstützen zu können. Sie müssen nicht zwangsläufig selbst Teil der Community sein, aber zumindest in engem Kontakt mit ihr stehen. Außerdem wünscht sich Pauline Weiterbildungen für bereits ansässige Beratungsstellen und Therapeut:innen sowie ehrenamtliche Stellen hier. „Es ist noch ein langer Weg, aber er lohnt sich – vor allem, wenn es um Jugendliche geht“, sagt Pauline.

„Wir können sagen, was wir wollen und brauchen, aber alles andere muss von der Verwaltung kommen.“

Pauline, Queer Skate Club

Folgen den Worten auch Taten?

Auch der CSD Konstanz-Kreuzlingen wünscht sich endlich mehr Unterstützung: „Queere Jugendliche sowie ihre potenziellen Ansprechpersonen und Anlaufstellen brauchen Ihren Rückhalt! Im Moment sind diese in der Stadt Konstanz und im Landkreis Konstanz im Umgang mit ihren Themen auf sich allein gestellt“, teilte der CSD in einer Stellungnahme mit. Der Vorstand des Vereins wünscht sich ein klares Bekenntnis zur Situation queerer Jugendlicher und konkrete Maßnahmen für die spezifischen Belange queerer Jugendlicher. „Zeitlich begrenzte Projekte müssen verstetigt und professionalisiert werden. Den Bestandsaufnahmen bestehender Angebote und Defizite müssen konkrete Maßnahmen folgen“, heißt es in der Stellungnahme weiter.

Konkrete Maßnahmen sind genau das, wobei Ezgi und Pauline nun ihre Sorgen haben.

„Wir müssen schauen, ob die Fahne, die Diskussion im Jugendhilfeausschuss und das geplante Treffen mit der Chancengleichheitsstelle nur Show ist oder auch wirklich etwas passiert“

sagt Ezgi. Queer Skate Club

Gemeinsam mit der Fachstelle LSBTTIQ Baden-Württemberg bietet der Arbeitskreis Respekt eine Fortbildungsreihe zur Vielfalt von Geschlecht, Sexualität und Liebe an. Die Weiterbildung richtet sich an Fachkräfte aus dem Landkreis Konstanz, die in der Jugendsozialarbeit oder als Lehrkraft mit Jugendlichen arbeiten. Die erste Veranstaltung mit dem Titel “Queere Jugendliche – Lebenswelten, Zugänge und Barrieren” findet am 7. Dezember online statt.

Im Jugendhilfeausschuss haben zwar viele signalisiert, dass sie das Thema für wichtig halten, aber konkret beschlossen wurde nichts. „Wir brauchen eine eigene Beratungsstelle für queere Themen. Denn sie muss auch von der Community angenommen werden. Momentan können wir nicht erwarten, dass queere Jugendliche mit ihren Problemen zu Pro Familia gehen“, sagt Julika Funk.

Sie will ein Treffen mit der queeren Community organisieren, um die Bedürfnisse zu besprechen. Wie es danach weitergeht, ist noch offen. „Das sind alles gute Ideen, die wir sammeln müssen“, sagt Andreas Osner, der Bürgermeister für Soziales, Bildung und Kultur, im Jugendhilfeausschuss. „Aber wir sind noch lange nicht so weit, dass wir ein Konzept vorlegen können.“ Für die queere Community heißt es also weiterhin: Geduld haben – und weiter für die eigenen Interessen kämpfen.