Das Foto zeigt das Stadtbild von Konstanz.

42 Quadratmeter pro Kopf? Warum wir unsere Art zu wohnen ändern müssen

Während der Wohnungsmangel in Konstanz weiter voranschreitet, leben viele von uns immer noch mit sehr viel Platz. Fest steht: So wie bisher können wir nicht weitermachen. Aber: Wie kann die Zukunft des Wohnens in Konstanz aussehen? Eine Recherche.
Wiebke ist Journalistin aus Leidenschaft. Gemeinsam mit Michael leitet…

Einerseits: Platz. Viel Platz. 42,5 Quadratmeter haben Mieter:innen in Konstanz im Durchschnitt zur Verfügung. Pro Kopf. Deutschlandweit liegt die Zahl mit 48,5 Quadratmetern sogar noch etwas höher. Die Wohnfläche pro Kopf ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Als Hauptursache dafür nennt Winfried Kropp, Pressesprecher des Deutschen Mieterbunds Bodensee, dass die Haushalte aufgrund der demographischen und sozialen Entwicklung immer kleiner werden. Insbesondere die Zahl der Single-Haushalte wächst. Wenn Kinder aus der Familienwohnung ausziehen und eigene Haushalte gründen oder wenn Ehepartner versterben, wächst zwangsläufig die Wohnfläche, die den verbliebenen Familienmitgliedern bleibt. In Konstanz leben mittlerweile nur noch 1,9 Personen pro Haushalt. Das ist weniger als im Landesschnitt. 

Anderseits: fehlender Wohnraum. Laut einer Studie des Hannoveraner Pestel Instituts sowie des schleswig-holsteinischen Instituts Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen Kiel ist der Wohnungsmangel in Deutschland so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr: Zum Jahresende 2022 haben rund 700.000 Wohnungen bundesweit und 2.400 Wohnungen im Landkreis Konstanz gefehlt.

Bundesweit haben Ende 2022 mehrere hunderttausend Wohnungen gefehlt.
Grafik: Jehona Miftari

Das Handlungsprogramm Wohnen der Stadt Konstanz geht davon aus, dass von 2016 bis 2035 ein Bedarf von insgesamt 7.900 neuen Wohnungen im Stadtgebiet besteht. Geht es nach dem Deutschen Mieterbund Bodensee, sollte diese Zahl nach wie vor das politische Handeln von Oberbürgermeister und Gemeinderat anleiten.

„Es gibt also derzeit zu wenig Wohnungen und der Wohnungsbau ist nicht ausreichend, um die bestehende Lücke und den zu erwartenden weiteren Bedarf zu decken. Die Schere zwischen Wohnungsangebot und -nachfrage droht auseinanderzugehen und somit die Preise nach einer kurzen Atempause wieder in die Höhe zu treiben“,

sagt Winfried Kropp, Pressesprecher des Mieterbunds. 
Das Foto zeigt Winfried Kropp.
Winfried Kropp vom Mieterbund Bodensee. Foto: Wiebke Wetschera

„Eigentlich ist es kaum mehr möglich, Wohnungen zu bauen.“

Malte Heinrich von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, WOBAK, beschreibt die aktuelle Situation wie folgt: „In Konstanz ist es schon immer schwierig gewesen, eine Wohnung zu finden. Jetzt wird es gerade schwierig, überhaupt eine Wohnung zu bauen“, so der Referent der Geschäftsführung. Denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie das Zinsniveau oder die Baukosten sind massiv gestiegen. „Eigentlich ist es in der Situation kaum mehr möglich, Wohnungen zu bauen, außer natürlich in dem Segment ganz oben, wo es dann auf ein paar tausend Euro mehr oder weniger bei den Baukosten nicht mehr ankommt.“ Eine Klientel, die die WOBAK nicht bedient, denn ihr Ziel ist es, sozialen Wohnungsbau in Konstanz voranzutreiben.

Die Kosten für das Bauen steigen immer weiter.
Grafik: Jehona Miftari

3.000 Wohnungssuchende hat die WOBAK bei sich registriert, pro Jahr werden aber nur 250 Wohnungen vergeben. Um der hohen Nachfrage gerecht zu werden, kauft die WOBAK auch Grundstücke und baut neu. Doch auch das geht aufgrund der steigenden Kosten zurück: 2021 hatte die WOBAK noch sieben Projekte, momentan ist nur ein Projekt in der Brandenburger Straße (48 Wohnungen) im Bau, ein weiterer Bau in der Leipziger Straße (16 Wohnungen) wird im Oktober beginnen. Die 64 Wohnungen werden aber erst 2025 fertig sein, wenn alles nach Plan läuft. Als kürzlich die Stadt bei der Wohnungsbaugesellschaft wieder nachfragte, welche Wohneinheiten in diesem und im nächsten Jahr fertiggestellt werden würden, hieß es: keine.

„Entweder wir müssen Mieten verlangen, die für unsere Zielgruppe, also Menschen mit niedrigem bis mittleren Einkommen, völlig unbezahlbar sind. Da brauchen wir nicht zu bauen“, sagt Heinrich. „Oder wir verlangen niedrige Mieten, aber dann sind die Projekte wirtschaftlich nicht tragbar.“

Das Foto zeigt Malte Heinrich von der WOBAK.
Malte Heinrich von der städtischen Wohnungsbaugenossenschaft, WOBAK. Foto: Wiebke Wetschera

Klar ist: Konstanz hat nur begrenzt Platz. Es braucht also intelligente Konzepte, die sich vor allen Dingen nochmal mit dem Quadratmeterbedarf pro Kopf auseinandersetzen. Susanne Dürr ist Architektin und Professorin für Städtebau und Gebäudelehre an der Hochschule Karlsruhe. Sie sagt: „Wir müssen die Grundsatzfrage stellen: Wie viel Raum braucht jeder und jede und wofür brauchen wir diesen Raum?“ Aus Sicht der Professorin gibt es zwei Kernbedürfnisse beim Wohnen: privaten und gemeinschaftlich nutzbaren Raum. Privater Raum ist essentiell, aber reduzierbar – im Extremfall bis auf ein abschließbares Schrankfach in einer Obdachlosenunterkunft, so die Expertin. Neben diesem Bedürfnis nach Privatem gibt es auch viele Möglichkeiten, Dinge und Raum zu teilen. „Warum braucht jeder eine Waschmaschine? Warum braucht jeder ein Gästezimmer?“, so Dürr. „Es gibt viele Aspekte, die reduzierbar sind und durch solidarisches wie pragmatisches Denken anders organisiert werden können.“

Trend geht zu gemeinschaft­lichem Wohnen

Auch das Handlungsprogramm Wohnen der Stadt Konstanz setzt auf Qualität statt Quadratmeter. Das zeigen neue Baugebiete wie die Christiani-Wiesen. Doch bis zur Umsetzung war es ein langer Weg. Zum einen musste die Stadt erst die Grundstücke kaufen, um handlungsfähig zu sein. Zum anderen gab es gerade am Horn und beim Hafner teils auch heftige Proteste gegen die Bebauungen. Das sorgte für jahrelange Verzögerungen. „Ich hoffe, dass die Stadt bald in die Umsetzungsphase bei diesen Projekten kommt. Zu lange haben Politik und Verwaltung bei diesen Projekten auf Blockierer Rücksicht genommen“, sagt Winfried Kropp vom Mieterbund.

Die Studie „Wohntrends 2040“ vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. zeigt, dass die Stadt Konstanz zumindest konzeptionell auf dem richtigen Weg ist: Den Erhebungen zufolge setzt die junge Generation mit deutlich steigenden Prozentzahlen das Thema Gemeinschaftsorientierung, Sozialverträglichkeit, Nachhaltigkeit in einen ganz anderen Fokus, als sie das vor zehn Jahren getan hat. „Und damit zeigt sich, dass sich Heranwachsende gar nicht mehr die Frage stellen, ob das ein spezielles Bedürfnis ist, sondern das gehört mit zu einer breiteren Wahrnehmung“, sagt Professorin für Städtebau, Susanne Dürr. Immer wichtiger wird laut der Studie auch das Thema Nachhaltigkeit. 61 Prozent der befragten Haushalte ist es wichtig, dass die Vermietenden klimabewusst handeln. Für Personen unter 30 Jahren und Familienhaushalte ist das besonders von Bedeutung. Und fast die Hälfte der Befragten will Gegenstände gemeinschaftlich nutzen. So gibt es ein steigendes Interesse an Gemeinschaftsräumen und Car-Sharing in Nachbarschaften. Fast jede:r zweite Befragte äußerte Interesse an einer „Bibliothek der Dinge“, einem Ort, an dem beispielsweise der Bohrer ausgeliehen und gemeinschaftlich in der Nachbarschaft genutzt werden kann, anstatt ihn selbst zu kaufen. Insbesondere Baugemeinschaften arbeiteten mit hohem Engagement an Konzepten für neue Wohnformen. Zu diesen Modellen zählen Wohnformen, die auf mehr Gemeinschaft setzen.

Wohnbaugenossenschaften sind selbstverwaltete, gemeinnützige Organisationen, in denen Mitglieder Wohnraum zu günstigen Preisen schaffen und gleichzeitig als Eigentümer:innen und Nutzer:innen Verantwortung für die Instandhaltung und Verwaltung tragen.

Baugruppen sind Zusammenschlüsse von Personen, die gemeinsam Wohnungen oder Häuser bauen und diese entweder selbst verkaufen oder vermieten. Sie bieten individuelle Gestaltungsmöglichkeiten für zukünftige Bewohner:innen.

Community Land Trusts (CLTs) sind gemeinnützige Organisationen, die Land erwerben, es für die Gemeinschaft bewahren und erschwingliche Gebäude darauf errichten. Bewohner:innen nutzen die Gebäude, besitzen jedoch nicht das Land. CLTs fördern den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum und die Stabilität von Gemeinschaften. In Konstanz sind sie bisher nicht vertreten.

Neues Wohnen im Paradies: Das Habitat Grenzbach

Genau diesem solidarischen Gedanken folgt die Gruppe Habitat Grenzbach. Auf dem Gelände des ehemaligen Technologiezentrums soll – wenn es nach ihnen geht – künftig anders gewohnt werden: „Die persönlichen Flächen fallen eher klein aus, die Qualität des Wohnens entsteht durch die Gemeinschaftsbereiche“, sagt Sabine Seeliger, ehemalige Gemeinderätin und OB-Kandidatin der FGL in Konstanz. Sie hat die Gruppe Habitat Grenzbach, die mittlerweile rund 20 Mitglieder umfasst, gemeinsam mit ihrem Mann Günther Schäfer gegründet. Sie stehen in den Startlöchern, um ihr Konzept für die Fläche im Paradies in den Ring zu werfen. 

Das Foto zeigt Günther Schäfer und Sabine Seeliger vom Habitat Grenzbach.
Günther Schäfer und Sabine Seeliger vom Habitat Grenzbach. Foto. Wiebke Wetschera

Der Umzug des Technologiezentrums Konstanz hinterließ 2021 am Grenzbachareal eine Lücke. Zum Jahresbeginn 2022 startete die Zwischennutzung der bestehenden Gebäude durch die Kita Grenzbach, das Café Mondial, die Kunstschule Konstanz sowie Büro- und Lagerflächen. Kurz vor der Sommerpause hat der Gemeinderat beschlossen, noch ein weiteres Grundstück am Grenzbach zu kaufen, das bisher nicht der Stadt gehörte. Vier Millionen Euro zahlt die Stadt dafür, dass sie dann zwischen der Schulthaiß- und der Blarerstraße einen durchgehenden Geländestreifen besitzt. Der Plan der Stadt: Das Areal soll sich sukzessive mit Wohn-, Arbeits-, Gewerbe- und Kulturflächen füllen. Bleiben soll die Kita, die übrigen Flächen will sie jedoch in Erbpacht an eine Baugruppe vergeben. „Obwohl es eine vergleichsweise kleine Fläche ist, ist es für für das Quartier und den Stadtteil eine sehr wichtige und interessante Fläche. Mitten im Paradies ist sie eine der wenigen Entwicklungsflächen, die wir haben“, sagt Marion Klose, Leiterin des Amts für Stadtplanung und Umwelt.

Das Foto zeigt Marion Klose, Leitern des Amts für Stadtplanung und Umwelt der Stadt Konstanz.
Marion Klose, Leitern des Amts für Stadtplanung und Umwelt der Stadt Konstanz. Foto: Wiebke Wetschera

„Vorgesehen ist hier kein reines Wohnquartier, sondern eine gemischte Nutzung und bestenfalls gemeinschaftlich organisiert, damit auch für das Paradies selber ein großer Mehrwert entsteht.“ 

Marion Klose

2021 hat die Stadt Konstanz ein Planungsverfahren durchgeführt, das Architekturbüro Trachsler Hoffmann gewann den Architekturwettbewerb. Der Entwurf sieht ein dreigliedriges, in Holzbauweise mit Laubengängen erstelltes Wohnhaus für 130 Menschen vor, das in der Mitte ein zu erhaltendes Bestandsgebäude mit Gewerbenutzung überspannt. „Wir finden den Entwurf sehr gut und wollen nur an der Aufteilung innerhalb der Gebäude etwas ändern“, so Seeliger. Die Idee der Gruppe sieht vor, günstiges und ökologisches Wohnen zu ermöglichen. Ebenfalls Teil des Konzepts: ein hauseigener Waschsalon auf dem Dach, Car-Sharing, ein Café, Co-Working, Lagerräume im Keller und Sharing-Angebote für Haushaltsgeräte. 

Die Pläne für das Grenzbachareal. Visualisierung: Studio Trachsler-Hoffmann, Zürich (CH) / Bernhard Zingler, Landscape Projects, Zürich (CH)

Das Vorbild in Österreich

In Wien sind solche Wohnformen schon lange Alltag. Der Blick über die Grenze dient auch als Inspiration für Konstanzer Projekte wie das Habitat Grenzbach. Die Gründer:innen des Wohnprojekts Wien haben sich 2009 kennengelernt. Die Vision bei der Gründung war, ein Haus zu bauen, in dem nachhaltiges Leben ermöglicht wird. „Das bedeutet, Dinge zu teilen und Räume gemeinschaftlich zu nutzten, damit die einzelnen Bewohner:innen weniger Fläche und Dinge verbrauchen“, sagt Bewohnerin Barbara Nothegger. Es gibt einen großen Fahrrad-Abstellraum, ein Lebensmittellager, drei Gäste-Apartments, eine große Gemeinschaftsküche für Feste, ein gemeinschaftlich genutztes E-Auto, einen Gemüsegarten, eine gemeinsam genutzte Werkstatt. Eigentümer ist ein Verein, der die Wohnungen an die Vereinsmitglieder vermietet. Die Bewohner:innen sind Mitglieder des Vereins. „Dadurch ist gesichert, dass das Haus dem Immobilienmarkt und Spekulation entzogen ist und niemand auf Kosten der Bewohner:innen Gewinne macht“, sagt Nothegger.

Alle Wohnungen im Konzept des Habitats Grenzbach orientieren sich an den förderfähigen Größen für sozial gebundenen Wohnraum. Ein gewisser Anteil von Wohnungen wird auch an Menschen ohne Wohnberechtigungsschein und für sozial Benachteiligte vergeben. Hausverwaltung, Hausmeisterdienste und Gartenpflege sollen von den Bewohner:innen in Gemeinschaftsarbeit erledigt werden. Außerdem plant die Gruppe sogenannte Cluster-Wohnungen, bei denen sich mehrere selbstständige Wohneinheiten mit je ein oder zwei kleinen Zimmern, Teeküche und Bad einen großen Gemeinschaftsraum mit Aufenthalts-, Koch- und Essbereich teilen.

„Eine Clusterwohnung ist eine Wohnform, die in bestimmten Lebensphasen oder auch als generationenübergreifendes Angebot eine Alternative bietet“, sagt Susanne Dürr, die diese vor allem als Wohnform für junge Menschen, die noch auf der Suche sind, oder ältere Menschen, die eine andere Form des Zusammenlebens ausprobieren wollen, sieht. „Es ist ein wesentliches und die notwendige Vielfalt ergänzendes Angebot“, sagt Dürr. Aber: „Die Clusterwohnung ist aufgrund der Tatsache, dass alle Privaträume mit einer Nasszelle und oft mit einer Mini-Kochzeile in Ergänzung zum gemeinschaftlichen Kochen ausgestattet sind, eine relativ teure Wohnform.“ Sanitäranlagen sind immer ein Kostenfaktor. Wer sich Clusterwohnungen nicht leisten kann oder will, für den passt vielleicht eine Wohngemeinschaft, in der Küche und Bad geteilt werden. Wichtig ist dem Habitat Grenzbach auch die Möglichkeit zum Wohnungstausch innerhalb des Hauses. Die Idee dahinter: Menschen sollen in verschiedenen Lebensphasen genau so viel privaten Raum erhalten, wie sie brauchen.

Flexibilität statt starren Grundrissen 

Auch Susanne Dürr wünscht sich mehr Flexibilität beim Wohnraum. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden Standardwohnungen vielfach reproduziert. Wer an die Nachkriegsbauten aus den 50ern denkt oder an die Plattenbauten der 70er-Jahre hat direkt ein Bild vor Augen. Das Bild entsteht, weil diese Art von Wohnungsbau vielfach die gleiche Wohnlösung bietet.

Das Foto zeigt Susanne Dürr.
Susanne Dürr, Professorin für Städtebau. Foto: Architektenkammer Baden-Württemberg

„Diese gleichen Lösungen, orientiert an der Familie mit zwei Kindern, passen nicht mehr zur heutigen Vielfalt unserer Lebensformen“, sagt Susanne Dürr. Heute gibt es viele unterschiedliche Familien, sie bekommen später Kinder, andere gar nicht, einige wechseln den Ort, häufig sind beide Partner berufstätig, der Job ist nicht immer in der gleichen Stadt.

„Und immer verändert sich der Bedarf an Raum. Auch der Anspruch an ein Quartier verändert sich. Unsere Lebensmodelle sind abenteuerliche und ständig im Wandel befindliche Konstrukte. Aber die Bestandswohnungen sind uniform und nicht wandelbar. Ich kann nicht ein Zimmer weggeben oder eins dazu mieten. Wir brauchen auch kleinere Wohnungen und wir brauchen flexiblere Angebote.“

sagt Dürr

Dürr nennt als Beispiel die Mischung von Familienwohnen und Wohngemeinschaften. „WGs haben kürzere Zyklen, die dazu führen, dass einmal im Jahr oder sogar im Semester jemand auszieht. Dann können die Mitglieder der Familienwohnung daneben sich überlegen, Raum zusätzlich zu beanspruchen oder abzugeben“, sagt Dürr. Wenn beispielsweise ein weiteres Kind erwartet wird oder ein Kind auszieht. „Beim Thema Flexibilität hilft es, wenn wir Wachstum und Schrumpfung miteinander denken und beides ermöglichen.“ Auch das Thema Wohnen und Arbeiten muss aus ihrer Sicht neu gedacht werden. Wenn vor Jahrzehnten Arbeiten laut, umweltbelastend und großteilig war, dann ist die Arbeit heute weniger laut und emittierende sowie deutlich kleinteiliger durch Digitalisierung. Das Arbeiten kann aus den Gewerbezonen wieder in die Stadt zurückkehren und eine andere Durchmischung ermöglichen. Dürr spricht von einer Stadt der kurzen Wege, einem vielfältigen 24-Stunden-Quartier, in dem sich die Nutzung nicht auf acht, sondern 24 Stunden fokussiert.

Das Wohnprojekt Konstanz 

„Die Zeit der Einfamilienhäuser ist vorbei“, sagt Annabel Holtkamp, Mitglied vom Wohnprojekt Konstanz.

„Wir wollen weg von ‚My home is my castle‘ hin zu einem gemeinschaftlichen und ökologischen Miteinander, indem wir privaten Wohnraum zugunsten von Gemeinschaftsflächen reduzieren und nicht mehr jeder ein eigenes Auto besitzt.“

Annabel Holtkamp

Im November 2015 hat sich dafür eine Gruppe von Konstanzer:innen zusammengetan und das Wohnprojekt Konstanz gegründet. Ihr Ziel: Spekulationsfreien und bezahlbaren Wohnraum für die Mitglieder schaffen und gemeinsam sozial, generationenübergreifend und nachbarschaftlich zusammenleben. Inzwischen ist das Wohnprojekt eine eingetragene Genossenschaft mit rund 130 Mitgliedern, darunter 30 Kinder. Acht Jahre sind seit der Gründung vergangen, ein konkretes Projekt realisieren konnte die Genossenschaft bisher noch nicht. Sie wollen aber am Döbele und am Horn ihr Glück versuchen.

Das Foto zeigt Annabel Holtkamp in einer Konstanzer Gasse.
Annabel Holtkamp vom Wohnprojekt Konstanz. Foto: Wiebke Wetschera

Nach vielen Jahren Durstrecke geht es auf den Christiani-Wiesen nun endlich voran: Ende Juli wurde im Gemeinderat der Bebauungsplan für das neue Quartier „Am Horn“ abgesegnet. Nach der Sommerpause startet das Konzeptvergabeverfahren und das Wohnprojekt kann das lang erarbeite Konzept endlich aus der Schublade holen. „Nachdem nun alle Einwände sowohl von den Anwohnern als auch von den verschiedenen Verbänden wie NABU und BUND abgelehnt wurden, ist die Stadt nun am Zuge, das Modellquartier zu realisieren. Wir stehen in den Startlöchern“, sagt Holtkamp. Das Konzept sieht neben einem Waschraum, einem Café, regionalen Lebensmitteln und Car-Sharing auch die Öffnung ins Quartier vor. Im Anschluss an das Vergabeverfahren sollen 2024 die Bagger rollen. Mit Blick auf die zähe Warterei, die hinter der Genossenschaft liegt, sagt Holtkamp: „Es ist wichtig, dass wir jetzt sehen, dass es voran geht, für unsere Motivation und im Hinblick auf steigende Baukosten.“ 

Die Pläne der Zukunftsstadt am Horn. Copyright: feld72 Architekten und TREIBHAUS Landschaftsarchitektur

Bedingt durch die Größe des Quartiers wird es am Horn Platz für unterschiedliche Gruppierungen geben. Auch die WOBAK hat Interesse bekundet. Ein Wohnprojekt, das die Felder des Handlungsprogramms Wohnen in die Tat umsetzt: Marion Klose betont den Modellcharakter des Quartiers: „Wir hatten immer den Anspruch, mit dem LexiKON und der Entwicklung des Modellquartiers einen Werkzeugkoffer für flächeneffizientes Bauen in der Hand zu haben. Das Horn ist der Prototyp, der dann an anderen Stellen auch weiterentwickelt und realisiert werden kann.“ Modellcharakter hat an dem Projekt vor allem eins: Der Platz für Autos wird kleiner – der Stellplatzschlüssel liegt bei 0,2 Plätzen pro Wohnung. Die Landesbauordnung schreibt als Regelfall vor, dass man einen Stellplatz pro Wohnung bauen muss. Um Abweichungen davon muss man kämpfen. Dabei sind Stellplätze teuer. „In Konstanz müssen bei solchen Projekten eigentlich immer Tiefgaragenstellplätze gebaut werden und die sind sehr, sehr teuer“, sagt Malte Heinrich. „In einem Interview mit dem Kollegen Patrick Detzel von der Baugenossenschaft Biberach habe ich gelesen, dass er bei seinem Neubauprojekt in Biberach von 70.000 bis 75.000 Euro pro Stellplatz ausgeht.“ Wer weniger Stellplätze baut, spart sich neben Kosten auch Platz. „Das funktioniert natürlich nur, wenn man insgesamt als Quartiersgemeinschaftbereit ist zu teilen, sei es Auto, Fahrrad, Räume, Gärten bis hin zu Dienstleistungen. Und mit diesem Ansatz kann ich nicht nur die Flächen wirklich entscheidend reduzieren“, sagt Marion Klose.

„Damit beschreitet man gleichzeitig gemeinsam einen Weg und erzeugt dadurch sofort Nachbarschaften und Quartiersgemeisnchaft. Und darum geht es doch, die Stadt zum einen nachhaltig sondern auch gemeinwohlorientiert weiterzubauen und nicht irgendwo am Rand der Stadt nur Wohnungen hochzuziehen.“

Marion Klose

Von einer Gemeinschaft am Horn träumt auch das Wohnprojekt Konstanz und hat deshalb beim Quartier Am Horn Durchhaltevermögen bewiesen. Eine Beobachtung, die auch Susanne Dürr macht: Für Baugruppen ist es oft ein langer Weg bis zur tatsächlichen Umsetzung der Projekte. Sie sieht aber eine positive Entwicklung: „Es gibt auch Genossenschaften oder Kommunen, die sich ebenfalls auf den Weg machen. Die Stadt Tübingen schaut auf eine 30-jährige Lernerfahrung zurück, Baugemeinschaften und jetzt eine Dachgenossenschaft werden von kommunaler Seite gestützt.“ Sie sieht Konstanz auch auf dem Weg dahin. „Es ist bedauerlich, dass aufgrund des Planungsstaus in der Stadt kaum eine der vorhandenen Initiativen ihre Ideen umsetzen konnte. Die veränderte Baukonjunktur und die gestiegenen Zinsen sorgen dafür, dass aus innovativen Konzepten Träume wurden“, erklärt Kropp vom Mieterbund. Und warnt: „Welcher durchschnittliche Mieterhaushalt, denkt bei der Wohnungssuche an ein Gästezimmer und kann sich das auch leisten?“

Und wer kann sich das leisten?

Eine wichtige Frage aber ist noch nicht geklärt. Wer kann sich die Wohnungen Am Horn oder auch am Grenzbach leisten? Zwar streben das Wohnprojekt und auch das Habitat Grenzbach an, bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen. Aber wie? Sowohl das Wohnprojekt Konstanz als auch das Habitat Grenzbach sehen in ihren Konzepten sozialen Wohnungsbau vor. Doch die Mietpreise sind am Ende auch abhängig davon, wie viel sich die Stadt das jeweilige Grundstück kosten lässt. „„Es gibt den Ansatz, Grund und Boden in kommunaler Hand zu halten und Erbpachtrecht zu vergeben, das dann wie eine Miete bezahlt werden muss. Damit sind die Akteure nicht schon zu Beginn der Bautätigkeit finanziell überstrapaziert, weil das Grundstück nicht vorab bezahlt werden muss“, sagt Susanne Dürr. 

Das System der Erbpacht könnte sowohl am Horn als auch beim Grenzbachareal greifen, geklärt ist das noch nicht. „Die Kommune muss darauf achten, dass Bürger Unterstützung für etwas erhalten, was anderen auch zustehen würde oder was dem Quartier zugute kommt. Es sollte auch nicht möglich sein, die Immobilie bei einem Generationenwechsel mit hohem Gewinn zu verkaufen. Es ist wichtig, sicherzustellen, dass Boden der Spekulation entzogen wird“, so Dürr. 

Bewerten wird das Grundstück ein unabhängiger Gutachter, der wird Licht ins Dunkel bringen, wenn es um künftige Mietpreise geht. Aufgrund des hohen Mietniveaus müssen insbesondere Familien in Konstanz zusammenrücken. Viele Mieter:innen können sich in Konstanz nur kleinere Wohnungen leisten als anderswo und passen ihre Nachfrage entsprechend an. Das aber hat Folgen, so Winfried Kropp:

„Der Mangel an bezahlbaren familiengerechten Wohnungen führt dazu, dass Familien mit Kindern aus der Stadt Konstanz abwandern. Wir können außerdem davon ausgehen, dass in den Städten mittlerweile ein Drittel aller Familien in zu beengten Verhältnissen wohnt.“ 

Winfried Kropp

Wie bringt man Menschen zum Verzicht? 

„Ich finde das Beispiel der Waschmaschine eigentlich prägnant: In Großstädten gibt teilweise bis zu 50 Prozent Single-Haushalte. Warum müssen alle eine Waschmaschine haben?“, sagt Susanne Dürr. Doch sie blickt positiv in die Zukunft:

„Die kommunalen Verwaltungen, die Planungsbüros und Rechtsberatungen haben viel Wissen gesammelt, Anreize werden gesetzt und Unterstützung geboten. Ich wünsche mir eine Bürgerschaft, die auch die Mehrwerte erkennt und Freude an einer gemeinsamen Waschmaschine und der damit verbundenen Begegnung mit der Nachbarin haben kann. Und das nicht als Einschränkung der Privatrechte betrachtet.“

Susanne Dürr

In Konstanz scheitert der Wechsel in kleine Wohnungen oftmals an zwei Dingen: am Willen und an den Kosten. Bei der Tauschbörse der WOBAK suchen ständig Menschen nach größeren Wohnungen, aber niemand will sich verkleinern. „Diese Idee scheitert zumeist daran, dass die kleineren Wohnungen teilweise wesentlich teurer als die derzeit gemieteten größeren Wohnungen sind. Niemand ist so dumm, sich auf einen solch nachteiligen Tausch einzulassen“, sagt Winfried Kropp. „Wohnungstauschprogramme funktionieren allenfalls, wenn die Miete der neuen Wohnung günstiger als die der alten Wohnung ist.“

Geht es um die effiziente Nutzung von Wohnflächen, kann man sich den geförderten Wohnungsbau als Vorbild nehmen. „Der ist eigentlich schon ein großes Erfolgsmodell, was effektive Flächennutzung angeht, weil wir da ja Wohnflächenvorgaben haben“, sagt Malte Heinrich, der Referent der Geschäftsführung der WOBAK. „Vier-Zimmer-Wohnungen mit 90 Quadratmetern Fläche sind nicht für Paare vorgesehen, sondern für vierköpfige Familien. Im Sinne der knappen Flächen auch sinnvoll. Das ist auch ökologisch sinnvoll. Von daher ist es eigentlich schon ein guter Ansatz.“ Aber eben nur, wenn Familien nach dem Auszug der Kinder oder einer Scheidung auch die Möglichkeit und den Willen haben, sich zu verkleinern. Heinrich sieht hier die Chance in den richtigen Konzepten:

„Eigentlich muss es für mich, wenn ich heute auf 100 Quadratmeter wohne, genauso attraktiv sein, in eine kleinere Quartierswohnung zu ziehen, wo Dinge einfach smarter gebaut werden und ich mich bewusst entscheide, auf weniger Quadratmetern zu wohnen, weil es mir viel mehr bringt.“ 

Marion Klose

Fest steht: Gegen fehlende und zu teure Wohnungen gibt es nicht die eine Lösung. „Wir müssen vielmehr viele Wege gehen und alle vorhandenen Instrumente dazu nutzen“, sagt Winfried Kropp. Die Unterstützung innovativer Baugemeinschaften und Wohnformen ist für ihn ein Weg. Der Kommunalpolitik klarzumachen, dass Wohnungspolitik eine ihrer Hauptaufgaben ist, ein weiterer:

„Die Menschen benötigen ein bezahlbares Dach überm Kopf.“

Winfried Kropp, Mieterbund

Einerseits muss die Stadt alle ihre Möglichkeiten nutzen, um einen kompletten Einbruch des Wohnungsbaus zu verhindern. Dazu zählt, dass die WOBAK mit ihrem Neubauprogramm nicht nachlassen darf. Die Stadtplanung wiederum muss für die Flächen, die planerisch noch in der Entwicklung sind, so schnell wie möglich Baurecht schaffen. Und wir an unseren Standards für das Wohnen schrauben.