Smalltalk im November 2022 klingt so: „Habt ihr schon die Heizung an?“ Ja, die Energiekrise beschäftigt uns alle. Regelmäßig gibt es neue Meldungen zu steigenden Strom- und Heizungskosten. Die Energiekrise ist ein weltweites, aber genauso ein lokales Thema. Denn: Das Potenzial bei der Energiewende liegt in den Landkreisen und Kommunen, oft sogar in Quartieren und Nachbarschaften. „Durch die Energiewende können und müssen Strom und Wärme viel dezentraler und lokaler gedacht werden. Also, wie kann ich mit Gebäuden und auf meinem Grundstück selbst Energie erzeugen?“, sagt Professor Thomas Stark aus dem Fachgebiet Energieeffizientes Bauen der HTWG Konstanz.
Fest steht: Unsere Energieversorgung bleibt in den nächsten zehn Jahren eine Mischung aus erneuerbaren und fossilen Energieträgern. Denn der Umstieg auf erneuerbare Energien passiert nicht von jetzt auf gleich. Eine Mischung ja, doch wie kann das Verhältnis aussehen? „Die Herausforderungen der Wärmewende sind seit langem bekannt. Nichtsdestotrotz haben fossile Wärmeversorgungslösungen in der Vergangenheit erneuerbare Lösungen aufgrund niedriger fossiler Energiepreise verdrängt“, sagt Lorenz Heublein, Klimaschutzbeauftragter der Stadt Konstanz. Eine Situation, die sich mittlerweile gedreht hat. Bedeutet: Spätestens jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um in Erneuerbare zu investieren. Wo steht die Stadt? Das zeigen die Zahlen aus einer gemeinsamen Kooperation von CORRECTIV.Lokal und karla. CORRECTIV.Lokal hat die Daten der Landesämter für Statistik und des Bundesamtes für Statistik aufbereitet. Wir von karla haben die Daten des Landkreises als Basis für diesen Artikel ausgewertet. Wo steht Konstanz bei der Energiewende?
Die Energiewende erfordert ein Umdenken in der Verwaltung, bei den Eigentümer:innen und Bürger:innen. Der Umstieg kann nur gelingen, wenn alle gleichermaßen dabei sind. Deshalb organisieren wir am 29. November 2022 ab 19.30 Uhr im Seegold unser erstes karla Wohnzimmer zum Thema „Energiekrise als Wendepunkt? Konstanzer Zukunftsperspektiven“. Wir wollen Menschen in Konstanz miteinander ins Gespräch bringen und konstruktiv dazu beitragen, die Energiewende in der Stadt mitzugestalten. Jetzt anmelden!
Aber mal von vorne. Was wir alle wissen: In Deutschland fehlt es an Gas, denn Russland liefert nicht mehr so viel wie bisher. Die Energieversorger müssen deshalb am Markt Gas einkaufen, zu einem deutlich höheren Preis. Der Preis an der Börse stieg über ein Jahr lang an, im Oktober sank der Gaspreis erstmals wieder. Gasversorger, wie beispielsweise die Stadtwerke, haben mit ihren Gaslieferanten meist Verträge über mehrere Jahre hinweg abgeschlossen. Das ist der Grund dafür, weshalb viele von uns die Preiserhöhungen erst im Laufe des Jahres bekommen haben.
Gas spielt eine essenzielle Rolle bei der Energieversorgung in Deutschland. Jede zweite Wohnung bundesweit wird mit Gas geheizt, in Konstanz sind Erdgas und Erdöl noch immer die beiden zentralen Quellen für Wärme. Der Gaspreis der Stadtwerke Konstanz hat sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Seit 1. Oktober 2022 zahlen 2-Personen-Haushalte statt bisher 7,7 Cent nun 18,9 Cent pro Kilowattstunde – ausgehend von einem durchschnittlichen Gasverbrauch von bis zu 7.300 Kilowattstunden pro Jahr. Sind die steigenden Preise im Zuge der Energiekrise also positiv für die Energiewende? Jein. „Krisen erfordern schnelle Entscheidungen“, sagt Professor Stark und spielt damit auf die Entscheidung der Bundesregierung an, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, um den Bedarf zu decken. Der Umstieg auf Erneuerbare hingegen braucht Zeit. Andererseits: In puncto Akzeptanz und Verständnis für den Umschwung hilft die Energiekrise. „Erneuerbare Energien sind das Mittel, langfristig unabhängig zu sein – auch von anderen Ländern. Wenn das Gas knapp und teuer wird und beim Nachbarn die Photovoltaikanlage für die hauseigene Wärmepumpe arbeitet, versteht das jeder und jede.“
So läuft eine Energieberatung ab
Der Heizspiegel für Deutschland von der gemeinnützigen Beratungsgesellschaft co2online zeigt die Entwicklung der Heizkosten exemplarisch für eine 70 Quadratmeter große Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Demnach mussten Mieter:innen, die mit Erdgas heizen, 2014 durchschnittlich 825 Euro pro Jahr bezahlen. Während der Wert 2021 sogar darunter – bei 820 Euro – lag, ist die Prognose für 2022 ernüchternd: Mit 1.370 Euro wird hier gerechnet. Bei anderen Heizarten wie Heizöl (1.440 Euro), Fernwärme (1.040 Euro) sowie Wärmepumpen (1.285 Euro) sind die Prognosen ähnlich hoch. Einzig für das Heizen mit Pellets erreicht der Wert mit 890 Euro noch keine vierstellige Zahl. Im Vergleich zu 2019 ist allerdings auch hier ein deutlicher Anstieg – um 300 Euro – zu verzeichnen.
Mit Gas kann nicht nur Wärme, sondern auch Strom produziert werden. Gas ist deshalb bisher so beliebt, weil Kraftwerke damit sehr schnell Strom erzeugen können. So können höhere Bedarfe zum Beispiel im Winter ausgeglichen werden. Erneuerbare wie Windkraft oder Solarenergie hingegen sind volatil, das bedeutet, sie haben wetterbedingte Schwankungen in der Verfügbarkeit.
Der Strompreis der Stadtwerke Konstanz verdoppelt sich zum 1. Januar 2023: Ein 2-Personen-Haushalt mit einem durchschnittlichen Verbrauch von 1950 Kilowattstunden pro Jahr zahlt dann monatlich 95,92 Euro für seinen Strom. In der gesamten Stadt Konstanz werden nach Angaben der Stadt 280 Gigawattstunden Strom pro Jahr verbraucht – nur 20 Gigawattstunden davon, rund 7 Prozent, werden heute mit Sonnenkraft erzeugt. „Theoretisch kann man heute schon die ganze Stadt erneuerbar versorgen“, sagt Professor Stark von der HTWG. Dafür müsste man so viele Photovoltaikanlagen bauen, wie Konstanz an Strom verbraucht – an der Zahl 40.000 Solaranlagen. Ausgehend davon, dass eine typische Solaranlage im Durchschnitt 7.000 Kilowattstunden pro Jahr erzeugt.
Diese Flächen müssen in einer dicht besiedelten Kommune jedoch erst gefunden werden. Hinzu kommt, dass der Strombedarf in den nächsten 10 bis 20 Jahren durch die Umstellung auf Wärmepumpen und Elektromobilität voraussichtlich auf etwa das Doppelte steigen wird.
Mittlerweile gibt es in Baden-Württemberg die Solarpflicht, die sowohl für Neubauten als auch für Bestandsgebäude im Sanierungsfall gilt. Durch Neubauten und Dachsanierung werden bisher aber nur 1 bis 1,5 Prozent des Gebäudebestandes in Konstanz pro Jahr mit Solarpanels ausgestattet. Die Chance für Solaranlagen liegt dabei zwar auch im Stadtgebiet, aber vor allem im Landkreis. „Wir müssen Energie immer auf regionaler Ebene denken, zum Beispiel auf Landkreisebene. Bei den Nahrungsmitteln ist es ja auch so, dass diese im Umland angebaut und in die Stadt geliefert werden. Warum sollte es bei Energie anders sein?“, sagt Professor Stark. Würde man – ergänzend zur Nutzung der Potenziale an Gebäuden und Verkehrsflächen – nur rund fünf Prozent der vorhandenen landwirtschaftlichen Nutzfläche zusätzlich für Photovoltaikanlagen nutzen, könnten wir den Landkreis auch langfristig komplett erneuerbar mit Strom versorgen.
Bisher hat die Strategie, den Photovoltaik-Ausbau zu fördern, nur mäßig funktioniert. Solar sollte mehr als Geldanlage genutzt werden, zum Beispiel für lokale Unternehmen. „Der Ausbau erneuerbarer Energietechnologien hat nicht nur im Hinblick auf den Klimawandel und die Unabhängigkeit von Energieimporten eine sehr positive Wirkung, sondern auch auf die Möglichkeit einer lokalen Wertschöpfung“, sagt Professor Stark. Ausgaben für die Energieversorgung fließen dann nicht ins Ausland, sondern unterstützen den Aufbau und Erhalt einer dezentralen Versorgungsinfrastruktur vor Ort. Die Investitionsmöglichkeiten in den Solarausbau bieten „für alle Bevölkerungsschichten und Unternehmen Möglichkeiten, sich mit eigenem Kapital zu beteiligen und an der Wertschöpfung zu profitieren“, so Stark.
Neue Wohngebäude im Landkreis: 29 Prozent der Gebäude werden noch mit Erdgas beheizt
Um dem weiter steigenden Bedarf an Wohnraum gerecht zu werden, muss Konstanz weiter wachsen, heißt: bauen. Mit der Energiewende geht es dabei nicht mehr nur darum, den Verbrauch möglichst gering zu halten, sondern ihn darüber hinaus mit erneuerbaren Energien zu decken. Im Landkreis Konstanz wurden von 2016 bis 2020 1.833 Wohngebäude neu gebaut. Mehr als die Hälfte davon – 59 Prozent – wurde mit erneuerbaren Energien als Heizung ausgestattet. Das zeigen Daten des Landesamts für Statistik in Baden-Württemberg und des Bundesamtes für Statistik aus der gemeinsamen Kooperation von CORRECTIV.Lokal und karla. Eine gute Nachricht: Damit liegt der Landkreis deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt von rund 41 Prozent. Erneuerbare Wärme wird aus Energieträgern wie Geothermie, Umweltthermie (Luft/Wasser), Solarthermie, Biogas/Biomethan und sonstiger Biomasse gewonnen. Im Landkreis Konstanz liegt der Wert der Gasheizungen bei 29 Prozent.
Lange Zeit galt die Investition in erneuerbare Energien als nicht wirtschaftlich. Das hat sich mittlerweile gedreht: Fossile Lösungen zur Wärmeversorgung wie Öl, Gas und Kohle sind derzeit teurer als strombetriebene. Dadurch entstehen Chancen im Wärmemarkt. „Die Nutzung dieser Energiepotenziale für die Wärmewende wird einiges an Herausforderungen mit sich bringen, die es in Konstanz zu stemmen gilt“, sagt Lorenz Heublein. Im weniger dicht besiedelten Raum können dezentrale Wärmepumpen eine Lösung sein, die die Luft oder den Boden als Energiequelle nutzen.
In Ballungsräumen können großflächige Wärmenetze mit Energiequellen wie Seewasser, abgeklärtes Wasser der Kläranlage oder auch Abwärmepotenziale aus dem Industriegebiet die Wärmewende lokal weiterbringen. Die Stadt strebt den Ausbau vieler kleiner dezentraler Wärmepumpen und mehrerer großer zentraler Wärmepumpen an – im Einklang mit der Stromnetzplanung. Zum Hintergrund: Wärmepumpen benötigen Strom als Antriebsenergie, der damit erhöhte Stromverbrauch kann beispielsweise mit Photovoltaikanlagen gedeckt werden. Der Stromverbrauch verdoppelt sich zwar, aber die fossilen Brennstoffe wie Öl, Gas und Kohle fallen weg. Dadurch sinkt der gesamte Energieverbrauch. Zudem ist erneuerbarer Strom deutlich effizienter: Es werden weniger Kilowattstunden zum Heizen eines Raums benötigt als mit fossilen Energieträgern.
Bisher noch ungenutztes Potenzial für die Wärmegewinnung liegt im Bodensee. Nach Angaben der Stadtwerke ist das Potenzial zumindest in der Theorie „unendlich groß“. In der Praxis sei es eine große Herausforderung, heißt es auf Anfrage. „Eine Antwort darauf, welches Potenzial die Seewärme konkret hat, gibt es in diesem Sinne also nicht. Projektspezifisch sind die Stadtwerke Konstanz aber aktuell dabei, zu elaborieren, wie das theoretische Potenzial praktisch genutzt werden kann.“ Auf unsere Anfrage bei den Stadtwerken kommen statt Antworten offene Fragen zurück: Welche technischen Möglichkeiten gibt es? Wo ist die Nutzung sinnvoll? Kann das thermische Potenzial so genutzt werden, dass sozialverträgliche Preise heraus kommen? Bis das Potenzial der Seewärme genutzt werden kann, gilt es diese Fragen erstmal zu beantworten.
Laubenhof, Hafner, Horn: Ein Blick auf konkrete Wohnprojekte
Auf Immobilienportalen wird Gas als der zentrale Energieträger für die Wohnungen beim kürzlich fertiggestellten Neubauprojekt Laubenhof angegeben. Wir fragen nach: Warum? „Die Planung für das Energieversorgungskonzept im Projekt Laubenhof hat bereits im Jahr 2016 und somit drei Jahre vor Ausrufung des Klimanotstands und sieben Jahre vor der Gaskrise begonnen“, sagt Daphne Demetriou, Pressesprecherin der LBBW. „In Projekten dieser Größenordnung sind mehrere Jahre Planung notwendig, sodass kurzfristige weltpolitische Veränderungen nicht ad hoc in der Ausführung berücksichtigt werden können.“
Das Energiekonzept, das gemeinsam mit den Stadtwerken Konstanz erarbeitet und umgesetzt wurde, setzt auf drei wesentliche Energiequellen: Wasser-Wärmepumpen, gasbetriebene Blockheizkraftwerke und Photovoltaikanlagen. Bei den Wärmepumpen wird Energie aus einem Abwassersammler genutzt, der im Webersteig am Seerhein verlegt ist. Die Wärmepumpe deckt 35 Prozent des Wärmebedarfs von 600 Megawattstunden. Energieerzeugung und -verbrauch werden in Megawattstunden angegeben. Der Rest der Wärme wird mit Blockheizkraftwerken und Gas-Spitzenkesseln erzeugt. Neben dem Neubau werden noch fünf weitere Einheiten in der Schotten- und Gartenstraße an das Wärmenetz angeschlossen, wodurch der Gesamtbedarf auf insgesamt 1,5 Gigawattstunden steigt. Zum Hintergrund: 1000 Megawattstunden sind eine Gigawattstunde. Auch der Strom soll vor Ort produziert werden. Die Photovoltaikanlage wird aus 86 Modulen bestehen. „Bilanziell lassen sich somit 100 Prozent des Stromverbrauchs mit dezentral erzeugter Energie bereitstellen und darüber hinaus etwa 284 Megawattstunden in das Stromnetz einspeisen“, erläutert Demetriou.
Mit Goldmedaille in die Klimakatastrophe
Je größer die Gebäude sind, desto herausfordernder ist das Heizen mit Wärmepumpen. Der Energiebedarf steigt, die lokal nutzbaren Energiequellen sind jedoch oftmals begrenzt. „Wir müssen bei der Planung von Gebäuden und Quartieren heute gleich zu Beginn von dem lokalen Potenzial an erneuerbarer Energie ausgehen und dazu passende Versorgungskonzepte entwickeln“, sagt Professor Stark, der in diversen Bauprojekten die Stadt in puncto Energie berät – unter anderem beim Neubauprojekt am Horn. „Die größere Herausforderung ist in diesem Zusammenhang jedoch die Umrüstung der Bestandsgebäude auf Wärmepumpenheizungen.“
Das Modellquartier auf den Christiani-Wiesen will den Strom- und Wärmebedarf des Quartiers vollständig über vor Ort zur Verfügung stehende Energiequellen decken. Zum einen mit Photovoltaikanlagen auf den Dach- und Fassadenflächen, zum anderen durch die Nutzung der kalten Nahwärme der Bodenseetherme. Heißt konkret: Die Abwärme der Therme wird in das lokale Wärmenetz eingespeist und von Wärmepumpen auf Betriebstemperatur erhitzt. „Ich wüsste nicht, was man im Hinblick auf Nachhaltigkeit hier noch besser machen könnte. Besser wäre es nur, nicht zu bauen. Aber wenn Wohnbedarf vorhanden ist, wäre es nicht nachhaltig, ihn nicht zu decken“, so Professor Stark. Die Fertigstellung des Quartiers am Horn ist für 2025 geplant.
Hoher Verbrauch, wenig Erneuerbare: Nichtwohngebäude und Industrie
Nachholbedarf gibt es im Landkreis Konstanz beim Einsatz von erneuerbaren Energien bei den neu gebauten Nichtwohngebäuden. Nichtwohngebäude sind beispielsweise Büro- und Verwaltungsgebäude, Fabrikgebäude, kommunale Gebäude und Schulen. Die Erneuerbaren machen hier nur 17 Prozent der Energieversorgung aus. Das zeigen Daten des Landesamts für Statistik in Baden-Württemberg und des Bundesamtes für Statistik aus der gemeinsamen Kooperation von CORRECTIV.Lokal und karla. Allerdings werden 38 Prozent der Gebäude gar nicht beheizt. 26 Prozent der Nichtwohngebäude im Landkreis werden noch mit Gas beheizt.
Eine interaktive Karte der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder zeigt den Energieverbrauch der Industrie auf Kreisebene. Der Kreis mit den bundesweit energieintensivsten Industriebetrieben 2020 war Ludwigshafen am Rhein (210 Petajoule). Konstanz hat einen Energieverbrauch von 5 Petajoule. Die Einheit Petajoule wird verwendet, um große Energieverbräuche zu beziffern. An vielen größeren Industriestandorten spielt Erdgas, das 2020 bundesweit der wichtigste Energieträger war, eine große Rolle. Im Landkreis Konstanz stammen 36 Prozent des industriellen Energieverbrauchs aus Erdgas. Auffallend ist, dass die erneuerbaren Energien hier kaum Beachtung finden: Vom gesamten Verbrauch des Landkreises Konstanz stammen nur 0,22 Prozent aus erneuerbaren Energien.
Das klingt nach Nachholbedarf bei den Nichtwohngebäuden und in der Industrie. Wo sehen die Stadtwerke Konstanz hier das Potenzial? Prozesswärme wird hauptsächlich aus Gas gewonnen, aber zunehmend auch aus Öl, um die hohen Erdgaspreise zu umgehen. Prozesswärme bezeichnet die Wärme, die für technische Verfahren wie beispielsweise Trocknen oder Schmelzen benötigt wird, ebenso wie die Abwärme, die dabei entsteht. „Welche Strategien die Industrie zur Defossilisierung aktuell anstrebt, ist uns nicht bekannt. Wir sind auch in keinerlei Konzeptionierungen zur Defossilisierung von Industriebetrieben in Konstanz eingebunden“, erläutert Niklas Reichert, Projektmanager Wärmenetzplanung bei den Stadtwerken Konstanz. Eine Chance liegt in der Entwicklung von industriellen Großwärmepumpen. Hier sei bei der Entwicklung aktuell viel Dynamik am Markt.
Im Bereich der Nichtwohngebäude und der Industrie spielen erneuerbare Energien noch immer eine untergeordnete Rolle. Selbst wenn alle Haushalte erneuerbar versorgt werden würden, käme man dann nicht auf 100 Prozent. Hier muss mehr getan werden und die Unternehmen müssen in die Verantwortung genommen werden.
„Auf Landkreisebene müssen wir 100 Prozent erreichen“
Die Stadt Konstanz hat 2018 einen Energienutzungsplan erstellt. „Wir sind teils besser gerüstet als viele andere Städte“, sagt Lorenz Heublein selbstbewusst. Aus dem Energienutzungsplan resultierte die Klimaschutzstrategie. Sie wurde 2021 vom Gemeinderat beschlossen und umfasst 61 Maßnahmen. Abgeschlossen davon sind bisher erst vier Maßnahmen. Die Strategie verfolgt ein sportliches Ziel: Bis 2035 muss das gesamte Energiesystem in Konstanz auf eine nahezu fossilfreie Versorgung umgestellt werden. Für den Haushalt 2022 sind aber zunächst neun Maßnahmen vorgesehen, darunter die städtische Dachsanierung mit Photovoltaik und die Förderung von privaten Anlagen.
Mehr erneuerbare Energien bedeuten auch, dass der Bedarf an genügend Speicher und guten Netzen steigt. Wenn diese vorhanden sind, ist ein erneuerbares Wärmenetz möglich. Speichermöglichkeiten gibt es viele, zum Beispiel Batteriespeicher, die Solarstrom aufnehmen und über den Tag verteilt abgeben. Für Professor Thomas Stark von der HTWG liegt die Zukunft der Speicher im Wasserstoff: Dabei wird überschüssiger Strom per Elektrolyse zu Wasserstoff umgewandelt. Die bei diesem Prozess entstehende Abwärme kann in ein Nahwärmenetz eingespeist werden, um den Nutzungsgrad zu steigern.
Schaut man sich die neuesten Zahlen des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg von 2022 an, gewinnt man darüber hinaus einen Einblick über die aktuelle Lage. 85 Prozent aller Baugenehmigungen aus dem Landkreis Konstanz von Januar bis Juni 2022 sehen eine mit Erneuerbaren betriebene Heizung vor. Das klingt nicht schlecht. Trotzdem: „Auf Landkreisebene müssen wir im Neubaubereich schnellstmöglich 100 Prozent erreichen, das ist ganz klar“, sagt Professor Thomas Stark.
Eine Kooperation von karla und CORRECTIV.Lokal
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von karla mit CORRECTIV.Lokal, einem Netzwerk für Lokaljournalismus, das datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen umsetzt. CORRECTIV.Lokal ist Teil des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV, das sich durch Spenden finanziert.
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